Die Dharmajäger (eBook)

Der Klassiker der Beatnik-Generation neu übersetzt

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00268-5 (ISBN)

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Die Dharmajäger -  JACK KEROUAC
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Abenteuerroman, antikonsumistisches Manifest und zugleich «nature writing» at its best. Ein Klassiker der Beat-Literatur, zu Jack Kerouacs hundertstem Geburtstag am 12.3.2022 in neuer Übersetzung. Mal als blinder Passagier auf alten Güterzügen, mal zu Fuß in dünnen Stoffschuhen ist Ray Smith (Kerouac) unterwegs durch Kalifornien - ein wenig ziellos, bis er auf Japhy (Gary Snyder), den Dichterfreund und Zen-Buddhisten, trifft. Gemeinsam mit dem Jodler Morley brechen sie auf in die kaum berührte Natur der High Sierras, um die Lektion der Einsamkeit zu lernen. Sie dichten, sie wandern und meditieren, immer auf der Jagd nach dem Dharma und einem intensiven, sinnerfüllten Leben. Nur: Im wildromantischen San Francisco mit seinen Hipster-Partys, Poetry-Sessions, Trink-Marathons fällt es schwer, vom Weg der Askese nicht wieder abzukommen ... Jack Kerouac zählt mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs zu den führenden Stimmen der Beat Generation, die in den späten Fünfzigern des 20. Jahrhunderts eine der prägendsten subkulturellen Bewegungen der USA begründete. Unter dem damals zeitgemäßen Titel «Gammler, Zen und hohe Berge» in Deutschland berühmt geworden, schließt das im Original «The Dharma Bums» genannte Buch an Kerouacs Welterfolg «On the Road» an.

Jack Kerouac, am 12. März 1922 in Lowell/Massachusetts geboren, diente während des Zweiten Weltkriegs in der Handelsmarine, trampte später jahrelang als Gelegenheitsarbeiter kreuz und quer durch die USA und Mexiko und wurde neben William S. Burroughs und Allen Ginsberg der führende Autor der Beat Generation. Mit «On the Road» schrieb er eines der berühmtesten Bücher des 20. Jahrhunderts. Er starb am 21. Oktober 1969 in St. Petersburg/Florida.

Jack Kerouac, am 12. März 1922 in Lowell/Massachusetts geboren, diente während des Zweiten Weltkriegs in der Handelsmarine, trampte später jahrelang als Gelegenheitsarbeiter kreuz und quer durch die USA und Mexiko und wurde neben William S. Burroughs und Allen Ginsberg der führende Autor der Beat Generation. Mit «On the Road» schrieb er eines der berühmtesten Bücher des 20. Jahrhunderts. Er starb am 21. Oktober 1969 in St. Petersburg/Florida. Thomas Überhoff studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und arbeitete lange als Lektor und Programmleiter Belletristik beim Rowohlt Verlag. Er übersetzte unter anderem Sheila Heti, Nell Zink, Jack Kerouac und Denis Johnson. Matthias Nawrat, 1979 im polnischen Opole geboren, emigrierte als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Bamberg. Für seinen Debütroman «Wir zwei allein» (2012) erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis; «Unternehmer» (2014), für den Deutschen Buchpreis nominiert, wurde mit dem Kelag-Preis und dem Bayern 2-Wortspiele-Preis ausgezeichnet, «Die vielen Tode unseres Opas Jurek» (2015) mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises sowie der Alfred Döblin-Medaille. «Der traurige Gast» (2019) war unter anderem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. 2020 erhielt Matthias Nawrat den Literaturpreis der Europäischen Union. «Reise nach Maine» (2021) ist sein fünfter Roman. Zuletzt erschien der Gedichtband «Gebete für meine Vorfahren» (2022), ausgezeichnet mit dem Fontane-Literaturpreis der Stadt Neuruppin.

1


An einem Mittag im späten September 1955 sprang ich in Los Angeles auf einen Güterzug, ließ mich mit meinem Seesack unter dem Kopf und übergeschlagenen Beinen in einem offenen Waggon nieder und betrachtete die Wolken, während wir nordwärts in Richtung Santa Barbara rollten. Es war ein Bummelzug, und ich wollte in Santa Barbara am Strand übernachten und am nächsten Morgen entweder einen weiteren Bummelzug nach San Luis Obispo erwischen oder später den Sieben-Uhr-Expressgüterzug bis ganz nach San Francisco. Irgendwo in der Nähe von Camarillo, wo Charlie Parker durchgedreht und dann wieder genesen war, kletterte ein dünner kleiner alter Penner in meinen Waggon, als wir auf einem Nebengleis hielten, um einen vorfahrtsberechtigten Zug vorbeizulassen, und schien überrascht, mich dort zu sehen. Er richtete sich am anderen Ende ein, legte, mich im Blick, den Kopf auf seiner eigenen, jämmerlich kleinen Tasche ab und sagte nichts. Bald darauf, als der ostwärts fahrende Güterzug auf dem Hauptgleis vorbeigedonnert war, betätigten sie die Dampfpfeife, und wir fuhren an, während es kälter wurde und vom Meer her Nebel in die warmen Küstentäler zog. Nachdem der kleine Penner und ich erfolglos versucht hatten, uns auf dem kalten Stahl in Decken gehüllt warmzuhalten, standen wir beide auf, schritten, jeder an seinem Wagenende, hin und her, sprangen auf und ab und klopften uns mit den Händen warm. Ziemlich bald stoppten wir an einem kleinen Haltepunkt auf einem weiteren Nebengleis, und ich dachte mir, dass ich gut einen Krug Tokayer brauchen konnte, um die kalte Fahrt durch die Dämmerung bis Santa Barbara zu überstehen. «Passt du mal auf meinen Seesack auf, während ich schnell da rüberlaufe und eine Flasche Wein besorge?»

«Klar.»

Ich sprang an der Seite ab, rannte über den Highway 101 zu dem Laden und kaufte außer Wein noch etwas Brot und ein paar Süßigkeiten. Ich rannte zurück zu meinem Güterzug, der dann aber noch eine Viertelstunde an diesem nun wieder warmen, sonnigen Ort warten musste. Doch es war später Nachmittag und würde bestimmt bald wieder eisig werden. Der kleine Penner saß im Schneidersitz an seinem Ende vor einer kläglichen Mahlzeit, die aus einer Büchse Sardinen bestand. Ich bekam Mitleid mit ihm, ging rüber und sagte: «Wie wär’s mit ’nem bisschen Wein zum Aufwärmen? Und vielleicht magst du Brot und Käse zu deinen Sardinen.»

«Klar.» Er sprach von weit weg mit einer leisen, kehligen Stimme wie einer, der fürchtete oder nicht gewillt war, sich Geltung zu verschaffen. Den Käse hatte ich drei Tage zuvor in Mexico City gekauft, vor der billigen langen Busfahrt, dreitausend Kilometer über Zacatecas, Durango und Chihuahua bis zur Grenze in El Paso. Der Penner verzehrte ihn und das Brot und den Wein mit Genuss und Dankbarkeit. Ich freute mich. Ich erinnerte mich an die Zeile aus dem Diamant-Sutra, die besagt: «Übe Freigiebigkeit, ohne dir einen Begriff davon zu machen, denn Freigiebigkeit ist schließlich nur ein Wort.» Ich war damals sehr gläubig und praktizierte meine Andachten beinahe in Perfektion. Inzwischen bin ich mit meinen Lippenbekenntnissen etwas heuchlerisch geworden und auch ein bisschen müde und zynisch. Bin alt geworden und von nichts mehr zu begeistern … Aber damals glaubte ich wirklich an Freigiebigkeit und Nächstenliebe und Demut und Hingabe und stille Einkehr und Weisheit und Ekstase, und ich glaubte auch, ein Bhikkhu aus alten Zeiten in modernem Gewand zu sein, der die Welt durchwandert (für gewöhnlich das riesige Dreieck New York, Mexico City, San Francisco), um das Rad der Lehre oder des Dharma zu drehen und mir Verdienste als zukünftiger Buddha (Erwecker) und zukünftiger Held im Paradies zu erwerben. Ich hatte Japhy Rider noch nicht kennengelernt, das geschah erst eine Woche später, und auch noch nie irgendwas von «Dharmajägern» gehört, obwohl ich zu der Zeit selbst ein vollendeter Dharmajäger war und mich als religiösen Wanderer betrachtete. Der kleine Penner in dem offenen Güterwagen bekräftigte all meine Glaubenssätze, indem er sich vom Wein die Zunge lösen ließ und ins Reden kam und schließlich einen winzigen Zettel mit einem Gebet der heiligen Theresa herauszog, das verkündete, sie werde sich nach ihrem Tod auf der Erde zeigen, indem sie sie und alle lebendigen Kreaturen auf ihr vom Himmel herab für immer mit Rosen überschütte.

«Woher hast du das?», fragte ich.

«Ach, das hab ich vor ein paar Jahren in einem Lesesaal in Los Angeles aus einer Zeitschrift ausgeschnitten. Ich trag es immer bei mir.»

«Und hockst dich in Güterwagen und liest es?»

«Fast jeden Tag.» Viel mehr sprach er nicht, ging auch nicht näher auf die heilige Theresa ein, war sehr zurückhaltend hinsichtlich seines Glaubens und erzählte mir nur wenig über sein Privatleben. Er gehörte zur Sorte der stillen kleinen Penner, der man nicht mal auf der Skid Row groß Beachtung schenkt, geschweige denn auf der Hauptstraße. Wenn ihn ein Cop verscheuchte, legte er einen Zahn zu und verschwand, und wenn auf den Rangierbahnhöfen großer Städte bei der Ausfahrt eines Güterzuges Sicherheitsärsche unterwegs waren, würden sie den kleinen Mann, der sich in den Sträuchern verbarg und im Dunkeln aufsprang, wahrscheinlich nie erspähen. Als ich ihm erzählte, ich hätte vor, am nächsten Abend auf den Express-Zipper aufzuspringen, sagte er: «Ah, du meinst den Midnight Ghost.»

«Nennst du den Zipper so?»

«Du hast wohl mal auf dieser Linie gearbeitet?»

«Hab ich, als Bremser bei der Southern Pacific.»

«Na ja, wir Hobos nennen ihn den Midnight Ghost, weil du in L.A. draufspringst und dich bis zum Morgen in San Francisco keiner mehr zu Gesicht bekommt, so schnell ist das Ding.»

«Hundertzwanzig Stundenkilometer auf den Geraden, Alter.»

«Stimmt, aber nachts wird es mächtig kalt, wenn du dann nördlich von Gavioty und oben um Surf herum die Küste raufzischst.»

«Surf, richtig, und dann durch die Berge südlich von Margarita.»

«Margarity, stimmt, aber ich bin öfter mit dem Midnight Ghost gefahren, als ich zählen kann.»

«Wie viele Jahre warst du nicht zu Hause?»

«Bestimmt mehr, als ich zählen möchte. Ursprünglich komm ich aus Ohio.»

Aber der Zug fuhr los, der Wind wurde kalt und nebelfeucht, und die folgenden anderthalb Stunden verwendeten wir unsere ganze Kraft und unseren ganzen Willen darauf‚ nicht zu sehr zu bibbern und mit den Zähnen zu klappern. Ich kauerte mich hin und meditierte über die Wärme, die tatsächliche Wärme Gottes, um die Kälte abzuhalten; dann sprang ich auf und ab, schwang die Arme und Beine und sang. Der kleine Penner hatte mehr Geduld als ich; die meiste Zeit lag er nur da und käute mit verbittert verzogenen Lippen sein Essen wieder. Ich schnatterte mit den Zähnen und hatte blaue Lippen. Bei Anbruch der Dunkelheit sahen wir erleichtert die vertrauten Berge von Santa Barbara Gestalt annehmen; bald würden wir halten und uns in der warmen, sternenhellen Nacht über den Gleisen aufwärmen.

Am Bahnübergang, wo wir absprangen, verabschiedete ich mich vom kleinen Penner der heiligen Theresa und ging los, um die Nacht mit meinen Decken im Sand zu verbringen, ganz hinten am Strand am Fuß einer Klippe, wo die Cops mich nicht sehen und vertreiben würden. Ich röstete Hotdogs an frisch geschnittenen und angespitzten Stöcken über der Glut eines großen Holzfeuers, machte in dessen Kuhlen eine Dose Bohnen und eine Dose Käse-Makkaroni heiß, trank meinen frisch erworbenen Wein und begann jauchzend eine der angenehmsten Nächte meines Lebens zu verbringen. Ich watete ins Wasser, tauchte kurz darin ein, stand dann da und blickte zu dem prachtvollen Nachthimmel auf, zu Avalokiteshvaras zehnfach mit Wundern gespicktem Universum aus Dunkel und Diamanten. «Tja, Ray», sage ich freudestrahlend, «nur noch ein paar Kilometer. Hast du’s wieder mal geschafft.» Glücklich. Nur in Badehose, barfuß, mit wildem Haar im feuerroten Dunkel singen, Wein saufen, ausspucken, rumhüpfen und -laufen – so muss man leben. Ganz allein und frei im weichen Sand des Strandes mit dem Seufzen der See da draußen und den jungfräulichen, mütterlich zwinkernden Eileitern der warmen Sterne, die sich auf den fließenden Strömen im Bauch des Santa-Barbara-Kanals spiegeln. Und wenn deine Dosen glühend heiß sind und du sie nicht mit der Hand anfassen kannst, nimm einfach die guten alten Rangiererhandschuhe, und fertig ist die Laube. Ich ließ das Essen ein bisschen abkühlen, um mich weiter dem Wein und meinen Gedanken zu widmen. Ich setzte mich mit gekreuzten Beinen in den Sand und sann über mein Leben nach. Tja, nun, und machte das einen Unterschied? «Was wird mir noch alles widerfahren?» Dann ließ mir der Wein das Wasser im Mund zusammenlaufen, und bald musste ich mich über diese Hotdogs hermachen, biss sie direkt vom Stockende, und mampf, mampf, mit dem alten Reiselöffel tief in die leckeren Dosen, große Löffel voll heißer Bohnen und Schweinefleisch rausholen, oder Makkaroni in kochendheißer Sauce und vielleicht einem bisschen Sand drin. «Und wie viele Sandkörner gibt es hier an diesem Strand?», denke ich. «Ach, so viele wie Sterne am Himmel!» (mampf, mampf), und wenn das stimmt, «wie viele Menschen sind hier schon gewesen, ja wie viele Lebewesen überhaupt seit Anbeginn der anfanglosen Zeiten? Ach, hey, da müsste man wohl die Zahl der Sandkörner an diesem Strand und auf jedem Stern am Himmel in jedem einzelnen der zehntausend großen Chiliversen ausrechnen, und das ergäbe eine Zahl von Sandkörnern, die weder IBM noch Burroughs berechnen könnten, und Junge, Junge, ich habe keinen Schimmer (großer Schluck Wein), «ich habe keinen...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2022
Nachwort Matthias Nawrat
Übersetzer Thomas Überhoff
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuerlust • Amerikanische Literatur • Amerikansche Literatur • Beat generation • Beatniks • Freundschaft • High Sierra • Hipster • Jack Kerouac • Kalifornien • Klassiker • Landschaft • Nachhaltigkeit • Natur • Nature writing • Neuübersetzung • on the road • TRIP • Unterwegs • Zen-Buddhismus
ISBN-10 3-644-00268-1 / 3644002681
ISBN-13 978-3-644-00268-5 / 9783644002685
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