Dramatische Rundschau 02 (eBook)

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2020 | 1. Auflage
616 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491290-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dramatische Rundschau 02 -  Ebru Nihan Celkan,  Eleonore Khuen-Belasi,  Annalena Küspert,  Svealena Kutschke,  Jakob Nolte,  Ewald Pa
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Eine Quote für neue Dramatik! So lautet die Forderung der ersten Dramatischen Rundschau. Weil das Zeitgenössische auf großen Theaterbühnen gezeigt werden will! Denn das Drama bebt weiter. Auch in der Dramatischen Rundschau 02: Ebru Nihan Celkan, Eleonore Khuen-Belasi, Annalena Küspert, Svealena Kutschke, Jakob Nolte, Ewald Palmetshofer, Thomas Perle und Nele Stuhler haben Theatertexte geschrieben, die sich schmerzhaft schön mit Gegenwart auseinandersetzen. In Band 2 der Dramatischen Rundschau sind abgedruckt: Ebru Nihan Celkan: Last Park Standing / Eleonore Khuen-Belasi: ruhig blut / Annalena Küspert: Juri / Svealena Kutschke: zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden / Jakob Nolte: Die Glücklichen und die Traurigen / Ewald Palmetshofer: Die Verlorenen / Thomas Perle: karpatenflecken / Nele Stuhler: Gaia googelt nicht #dasdramalebt

Jakob Nolte wurde 1988 in Barsinghausen am Deister geboren. Am Landestheater Salzburg kamen sein Stück ?Agnes? und die Bearbeitung der C.W. Gluck-Oper ?Die Pilger von Mekka? zur Uraufführung. Gemeinsam mit Michel Decar entstanden die Stücke ?Helmut Kohl läuft durch Bonn? (UA Theater Bonn) und ?Das Tierreich?, welches zum Heidelberger Stückemarkt 2014 eingeladen und mit dem Brüder Grimm-Preis des Landes Berlin gekürt wurde. Mit ?Gespräch wegen der Kürbisse? wurde Jakob Nolte zu den Autorentheatertagen 2016 nach Berlin eingeladen.

Jakob Nolte wurde 1988 in Barsinghausen am Deister geboren. Am Landestheater Salzburg kamen sein Stück ›Agnes‹ und die Bearbeitung der C.W. Gluck-Oper ›Die Pilger von Mekka‹ zur Uraufführung. Gemeinsam mit Michel Decar entstanden die Stücke ›Helmut Kohl läuft durch Bonn‹ (UA Theater Bonn) und ›Das Tierreich‹, welches zum Heidelberger Stückemarkt 2014 eingeladen und mit dem Brüder Grimm-Preis des Landes Berlin gekürt wurde. Mit ›Gespräch wegen der Kürbisse‹ wurde Jakob Nolte zu den Autorentheatertagen 2016 nach Berlin eingeladen. Ewald Palmetshofer, geboren 1978 in Linz, studierte in Wien Theologie und Philosophie/Psychologie auf Lehramt. 2008 wurde er in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt und erhielt den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft. ›wohnen. unter glas‹ wurde für den Nestroy-Preis 2008 in der Kategorie Bester Nachwuchs nominiert. ›hamlet ist tot. keine schwerkraft‹ und ›faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete‹ wurden 2008 bzw. 2010 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen (uraufgeführt 2007 bzw. 2009, Schauspielhaus Wien, Regie: Felicitas Brucker). 2010 wurde ›tier. man wird doch bitte unterschicht‹ am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt (Regie: Simone Blattner). 2011 wurde Palmetshofer mit dem Förderpreis der Stadt Wien in der Sparte Literatur ausgezeichnet. 2012 fand die Uraufführung von ›räuber.schuldengenital‹ (Regie: Stephan Kimmig) am Wiener Akademietheater statt, wo 2015 auch ›die unverheiratete‹ uraufgeführt wurde.

EBRU NIHAN CELKAN LAST

PARK STANDING
(BENIMLE GELIR MISIN)


Deutsch von Oliver Kontny

JANINA – 28, Frau

UMUT – 25, Frau

AHMET – 25, Mann

 

Stille: eine Pause von 45 Sekunden.

/ : eine Pause von 12 Sekunden.

In Klammern: Spielrichtungen.

Ich liebe dich


Videoaufnahme

6. Juni 2014

07:10

 

UMUT

Fertig?

Stille.

Okay? Nimmst du auf? Hey, schau zu mir. Wie sehe ich aus? Gut? Gib dir Mühe. Wenn was nicht stimmt, gib Bescheid, dann brechen wir den Take sofort ab. Okay? Wie ist das Licht? Sieht man die Bäume? Schau mal, ich glaub, hier ist es besser. Lass uns hier drehen. War es der Baum? Nee. Dieser hier, glaub ich. Welcher war es denn?

Stille.

Ahmet … Ich glaub, da fehlen Bäume. Was habt ihr mit den Bäumen gemacht, ey? Egal. Alles okay?

Stille.

Merhaba, merhaba (Türkisch)

Meine Liebste.

Stille.

Was lachst du denn? Was gibt es zu lachen?

AHMET

Okay, okay. Ich lache nicht. Mach weiter.

Stille.

Wie blöd klingt denn »Merhaba, meine Liebste« – Machen wir noch mal – ey, die haben den Baum gefällt, unter dem ich sie geküsst hab. Ahmet! Lach nicht. Ich kenn kein Erbarmen. Mach einfach deinen Job.

Stille.

Merhaba (Türkisch) meine große Liebe! Wie findest du meine Fliege? Sie ist richtig schön! Vielen Dank. Meine Lieblingsfarbe! Meine Lieblings/Lieblings /

Stille.

Ahmet, was machst du? Kleiner, du wolltest doch auf den Himmel pannen, wenn ich Lieblingsfarbe sage. Jetzt pan mal.

AHMET

Ach Mist, vergessen. Sorry, also noch mal.

Stille.

Sollen wir da drehen, wo unser Zelt steht? Wo war das noch? In der Nähe der Treppen, da in Richtung der abschüssigen Straße, oder? Ist das Licht da schlecht? Egal, Ahmet, lass uns endlich drehen. Ich komm zu spät zur Arbeit. Los.

Stille.

Merhaba, meine große Liebe. Wie findest du meine Fliege? Sie ist richtig schön! Vielen Dank. Meine Lieblingsfarbe!

Er schwenkt auf den Himmel.

Meine erste Fliege. Ahmet hat sie mir gebunden. Erst als ich meine erste Fliege hatte, ist mir klar geworden, dass ich keine binden kann. Steht sie mir?

Stille.

Guck mal! Kannst du dich erinnern?

Die Kamera nimmt einen Teil des Parks auf.

Zuerst sind wir hier umeinander rumgetänzelt. Dann Hand in Hand ins Herz des Parks gelaufen. Genau hier hast du mich zum ersten Mal geküsst. Am 6. Juni. Der erste von Tausenden von Küssen – Es gab da einen Baum, an den hatten sie einen Spruch gehängt./Weißt du noch?

Am Anfang war alles eine riesige Gaswolke. Aus der ging das Leben hervor.

Dann haben wir hier, auf diesem Rasen auf dem Rücken gelegen. Stundenlang. Wie lang wir geschwiegen haben!

Und diese Bank/auf dieser Bank bist du eingeschlafen. Ich hab das Atmen eingestellt, um dich nicht aufzuwecken. Dann kam so ein junger Typ an:

»Schwester, ihr passt richtig gut zueinander«,

flüsterte er mir ins Ohr,

»Beweg dich nicht, wir decken euch beide zu.«

Das erste Mal zusammen geschlafen haben wir auf dieser Bank. Zugedeckt mit der rot-schwarzen Fahne von den Jungs.

Unsere Liebe: 1

Welt: 0

Stille.

Kannst du dich daran erinnern?

Holt Schokoladentrüffel aus der Tasche.

Das ist einer von den vielen Trüffeln, die wir beide nicht essen wollten, weil sie jeweils der letzte Trüffel in der Schachtel waren. Ich hab sie alle aufgehoben. Wenn wir wieder zusammenleben, können wir sie essen/aber/heute werde ich einen von ihnen essen, für uns beide. Für unseren ersten Jahrestag. Den ersten/

Ahmet! Ahmet! Gibst du mal die Kerze?

So ist das, wenn man mit Ahmet arbeitet. Egal

Steckt die Kerze in den Trüffel.

Feuerzeug /

AHMET

Feuerzeug?

Och Ahmet/Hast du keins?/Ernsthaft?

Zwei tiefe Männerstimmen, man versteht nicht, was sie sagen. Umut antwortet ihnen.

UMUT

Entschuldigen Sie?

Wir sind völlig unbescholtene Bürgerinnen.

AHMET

Was geht dich das an?

UMUT

Ahmet, beruhig dich! Was wir machen? Wir drehen ein Video /

AHMET

Komm, Umut, lass die, wir machen weiter.

UMUT

Einen Augenblick, Ahmet. Wir sind fertig. Wir gehen jetzt sowieso /

AHMET

Wir verlieren Zeit. Wir drehen ein Video, Alter. Im Park. Warum willst du das wissen?

UMUT

Das da? Eine Krawatte /

AHMET

Ich hab meinen Ausweis nicht dabei.

UMUT

Ja, wir zeigen Ihnen unsere Ausweise … Völlig unnötig/Wir sind beide Juristen.

AHMET

Ich hab ihn vergessen. O Mann! Dann geb ich halt meine Ausweisnummer, und du gibst sie per Funk durch.

UMUT

Wir sind Anwälte, mein Herr –

AHMET

Fass mich nicht an! Was soll das!

UMUT

Hören Sie, wir haben nichts aufgenommen. Wir haben nur für einen Freund einen Gruß /

AHMET

Lass mich, Mann!

UMUT

Einen Geburtstagsgruß /

Aufgrund der Rangelei wackelt das Bild. Die Kamera fällt zu Boden, während sie läuft. Man sieht zwei Polizeistiefel, Umuts Schuhe und Ahmets Schuhe.

Ahmet!/Entschuldigen Sie, wenn Sie erlauben. Ich geb Ihnen meinen Ausweis/Ahmet, jetzt beruhig dich doch mal! Ahmet /

AHMET

Du hast kein Recht, mich anzufassen! Nicht schubsen! Aahh!

UMUT

Hören Sie bitte einen Augenblick? Hören Sie doch auf. Ich werde Ihnen seinen Ausweis geben/Sie müssen mich nur lassen. Mein Freund ist /

AHMET

Ah! Mein Arm! Mein Arm!

UMUT

Hören Sie bitte? Einen Augenblick/Nicht abführen!/Ahmet! Ahmet! Kein Widerstand!/Nicht schlagen! Ahmet!

Niemand ist mehr im Bild. Auch die Stimmen werden leiser.

Stille. Laufgeräusche. Umut nimmt die Kamera in die Hand.

Egal, ich renn jetzt einfach hinter Ahmet her.

Umut ordnet ihr Haar und ihre Kleidung.

Meine Liebe, mein Schatz!

Alles Gute zum ersten Jahrestag!

Ich liebe dich!

1. Szene
Guten Morgen


1. Juli 2018

İstanbul/Beşiktaş.

Dämmerlicht.

Viele Benachrichtigungstöne hintereinander: Mail, WhatsApp, Twitter, Messenger …

UMUT

06:02. Ich kann nicht schlafen und zähle die Minuten. Ich schaue an die Decke und warte darauf, dass die letzten dreizehn Minuten vergehen. Im Traum war ich ganz oben auf einem Berg, der sehr schwer zu besteigen ist. Der Abstieg ist auch schwer. Die Schneeflocken verwandeln sich in eisige Nadeln, die mir haarfeine Schmisse ins Gesicht hauen, meine Wimpern sind gefroren, die Stille dröhnt in meinen Ohren, mein Körper ist versteinert. Die Kälte dringt bis in meine Kehle. Ich kann nicht atmen. Vor mir, hinter mir, rechts und links von mir – Abgrund. Wer hat mich hier abgesetzt? Wer hat mich hierhergebracht? Wo bin ich? Wo sind alle anderen?

Ein Sturm erfasst den Gipfel.

Stille.

Ich leiste Widerstand.

Stille.

Er wird vorbeigehen, er muss vorbeigehen. Wie alles. Es wird vorbeigehen.

Stille.

Wenn sie bis 06:15 nicht gekommen sind, die Hyänen. Im Tageslicht zeigen sie sich nicht. Sie kommen in den Morgenstunden, bevor die Menschen zueinander finden können.

Stille.

In Berlin ist es jetzt 05:03.

Stille.

Wer ist dran?

Stille.

Wen haben sie zuletzt geholt?

Stille.

Ich glaube … Yonca? »Ich bin dran«, hat sie in der Nachricht geschrieben. »Die Polizei steht vor meiner Tür.«

Die Nachricht ist von 06:05.

Stille.

Ahmet hat um 06:08 geschrieben: »Bin in Haft. Auf dem Polizeirevier.«

Ahmet fehlt mir sehr. Ob ich zu ihm soll? Ägyptischer Basar. Aus meiner Körpermitte steigt ein saurer Geschmack hoch. Ich weiß noch, wie genau da alles voller Schmetterlinge war. Jetzt hocken nur noch reglose Motten da rum.

Gebet, von meiner Großmutter gelernt. Ich wiederhole es.

Gib, dass mein Herz nicht finster wird und meine Hand nicht geizig.

Gib, dass ich niemanden anflehen...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2020
Reihe/Serie Dramatische Rundschau
Dramatische Rundschau
Zusatzinfo 16 Zeichnungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Aktuelle Stücke • Annalena Küspert • Anthologie • Bühne • #dasdramalebt • das drama lebt • dasdramalebt • Die Glücklichen und die Traurigen • Die Verlorenen • Drama • Drama Literatur • Dramatik • Dramaturgie • Dramen • Ebru Nihan Celkan • Eleonore Khuen-Belasi • Ewald Palmetshofer • Gaia googelt nicht • Jakob Nolte • Juri • karpatenflecken • Last Park Standing • moderne Dramatik • Nele Stuhler • ruhig blut • Sammlung • spectaculum • Stücke • Svealena Kutschke • Theater • Theaterpraxis • Theaterstücke • Theater Theater • Theatertreffen • Thomas Perle • zu unseren füßen
ISBN-10 3-10-491290-4 / 3104912904
ISBN-13 978-3-10-491290-5 / 9783104912905
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