Schwarzwasser. Am Königsweg. (eBook)
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00756-7 (ISBN)
Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Schwarzwasser
Die Uraufführung von «Schwarzwasser» war am 8.2.2020 am Burgtheater (Akademietheater) Wien in der Regie von Robert Borgmann.
Wer leugnet jetzt noch seine Göttlichkeit? Wer traut sich das? Ein Gott, von einem Mann empfangen, eine Frau kann man sich gar nicht vorstellen, obwohl sie ständig verlangt wird. Der macht uns Feuer unterm Hintern, der kann das, er würde sich auch ganz verbrennen für uns, er würde sich persönlich als Opfer bringen, nein, doch nicht, lieber bringt er andre Opfer, aber Opfer müssen gebracht werden, wenn es eine Steuererniedrigung geben soll. Nachdem er diese Weihen eingeführt haben wird, seine Tänze und was man in der Disco halt so macht, wird er die Himmelsglut fortglimmen lassen und Rachetaten andren zukommen lassen und dann uns endlich steuerlich entlasten. Die einen mehr, die andren weniger. Oder uns entlassen, dann müssen wir gar nichts mehr zahlen. Es muß sich ausgehen, daß er dann auch noch eine Selbsterhöhung machen kann und für die einen etwas erniedrigt, für die andren nicht, weil sie nichts zum Erhöhen haben, um danach ständig erniedrigt werden zu können. Opfern wir sie, am besten gleich alle? Klar opfern wir sie. Wir opfern alle, damit wir nicht selbst Opfer werden, wir opfern alles, was uns nicht gehört, so wie wir Tod, Krankheit und Naturphänomene opfern, damit wir nicht selbst dazugehören oder von ihnen verschlungen werden. Dieser Drucker, mit dem man einfach alles machen kann, was man will, seine Inhalte aufessen oder für später aufheben, der trug geduldig unsere Zeichen in seinem Speicher. Er hat für uns unsere Schulden abgearbeitet. Jetzt ist er sie los. Jetzt sind wir alles los und erleichtert. Dem konnten wir helfen! Und schon kehrt er wieder an den Ort des Verbrechens zurück. Ein Nichts enthält diese Platte, und die dort auch, so wie die dort drüben, sie enthält ein Nichts, das alles sein kann. Ein Nichts wird übergeben, nicht der Rede wert, es sieht ja keiner, was es enthält. Außer den Kameras. Überall Kameras, man weiß, wo man nicht hinschauen soll. Des Druckers Betreuer überreicht die Platten. Er ist treu wie immer und für vieles zuständig, nur nicht für das, was dort abgespeichert war. Damit hat er nichts zu tun. Er weiß nur, daß es wegmuß. Das wäre für die Ewigkeit gedacht gewesen, doch es war dem Speicher nicht gegönnt, es ein wenig länger zu genießen. Die Ewigkeit ist manchen noch zu kurz, egal, über kurz oder lang paßt es dann wieder: Was müssen wir hier sehen? Unser Mitarbeiter hat die kalte Platte schon wieder abgetragen und alles, was drauf war, weggeschmissen, obwohl Altersheime und Waisenhäuser vielleicht noch Verwendung dafür gehabt hätten. Alles fort. Alles dahin. Die Platte hat der untreue Betreuer auch noch zerstören lassen. Das wäre doch nicht nötig gewesen! Die Platte war unschuldig! Er hätte doch auf sie achtgeben sollen! Statt dessen hat er sie zerstört. Ihr Betreuer hat die Platte zerbrochen. Und dann hat er noch mehrere andere Platten zerbrechen lassen. Lassen Sie sich von jemand anderem brechen! Der letzte Rest vom Schützenfest wurde dort wieder abgegeben, wo er hergekommen war. Keine Platte gibt jetzt noch was her, keine macht noch was her. Da ist ja gar nichts mehr drauf! Da ist ja gar nichts mehr. Wo ist das Fleisch? War diese Platte vorher nicht schön dick belegt? Jetzt nur noch Brösel. Und doch will man sie zurückhaben. Ihre Trümmer werden vollzählig wieder abgeliefert. Wo gehobelt wird, da fallen Eisenspäne. Die Abfälle werden zusammengekehrt und in einer Schachtel überreicht. Es geht korrekt zu, es braucht keine Korrektur. Die Natur dagegen ist ein Geben und ein Nehmen, aber zurückgeben tut sie nichts. Sie zahlt einem höchstens was heim. Auch die andren Büros vollkommen leer, nur diese Schachtel ist voll. Aber der Wagen, der rollt. Sogar das Klopapier hatten sie mitgenommen, bei der Übergabe fand man nichts mehr vor, nein, auch keine Datenträger. Sie mußten die Daten alle selber tragen. Dieses Papier hat seine Rolle noch nicht gefunden. Der Name der Firma steht dort, wo es kleingedruckt hergeht. Dort steht, daß immer bezahlt werden muß, für Vernichtung muß immer bezahlt werden, was dieser Mitarbeiter aber vergessen hat. Die Gewalt gegen das Fremde, nein, die Gewalt des Fremden gegen uns und daß man nicht bezahlen will, was man kaputtgemacht hat, ist auch so eine Naturgewalt, jeder Mensch fühlt sie, der eine so, der andre so, der eine weniger, der andre mehr. Sie ist immer dort, wo wir sind. Gewalt ist immer dabei. Sie fährt immer mit. Der letzte macht die Tür zum Abteil zu und macht es sich gemütlich, so lange, bis andre auch dort sitzen wollen. Unser Auto macht es sich auf dem Parkplatz gemütlich, so lange, bis ein andres auch dort stehen will. Sich gegen die Gewalt wehren? Da müssen Sie sich aber schon im klaren sein darüber, wer jetzt die Gewalt darstellt, entscheiden Sie sich, Sie sind ja alles Darsteller hier, also stellen Sie auch was dar! Euer fröhliches Herumschweifen und Vogelbeobachten kann sich jederzeit in einen Alptraum verwandeln. Die Nähte der schäumenden Zahlungsflüsse quietschen in den Angeln, irgendwann werden sie sich ergießen, das sehe ich schon kommen. Seen sehe ich gehn, sie kippen, Wege werfen Biker ab, Meer gibts keins, das Große fehlt uns einfach, dafür werden die Gletscher kleiner. Blut spritzt, der Anzug sitzt, er sitzt etwas streng, aber Hauptsache, er sitzt überhaupt. Wahrscheinlich will er über die Stränge schlagen, auch schon egal, wenn Sie mir das nachtragen. Ich werde es Ihnen nicht abnehmen. Wenn Gott aufersteht, bleibt der Anzug sitzen. Noch mehr Blut spritzt, das Haar sitzt jetzt endlich auch, das hat Mühe gekostet. Gewalt wird getan, wir stehen auf gegen sie, und plötzlich sind wir es selbst, die gewalttätig werden. Das Haar sitzt immer noch, es sitzt noch nicht ein, doch es sitzt. So, es sitzt jetzt aber wirklich, vorhin habe ich das nur behauptet, schon gestern ist es da herumgesessen, genau dort, wo es hingehörte. Wir sind das gewohnt, wir merken es gar nicht mehr. Es hat noch versucht aufzustehen, aber keine Chance fürs Haar, da wirft eher der Spiegel Falten, bevor es nachgibt. Sieh an, es hat sich auch schon wieder hingesetzt auf diesem herrlichen Kopf, der auch gut auf einem Grabmal Verwendung finden könnte, er ist ja auch selbst sehr gesetzt für sein Alter. Und er setzt sich für vieles ein. Er spricht mit jedem. Und jeder will mit diesem neuen Gott sprechen, na, ich nicht mehr. Jetzt sagt er etwas, seine Himmelsglut glimmt fort, er aber bleibt am Boden. So spricht nur ein Gott, und zwar wenn er etwas erklären möchte, ich habe schon das Erste wieder vergessen, kaum daß er das Zweite aussprach und ein Problem ansprach. Ich vergesse seine Ansprache, kaum daß er sie gehalten hat. Ich sehe ihn nicht mehr, kaum daß er weg ist. Er spult sie ab, die Rede, Meter um Meter ohne Gegenverkehr, schon habe ich sie wieder vergessen, und die Handlung wird noch einen tragischen Verlauf nehmen, nur deshalb, weil ich mir nicht merken kann, was er gesagt hat. Über Gewalt sagt er nichts, doch die muß er nicht mehr üben, er kann sie schon, auch wenn man sie nicht sieht. Auch wenn er ihre Gestalt dauernd verschönt und verkleidet mit dieser blöden Pflanze, ja, Efeu, zum Zeichen, daß die Menschen außer sich geraten können, wenn man sie nicht rechtzeitig in so einen Anzug stopft, wie er einen trägt, bis sie sich nicht mehr bewegen können und man ihnen nicht die Schuld an ihren Fehltritten aufbürden kann. Die Gewalt ist so verführerisch, daß wir uns ihr immer wieder hingeben müssen, einem inneren Drang folgend, glaube ich. Sie geht immer vom anderen aus. Das ist so ihre Art. Immer die andren. Immer ausgehen. Die Gewalt ist vergnügungssüchtig. Wir können uns nicht wehren, warum auch, ich zeige es Ihnen, ich zeige Ihnen, wie Sie sich wehren können, auch wenn Sie nicht wissen, gegen wen oder was. Keiner kann den jungen Agitator, der aber nicht agiert, dafür hat er andre, der nicht reagiert, dafür hat er andre, er regiert, das genügt ihm, keiner also kann ihn wieder einfangen. Er hat uns gefangengenommen. Es ist zu spät. Und auch dafür hat er andre, daß er als Gott einfach zu spät gekommen ist. Wenn es brennt, wird er unversehrt aus den Trümmern hervorsteigen. Wenn er ertrinkt, wird er unversehrt aus den Wellen emporsteigen. Wenn die Wellen ihn schlucken, wird er sie mit dem Saft junger Algarven besänftigen oder was das ist, das er sich von mir aus in die Haare schmieren kann, Algen?, Agaven, nein, es sind die Balearen, oder?, die sind doch selber ganz ordentlich bewachsen, oder?, ich weiß jetzt nicht, womit. Damit hat er nichts zu tun. Dort fahren andre hin, vollkommen andre, doch vollkommen sind sie nicht, weit davon entfernt. Die erste Insel dort betreten sie, weil sie dort etwas zu erledigen haben. Die stehen wieder auf, keine Angst! Keine Sorge! Dieser Gott wird alle besänftigen, die sich jetzt noch aufregen. Er sagt, das ist ein alltäglicher Vorgang. Er macht das täglich, etwas zerstören. Danach ist er wieder friedlich und ruhig, sein Geist strebt nicht empor, das hat er nicht nötig, seine Mühe wird nicht gegeben, sein göttliches Wirken wirkt, sein machtvolles Wort ermächtigt ihn nicht weiter, das Gebräuchliche wird nicht gebraucht, die Zeit bewährt sich nicht. Für die Zeit hat er gar keine Zeit, trotzdem, er ist gerade rechtzeitig zu uns gekommen, am letzten Drücker der Pistole, die ein andrer an die Wand gemalt hat. Nah ist und schwer zu fassen der Gott, aber manchmal kommt er ja doch. Er wird ein Fest veranstalten, zu seinen eigenen Ehren, er wird in die Bundesländer reisen und wieder zurückkommen. Er sagt, er wäre klüger...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2020 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Donald Trump • Groteske • Heinz-Christian Strache • Ibiza-Affäre • Rechtspopulismus • Tragödie • Weltklima |
ISBN-10 | 3-644-00756-X / 364400756X |
ISBN-13 | 978-3-644-00756-7 / 9783644007567 |
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