Radek (eBook)

Stefan-Heym-Werkausgabe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
800 Seiten
C. Bertelsmann Verlag
978-3-641-27845-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Radek - Stefan Heym
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Das faszinierende Porträt einer der charismatischsten Figuren der russischen Revolutionsgeschichte
Karl Bernhardowitsch Radek ist eine der schillerndsten Figuren der sowjetischen Geschichte. Selbst Revolutionär, Journalist und Politiker, gehörte er zu den führenden Linken in der polnischen und deutschen Sozialdemokratie. Als Emigrant in der Schweiz und in den Jahren der Oktoberrevolution war er Weggefährte Lenins. Er verkörperte das Pathos und die Tragik eines freiheitlichen Sozialismus, geriet in Konflikt mit dem stalinistischen Apparat und wurde 1937 Opfer der Moskauer Schauprozesse.

Stefan Heyms mitreißendes Porträt Karl Radeks ist sein Abgesang auf die Idee der kommunistische Weltrevolution. Bei C.Bertelsmann erstmals 1995 erschienen, ist der Roman nun als Penguin Taschenbuch endlich wieder erhältlich.

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In der McCarthy-Ära kehrte er nach Europa zurück und fand 1953 Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt. Er gilt als Symbolfigur des aufrechten Gangs und ist einer der maßgeblichen Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel. »Radek« erscheint im Rahmen dieser Werkausgabe erstmals bei C. Bertelsmann als E-Book.

1


Schön hatte er’s hier, der Genosse Fürstenberg: bewohnte eine Vorstadtvilla in Saltsjösbaden mit säulengeschmücktem Portal und hohen lichten Fenstern, mit Sicht auf das Meer, das unter dem blauen Frühjahrshimmel glitzerte, und auf der Terrasse vor dem Portal, den nerzverbrämten Hausrock um die schlanke Figur gehüllt, die Dame des Hauses, dem Besucher entgegenblickend, der noch immer keine Gelegenheit gehabt hatte, den Reiseschmutz sich vom Leibe zu bürsten.

»Gisa, meine Liebe«, sagte Fürstenberg, »ich bringe dir den Genossen Radek.«

Frau Gisa neigte den Kopf und lächelte. Radek stellte seine Bündel ab, ergriff Frau Gisas Hand und hauchte einen Kuß darauf. Eine Zofe kam getrippelt. Frau Gisa bewegte zwei Finger in Richtung der Bündel, »Zum Gästezimmer.«

»Wenn Sie sich frisch machen wollen, Genosse Radek«, sagte Fürstenberg. »Wir sehen Sie zum Five o’clock tea. Aber bitte nicht später.«

Radek seufzte. Da hatte er sich auf ein heißes Bad gefreut, mit reichlich Lesestoff; und schon wieder rief ihn die Pflicht, die revolutionäre. Aber Parvus, das war bekannt, liebte es nicht zu warten, und auf Leute, deren Wohn- und Kostgeld er zahlte, schon gar nicht.

Der Salon, fand Radek, nachdem er mit einer Verspätung, die sich in den Grenzen des Anstands hielt, die gewundene Treppe vom Obergeschoß herabgestiegen, war ebenfalls im Stil: Chippendale, oder etwas noch Früheres, und edle Stoffe, und auf einem goldverzierten Tischchen eine porzellanene Vase, auf welcher die Abbildung eines Rokokoschlößchens mit buntgekleideten Schäfern und Schäferinnen.

»Da sind Sie ja!« Fürstenberg trat auf ihn zu. »Alles nach Wunsch?« und führte ihn zu Parvus, der neben dem weißmarmornen Kamin stand, vertieft, wie es schien, in ein Gespräch mit Frau Gisa; Frau Gisa mußte ihn schließlich erinnern, »Der Genosse Radek!«

Parvus blickte auf, »Der Genosse Radek – ah ja!« und schob sich quer durch den Raum zu einer höchst dekorativ plazierten Sitzgruppe, in deren Zentralstück, einen mauvefarbenen Ohrensessel, er sich sinken ließ. »Was ist dieser Lenin ein ungehobelter Bursche!« beschwerte er sich sofort. »Tabu! Tabu wäre ich für ihn, sagten Sie doch, eh? Dabei weiß er nur zu gut, der Genosse Lenin, daß ohne mich und meine Aktivitäten er, und Sie, Radek, und die ganze Bagage noch jetzt in Zürich säßen und auf die Ankunft der Weltgeschichte warteten! Und woher, bitte, wird er die Rubel nehmen, der Genosse Lenin, für sich und seine Funktionäre und für seine Zeitungen, die er drucken lassen möchte, sobald er in Petrograd angekommen sein wird? Beantworten Sie ihm die Frage, Bruder Jakob!«

Parvus brach in eine Art Singsang aus. »Frère Jacques, frère Jacques! Payez vous? Payez vous? …

Frau Gisa lachte.

»Beantworten Sie’s ihm!« Parvus klatschte sich auf den Schenkel. Doch gab er Frère Jacques gar nicht erst die Chance, die geheimen Zusammenhänge zu enthüllen, sondern sprach selber weiter, mit einer großen, das Ehepaar Fürstenberg samt der Totale des Hauses umschließenden Handbewegung, »Hier sehen Sie nämlich, teurer Genosse Radek, meine Originalerfindung – die Geldwaschmaschine des Dr. Alexander Helphand, den ersten und einzigen, ursprünglichen und speziell für die Zwecke unserer Revolution angefertigten Apparat dieser Art: vorn schiebst du das blutige imperialistische Raubgeld des deutschen Außenministeriums hinein und hinten, Hokus Parvus Fidibus, entnimmst du ihm die sauberen revolutionären Rubelchen für den großen Dialektiker Wladimir Iljitsch Uljanow.«

Er nickte Frau Gisa zu, als läge ihm mehr daran, von ihr bestätigt zu werden als von den zwei Männern im Raum. Dann wiederholte er, »Tabu, eh, Genosse Radek? Wir werden sehen, wer am Ende bei wem tabu sein wird!«

»Der Genosse Parvus befindet sich in Stimmung heute«, sagte Frau Gisa. »Die Firma Handels- ok Eksportkompagniet hat eine große Partie Waren auf den Weg nach Petrograd gebracht, seidene und baumwollene Strümpfe, und Aspirin, und hunderttausend Bleistifte und mehrere Sortimente technischer Geräte, und eine Auswahl gebrauchter Automobile samt zugehörigen Ersatzteilen und, nicht zu vergessen, Kondome für die tapferen Soldaten der Armee des Generals Kornilow …«

Sie stellte ein großes Glas Wodka vor Radek. Der trank, schwieg aber, gewiß, daß Frau Gisa, einmal beim Reden und in mindestens so gehobener Stimmung wie Parvus, ihn auch weiterhin derart instruktiv unterhalten würde. Fürstenberg jedoch schien genug zu haben des launigen Geplauders und nahm sie zärtlich bei der Schulter, »Ich bitte dich, Liebste«, und schob sie aus dem Salon.

*

Daß das Schicksal, der große Spieler, ihn in die Nähe von beiden, Lenin wie Parvus, gebracht, hatte zur Folge, daß ihm Einblicke in das innere Getriebe der Politik zuteil wurden, die anderen Menschen zeit ihres Lebens verwehrt blieben; dies hatte zweifellos seine Reize für einen Mann mit seinen analytischen Gaben, und er genoß die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch auftaten; aber es zerstörte auch so gut wie alle Illusionen, die man sich gemeinhin machte; und ohne Illusionen verarmte einer seelisch, selbst ein Zyniker wie er.

Dem Genossen Lenin, und Lenins Reisegespräche mit ihm hatten das nur bestätigt, war es absolut gleichgültig, woher das Geld kam, das er brauchte, um seine eigne, bolschewistische Revolution jener ersten überzustülpen, die im Februar dieses Jahres ohne sein und seiner Partei direktes Zutun zustande gekommen war und die daher nur Stückwerk sein konnte. Lenins Gleichgültigkeit nicht etwa dem Gelde, wohl aber dessen Quellen gegenüber hielt Radek nicht etwa für einen Mangel an sittlichen Prinzipien; Lenin lebte nach rigorosem, moralischem Gesetz; nur waren sittliche Werte bei ihm von anderer Art als bei normalen Bürgern; als moralisch galt Lenin alles, was die Weltrevolution, die proletarische, näher brachte; was nach geringeren Zielen strebte, war Spielerei, unwert der Gedanken und Bemühungen Erwachsener.

Ganz so monomanisch war er, Radek, nicht; zwar sehnte auch er die große Revolution herbei und verstand daher Lenins Haltung in finanziellen Dingen, ja, er teilte sie sogar; aber irgendwo, empfand er, existierte doch ein gegebenes Maß, bis zu welchem es gestattet war, in Dreck und Kot zu waten – bis zu den Knien, bis zum Bauche meinetwegen, aber bis zum Herzen, bis zu Mund und Lippen nicht. Einen plombierten Wagen, besonders angesichts jedem erkennbarer geographischer Hemmnisse – bitte sehr, selbstverständlich; aber Tausende, oder waren’s Millionen, in Mark des deutschen Kaiserreichs? …

Was war eine proletarische Revolution denn wert, die nicht imstande war, ihre Rechnungen selber zu begleichen – aus den Arbeitergroschen, wie sie in Deutschland das nannten –, und statt dessen sich zahlen ließ von der Bourgeoisie, nun gut, nicht der eigenen, einer fremden, aber Bourgeoisie in jedem Falle, und dieser dann im Austausch für pekuniäre Unterstützung politische Geschäfte anbot, Streiks, Meutereien: wie viele Arbeiter, niedergeritten von Kosaken, gegen wieviel Mark, wie viele Soldaten, füsiliert von Kriegsgerichten, für wieviel Rubel?

Hatte er soweit gedacht, meldete sich die zweite Stimme, ach, in seiner Brust. Pfarrer hättest du werden sollen, verfluchter Kleinbürger du, mit deinem zartbesaiteten Seelchen. Würdest du nicht streiken und meutern lassen, ob dir irgend jemand deine Unkosten zahlte oder nicht? Aber sie streiken und meutern dir besser, deine Arbeiter und Soldaten, wenn du Geld hast für die notwendigsten Auslagen. Und nach dem Sieg, würde da einer noch fragen, wer die Rechnungen der Druckerei bezahlt hatte und wo das Portogeld herkam und der Schnaps für den Wachmann von dem Schuppen, in dem die Gewehre lagerten?

»Ich habe«, sagte Parvus, »seit vielen Jahren nur eines gekannt: Rußland muß fallen, der Zar, der Adel, die Finanziers. Die größte Tyrannei auf Erden: solange das alte Rußland besteht, wird die ganze alte Welt bestehen. Rußland muß zertrümmert werden, in die Teile zerbrochen, die es im Lauf seiner Geschichte zusammengeraubt, seine Strukturen vernichtet, sein Heer, seine Beamtenschaft, Tabula rasa. Tabula rasa!«

»Für Sie hat es sich aber auch sonst gelohnt«, bemerkte Radek.

»Und was wäre einzuwenden dagegen?« warf Fürstenberg ein. »Welcher Staatssekretär würde Sie empfangen, Genosse Radek, welch großer Geschäftsmann mit einem Schlucker wie Ihnen verhandeln, von gleich zu gleich?«

»Man wird mit uns verhandeln!« Auf einmal fühlte Radek echten Proletarierstolz. »Und wenn wir in geflickten Hosen unsre Aufwartung machten!«

»Aber bis dahin?« fragte Parvus. »Bis Sie sich den Luxus geflickter Hosen leisten können? Ich habe das durchprobiert in meiner Zeit; als Lenin seine erste ›Iskra‹ druckte in meiner armseligen Mietsbude in München, besaß ich tatsächlich keine heile Hose, und das Leben war mehr als mühselig. Dann jedoch beschloß ich, es umgekehrt zu versuchen, also von oben nach unten, und Politik mit Geschäft zu verbinden, erst in der Türkei und in Bulgarien, später dann in Deutschland, Dänemark, Schweden und wo nicht noch. Ich muß mir doch nicht, mit dem Schlüssel in der Hand, die Türen, die ich öffnen will, selber verriegeln? Glauben Sie mir, Radek, mit Geld macht sich alles besser, auch die Revolution.«

»Aber nicht mit Geld allein.«

Radek wußte, noch von Robert Grimm, daß Parvus ein Netz von Leuten in Rußland unterhielt, die seine Waren dort vertrieben, en gros und en detail, und die zugleich angehalten waren, politisch für ihn zu arbeiten; aber die Sache reüssierte nur...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2021
Reihe/Serie Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane
Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bolschewiki • Bolschewismus • Bucharin • Deutsche Revolution • Dritte Internationale • eBooks • General Ludendorff • Gesamtausgabe • Historische Romane • Karl Liebknecht • Komintern • Kommintern • Kommunistische Internationale • Kommunistische Weltrevolution • Lenin • Leo Trotzki • Moskauer Schauprozesse • Oktoberrevolution • Rosa Luxemburg • Russische Revolution • Sowjet • Sozialdemokratie • Stalin • Weltrevolution • Werkausgabe
ISBN-10 3-641-27845-7 / 3641278457
ISBN-13 978-3-641-27845-8 / 9783641278458
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