Fünfzehn Jahre Sibirien - Roman nach wahren Begebenheiten -  Rolf Völkel

Fünfzehn Jahre Sibirien - Roman nach wahren Begebenheiten (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
270 Seiten
Verlag DeBehr
978-3-95753-803-1 (ISBN)
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'Befindet sich unter euch ein Willi Nagel?', ruft er der Russe in perfektem Deutsch. Wie ein Blitz durchfährt es Willis Glieder. 'Das bin ich', antwortet er. Augenblicklich halten die Soldaten ihre Kalaschnikow auf ihn gerichtet: 'Willi Nagel, Sie sind verhaftet.' Fassungslos müssen die Männer mit ansehen, wie so ein junger Bursche auf den Lastwagen geworfen und abtransportiert wird: 'Was werden die mit ihm anstellen?', fragt einer der Arbeiter. Ein anderer meint: 'Ich denke, die machen kurzen Prozess und erschießen ihn. Wenn er Glück hat, kommt er nach Sibirien.' Gerade einmal sechzehn Jahre jung ist Willi, als der 2. Weltkrieg endete. Er musste viel mit anpacken auf dem Hof, seit der Vater an der Ostfront ist. Als die Russen in sein Dorf unweit der Oder kommen, verstecken sich Frauen und Mädchen panisch, man hört schreckliche Geschichten. Dann treiben die Soldaten den Bauern das Vieh weg. Bald glauben die Bewohner, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch der Sechzehnjährige, wird wie viele andere, verhaftet. Fünfzehn Jahre Sibirien liegen vor ihm. Die Verurteilten müssen in eisiger Kälte und bei mangelnder Verpflegung in den Straflagern körperliche Schwerstarbeit leisten. Bald schuftet Willi in Straßenbau und Steinbrüchen. Seine Kameraden sterben wir die Fliegen. Und auch er steht mehrmals an der Schwelle des Todes. Roman nach wahren Begebenheiten.

 

2. Kapitel

 

Offensichtlich wird der Geschützdonner weniger, man könnte vermuten, die deutsche Wehrmacht leistet keinen Widerstand mehr. Dafür nehmen andere Geräusche zu, denn sie kommen bedrohlich näher. Dieses Gedröhn der endlosen Kolonne von Lastwagen, mit angehängten Artilleriegeschützen und selbstfahrenden Stalinorgeln, geht im Lärm tausender Panzerketten völlig unter. Sogleich feuern die Kanonen wieder, der fortwährende, sich ständig wiederholende, hundertfache Pfeifton dieser Stalinorgeln vermag einen Menschen in schreckliche Angstzustände versetzen. Gleich neben Willis Schützengraben schlagen Geschosse, dazu Splitter, ein. Ohne Dach über dem Kopf hat er einige Metallsplitter oder Gestein abbekommen. Der einarmige Soldat kommt herbei: „Hast du etwas abbekommen“, fragt er. „Nur ein bisschen, ist nicht so schlimm“, gibt Willi zur Antwort. Der Einarmige: „Auf meiner Seite befindet sich kein Einziger mehr im Graben, bis ganz hinten. Bleib hier, ich sehe jetzt mal in der anderen Richtung nach“, um sogleich, in gebückter Haltung, davonzulaufen. Die russischen Geschütze feuern nun wieder mit aller Kraft, ringsum schlagen Geschosse ein. Wenn man hier nicht getroffen wird, ist das reiner Zufall, denkt sich Willi. Man muss versuchen, sich so klein und tief wie möglich auf den Boden des Grabens zu drücken.

Nach einiger Zeit kommt der Soldat zurück: „Auf dieser Seite befindet sich auch kein einziger Mann mehr. Wir müssen die Dunkelheit abwarten, dann schleiche ich mich ins Schloss, mal sehen, was dort geschieht. Womöglich sind wir beide die Einzigen in diesem Graben, während die anderen längst abgehauen sind. Hier nimm diesen Spaten, da können wir uns seitlich eine Höhle graben“, meint der Einarmige. Sofort beginnt Willi zu buddeln, da wird man richtig schön warm. Sein Kamerad verteilt die herausgestochene Erde mit einem Stahlhelm links und rechts im Schützengraben, um auch seitlich ein wenig Schutz zu finden. Langsam bricht die Dämmerung herein, immer mehr Geschosse schlagen ganz nahe ins Erdreich, dabei bietet die Höhle einigermaßen guten Schutz. Jetzt bringt der Soldat Rundhölzer herbeigeschleppt, um das Gestein nach oben abzustützen, dass ein richtiger kleiner Unterstand entsteht. Zwischenzeitlich wurde es dunkle Nacht, die Explosionen ringsum hatten etwas nachgelassen. Trotzdem bleibt es äußerst gefährlich, man weiß nie, wo so ein Sprengkörper einschlägt: „Nun könnte es dunkel genug sein, ich sehe einmal im Schloss nach, was dort los ist. Außerdem heiße ich mit Vornamen Hermann, du wartest hier so lange, bis ich zurück bin. Auf keinen Fall länger als dreißig Minuten, es könnte sein, die halten mich für einen Deserteur, dann haust du hier ab“, spricht Hermann.

Er macht sich davon, bevor ihm Willi „Ja gut“ zurufen kann. Nun lässt es ihm keine Ruhe, das kann doch nicht sein, dass sich alle Kameraden hinter diesen Erdwall aus dem Staub gemacht haben. In gebückter Haltung schleicht Willi den Graben entlang, keine fünfzig Schritte stolpert er über einen leblosen Körper. In der Dunkelheit tastet Willi. Um Gottes willen hier liegt, ganz ohne Zweifel, ein toter Kamerad. Man braucht nur den Kopf aus dem Schützengraben zu strecken, um durch das Fernglas zu schauen. Unglaublich, auf den gegenüberliegenden Oderwiesen wird eine russische Artilleriestellung aufgebaut und ausgerichtet. Willi zittert am ganzen Körper, wenn die ihr Werk beginnen, überlebt es im Umkreis von mehreren Kilometern keiner, geht ihm durch den Kopf.

Ganz schnell musste er wieder zurück in das Erdloch, Hermann war noch nicht wieder aufgetaucht. Wann sind eigentlich dreißig Minuten vorbei, seine Taschenuhr hat ihren Geist aufgegeben. Hoffentlich beginnen die Russen nicht, vorher zu feuern. Zum Glück kommt dann unverhofft Hermann in den Graben gesprungen: „Los beeile dich, wir verschwinden von hier. Im Schloss befindet sich kein Mensch mehr, die haben alle klammheimlich das Weite gesucht“, spricht dieser und springt im selben Augenblick wieder hinaus. Nichts als hinterher, denkt sich Willi, bis zum Beginn des Waldes geht es im Laufschritt, dann dreht sich Hermann um: „Wir brauchen zivile Bekleidung, deshalb wäre es besser, gleich einmal ins Schloss zu gehen, da liegt einiges“, sagt dieser leise. Ja richtig, in Willis Rucksack befinden sich der Pullover, eine Winterjacke sowie die gestrickten Schafwollsocken seiner Mutter. Nur gut, einen wie Hermann an seiner Seite zu wissen. Der scheint sichtlich vergnügt, endlich die Militärbekleidung vom Leib reißen zu dürfen. Als der mit zivilen Klamotten aus dem Zimmer tritt, erschreckt Willi: „Na siehst du, Kleider machen Leute“, spricht Hermann lachend. Der Wehrmachtsmantel hält zwar schön warm, trotzdem, Willi fühlt sich in seiner eigenen Bekleidung auch gleich viel wohler: „Komm, wir haben einen weiten Weg vor uns, unser geliebter Führer kann uns am Arsch …“, meint Hermann zum Abschied.

Kaum sind sie einige hundert Meter durch den Wald gelaufen, als die russischen Stalinorgeln und Artilleriegeschütze zu feuern beginnen: „Wir haben hier nichts zu befürchten, die decken die Flanke der flussabwärts liegenden Brücke, welche sicherlich diese Nacht überquert wird. Nur damit keiner auf den Gedanken kommt, sie zum Schluss in die Luft zu sprengen“, beruhigt Hermann. Stellenweise liegt hoher Schnee, durchzogen von menschlichen Spuren. Ganz bestimmt stammen sie von denen, die zuvor das Weite suchten. Wenn auch klirrende Kälte herrscht, wird beiden ganz schön warm: „Wir laufen die ganze Nacht und versuchen, ein Bauerngehöft zu finden, um uns tagsüber verstecken zu können, vielleicht bekommen wir auch etwas zu essen“, spricht Hermann, ohne seinen Lauf zu unterbrechen. Bei Dunkelheit könnte man leicht die Orientierung verlieren. Hermann findet auch diesmal eine Lösung, er hält inne und blickt zum Himmel: „Also dort, südöstlich der helle Stern, das ist die Venus, die befindet sich immer auf Südost, wir wollen zunächst nach Südwest. Dann müssen wir in diese Richtung gehen“, dabei zeigt er mit seinem erhaltenen Arm die Richtung an. Willi kann nur staunen, was würde geschehen, wenn ich hier alleine wäre, geht ihm durch den Kopf. Dabei hat der ein Tempo drauf, dass einem der Atem ausgeht. Einige Stunden sind sie nun schon durch dichten Nadel- und Laubwald gelaufen, immer wieder flüchten verschreckte Wildtiere, als beide Heimkehrer auf eine, vom Schnee verwehte, offene Fläche treffen. Der Wind pfeift hier stärker, dazu eisiger als im Wald, langsam beginnt die Dunkelheit zu weichen.

Im Hintergrund sind ständig die russischen Geschütze zu hören. Hermann steuert auf eine Baumallee zu, er vermutet dort einen Feldweg oder eine Zufahrtsstraße zu finden. Stellenweise wurden vom Wind hohe Schneewehen geschaffen, die fortwährend umgangen werden müssen. Hinter einem Hügel steigt Rauch auf, endlich besteht die Aussicht, eine Unterkunft zu finden. Hier hat der Wind die Straße ein wenig freigelegt, es beginnt eine Biegung. Nach einigen Alleebäumen geht Hermann plötzlich auf die rechte Seite, um hinter einer dicken Pappel Schutz zu suchen: „Was gibt es für einen Anlass, uns zu verstecken“, fragt Willi. Hermann blickt aufmerksam durch das Fernglas: „Dort vorn, neben dem Gebäude, stehen zwei Wehrmachtslastwagen, die Soldaten sind garantiert in diesem Bauerngehöft, die stellen uns glattweg an die Wand, weil wir desertiert sind. Da kannst du immer wieder behaupten, die anderen sind lange vorher abgehauen“,...

Erscheint lt. Verlag 8.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-95753-803-3 / 3957538033
ISBN-13 978-3-95753-803-1 / 9783957538031
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