Ein Gefühl von Hoffnung (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
447 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-9437-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Gefühl von Hoffnung -  Eva Völler
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Das Ruhrgebiet Ende der 1950er Jahre: Das drohende Zechensterben treibt die Bergleute auf die Barrikaden. Johannes, der sich nach seinem schweren Unfall als Gewerkschafter engagiert, kämpft für die Interessen der Belegschaften. In diesen Zeiten des Umbruchs suchen die junge Buchhändlerin Inge und ihre rebellische Schwester Bärbel ihren Platz im Leben, jede auf ihre Art. Doch immer mehr Konflikte belasten den Familienfrieden, als eine unmögliche Liebe entsteht ...

Kapitel 1


»Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch!« Die Familie sang das Lied im Chor, während das Geburtstagskind auf einem Stuhl stand und die Ehrung verlegen über sich ergehen ließ. Dem siebenjährigen Jakob war es sichtlich unangenehm, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Nicht nur seine Wangen waren rot angelaufen, sondern auch die leicht abstehenden Ohren schimmerten rötlich, zusätzlich angestrahlt von den Kerzen des Weihnachtsbaums, der hinter ihm stand. Die Festtage waren zwar bereits vorbei, aber der Baum würde wie jedes Jahr bis zum Dreikönigstag stehen bleiben.

Auch auf der Geburtstagstorte des Jungen brannten Kerzen, und nachdem der letzte Ton des Lieds verklungen war, hob Johannes den Kleinen vom Stuhl, damit er sie auspusten konnte.

»Komm schon, alle auf einmal«, sagte er aufmunternd, und dabei spiegelte sich seine tiefe Zuneigung zu dem Kind in seinen Zügen wider.

Jakob holte tief Luft, und unter dem jubelnden Beifall der Familie blies er mit einem kräftigen Pusten alle Kerzen aus.

»Vergiss nicht, dir was zu wünschen!«, rief seine Schwester Bärbel, und Jakob kniff fest die Augen zu, sichtbares Zeichen für die Dringlichkeit seines Wunschs. Seine älteste Schwester Inge, die am Vortag ebenfalls ihren Geburtstag begangen hatte, kämpfte mit den Tränen. Sie wusste genau, was er sich erträumte – er wollte nicht länger zur Schule gehen. Das hatte er auch schon auf den Wunschzettel fürs Christkind geschrieben.

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Wünsche, die so elementar sind, dass man alles nur Erdenkliche tun würde, um sie wahrzumachen. So wie sie selbst in jener Nacht vor sieben Jahren, als ihre Mutter bei Jakobs Geburt gestorben war. Inge hätte in ihrer Verzweiflung jeden Pakt mit dem Teufel geschlossen, wenn er es ungeschehen gemacht hätte.

Doch solche Wünsche erfüllten sich bekanntlich nie, und auch ihr kleiner Bruder würde lernen müssen, mit den Zwängen des Lebens klarzukommen. Der Schule entging man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sieben Jahre alt und in der ersten Klasse war.

»Willst du nicht deine Geschenke auspacken?« Johannes zeigte auf den Stapel bunt verpackter Gaben, die Inge liebevoll auf einem Beistelltischchen dekoriert hatte.

Das ließ sich Jakob nicht zweimal sagen. Unter den fröhlichen Kommentaren von allen Seiten zog er vorsichtig das Papier von den Päckchen und begutachtete seine Geschenke. Mehrere Spielzeugautos und ein Bastelset für ein Flaschenschiff von Johannes und Hanna, ein Säckchen Murmeln und eine Tafel Schokolade von Bärbel, ein Geldumschlag von Mine und Karl. Und ein selbst gestrickter Pulli und ein Buch von Inge. Gut erzogen wandte er sich an die Runde und bedankte sich höflich.

Reihum drückten und herzten alle Familienmitglieder den Kleinen, obwohl er schon im Laufe des Tages diverse Umarmungen, Küsse und Streicheleien erduldet hatte. Wieder ließ er die familiäre Zuwendung geduldig, aber mit sichtlichem Unbehagen über sich ergehen. Je länger es andauerte, desto gequälter wurde sein Lächeln, und schließlich bereitete Inge dem Ganzen ein Ende, indem sie Jakob an ihre Seite zog und erklärte, nun sei es Zeit für den Geburtstagskaffee. Sie wies Jakob an, alle Geschenke in sein Zimmer zu bringen, und Bärbel musste das Papier von den Verpackungen glatt streichen und zusammenlegen, damit es noch einmal verwendet werden konnte.

Inge hatte den Wohnzimmertisch ausgezogen und hochgekurbelt, sodass sie alle daran Platz fanden. Johannes und Hanna saßen nebeneinander, gegenüber von Mine und Karl. Am Kopfende saß Bärbel, und Inge hatte ihren Platz auf der anderen Seite des Tisches, neben Jakob. Es war eng, aber gemütlich, und zu Inges Erleichterung herrschte eine aufgeräumte, beinahe heitere Stimmung. Sie selbst bemühte sich, ebenfalls dazu beizutragen, indem sie kleine Scherze einstreute oder über die Bemerkungen der anderen lachte. Etwa, als Hanna in launiger Manier erzählte, wie großkotzig manche ihrer Kunden sich aufführten. Sie war Mitinhaberin einer Kunsthandlung in Düsseldorf und hatte mit allen möglichen Leuten aus der Hautevolee zu tun. Von denen gab es offenbar in den letzten Jahren immer mehr. Manche schwammen geradezu in Geld und scheuten sich nicht, mehrere tausend Mark für ein Gemälde hinzublättern, und das oft ohne besonderes Kunstverständnis.

»Letzte Woche kam doch tatsächlich einer und wollte das Blaue Pferd von Franz Marc. Ich verzog keine Miene und versicherte, ich würde es sofort für ihn reservieren, falls ich es hereinbekäme. Da meinte seine Frau, sie hätte es aber lieber in Rot, das würde besser zu ihren Vorhängen passen.«

Inge lachte pflichtschuldigst, und auch Johannes lächelte, obwohl er diese Anekdote wahrscheinlich nicht zum ersten Mal hörte. Bärbel hingegen fragte Hanna, wieso sie solche dämlichen Banausen überhaupt bediente. »Die hätte ich achtkantig rausgeworfen!«

»Wer zahlt, schafft an, und ich habe denen an diesem Tag für viel Geld was anderes verkauft«, erklärte Hanna lächelnd. Sie steckte eine Zigarette auf ihre silberne Spitze und zündete sie an. Inge verspürte einen Hauch von Ärger, aber dann machte sie sich klar, dass es ihre eigene Schuld war. Sie hätte ja keinen Aschenbecher auf den Tisch stellen müssen.

Inges Großmutter Mine nahm jedoch kein Blatt vor den Mund. »Dat Wohnzimmer hier is auch Inges Schlafzimmer«, sagte sie zu Hanna. »Dat stinkt tagelang nach Qualm, wenn hier gepafft wird.«

Hanna hob überrascht die dunkel nachgezogenen Brauen. Die Situation schien ihr peinlich zu sein. Sie warf Johannes einen Hilfe suchenden Blick zu. Der wiederum wirkte ebenfalls unangenehm berührt. Fragend sah er Inge an.

»Ach was, Hanna, rauch ruhig«, sagte Inge hastig. »Ich kann ja nachher gut durchlüften!«

Doch Hanna hatte ihre Zigarette schon im Aschenbecher ausgedrückt, und Inge ärgerte sich erneut über sich selbst, diesmal, weil sie mit ihrer Äußerung Oma Mine in die Parade gefahren war, aber es störte sie auch, dass sich Hanna überhaupt eine Zigarette angesteckt hatte. Normalerweise ging sie zum Rauchen vor die Tür.

Inges Vater meldete sich zu Wort. »Wer ist Franz Marc?«, fragte Karl in die Runde.

»Ein berühmter Maler, Papa«, sagte Inge.

Karl nickte, als hätte er es geahnt. »Das habe ich bestimmt auch mal gewusst.«

»Natürlich hast du das gewusst, Papa.«

Karl wandte sich an Hanna. »Ich wusste früher viel mehr als heute. Leider habe ich seit dem Krieg ein schlechtes Gedächtnis.«

»Ich weiß, Herr Wagner«, erwiderte Hanna mit sanfter Stimme. Mitleid stand in ihren Augen, die sie wie immer ausdrucksstark geschminkt hatte, was ihre Schönheit noch unterstrich.

Karl schien das Bedürfnis zu verspüren, seine Beeinträchtigung näher zu veranschaulichen. Er drehte den Kopf, um Hanna die Narbe von seiner schweren Kriegsverletzung zu zeigen.

»Das musst du nicht machen, Papa«, sagte Bärbel. Sie klang wütend. »Hanna weiß, wie es um dich steht. Und du brauchst dich wirklich nicht dafür zu schämen, dass du Sachen vergessen hast.«

»Dat meiste is sowieso unwichtig«, pflichtete Oma Mine ihr bei. »Ich kenn den Maler auch nich. Keine Ahnung, wer dat war. Ehrlich, Jung, dat muss man nich wissen.«

Jetzt wirkte Karl erst recht unglücklich. Es schien ihm peinlich zu sein, dass er überhaupt davon angefangen hatte.

Inge griff nach seiner Hand und drückte sie fest. Dann stand sie auf, um in der angrenzenden kleinen Küche frischen Kaffee aufzubrühen. Nebenan im Wohnzimmer dümpelte die Unterhaltung unterdessen weiter vor sich hin. Alle bemühten sich jetzt, Karl mit einzubeziehen und ihm das Gefühl zu geben, in jeder nur erdenklichen Weise dazuzugehören – wobei das ohnehin keiner je infrage gestellt hätte. Doch es gab immer wieder Gelegenheiten, bei denen er selbst seine geistige Einschränkung als belastend empfand, und in diesen Momenten zerriss es Inge das Herz.

Hanna schien Mine den Tadel wegen des Rauchens nicht übel zu nehmen, sie erzählte von einer anderen Begebenheit aus ihrem Geschäft, und anschließend wollte sie von Bärbel wissen, wie es in der Schule lief.

»Großartig«, behauptete Bärbel, und Inge unterdrückte bei diesen Worten ihrer jüngeren Schwester ein frustriertes Seufzen, denn sie wusste es besser. In der letzten Zeit schien Bärbel alles, was mit der Schule zusammenhing, völlig gleichgültig zu sein. Inge hatte sie bereits zweimal beim Schwänzen erwischt und auf ihre besorgte Ermahnung hin nur die patzige Aufforderung geerntet, sich um ihren eigenen Mist zu kümmern. Schon allein deswegen hatte sie keine Lust, genauer darüber nachzudenken. Sie hasste es geradezu, sich damit auseinandersetzen zu müssen. Es war schlimm genug, dass Jakob diese Schwierigkeiten in der Schule hatte. Wobei er ja noch klein war und jedes Verständnis brauchen konnte, während Bärbel allmählich von selbst begreifen müsste, dass einem nichts im Leben geschenkt wurde.

Hanna kam zu Inge in die Küche. »Brauchst du Hilfe?«

»Nein danke, ich komm schon klar.« Inge goss heißes Wasser aus dem Kessel in den Filter, und der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee verbreitete sich in der winzigen Küche. In den letzten Tagen hatte es fast mehr Bohnenkaffee gegeben als sonst das ganze Jahr über. Zuerst an Heiligabend und den beiden Weihnachtsfeiertagen, danach zu Inges Geburtstag, und heute zur Feier von Jakobs Siebtem. Normalerweise tranken sie immer nur Malzkaffee. Mittlerweile mussten sie zwar nicht mehr jeden Pfennig dreimal umdrehen, aber für sinnlosen Luxus war das Geld immer noch zu schade. Das war auch ein Grund, warum...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2020
Reihe/Serie Die Ruhrpott-Saga
Die Ruhrpott-Saga
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • Arbeiter • Bergarbeiter • Bergbau • Buchhändler • Drama • Essen • Familiensaga • Gewerkschaft • Große Liebe • Heimkehrer • Hochbegabt • Krankheit • Krebs • Kriegsheimkehrer • Liebe • Linkshänder • Patchworkfamilie • Pütt • Ruhrgebiet • Saga • Starke Frauen • Trauma • Verbotene Liebe • Wirtschaftswunder • Zeche:Zechensterben
ISBN-10 3-7325-9437-8 / 3732594378
ISBN-13 978-3-7325-9437-5 / 9783732594375
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