Das Lichtenstein - Modehaus der Illusionen (eBook)

Roman
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2022 | 1. Auflage
432 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44027-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Lichtenstein - Modehaus der Illusionen -  Marlene Averbeck
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Ein letztes Aufleuchten am Modehimmel über Berlin Berlin, 1935. Das Lichtenstein gleicht einem summenden Bienenkorb. Konfektionär Hannes entwirft weiterhin Kollektionen, die nicht den politischen Anforderungen nach einer »zurückgenommenen« Mode folgen, seine Frau Hedi hat eine Werbeabteilung aufgebaut, Thea leitet die Schneiderkontrolle, und Ella ist ein gefeierter Kino-Star. Vier Jahre später: Berlins Ära als Modemetropole ist systematisch zerstört, und auch das Lichtenstein ist »arisiert«, die Inhaberfamilie in alle Winde verstreut. Hedi und Hannes, als Judenbüttel ins Visier der Nazis geraten, packen die Koffer für ihre Abreise nach London, wo sie von Theas Familie und anderen Weggefährten erwartet werden. Gemeinsam mit Ellas weitreichenden Kontakten versuchen sie, Jacob zu retten, der in ein Zwangsarbeiterlager für Textilien verschleppt wurde ...

Marlene Averbeck studierte Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Sie arbeitet als freie Autorin und Rechercheurin für Film und Fernsehen und lebt mit ihrer Familie in Berlin. 

Marlene Averbeck studierte Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Sie arbeitet als freie Autorin und Rechercheurin für Film und Fernsehen und lebt mit ihrer Familie in Berlin. 

Hedi


Thea verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. »Der gnädige Herr erwartet dein Erscheinen«, sagte sie.

»Ich muss den Beitrag fertigschreiben, er soll nachher noch an die Redaktion raus.«

»So viel ich weiß, geht es genau um diesen Artikel. Hannes möchte noch einige Aktualisierungen vornehmen.«

Hedi schlug verärgert auf die Tasten der Schreibmaschine, umgehend verhakten sich zwei Typenhebel. »Mist, verdammter«, fluchte sie. »Das ist nicht dein Ernst, oder? Es gab wieder Änderungen am Kleid?«

»Sagen wir es so: Hannes macht gerade die letzte Abnahme, also die allerletzte, vielleicht sind wir auch schon bei der allerallerletzten, ich habe den Überblick verloren.«

»Er hat mir heute Morgen hoch und heilig versprochen, es würde keine …« Hedi brach ab und verzog das Gesicht.

»Ja, nun – was soll ich sagen? Er ist der Meinung, die Stoffe fallen anders als erwartet, sie glänzen stärker und umspielen die Figur mehr. Er möchte dich noch einmal draufschauen lassen.«

Seufzend blickte Hedi auf die Schreibmaschine vor sich. Der Gedanke, den sie soeben angefangen hatte, war längst verloren. Jetzt sprach nichts mehr dagegen, ins Atelier zu eilen und einen Blick auf das Kleid zu werfen. Sie griff sich eine Kladde, klemmte mehrere Blätter Papier unter den Bügel und einen Bleistift hinters Ohr. »Das Problem ist der Redakteur«, fuhr sie fort, als sie durchs Treppenhaus eilten. »Er hat mich gebeten, schnell noch ein paar Zeilen zu den neuesten Entwicklungen zu verfassen. Daraus macht er einen kleinen Beitrag zur Frühjahrsmode. Das tue ich gern, aber eigentlich habe ich dafür gerade kaum Zeit …«

»Er nimmt deinen Text und macht daraus seinen?«

»Ja, das ist recht üblich. Es ist eine praktische Lösung, denn so ist der von mir viel gepriesene neueste Chic genau das, was in unserer Reklame gezeigt wird.«

»Du Fuchs, wie raffiniert! Ist in den Tageszeitungen momentan überhaupt Platz für solche Themen? Sie überschlagen sich ja alle mit dem neuen Reichskanzler …«

»Ich finde, es geht wieder. Und seien wir ehrlich, die Reichskanzler wechseln ja schneller als wir die Wäsche. Der ist auch bald wieder Geschichte.«

»Dein Wort in Gottes Ohren. Ich muss noch einmal in die Schmuckabteilung«, sagte Thea über ihre Schulter hinweg und eilte los. »Hannes braucht zwei Ketten.«

Hedi rollte die Augen. »Er muss aber auch immer alles bis ins kleinste Detail ausschmücken – kann er sich das nicht vorstellen?«

»Das ist dein Gatte, nicht meiner. Sag’s ihm, nicht mir.«

Das Lichtenstein war voll für einen Vormittag mitten in der Woche. Doch der Abverkauf von Stoffen auf den Ausstelltischen zog Kundinnen ins Haus. Hedi und Thea schoben sich durch das Gedränge und erreichten die Schmuckabteilung.

»Um welches Kleid geht es? Für welches braucht Hannes die Kette?«, fragte Hedi.

»Das Jean-Patou-Kleid.«

»Sag das nie in seiner Gegenwart!«

»Mache ich immer. Es ist viel moderner und zeitloser als die Patou-Robe. Allenfalls inspiriert, aber niemals kopiert. Dein Mann kennt meinen Blick auf seine Arbeit.

»Du traust dich ja was, das wage nicht mal ich«, lachte Hedi auf. »Also gut, kommen wir zur Sache: Wir schauen also nach einer Kette für das schwarze Samtseidenkleid, das mit silbernen Fäden durchwirkt ist. Das ist schwierig, weil das Kleid an sich viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, da geht Schmuck schnell unter.«

»Was Dezentes? Vielleicht ein kleiner Stein, der mit zarter Kette um den Hals liegt?«

Hedi musterte Thea und fühlte einen Moment der Zärtlichkeit. Eine mitdenkende und kluge Frau, so warmherzig und geradlinig, so unprätentiös. Der Stoff, aus dem beste Freundinnen gemacht waren.

»Und hast du dir schon einen Namen für das neue Modell einfallen lassen?«, fragte Thea, während sie den Blick über das glänzende Gold und Silber mit den elegant zurechtgeschliffenen Edel- und Halbedelsteinen schweifen ließ. »So richtig passt keine der Ketten.«

Hedi hob eine in die Höhe. »Die könnte gehen. Und ja, das Kleid soll schlicht Amalia heißen.«

»Sehr brav.« Missbilligend schüttelte Thea den Kopf.

»Ludwig Lichtenstein hat mich explizit darum gebeten, auf ›erfreuliche Namen‹ zu achten. Das hat er wortwörtlich gesagt. Schön deutsch soll es klingen, bloß nicht französisch.«

»Vergiss es«, Thea winkte ab. »Hannes orientiert sich weiterhin an Paris, davon lenkt auch kein deutscher Name ab. Ein Schnitt ist ein Schnitt und damit eine Ansage. Schlicht, praktisch oder gar zweckdienlich ist an seinen Kleidern gar nichts …«

»Pst, nicht so laut!«

Thea tippte sich an die Stirn. »Warum? Auch wenn in der Berliner Mode – ach, was sage ich, in der gesamten deutschen Bekleidungsindustrie – alles langweiliger wird, gibt es immer noch viele Kundinnen, die nicht so ticken. Dein Mann fährt zweimal im Jahr nach Paris, um die großen Modenschauen zu besuchen und sich anregen zu lassen. Das weiß in der Branche jeder.«

Hedi überlegte, wie sie die Freundin bremsen konnte. Wenn sie erst einmal begann, sich zu ereifern, war ihr schwer beizukommen.

»Für ihn wird die Raffinesse französischer Mode«, sagte sie deshalb streng, »der Pariser Flair der Leitstern bleiben. Dieses deutsche Frauenbild, das neuerdings wieder unter dem Motto steht ›Heim und Herd sind Goldes wert‹, ist nun mal nicht sein Ding. Egal, wie laut die Vorgestrigen grölen.«

»Wenn er hören könnte, welche Loblieder du hier auf ihn singst, würde er dich vermutlich zu seiner Lieblingsangestellten des Monats küren.«

Sie mussten lachen.

Hedi war erleichtert, dass Theas Anspannung sich umgehend verflüchtigte. »Du hast recht, in seinen Augen sind Frauen klug und die lebenspraktischere Hälfte der Menschheit. Und wenn sie die Welt zum Besseren verändern, dann können sie auch schön gekleidet sein. Praktische Kleidung gibt’s nebenan, bei Jandorf und Co.«

»Eigentlich nähen wir Kleider, dafür reden wir ziemlich viel über Politik.«

Hedi zuckte mit den Schultern. »Das war doch schon immer so. Was anderes anzunehmen, wäre Augenwischerei.«

»Wenn wir uns jetzt nicht sputen, kenne ich einen, der sehr ungehalten sein wird.«

»Komm, wir nehmen diese Kette. Lassen wir Hannes nicht länger warten.«

Nachdem sie der Kollegin Bescheid gegeben hatten, dass sie sich Schmuck ausliehen, eilten sie durch die Gänge, die einem summenden Bienenstock glichen. Die Geräuschkulisse bestand vornehmlich aus Gesprächen. Der Geruch des Hauses veränderte sich im Erdgeschoss beständig, je nachdem, welche Parfüms angeboten wurden. Im oberen Stockwerk roch es eher nach den sich türmenden Seidenstoffballen oder den vielfältigen Wollwaren. Wenn im Januar die Weißwarenwoche stattfand, schwebte der Geruch frischer Leinstoffe durchs Haus. Hedi genoss das warme Licht der neuen Kronleuchter, das sich in den Spiegelflächen brach und das die Messinggeländer, Rahmen und Wandleuchten erstrahlen ließ. Sie sog die neugierigen Blicke der Kundinnen auf und deren erfreutes Lächeln, wenn sie fanden, was sie suchten. Hedi liebte diese friedvolle Stimmung im Lichtenstein.

Sie erreichten den Personaleingang und tauchten in die Stille des Treppenhauses ab. Im Atelier kam Hannes ihnen sofort entgegen. Sein Gehstock klopfte einen harten Takt auf den Boden, einen, der verriet, wie ungeduldig er bereits war. Hedi bemerkte, wie stark er sein künstliches Bein nachzog. So wenig seine Kriegsverletzung sonst auffiel, so deutlich war sie jetzt zu erkennen. Vermutlich hatte er Schmerzen im Stumpf. Er verlor selten ein Wort darüber, im Lichtenstein ohnehin nicht. Am Morgen, da war Hedi sicher, hatte sein Gangbild deutlich weicher gewirkt.

Hannes musterte die Kette. »Da hatte ich mir schon etwas anderes vorgestellt. Mehr Glamour, etwas Lautes und Unübersehbares.«

»Sicherlich«, Hedi versuchte es mit einem Lächeln, »es gibt aber nichts Passendes.«

»Wir reden von Modell Amalia.«

»Ich weiß … Lass es uns doch bitte einmal probieren, ich bin sicher, dieses zarte Kettchen mit der Blüte unterstreicht die Form des Ausschnittes.«

Hedi trat an Alice heran, die bereits während der Lehre im Bereich der Konfektion wegen ihrer schmalen und dehnbaren Figur als Vorführdame zum Einsatz gekommen war. Sie hatte etwas Federleichtes, nichts in ihren Bewegungen war kantig oder ungelenk, und wenn sie lächelte, war sie schön wie ihre Mutter Trude. Die arbeitete seit Jahren in der Weißwarenabteilung und präsentierte ebenfalls die Mode des Hauses – inzwischen in Größen für üppigere Frauen. Hedi sah vor ihrem inneren Auge, wie Trude bei ihrem ersten Versuch, ein Kleid vorzustellen, in einen Wanderschritt verfallen war, der seinesgleichen gesucht hatte. Auch wenn sie gelernt hatte, wie ein Mannequin zu laufen, war sie bodenständig geblieben.

Ganz anders ihre Tochter. Die mit dem Vorführen der Kleider verbundene Aufmerksamkeit hatte Alice launenhaft gemacht – sie bestand darauf, als Mannequin und nicht mehr als Verkäuferin bezeichnet zu werden, sobald sie den Bereich der Konfektion verließ. Nun stand sie im Salon, mit einer Körperhaltung, die wirkte, als würde sie auf die Tram warten. Ihre Miene verbarg die momentane Langeweile nicht. Hedi konnte dieses Gefühl nachvollziehen. Wie oft hatte sie hier gestanden – im Nesselschnitt oder im Rahmen einer Vorführung – und auf irgendetwas gewartet. Mannequin sein hieß, warten können, darauf, dass andere einem sagten, was zu tun war. »Darf ich dir die Kette umlegen?«, fragte sie,...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2022
Reihe/Serie Die Lichtenstein-Trilogie
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 30er Jahre • Babylon Berlin • Berlin • Damenmode • Die Schwestern vom Ku'damm • Downton Abbey • Dreißigerjahre • Frauenroman • Frauenunterhaltung • Geschenk beste Freundin • Gesellschaftsroman • Göring • Haute Couture • historischer Roman Serie • Kaufhaus • Konfektionär • Konfektionsmode • Konfektionsware • Ladenmädchen • London • Mode • modehaus • Näherin • Nationalsozialismus • Roman für Frauen • Roman Neuerscheinung • Urlaubsroman • Verkäuferin • Warenhaus • Wien
ISBN-10 3-423-44027-9 / 3423440279
ISBN-13 978-3-423-44027-1 / 9783423440271
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