Trennungsroman (eBook)

Ausgezeichnet mit dem Debütpreis der lit.Cologne
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2516-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Trennungsroman -  Anna Brüggemann
Systemvoraussetzungen
15,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein Buch über das Ende einer Liebe: Wann ist der richtige Zeitpunkt zu gehen? Thomas und Eva, beide Anfang dreißig, sind seit acht Jahren ein Paar. Als Eva von einem Forschungsaufenthalt aus Paris wiederkommt, könnte man eigentlich den nächsten Schritt machen. Heiraten, Familie gründen. Aber Thomas ist sich nicht mehr so sicher. Dabei traut er sich selbst nicht über den Weg. Ist es nicht unerhört, einen Menschen zu verlassen, der so grundsympathisch und klug ist, wie Eva? Und ist sexuelle Anziehung nicht sowieso überbewertet? Eva kann das schwankende Verhalten von Thomas nicht deuten, sehnt sich nach Klarheit und wird dabei immer unnahbarer. Beide ringen um eine Liebe, die zu verschwinden droht. Eine zeitgemäße Erzählung über unseren hohen Anspruch an Beziehungen

Anna Brüggemann, 1981 geboren, wuchs in Südafrika, Stuttgart und Regensburg auf. 1996 stand sie erstmals vor der Kamera, seit 2004 schreibt sie Drehbücher. 2014 gewann sie zusammen mit ihrem Bruder den silbernen Bären, ihr literarisches Debüt Trennungsroman wurde 2021 mit dem Debütpreis der lit.cologne ausgezeichnet. 

Anna Brüggemann, 1981 geboren, wuchs in Südafrika, Stuttgart und Regensburg auf. In dem Fernseh-Thriller Virus X stand sie 1996 erstmals vor der Kamera. Es folgten Hauptrollen in diversen Fernseh- und Kinofilmen. Mit ihrem Bruder, dem Filmemacher Dietrich Brüggemann, schrieb sie das Drehbuch für den Spielfilm Kreuzweg, der bei der Berlinale 2014 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. 2019 war sie als Drehbuchautorin an Als Hitler das rosa Kaninchen stahl beteiligt. Anna Brüggemann lebt in Berlin.

Noch 31 Tage


Thomas steht am Flughafen und wartet. Er hat sich weder die Haare gekämmt noch ein frisches T-Shirt angezogen.

Er ist aus dem Haus gehetzt, hat ein Taxi gerufen, am Flughafen dem Fahrer unglaubliche 45 Euro in die Hand gedrückt, ist zum Gate geeilt und jetzt steht er da, die Hände in den Hosentaschen, die anderen Wartenden fast alle überragend. So verharrt er schon seit mindestens zwanzig Minuten und beobachtet die Ankommenden. Eva ist nicht dabei. Es ist immer das Gleiche. Man hetzt sich ab, um dann zu warten.

Thomas weiß, wie wichtig es Eva ist, von ihm abgeholt zu werden. Und weil er nicht im Entferntesten weiß, was ihm selber gerade wichtig ist, fügt er sich ihrem Wunsch. Sie werden sich ab heute, nach fast zwei Jahren Fernbeziehung, zwar sowieso wieder jeden Tag sehen. Aber ja, es ist schön, vom Flughafen abgeholt zu werden.

Thomas geht noch einmal die letzten Stunden durch. Vielleicht bekommt er ja noch ein wenig Ordnung in seine Gedanken, bevor er Eva wiedersieht.

Vor sechs Stunden war er noch auf seiner Station, eine letzte Runde drehen, bevor er den Bericht für die Nacht schreiben, die Übergabe machen und nach Hause gehen konnte.

Frau Brake auf Zimmer vier schlief unruhig, der Drainagebeutel war voll, offensichtlich hatte sie nachgeblutet. Kopfschüttelnd wechselte Thomas den Beutel und ging zu Schwester Brigitte, die eingenickt war.

»Der Beutel von Frau Brake war voll.«

»Ja, und?«

»Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, den zu wechseln.«

»Ich hatte auch noch andere Aufgaben.«

»Wenn die Patientin nachblutet, müssen wir das wissen.«

»Weiß ich, Dr. Wiedhoff, ich bin ja nicht erst seit gestern hier.«

»Wenn Sie hier Patientin wären, würden Sie auch gerne gut behandelt werden.«

»Ich tu, was ich kann.«

Thomas machte weiter seine Runde. Sein Nacken versteifte sich, und seine Schritte wurden staksig. Er hasste solche Auseinandersetzungen, er hasste sie. Er öffnete die Tür zu Zimmer Nummer neun, Herr Bertram lag hier, alleine.

»Dr. Wiedhoff, guten Morgen.« Herr Bertram war schon wach. Er richtete sich nicht im Bett auf, aber seine hellen Augen begrüßten Thomas.

»Guten Morgen und gute Nacht, mein Dienst ist gleich zu Ende, ich geh jetzt schlafen.«

Thomas mag Herrn Bertram. Auch wenn er jetzt am Flughafen an ihn denkt, muss er kurz lächeln. Herr Bertram ist fein, er ist freundlich, er ist höflich, und obwohl sie immer nur wenige Worte miteinander wechseln, ist da auf beiden Seiten ein gewährendes Verständnis füreinander. Herr Bertram hat sich nicht dumpf seiner Krankheit ergeben, er starrt nie trübe vor sich hin und wundert sich, wie das alles passieren konnte, dieser Körper, dieses Leben. Er ist einfach da. Todkrank, heiter.

»Und, was hat die Nacht gebracht?«, fragte Herr Bertram.

»Nicht viel, zum Glück.« Thomas schwieg kurz. »Aber heute kommt meine Freundin nach Hause, deshalb ist ein besonderer Tag.«

»Ihre Freundin, wie schön. Wo war sie denn?«

»Sie war zwei Jahre in Paris. Wir haben uns natürlich oft gesehen, alle zwei Wochen. Aber jetzt kommt sie wieder, endgültig.«

»Per Zug oder mit dem Flugzeug muss man in Ihrer Generation ja fragen.« Herr Bertram schloss kurz die Augen, hörte aber weiter zu.

»Sie wollte mit dem Nachtzug kommen, aber die Bahn in Frankreich streikt. Jetzt kommt sie mit dem Flugzeug. Meine Freundin wollte das nicht unbedingt. Sie ist sehr korrekt, also, sehr pflichtbewusst.«

»Wie heißt sie denn?«

»Eva.«

»Wissen Sie, es ist seltsam. Mein einer Sohn wohnt in Tokyo, der ist da Architekt und hat zwei Kinder. Der andere wohnt noch immer in Steglitz und arbeitet in einer Computerfirma. Wir wissen gar nicht so genau, was er macht. Er kommt alle zwei Wochen bei uns vorbei. Er ist immer alleine. Ich weiß nicht, was wir bei ihm falsch gemacht haben.«

»Vielleicht gar nichts, vielleicht ist er einfach so.«

»Ich glaube, meine Frau war lange Jahre enttäuscht von mir«, redete Herr Bertram schon weiter. »Vielleicht hat das auf den Jungen abgefärbt. Sie hatte sich mehr von der Ehe mit mir erhofft. Blumen, Romantik, endlich dieses Gefühl, dass alles gut ist. War es aber nicht. Es war einfach alles normal. Aber wissen Sie, wenn die Dinge normal laufen, dann ist das Luxus. Mehr kann man nicht verlangen vom Leben. Ich wollte nie mehr als eine ruhige Normalität. Und deswegen habe ich selten alles gegeben. Nicht im Beruf, nicht in der Liebe. – Ich war übrigens auch Arzt.«

»Ich weiß, das steht in Ihrer Akte.«

»HNO. Da sieht man vielleicht Sachen. Aber das tun Sie hier ja auch. Medizin ist manchmal ganz schön scheußlich.«

»Haben Sie denn irgendwo Schmerzen, Herr Bertram? Kann ich noch etwas für Sie tun, bevor ich Feierabend mache?«

Herr Bertram richtete seinen Blick auf Thomas. Seine Augen lächelten.

»Hab ich ein bisschen viel geredet?«

Thomas schüttelte den Kopf, von ihm aus konnte Herr Bertram noch viel mehr reden, er hörte ihm gerne zu.

»Verraten Sie mir nur noch eine Sache: Kaufen Sie Ihrer Freundin heute Blumen, wenn sie wiederkommt?« Thomas verzog das Gesicht und lächelte. So etwas machte er nicht, nie. Blumen, Liebesbriefe, das wirkte auf ihn immer wie eine schale, überfrachtete Behauptung.

»Weiß ich noch nicht. Ich glaube eher nicht.«

»Machen Sie mal. Und dann erzählen Sie mir, ob sie sich gefreut hat.«

»Tschüss, Herr Bertram, bis morgen früh, da bin ich wieder da.«

»Tschüss, Dr. Wiedhoff, auf Wiedersehen.«

Herr Bertram schaute Thomas hinterher, bis dieser leise die Tür schloss. Wirklich ein freundlicher Mann. Ein rücksichtsvoller Mann. Kein auf Konkurrenz erpichter Mann wie Dr. Peiffer, Thomas’ Chefarzt, der ihm gerade entgegenkam.

»Na, Kollege, alles frisch?«

»Ja.«

»Na dann, schlafen Se mal gut und schnell!« Ein etwas zu lautes Lachen, ein Kopfnicken.

Thomas fuhr mit dem Fahrrad nach Hause, sprang unter die Dusche, die letzte Dusche, bevor Eva wiederkam. Das letzte Mal Schlafen, bevor sie wieder da war. Wecker stellen nicht vergessen.

»Wenn ich mir eine Sache wünschen würde«, hatte Eva beim letzten Telefonat gesagt, »dann, dass du mich abholst. Das ist vielleicht etwas old school und abgeschmackt, aber irgendwie auch wirklich romantisch.«

Bei dem Wort »Romantik« verkrampft sich Thomas regelmäßig. Für das Ausleben von Gefühlen gibt es keine klaren Handlungsanweisungen, also kann man schnell versagen. Thomas schaut wieder in die Menschenmenge. Eva ist immer noch nicht da. Er studiert die Anzeigetafel. Der Flug aus Paris ist gelandet. Er streckt sich ein wenig und beobachtet die Menschen aufmerksamer. Mann, ist er müde.

Als er vor gerade mal fünf Stunden erschöpft ins Bett gefallen war und die Decke bis über die Ohren gezogen hatte, erwartete er, sofort einzuschlafen. Aber sein Gehirn spielte ihm immer wieder Bilder zu, wie er mit Bus und Bahn zum Flughafen fuhr. Rolltreppe rauf, Rolltreppe runter, rein in den Flughafenbus, und so weiter. In Dauerschleife machte er die Reise nach Schönefeld und zurück. In Dauerschleife stellte Eva ihren großen Reiserucksack im Flur ab und wollte wissen, wie es ihm ging. SIE WOLLTE WISSEN, WIE ES IHM GEHT. Das will sie immer wissen. Dabei weiß er es nicht, er weiß es einfach nicht.

Thomas fühlt nicht mehr viel, seit Wochen schon, seit Monaten. Er funktioniert zwar, aber ohne Freude. Auch ohne bodenlose Traurigkeit. Er ist da. Er macht seine Arbeit. Er ruft abends seine Freundin an. Innerlich neutral. Soll er das Eva sagen? Das hat er schon oft genug gesagt. Sie hat ihn jedes Mal besorgt angeschaut, ihm die Hand auf den Rücken gelegt und gesagt: »Das wird schon, wenn ich wieder da bin. Mach dir keine Sorgen.« Jetzt kommt sie also wieder, und jetzt wird alles gut.

Nach vier Stunden wurde Thomas mit einem Ruck wieder wach. Es war elf Uhr. Der Wecker hatte nicht geklingelt. Er hatte ihn gestellt, aber nicht aktiviert. Evas Flieger landete um 11.30 Uhr. Das war nicht zu schaffen.

Thomas rannte ins Bad und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Deo, T-Shirt, Unterhose, Hose, Socken, Schuhe. Handy, Schlüssel, Portemonnaie, Taxi-App. »Ihr Taxi kommt in drei Minuten.«

Thomas stand auf der Straße, das Taxi kam nicht. Er rief beim Taxi-Service an. »Oh, der Fahrer hat wohl einen anderen Fahrgast aufgenommen. Wir schicken Ihnen ein anderes Fahrzeug. Das kommt in acht Minuten.«

Thomas stand auf dem Gehweg, spielte unruhig mit seinem Telefon und wollte am liebsten die Zeit anschieben. Endlich kam das Taxi, sanft, leise, ein Elektroauto. Thomas stieg ein. »Nach Schönefeld bitte«, er schaute aus dem Fenster, es war nicht viel los, es sollte klappen. Er würde vielleicht zehn Minuten zu spät sein, mehr nicht. Und so lange brauchte man sowieso mit dem Gepäck und so weiter.

Ich hätte auch mit dem Bus fahren können, denkt Thomas und ärgert sich. Er ärgert sich, dass er überhaupt zum Flughafen gefahren ist. Er hätte genauso gut zu Hause alles schön machen können für Evas...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abschied • Beziehungen • Familiengründung • Generationenroman • Hochzeit • Liebe • Männlichkeit • Millennials • Trennung • Weiblichkeit
ISBN-10 3-8437-2516-0 / 3843725160
ISBN-13 978-3-8437-2516-3 / 9783843725163
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99