Daddy (eBook)

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(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
256 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27153-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Daddy - Emma Cline
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'Der sehnsüchtig erwartete Erzählband 'Daddy' ist ein würdiger Nachfolger von Emma Clines Debüt 'The Girls'.' Esquire
In ihrem Haus in Südkalifornien erwarten Linda und John sehnsüchtig die Ankunft ihrer Kinder. Es könnte ein idyllisches Familienfest werden - wären da nicht die Gespenster von Zorn und Traurigkeit. Emma Cline erzählt von Männern, die gefangen sind in mühsam errichteten Selbstbildern, von Frauen auf der Suche nach dem Reiz der Grenzüberschreitung, von Familienvätern, die die Vergangenheit einzuholen droht. 'Daddy' ist ein funkelndes Psychogramm unserer Gegenwart: Erzählungen über die andauernden Widersprüche unserer Beziehungen, den Kampf gegen den männlichen Blick, das Ausloten von Weiblichkeit. Nach ihrem fulminanten Debüt 'The Girls' beweist Emma Cline erneut die ganze Bandbreite ihres Könnens.

Emma Cline wuchs in Kalifornien auf. Für ihr schriftstellerisches Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Plimpton Prize for Fiction der Paris Review. Ihre Erzählungen erschienen u.a. im New Yorker, Granta und der Paris Review. Sie wurden wiederholt in die Best American Short Stories-Anthologie aufgenommen. Bei Hanser erschien zuletzt ihr gefeiertes Debüt The Girls (Roman, 2016).

Was macht man mit einem General


Linda war im Haus und telefonierte — mit wem eigentlich, so früh? Vom Whirlpool aus sah John zu, wie sie in ihrem Bademantel und einem alten Badeanzug mit verblasstem Tropenmuster, der wahrscheinlich einem der Mädchen gehörte, hin und her ging. Es war schön, sich ein bisschen im Wasser treiben zu lassen, zur anderen Seite des Pools zu gleiten, dabei den Kaffee über Wasser hochzuhalten, während die Düsen vor sich hin sprudelten. Der Feigenbaum war kahl, und das schon seit einem Monat, aber die Kakibäume trugen noch. Die Kinder sollten Plätzchen backen, wenn sie hier sind, dachte er, Kaki-Plätzchen. Hatte Linda nicht immer welche gemacht, als die Kinder noch klein waren? Oder was für welche sonst noch — mit Marmelade, vielleicht? Das ganze Obst, das umkam, es war zum Kotzen. Er würde dem Gartentypen sagen, er solle ein paar Kisten Kakis sammeln, bevor die Kinder kamen, dann bräuchten sie sie bloß noch zu verarbeiten. Linda wusste bestimmt noch, wo sie das Rezept hatte.

Die Fliegengittertür schlug zu. Linda legte ihren Bademantel zusammen und stieg in den Whirlpool.

»Sashas Flug hat Verspätung.«

»Wie viel?«

»Landet wahrscheinlich erst um vier oder fünf.«

Um die Zeit wäre der Feiertagsverkehr auf der Rückfahrt ein Alptraum — eine Stunde hin, dann zwei Stunden zurück, wenn nicht noch mehr. Sasha hatte keinen Führerschein, konnte also keinen Wagen mieten, nicht, dass ihr einfallen würde, es anzubieten.

»Und sie hat gesagt, Andrew kommt nicht mit«, sagte Linda und zog ein Gesicht. Linda war überzeugt, dass Sashas Freund verheiratet war, obwohl sie es Sasha gegenüber nie zur Sprache brachte.

Sie fischte ein Blatt aus dem Wasser und schnippte es in den Garten, dann machte sie es sich mit dem Buch bequem, das sie mitgebracht hatte. Linda las viel: Sie las Bücher über Engel, Heilige und reiche weiße Frauen aus vergangenen Zeiten mit exzentrischen Gewohnheiten. Sie las Bücher, die Mütter von Schulamokläufern geschrieben hatten, und Bücher von Heilern, die behaupteten, Krebs sei im Grunde ein Problem mangelnder Selbstliebe. Aktuell waren es die Erinnerungen einer jungen Frau, die als Elfjährige entführt und fast zehn Jahre in einem Gartenschuppen gefangen gehalten worden war.

»Ihre Zähne waren in gutem Zustand«, sagte Linda. »In Anbetracht der Umstände. Sie schreibt, sie hätte sich die Zähne jeden Abend mit den Fingernägeln abgekratzt. Dann hat er ihr schließlich eine Zahnbürste gegeben.«

»Du meine Güte«, sagte John, was ihm die angemessene Reaktion zu sein schien, aber Linda war schon wieder in ihr Buch vertieft und dümpelte friedlich vor sich hin. Als die Düsen sich abschalteten, watete John schweigend hinüber und schaltete sie wieder ein.

Als erstes von den Kindern traf Sam ein; er kam aus Milpitas, in einem Gebrauchtwagen, der noch Garantie hatte und den er im vorigen Sommer gekauft hatte. Vor dem Kauf des Wagens hatte er zigmal angerufen, um das Für und Wider abzuwägen — der Kilometerstand dieses Gebrauchten im Gegensatz zum Leasing eines neueren, und wie bald Audis zur Inspektion mussten —, und es verblüffte John, dass Linda dafür, für das Autokauf-Heckmeck ihres dreißigjährigen Sohns, Zeit hatte, aber sie nahm seine Anrufe jedes Mal entgegen, ging ins andere Zimmer und ließ John zurück, wo er gerade war, allein mit dem, was er gerade machte. In letzter Zeit sah er sich öfter eine Fernsehserie über zwei ältere Frauen an, die zusammenlebten, die eine spießig, die andere ein Freigeist. Das Gute war, dass es endlos viele Episoden zu geben schien, eine endlose Schilderung der kleinen Widrigkeiten ihres Lebens in einem namenlosen Strandort. Die Zeit schien für diese Frauen nicht zu gelten, als wären sie bereits tot, obwohl die Serie wohl in Santa Barbara spielen sollte.

Als nächstes traf Chloe ein, aus Sacramento, und sie sei, sagte sie, mindestens eine halbe Stunde lang mit brennender Tankwarnleuchte gefahren. Vielleicht auch länger. Sie machte gerade ein Praktikum. Natürlich unbezahlt. John und Linda kamen immer noch für ihre Miete auf; sie war die jüngste.

»Wo hast du getankt?«

»Noch gar nicht«, sagte sie. »Das mache ich später.«

»Du hättest anhalten sollen«, sagte John. »Es ist gefährlich, auf Reserve zu fahren. Und dein Vorderreifen ist fast platt«, fuhr er fort, aber Cloe hörte gar nicht zu. Sie kniete bereits in der gekiesten Einfahrt und hielt den Hund fest umklammert.

»Ach, mein kleiner Schatz«, sagte sie mit beschlagener Brille, Zero an die Brust gedrückt. »Kleiner Liebling.«

Zero zitterte ständig, was, wie eines der Kinder nach kurzer Recherche gesagt hatte, für Jack Russell Terrier völlig normal sei, aber es ging John trotzdem auf die Nerven.

Linda fuhr Sasha abholen, weil John mit seinem Rücken keine längeren Strecken im Auto verbringen sollte — vom Sitzen verkrampfte er völlig — und Linda ohnehin sagte, sie mache das gern. Sie freue sich darauf, ein bisschen Zeit allein mit Sasha zu haben. Zero versuchte, Linda zum Wagen zu folgen, und stieß gegen ihre Beine.

»Er darf nicht ohne Leine raus«, sagte Linda. »Geh sanft mit ihm um, okay?«

John fand die Leine, und als er sie am Geschirr befestigte, achtete er darauf, den Wulst von Zeros OP-Naht nicht zu berühren. Die Stiche sahen spinnenartig aus, sinister. Zero atmete mühsam. Noch fünf Wochen lang mussten sie dafür sorgen, dass er sich nicht herumwälzte, nicht sprang, nicht rannte. Er musste jedes Mal an die Leine, wenn man mit ihm hinausging, musste ständig begleitet werden. Sonst würde sich der Schrittmacher möglicherweise lockern. John hatte nicht gewusst, dass Hunde Schrittmacher bekommen konnten, eigentlich mochte er überhaupt keine Hunde im Haus. Und nun schlurfte er hinter Zero her, während der Hund einen Baum und dann noch einen beschnupperte.

Zero humpelte langsam bis zur Umzäunung, stand einen Moment lang still und ging dann weiter. Er war zwei Morgen groß, der Garten, so groß, dass man sich von den Nachbarn isoliert vorkam, obwohl einmal einer wegen des Hundegebells die Polizei gerufen hatte. Diese Leute, in alles mussten sie die Nase stecken, und wenn es nur darum ging, Hunde vom Bellen abzuhalten. Zero blieb stehen, um einen eingedrückten Fußball in Erwägung zu ziehen, der so alt war, dass er wie versteinert aussah, dann ging er weiter. Schließlich hockte er sich trübselig nieder und blickte zu John, während er ein cremiges kleines Häufchen schiss. Es war von verblüffendem, unnatürlichem Grün.

In dem Hund befand sich irgendein unsichtbares Gerät, das ihn am Leben hielt, das sein Hundeherz am Schlagen hielt. Roboter-Hund, summte John vor sich hin, während er mit dem Fuß Erde über die Scheiße scharrte.

Vier Uhr, Shashas Flugzeug landete wohl gerade, und Linda ging in der Ankunftshalle auf und ab. Es war nicht zu früh für ein Glas Wein.

»Chloe? Hast du Interesse?«

Hatte sie nicht. »Ich schreibe gerade Bewerbungen«, sagte sie, im Schneidersitz auf ihrem Bett. »Siehst du?« Einen Moment lang drehte sie den Laptop zu ihm hin, auf dem Bildschirm irgendein Dokument, obwohl er im Hintergrund eine Fernsehsendung laufen hörte. Sie wirkte immer noch wie ein Teenager, obwohl sie vor fast zwei Jahren das College abgeschlossen hatte. In ihrem Alter hatte John schon für Mike gearbeitet, hatte mit dreißig schon seinen eigenen Bautrupp gehabt. Heutzutage kriegten die Kids ein komplettes zusätzliches Jahrzehnt, um — ja was eigentlich? Sich treiben zu lassen, Praktika zu machen.

Er versuchte es erneut. »Bist du sicher? Wir können draußen sitzen, da ist es ganz schön.«

Chloe blickte nicht vom Laptop auf. »Kannst du die Tür zumachen?«, sagte sie tonlos.

Manchmal verschlug ihre Unhöflichkeit ihm den Atem.

Er stellte einen Snack für sich zusammen. Käsestücke, wobei er um den Schimmel herumschnitt. Salami. Die letzten, in der Lake geschrumpelten Oliven. Er nahm seinen Pappteller mit nach draußen und setzte sich in einen der Gartensessel. Die Polster fühlten sich feucht an, vergammelten wahrscheinlich von innen. Er trug seine Jeans, seine weißen Socken, seine weißen Sneakers, einen Strickpullover — von Linda —, der deutlich nach Frauenpullover aussah und lächerlich an ihm wirkte. Darüber, wie albern er womöglich wirkte, machte er sich keine Gedanken mehr. Wen sollte es kümmern? Zero kam und schnupperte an seiner Hand; er gab ihm ein Stück Salami zu fressen. Wenn der Hund sich ruhig verhielt, war er gar nicht so schlecht. Eigentlich müsste er ihn an die Leine nehmen, aber die war im Haus, und Zero...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2021
Übersetzer Nikolaus Stingl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel DADDY
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abgründe • Alte weiße Männer • carmen maria machado • cat person • Drogen • Entzugsklinik • Feminismus • Gewalt • Harvey Weinstein • Kristen Roupenian • Lebenskrise • lisa taddeo • Machtstrukturen • Mary Gaitskill • metoo • Millenials • Neuerscheinung 2021 • New York • #ohnefolie • ohnefolie • Patriarchat • Privilegien • Sexismus • Shitstorm • Skandal • The Girls • The New Yorker • the paris review • Übergriffe • Upperclass • West Coast
ISBN-10 3-446-27153-8 / 3446271538
ISBN-13 978-3-446-27153-1 / 9783446271531
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