Die neue Zeit (eBook)

Die Chronik der Familie Cazalet - Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
560 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43732-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die neue Zeit -  Elizabeth Jane Howard
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Das große Finale der britischen Kultserie Die Fabulous Fifties in England - in den zehn Jahren seit Kriegsende hat sich vieles verändert, die Gesellschaft ist im Umbruch, vertraute Traditionen verlieren an Bedeutung. Auch die Familie Cazalet kann nicht an Altbewährtem festhalten. Als die geliebte Matriarchin Duchy stirbt, spüren alle, dass der Familiensitz Home Place seine Seele verloren hat. Mehr noch: Die Zukunft des Anwesens ist ungewiss. Während die drei Cousinen Louise, Polly und Clary zunehmend an Selbstvertrauen gewinnen und ihre eigenen Wege gehen, haben ihre Väter dem drohenden Bankrott des einst florierenden Holzhandels wenig entgegenzusetzen. Es beginnt eine neue Zeit, in der sich die Cazalets auf ihre alte Stärke besinnen: den familiären Zusammenhalt.

Elizabeth Jane Howard wurde am 26. März 1923 in London geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin und Modell, bevor sie 1950 ihren ersten Roman, >The Beautiful Visit<, schrieb, für den sie 1951 mit dem John Llewellyn Rhys Prize ausgezeichnet wurde. Es folgten weitere Romane, eine Sammlung von Kurzgeschichten und Slipstream (2002), ihre Autobiographie. Bis 1983 war sie verheiratet mit Kingsley Amis und damit die Stiefmutter von Martin Amis, der es ihr, wie er sagt, verdankt, dass er zum Schriftsteller wurde. Im Jahr 2000 verlieh Queen Elizabeth II. ihr den Verdienstorden Commander of the British Empire. Am 2. Januar 2014 verstarb Howard mit 90 Jahren in ihrem Haus in Suffolk.

Elizabeth Jane Howard wurde am 26. März 1923 in London geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin und Modell, bevor sie 1950 ihren ersten Roman, ›The Beautiful Visit‹, schrieb, für den sie 1951 mit dem John Llewellyn Rhys Prize ausgezeichnet wurde. Es folgten weitere Romane, eine Sammlung von Kurzgeschichten und Slipstream (2002), ihre Autobiographie. Bis 1983 war sie verheiratet mit Kingsley Amis und damit die Stiefmutter von Martin Amis, der es ihr, wie er sagt, verdankt, dass er zum Schriftsteller wurde. Im Jahr 2000 verlieh Queen Elizabeth II. ihr den Verdienstorden Commander of the British Empire. Am 2. Januar 2014 verstarb Howard mit 90 Jahren in ihrem Haus in Suffolk.

RACHEL


Nicht mehr lange.«

»Duchy, meine Liebe!«

»Ich bin ganz ruhig.« Einen Moment schloss sie die Augen. Das Sprechen – wie alles andere – fiel ihr schwer. Nach einer Pause sagte sie: »Schließlich habe ich die Zeit überschritten, die Mr. Housman uns zugesteht. Um zwanzig Jahre! ›Der schönste aller Bäume‹ – da war ich nie seiner Meinung.« Sie blickte in das zerquälte Gesicht ihrer Tochter – blass, dunkle Ringe unter den Augen vom Schlafmangel, der Mund verkniffen vor Anstrengung, nicht zu weinen – und hob mit unendlicher Mühe die Hand vom Laken. »Rachel, meine Liebe, du darfst nicht so betrübt sein. Das macht mich unglücklich.«

Rachel umfasste die zitternde, knochige Hand mit ihren beiden Händen. Nein, sie durfte ihr keinen Kummer bereiten, das wäre wirklich sehr egoistisch. Der von Leberflecken übersäte Arm ihrer Mutter war so dünn, dass ihr das goldene Uhrenband ums Handgelenk schlackerte, mit dem Ziffernblatt nach unten; ihr Ehering war halb über den Fingerknöchel gerutscht. »Für welchen Baum würdest du dich denn entscheiden?«

»Eine gute Frage. Lass mich überlegen.«

Sie beobachtete das Gesicht ihrer Mutter, plötzlich belebt ob der Fülle, die zur Wahl stand – die Entscheidung war eine ernsthafte Angelegenheit …

»Mimosen«, sagte die Duchy unvermittelt. »Der himmlische Duft! Aber bei mir sind sie nie gediehen.« Sie fuhr mit der Hand unruhig über die Zudecke und knetete sie nervös. »Jetzt gibt es niemanden mehr, der mich Kitty nennt. Du kannst dir nicht vorstellen …« Plötzlich würgte es sie, sie versuchte zu husten.

»Ich gebe dir einen Schluck zu trinken, meine Liebe.« Aber die Wasserkaraffe war leer. Im Bad entdeckte Rachel eine Flasche Malvern Water, und als sie damit zurückkehrte, war ihre Mutter tot.

Sie lag noch in derselben Position, gestützt auf die quadratischen Kissen, die sie ihr Leben lang bevorzugt hatte. Eine Hand ruhte auf der Bettdecke, die andere umfasste den Haarzopf, den Rachel ihr jeden Morgen flocht. Ihre Augen standen offen, doch die freimütige, direkte Aufrichtigkeit, die immer in ihrem Blick gelegen hatte, war verschwunden. Sie starrte ins Leere.

Fassungslos und ohne nachzudenken legte Rachel die erhobene Hand vorsichtig neben die andere. Mit einem Finger schloss sie ihrer Mutter die Augen, beugte sich vor und küsste die kühle weiße Stirn. Dann stand sie wie erstarrt da, unzusammenhängende Gedanken stürzten über sie herein. Es war, als wäre plötzlich eine Schleuse geöffnet. Kindheitserinnerungen. »Es gibt keine Notlügen, Rachel. Eine Lüge ist eine Lüge, und lügen darfst du nie.« Als Edward, in seinem Gitterbett stehend, sie angespuckt hatte: »Rachel, Petzern höre ich nicht zu.« Aber ihr Bruder wurde ermahnt und tat es nie wieder. Die Abgeklärtheit der Duchy, die durch nichts zu erschüttern war – bis auf ein einziges Mal, nachdem sie Hugh und Edward, damals achtzehn beziehungsweise siebzehn, zum Zug nach Frankreich begleitet hatte; gefasst hatte sie gelächelt, bis die Lokomotive langsam zur Victoria Station hinausfuhr. Dann hatte sie sich abgewandt und das kleine Spitzentaschentuch, das immer in ihrem Uhrenarmband steckte, herausgeholt. »Sie sind doch noch Jungen!« An der Innenseite dieses Handgelenks hatte sie einen kleinen, aber nicht zu übersehenden Leberfleck, und Rachel wusste noch, dass sie sich gefragt hatte, ob ihre Mutter das Taschentuch wohl genau dort aufbewahrte, um den Fleck zu verbergen, und dann, wie sie auf einen derart leichtfertigen Gedanken kommen konnte. Die Duchy weinte sehr wohl, allerdings vor Lachen: über die Possen Ruperts, der von klein auf jeden zum Lachen gebracht hatte, über Ruperts Kinder, allen voran Neville, über Menschen, die sie als aufgeblasen bezeichnete. Dann liefen ihr Tränen über die Wangen. Aber auch bei makabren viktorianischen Reimen: »Knabe – Waffe: wie er lacht! Und dann hat es ›peng‹ gemacht. Waffe rot, Knabe tot«, und bei schwarzem Humor: »Papa, Papa, was ist der rote Haufen da unter dem Bus?« »Sei still, mein Junge, das ist deine Mama, gib ihr noch einen Kuss.« Und Musik rührte sie ebenfalls zu Tränen. Sie war eine erstaunlich gute Pianistin, die häufiger mit Myra Hess im Duett spielte, und hatte Toscanini und dessen Aufnahmen der Beethoven-Sinfonien geliebt. Schlichtes Essen war ihr ein Gebot (man gab nicht Butter und gleichzeitig Marmelade auf den Frühstückstoast; Mahlzeiten bestanden aus einem Braten, der zuerst heiß, dann kalt und schließlich mit gekochtem Gemüse als Haschee gegessen wurde, und einmal die Woche aus gedünstetem Fisch, gefolgt von Obstkompott und Blancmanger, das sie »Mandelsulz« nannte, oder Reispudding), und sie führte ein zurückgezogenes Leben, in dem neben Musik auch der Garten eine große Rolle spielte; darin zu arbeiten bereitete ihr sehr viel Freude. Sie hatte großblütige Duftveilchen im Frühbeet, aber auch Landnelken, dunkelrote Rosen, Lavendel und alles, das süß duftete, außerdem baute sie Obst in Hülle und Fülle an: gelbe und rote Himbeeren, Tomaten, Nektarinen, Pfirsiche, Weintrauben, Melonen, Erdbeeren, riesige rote Stachelbeeren, Johannisbeeren für Konfitüren, Feigen, Reineclauden und andere Pflaumen. Die Enkelkinder liebten das viele Obst und kamen allein schon deswegen für ihr Leben gern nach Home Place.

Über ihr Verhältnis zu ihrem Mann, dem Brig, hatte sie sich – ganz viktorianisch – stets in Schweigen gehüllt. Als Kind hatte Rachel ihre Eltern lediglich in Beziehung zu sich selbst gesehen – ihre Mutter, ihr Vater. Doch da sie ihr ganzes Leben lang bei ihnen wohnte, hatte sie sie im Lauf der Jahre als zwei sehr unterschiedliche Menschen wahrgenommen, was ihrer bedingungslosen Liebe zu ihnen allerdings keinen Abbruch tat. Und die beiden hätten auch wirklich nicht gegensätzlicher sein können. Der Brig war auf nahezu exzentrische Art gesellig – er hatte jeden, dem er in seinem Club oder auf der Rückfahrt im Zug begegnet war, ohne die geringste Vorwarnung in das eine oder andere seiner zwei Zuhause mitgebracht, ob zum Dinner oder fürs ganze Wochenende, und hatte den Gast präsentiert wie ein Fischer oder Jäger seinen soeben gefangenen Lachs oder die gerade erlegte Wildgans. Woraufhin die Duchy nach einer sehr milden Rüge dem Besuch in aller Seelenruhe gekochtes Hammelfleisch und Blancmanger vorgesetzt hatte.

Nicht, dass sie Gesellschaft scheute, aber sie war vollauf zufrieden mit ihrer wachsenden Familie, ihren Kindern und Enkelkindern und den drei Schwiegertöchtern, die sie herzlich in der Familie aufnahm. Ihr eigenes Leben jedoch behielt sie für sich: Ihre Jugendstreiche (einer eher harmlosen Art) oder das Mehrfachverstecken, das sie abenteuerlich in einem abgelegenen schottischen Schloss gespielt hatte, kamen nur beiläufig ans Licht, wenn sie etwa einem Enkelkind, das aus dem Baum gefallen oder vom Pferd abgeworfen worden war, eine Geschichte erzählte. Ihr Vater, Großpapa Barlow, war ein anerkannter Naturwissenschaftler und Mitglied der Royal Society gewesen. Von den vier Schwestern galt sie als die Schönheit (obwohl sie immer den Eindruck erweckte, als wäre ihr dies nicht im Geringsten bewusst). Einen Blick in den Spiegel warf man nur, so hatte sie Rachel beigebracht, um sicherzustellen, dass die Frisur richtig saß und die Brosche gerade angesteckt war.

Als ihr die Gartenarbeit mit dem Alter zu beschwerlich wurde, war sie regelmäßig ins Kino gegangen, vor allem, um Gregory Peck zu sehen, in den sie sich regelrecht verliebt hatte.

Ich habe ihr nicht genügend Fragen gestellt. Ich weiß kaum etwas über sie. Angesichts der sechsundfünfzig Jahre intimer Nähe erschien das Rachel jetzt erschreckend. Die vielen Vormittage, an denen sie Brot geröstet hatte, während die Duchy auf ihrem Petroleumkocher Wasser für den Tee erhitzt hatte, die vielen Sommernachmittage im Freien, die behaglichen Tage im Frühstückszimmer, wenn es für draußen zu kalt war, in den Ferien mit den Enkelkindern, die alle zuerst eine Scheibe Brot mit Butter essen mussten, bevor ihnen entweder Marmelade oder Kuchen erlaubt war, aber die meiste Zeit zu zweit: Während die Duchy Vorhänge für Home Place an der Nähmaschine säumte, für Rachel wunderschöne Kleider nähte, aus blauer oder kirschroter gesmockter Rohseide, und dann für die Enkelkinder, für Louise und Polly, Clary und Juliet und sogar für die Jungen, Teddy und Neville, Wills und Roland, bis sie drei oder vier waren und sich gegen Mädchenkleidung wehrten, während Rachel sich mit Strickarbeiten für Anfängerinnen abmühte, dicken Schals und Fäustlingen. Das war während der endlos langen Kriegsjahre gewesen – den grauenhaften, nicht enden wollenden Monaten, in denen man Briefe sehnlich erwartet und Telegramme gefürchtet hatte …

Sie, die Tochter des Hauses, war herangewachsen, und abgesehen von drei schrecklichen heimwehgeplagten Jahren in einem Internat hatte sie ihr Zuhause nie verlassen. In allen Schulferien hatte sie darum gebettelt, zu Hause bleiben zu dürfen – »Wenn sie in meiner Bürste auch nur ein einziges Haar entdecken, bekomme ich einen Eintrag«, hatte sie einmal geschluchzt, worauf die Duchy erwidert hatte: »Dann sorg dafür, dass kein einziges Haar in deiner Bürste ist, mein Schatz.«

Ihre Aufgabe im Leben bestand darin, sich um andere zu kümmern, nicht auf ihr Äußeres zu achten, zu verstehen, dass Männer wichtiger waren als Frauen, ihre Eltern zu pflegen, Speisepläne zu erstellen und sich mit den Dienstboten auseinanderzusetzen, die Rachel allesamt, ob Mann oder Frau, wegen ihrer Rücksicht und ihrer Anteilnahme ins Herz geschlossen hatten.

Aber nun, wo ihre beiden Eltern tot waren, hatte sie ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt konnte sie so viel Zeit mit...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2020
Reihe/Serie Cazalet-Chronik
Übersetzer Ursula Wulfekamp
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Band 5 • Cazalet-Saga • Edward St. Aubyn • Emanzipation • Emanzipationsgeschichte • England • Epochenroman • Familie • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Finale • Frauen • Frauenleben • Frauenschicksal • Freundschaft • Fünfzigerjahre • Generationenroman • Geschwister • Grossfamilie • Heimat • Hilary Mantel • Jane Gardam • John Galsworthy • Liebe • London • Nachkriegszeit • Roman • Sussex • Wiederentdeckung
ISBN-10 3-423-43732-4 / 3423437324
ISBN-13 978-3-423-43732-5 / 9783423437325
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