Die Ehe des Herrn Mississippi (eBook)

Eine Komödie in zwei Teilen (Neufassung 1980) und ein Drehbuch
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2020 | 2. Auflage
224 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60839-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Ehe des Herrn Mississippi -  Friedrich Dürrenmatt
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»Es geht um das nicht unbedenkliche Schicksal dreier Männer, die sich aus verschiedenen Motiven nichts mehr und nichts weniger in den Kopf gesetzt hatten, als die Welt teils zu ändern, teils zu retten, und denen nun das freilich grausame Pech zustieß, mit einer Frau zusammenzukommen, die weder zu ändern noch zu retten war, weil sie nichts als den Augenblick liebte.«

Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ?Der Richter und sein Henker?, ?Der Verdacht?, ?Die Panne? und ?Das Versprechen?, weltberühmt mit den Komödien ?Der Besuch der alten Dame? und ?Die Physiker?. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ?Stoffen?, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Erster Teil


Während das Publikum den Saal betritt, hört man den Schlußchor der Neunten Symphonie von Beethoven.

Der Vorhang hebt sich:

Ein Zimmer, dessen spätbürgerliche Pracht und Herrlichkeit zu beschreiben nicht eben leicht sein wird. Doch da sich die Handlung in ihm abspielen wird, ausschließlich in ihm, ja, da gesagt werden darf, daß die folgenden Geschehnisse die Geschichte dieses Zimmers darstellen, soll seine Beschreibung gewagt sein: Der Raum stinkt zum Himmel. Im Hintergrund zwei Fenster. Die Aussicht: verwirrend; rechts das Geäst eines Apfelbaumes und dahinter irgendeine nordische Stadt mit einer gotischen Kathedrale, links eine Zypresse, Reste eines antiken Tempels, Meerbusen, Hafen. Nun gut. Zwischen den beiden Fenstern, aber nicht höher, eine Standuhr; Stil: auch gotisch. Darüber das Bild eines rosigen, gesundheitsstrotzenden Rübenzuckerfabrikanten. Gehen wir zur rechten Wand. Dort befinden sich zwei Türen. Die im Hintergrund führt durch die Veranda in ein weiteres Zimmer, sie ist nicht wichtig, ich brauche sie eigentlich nur im fünften Akt; die im Vordergrund rechts führt in eine Vorhalle um die Ecke links. Machen wir uns keine Gedanken, wie etwa das Haus gebaut sein könnte, nehmen wir an, es sei ein verwirrt umgebautes Patrizierhaus. Zwischen den Türen rechts ein kleines Buffet, diesmal möchte ich Louis Quinze vorschlagen. Darauf befindet sich eine Liebesgöttin. Aus Gips. Gewiß. An der linken Wand nur eine Türe. Sie öffnet sich zwischen zwei Finde-Siècle-Spiegeln. Die Türe führt in ein Boudoir, vom Boudoir ins Schlafzimmer, Räume, die zwar verschiedene andere, aber nicht wir betreten werden. Im Vordergrund links der Louis-Seize-Rahmen eines weiteren Spiegels in der Luft hängend, natürlich ohne Glas, so daß man ins Publikum sieht, blickt jemand hinein. Rechts im Vordergrund könnte vielleicht ein kleines, ovales, leeres Bild hängen. In der Mitte ein rundes Biedermeier-Kaffeetischchen, die eigentliche Hauptperson des Stücks, um das herum sich das Spiel dreht, um das herum alles zu inszenieren ist, von zwei Louis-Quatorze-Sesseln flankiert. Etwas Empire kann man sicher noch irgendwie placieren: etwa links vorne ein kleines Sofa, dann links hinten eine spanische Wand. Auf Russisches darf verzichtet werden, wenn nicht gerade die politische Situation dies wünschbar macht. Auf dem Tischchen eine japanische Vase mit roten Rosen, die im zweiten durch weiße, im dritten Akt durch gelbe ersetzt werden können. Die restlichen Akte schlage ich ohne Blumen vor.

Ferner ein Kaffeegedeck für zwei Personen. Meißener Porzellan, erraten. Beim Kaffeetisch Saint-Claude, den wir, ohne gerade gründlicher auf diese Persönlichkeit eingehen zu wollen, uns etwas quadratisch denken, mächtig an stählerner Masse, gegenwärtig in einem Frack, der ihm offensichtlich nicht paßt. Strümpfe: rot. Lackschuhe. Er klingelt mit einer kleinen silbernen Glocke. Von rechts kommen drei Männer, gemütlichen Bierbrauern nicht unähnlich, in Regenmänteln und roten Armbinden, die rechte Hand in der Tasche.

DER ERSTE DER DREI IN REGENMÄNTELN

Hände hinter den Kopf.

Saint-Claude gehorcht.

DER ZWEITE

Zwischen die Fenster.

Saint-Claude gehorcht.

DER DRITTE

Kehr dich gegen die Standuhr.

Saint-Claude gehorcht.

Schuß.

DER ERSTE

So stirbt man am einfachsten.

Saint-Claude bleibt stehen. Die drei in Regenmänteln – die rechte Hand wieder in der Tasche – gehen nach rechts hinaus. Saint-Claude kehrt sich zum Publikum und spricht das Folgende teils wie ein Theaterdirektor eines ziemlich verschmierten Theaters, teils wie ein Mephisto.

SAINT-CLAUDE

Meine Damen, meine Herren, ich bin eben erschossen worden, wie Sie bemerkt haben dürften, und kurz vorher endete die unsterbliche Neunte. Die Kugel trat, irgendwo zwischen den beiden Schulterblättern, wie ich glaube, in meinen Leib – es fällt mir nicht gerade leicht, dies genauer festzustellen – er greift nach hinten – zerschmetterte auf ihrem Weg durch das Innere mein Herz und trat dann wohl hier an meiner Brust wieder heraus, durchstieß den Frack, verbeulte den Orden ›Pour le mérite‹ – nicht ganz unpeinlich, da weder der Frack mir gehört noch der Orden –, worauf das Geschoß die Standuhr beschädigte; so stelle ich mir das ungefähr vor. Mein jetziger Zustand ist angenehm. Außer der natürlich recht beträchtlichen Verblüffung, sich auch nachher noch vorhanden zu finden, fühle ich mich ausgezeichnet, besonders macht mir meine Leber mit einem Schlag nicht mehr zu schaffen, wenn ich so sagen darf. In ihr wütete ein heimtückisches Leiden, das ich in meinem Leben vor dem Tode ängstlich zu verbergen suchte, dem ich aber, wie ich nun gestehen muß – ich hielt mich für rein moralisch bestimmt –, doch wohl einen beträchtlichen Teil meiner etwas extremen Weltanschauung verdankte. Mein Tod, den Sie eben gesehen haben, dieser reichlich triviale, aber leider Gottes – merkwürdig, was man jetzt für Ausdrücke braucht – er schüttelt den Kopf – dieser, leider Gottes also, nicht allzu ungewöhnliche Tod findet eigentlich erst am Schluß dieses Stückes statt, was leicht zu erraten ist, denn wenn einmal Männer mit Armbinden auftreten, ist schon alles vorbei, ist schon alles verloren. Doch haben wir meine Ermordung aus – so möchte ich es formulieren – therapeutischen Gründen an den Anfang gesetzt – eine der schlimmsten Szenen ist dann gleich vorweggenommen. Außerdem – auch das läßt sich nicht verschweigen – werden zum Zeitpunkt meines peinlichen Todes hier noch andere Leichen herumliegen, ein Umstand, der Sie jetzt natürlich verwirren würde, was jedoch gar nicht so übertrieben ist, wenn man bedenkt, daß es sich in dieser Komödie unter anderem um die Ehe meines Freundes Mississippi handelt. Unter anderem, denn es geht um das nicht unbedenkliche Schicksal dreier Männer – Drei pathetische Brustbilder, von links nach rechts Saint-Claude, Übelohe und Mississippi darstellend, die zwei äußeren schwarz umflort, senken sich von oben herab und bleiben im Hintergrund in der Höhe schweben – die sich aus verschiedenen Motiven nichts mehr und nichts weniger in den Kopf gesetzt hatten, als die Welt teils zu ändern, teils zu retten, und denen nun das freilich grausame Pech zustieß, mit einer Frau zusammenzukommen – Das Bild Anastasias senkt sich herab, ebenfalls schwarz umflort, und bleibt zwischen Übelohe und Mississippi schweben – die weder zu ändern, noch zu retten war, weil sie nichts als den Augenblick liebte – nachträglich gesehen jedenfalls die weitaus vergnüglichste Lebenshaltung –: so daß denn auch diese Komödie sich ebensogut ›Die Liebe des Grafen Bodo von Übelohe-Zabernsee‹, oder ›Die Abenteuer des Herrn Saint-Claude‹, oder gar, kurz und bündig, ›Frau Anastasia und ihre Liebhaber‹ nennen könnte. Er zeigt während dieser Worte auf das Porträt der jeweils genannten Personen. Daß freilich im Verlauf der Verwicklungen alles am Ende ruiniert wird, ja daß es überhaupt im großen und ganzen ziemlich radikal zugeht, ist bedauerlich, doch der Wahrheit zuliebe – geschweige denn heute – nicht zu ändern. Die Porträts verschwinden wieder. Und wenn Sie nun einen der wenigen Überlebenden – bitte sehr – draußen an den beiden Fenstern vorbeitaumeln sehen – Draußen torkelt Graf Übelohe mit einer blauen Fahne vorbei – mit einer frommen Fahne irgendeinem lächerlichen Zug der Heilsarmee nachlaufend, so verzeihen Sie, daß dies eigentlich gar nicht möglich wäre, da wir uns hier im ersten Stock des Hauses befinden, was Sie ja schon daraus entnehmen können, daß einige Baumwipfel von Ihnen aus zu sehen sind, es handelt sich um eine Zypresse und um einen Apfelbaum. Doch fangen wir irgendwo mit unserer Geschichte an. Wir könnten zum Beispiel damit beginnen, wie ich in Rumänien ebenjene Revolution anzettle, die den Sturz des Königs Michael einleitet, oder wie Graf Übelohe in Tampang, einem elenden Nest im Innern Borneos, betrunken einem betrunkenen Malayen den Blinddarm herauszuschneiden versucht – Zwei Bilder, das Geschilderte darstellend, schweben von oben nieder – doch bleiben wir in diesem, uns nun schon vertrauten Raum. Gehen wir zurück – Die Bilder schweben wieder in die Höhe – es wird uns nicht schwerfallen, da wir den Ort ja nicht zu verlassen brauchen – obgleich auch dies nicht klar ist, wo denn nun eigentlich dieses Haus stehe – einmal entschied sich der Autor für Süden, daher die Zypresse, der Tempel und das Meer, einmal für den Norden, daher der Apfelbaum und die Kathedrale –, gehen wir also zurück, wenn ich bitten darf, fünf Jahre nur, bevor sich jenes Unglück ereignete, dessen Zeugen Sie gleich zu Beginn waren, zurück denn ins Jahr 47 oder 48, immer fünf Jahre vor der Gegenwart, solange dies überhaupt möglich ist. Nun gut, es ist Mai, die Fenster sind leicht geöffnet – Die Fenster öffnen sich leicht – auf dem Tisch befindet sich eine rote Rose, über der Standuhr hängt das Bildnis des ersten Mannes, der das Glück hatte, mit Anastasia verheiratet zu sein, das Bild des Rübenzukkerfabrikanten, François mit Vornamen, und das Dienstmädchen führt meinen alten Freund Mississippi...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte 20. Jahrhundert • Drama • Dürrenmatt • Ehebruch • Gift • Klassiker • Komödie • Literatur • Mord • Revolution • Schweiz • Theaterstück • Vergiftung
ISBN-10 3-257-60839-X / 325760839X
ISBN-13 978-3-257-60839-7 / 9783257608397
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