Eisenblut (eBook)

Ein historischer Krimi aus der Kaiserzeit

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00545-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eisenblut -  Axel Simon
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So kennen wir das Berlin Ende des 19. Jahrhunderts bisher nicht. Der große Auftakt der historischen Kriminalserie um Ermittler Gabriel Landow, Ermittler wider Willen im turbulenten Berlin des Deutschen Kaiserreichs, verbindet Spannung, Zeitkolorit, Atmosphäre. Berlin, Frühjahr 1888: Warum sollte man ausgerechnet einem kleinen Schnüffler wie ihm einen lukrativen Regierungsauftrag anbieten? Seine Detektei in Kreuzberg läuft eher mies. Der Erfolg fällt Gabriel Landow nicht in den Schoß. Aber dann fällt ihm sein letzter Klient direkt vor die Füße. Aus großer Höhe. In rabenschwarzer Nacht. Mitten aufs Sperrgebiet Tempelhofer Feld. Nur ein kleiner Beamter, der mit einem geheimen Militärprojekt zu tun hatte. Aber schon der dritte Tote mit einem Buch der Brüder Grimm in der Hand. Und wer hat offenbar auch an Landows Tod ein brennendes Interesse? Wo doch ganz Europa gebannt auf den Tod des moribunden Kaisers wartet. Auf den einige längst spekulieren.

Axel Simon wuchs im Ruhrgebiet auf. Er hat an verschiedenen Theatern zeitgenössische Opern inszeniert und arbeitete danach lange als Creative Director in großen Werbeagenturen. Simon lebt heute in Hamburg.

Axel Simon wuchs im Ruhrgebiet auf. Er hat an verschiedenen Theatern zeitgenössische Opern inszeniert und arbeitete danach lange als Creative Director in großen Werbeagenturen. Simon lebt heute in Hamburg.

1


Mittwoch, 2. Mai 88. Noch 44 Tage bis zum Tod des Kaisers.

Der schmale Mann ist sichtlich ungehalten. Der Wind auf dem offenen Hof pfeift ihm eisig zwischen den Hosenbeinen herum. Mit der freien Hand versucht er, seinen Mantel vor der Brust zuzuhalten. Er hasst dieses Reisen. Obwohl er auf der Fahrt hierher meist geschlafen hat, fühlt er sich wie zerschlagen. Dazu noch diese vorübergehende Einhändigkeit. Er flucht.

Der schmale Mann sieht vom schläfrigen Hellgrau des Himmels auf das stumpfe Graubraun des gepflügten Ackers herab. Weiter hinten, kurz vor einem schwarzen Wäldchen, entdeckt er Schafe. Oder Ziegen. Eine Ansammlung von Tieren jedenfalls. Er hasst das Landleben. Der winzige, beigebraune Fellklumpen gerät jetzt in Bewegung, ganz so, als hätten die Tiere seinen abschätzigen Blick bemerkt. Er lächelt. Der Fellklumpen teilt sich nun jäh in zwei Hälften. Wie dieses Rote Meer, denkt er, reißt sich zum x-ten Mal den Mantel zu und setzt seinen Weg über den Hof fort. Das panische Davonstieben der Schafe hinten am Wäldchen bekommt er gar nicht mit.

Der Abort ist neu, hat der Wirt gesagt. Und tatsächlich: Der landesübliche Geruch mischt sich hier mit dem Duft erst kürzlich gehobelter Fichtenbretter. Beide Kabinen sind frei. Slevogt, so heißt der dünne Reisende, seine Frau nennt ihn Vovo, verriegelt die Tür hinter sich und rafft mit seiner freien rechten Hand seine Kleider so zurecht, dass er seinen Hintern freibekommt und ihn auf die kühle Holzbrüstung niederlassen kann. Während Slevogt lustlos presst, liegt seine Linke, an eine flache Ledermappe gefesselt, auf seinen spitzen Knien. Der Wind pfeift unter der frischgehobelten Tür hindurch. Der neue Wagen wird in dreißig Minuten startklar sein. Er hört schon die Hufe und das Schnauben der Tiere auf dem Hof. Wenn das Wetter hält, überqueren sie in zwei Stunden schon die Grenze. Er würde versuchen, den nächsten Pferdewechsel zu verschlafen, übermorgen kann er in der Hauptstadt sein. Sein Pressen hat Erfolg. Er wird sich nach hier getaner Arbeit draußen noch ein wenig die steifgewordenen Beine vertreten, dann einen Teller der im Fahrpreis enthaltenen Suppe zu sich nehmen, auf eigene Rechnung noch einen halben Liter Wein genehmigen und dann –

«Besetzt!», bellt Slevogt. Und: «Nebenan ist noch frei.»

Trotzdem wird weiter an der Tür direkt vor ihm gerappelt.

«Bese–»

Etwas Dünnes, Metallisches schlüpft durch den Türspalt unter den Riegel und hebt diesen mühelos hoch.

«Was sol–»

Abrupt wird die Tür vor ihm aufgerissen. Vor die jähe Helligkeit der Öffnung schiebt sich eine Gestalt und verharrt dort regungslos. Slevogt kann im Gegenlicht nicht viel mehr erkennen. Aber: Das ist kein Irrtum, merkt er. Das ist ein Überfall. Er lässt die Zeitung, mit der er sich den Hintern abgewischt hat, knurrend hinter sich in die Grube fallen. Der Wind säuselt ihm die Schenkel hoch. Slevogt fröstelt. Erst jetzt bemerkt er die kurze, bleifarbene Waffe in der Hand direkt vor sich. Murmelnd zerrt Slevogt die kleinen Geldscheine hervor, die er für solche Fälle in einer Innentasche verwahrt. Er reist nicht zum ersten Mal. Er wird nicht zum ersten Mal überfallen. Aber zum ersten Mal auf dem Klo. Er hasst dieses Reisen.

Slevogts stille Wut verfliegt, als die Gestalt in der Tür angesichts der hingehaltenen Scheine den vermummten Kopf schüttelt. Seine Wut verflüchtigt sich genau wie der beißende Geruch in der kleinen Kammer. Sie weicht einer ungewissen Furcht. Er hat zwar schon öfter Pistolenläufe direkt vor sich gesehen, schließlich war er im Krieg. Aber dass jemand sein Geld nicht will, ist ihm noch nie untergekommen. Das macht ihm Sorgen. Der kurze Lauf zeigt jetzt ruhig auf Slevogts Linke, die noch immer, wie festgewachsen, die dünne Ledermappe auf seine Knie presst. Es friert ihn schneidend an den Eiern.

Slevogt schiebt die linke Hand weiter aus dem Ärmel seines hellen Reisemantels heraus. Die Ledermappe mit den doppelten Metallverschlüssen und dem wachsversiegelten Band ist an seinem Handgelenk festgekettet. Wie zur Bestätigung klirrt das Metall der Kette leise. Slevogt setzt ein schiefes Lächeln auf, so, als bedauere er diesen Umstand ganz außerordentlich.

Sein Gegenüber in der Tür hat sich noch kein einziges Mal danach umgeschaut, ob nicht etwa die Leute von der Pferdestation, der Wirt oder ein Reisender, den Überfall bemerkt haben könnten, wird Slevogt klar. Es ist diese verdammte Ruhe, die ihm Angst macht.

Der Räuber hält jetzt die freie Hand auf wie ein Bettler. Feines Handschuhleder, akkurat genäht, schmale Finger. Sehr schmale Finger für einen Mann. Slevogt versteht. Der will den Schlüssel.

«Ich habe keinen Schlüssel», sagt er und kann nicht anders, als hinzuzufügen: «Wäre ja auch witzlos, wenn ich den Schlüssel dazu hätte.»

Er rechnet damit, dass der Straßenräuber ihn dafür schlägt. Der jedoch steckt ruhig die Pistole in den Gürtel und holt jetzt wie ein Varieté-Zauberer etwas anderes unter dem Reitumhang hervor. Es ist eine kleine Eisensäge.

«Das ist sinnlos», knurrt Slevogt. «Der Stahl ist gehärtet. Krupp. Deutsche Wertarbeit.»

Davon unbeeindruckt greift der Vermummte blitzschnell nach seinem Handgelenk. Slevogt versteht. Es ist nicht die Kette, die hier zersägt werden soll. Wie gelähmt betrachtet er die Stiefelspitze des Angreifers. Die hebt sich ganz langsam, als suche sie noch nach einem geeigneten Steigbügel, bevor sie sich jäh auf Slevogts Schoß senkt. Obwohl schmerzhaft auf den Sitz gepresst, wundert sich Slevogt über die geringe Größe des Reitstiefels auf seiner nackten Mitte.

«Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?», zischt er hilflos.

Der Räuber sieht ihn ruhig an und nickt. «Ja, Sie sind meine Nummer vier.»

«Ich werde schreien», kündigt Slevogt trotzig an.

«Das würde ich an Ihrer Stelle auch», kommt es unter dem Schal hervor, der Nase und Mund des Räubers verhüllt. Die Augen darüber kann Slevogt nur für einen Moment erkennen. Sie machen ihm Angst. Die Stimme klingt erstaunlich hell, denkt er noch. Er wird hier doch nicht allen Ernstes von einer Frau …!? Dann beginnt die Säge, sein Fleisch zu zerreißen, und der Schmerz trifft ihn wie ein Hammerschlag.

***

Zur selben Zeit etwa, hundert Preußische Meilen weiter östlich. Aus dem schiefgelegenen Bett heraus kommen derart unheimliche Geräusche, als werde hier gerade gestorben. Die Stille danach beunruhigt fast noch mehr. Doch jetzt kommt wieder Bewegung in das längst nicht mehr saubere, an zwei großen Stellen geflickte Deckbett von nur noch undefinierbarer Farbe. Schließlich wird es zur Seite geworfen, gibt neben einem Schwall muffigen Geruchs den Blick auf den nackten Körper eines nicht mehr ganz jungen Mannes frei. Dunkelhaarig, fleischig, groß in Höhe und Breite. Er schmatzt mehrmals und wuchtet dann seinen schweren Leib von der Matratze hoch. Wie ein nasser Hund schüttelt er den Kopf und öffnet das kleine Fenster seiner Schlaf- und Wohnkammer, lässt frische Luft herein. Frische vielleicht nicht, aber andere Luft. Britzer Wohnküchenduft, Friedrichshainer Außenklos und andere schon reichlich gebrauchte Reichshauptstadtluft, die sich bereitwillig mit der von drinnen verbrüdert. Draußen fliegen Amseln auf.

Der große, feste Mensch betrachtet sein vom Schlaf zerfaltetes Gesicht in einem kaum handtellergroßen Spiegel an der Wand. Er sieht mitgenommen aus, abgenutzt, älter als seine achtunddreißig Jahre. Wie dreiundvierzig etwa. Er heißt Gabriel Landow. Freunde nennen ihn abwechselnd Gabi oder Arschloch. Selbst im gleißenden Licht der offenen Dachluke erinnert sein Spiegelbild weder an einen Erzengel noch an die Unbefleckte Empfängnis. Unter den Alberts, Heinrichs und Wilhelms seiner Heimat als Gabriel zu überleben, war nicht immer einfach, wurde allerdings dadurch erleichtert, dass sein älterer Bruder Perikles heißt. Pe-ri-kles. Ein griechischer Staatsmann mit visionärer Kraft und beeindruckender Goldmaske. Was allerdings sämtliche Alberts, Heinriche und Wilhelms nicht daran hinderte, die beiden Landow-Brüder meist Penikles und Gabriele zu rufen.

Landow entfernt etwas Braunes, Krustiges, das über seinem Auge klebt. Bloß Straßendreck von gestern Nacht wahrscheinlich, denkt er und schnuppert gewissenhaft an seinen Fingern.

Er sieht an sich herab. Nein, fett wird er nicht. Er ist es schon. Fast zärtlich streicht er über die beiden rosaroten Narben an seiner linken Brust. Bajonett und Streifschuss. Jugendsünden. Während er in die einzigen Kleider schlüpft, die in dem winzigen Raum herumliegen, lauscht er auf die vertrauten Geräusche, die von unten aus der Pension zu ihm hochdringen. Er ist der einzige Dauergast des Hauses, Kriegskamerad und Lebensretter des Pensionswirts, zumindest behauptet der das nach dem vierten oder fünften Schnaps immer hartnäckig und mit Tränen in den Augen. War wohl so. Lange her. Nach zwei Händen Wasser im Gesicht, mit seinem mittig gescheitelten, halblangen Haar und in seinem verknickten, aber einheitlich dunklen Anzug sieht Landow immerhin aus wie ein kleiner Assessor, mindestens wie ein Grabredner. Er schließt die Luke wieder. Diesmal fliegen die Amseln nicht mehr auf. Er sieht übers Dach die schmale, lichtarme Straße hinab, räuspert sich und verlässt den Raum.

Nur der alte Mann auf dem Foto sieht ihm nach. Die Fotografie, mit schartigen Schnitten aus einer Zeitung herausgelöst und danach mit einem Reißnagel neben dem Rasierspiegel vor dem Vergessen bewahrt, zeigt einen mürrischen alten Mann mit faltigem Gesicht, der das Haar in etwa genauso,...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2020
Reihe/Serie Gabriel Landow
Gabriel Landow
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 19. Jahrhundert • Alex Beer • Babylon Berlin • Berlin • Brüder Grimm • Detektiv • Deutsches Kaiserreich • Dreikaiserjahr • Ermittler • Ermittlerkrimi • Erster Weltkrieg • Gereon Rath • Goldammer • Historienkrimi • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • Historische Spannung • Kaiserzeit • Landow • Nasser Fisch • Preußen • Reputation • Spannung • Tempelhofer Feld • Volker Kutscher
ISBN-10 3-644-00545-1 / 3644005451
ISBN-13 978-3-644-00545-7 / 9783644005457
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