Die Zeit der Töchter (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45361-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zeit der Töchter -  Katja Maybach
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Der Mut der Frauen: Liebe und Leid in den Nachkriegsjahren In ihrem neuen Roman 'Die Zeit der Töchter' erzählt Katja Maybach die dramatische Familiengeschichte ihres Bestsellers 'Die Stunde unserer Mütter' weiter. Maria und Vivien haben den Krieg überstanden, ihre Töchter entdecken im München der 50er-Jahre das Leben. Doch während Anna und Antonia heimlich ein Wiedersehen ihrer Mütter mit den Frauen vorbereiten, die sie bei Kriegsende aus dem Lager retten konnten, sehen Maria und Vivien sich erneut Anfeindungen ausgesetzt: Ihr Einsatz für Flüchtlinge aus dem Osten sowie die sogenannten »Besatzungs-Kinder« führt immer wieder zu teils handgreiflichen Auseinandersetzungen. Als dann auch noch eine junge Ostpreußin auftaucht, deren Kind offensichtlich einen dunkelhäutigen Vater hat, bahnt sich eine Katastrophe an.

Katja Maybach war bereits als Kind eine echte 'Suchtleserin', was beinahe automatisch zum eigenen Schreiben führte. Schon mit zwölf Jahren schrieb sie ihren ersten Roman und einige Kurzgeschichten. Doch sie hatte immer schon eine zweite Leidenschaft: die Mode. Und so gewann sie mit fünfzehn Jahren den Designerpreis einer großen deutschen Frauenzeitschrift für den Entwurf eines Abendkleides. Mit siebzehn ging sie nach Paris und wurde zuerst Model in einem Couture Haus, später eine erfolgreiche Designerin. Nach einer schweren Krankheit begann sie, Romane zu schreiben. Bereits ihr Debüt 'Eine Nacht im November' war ein großer Erfolg und wurde in Frankreich ein Bestseller. Heute lebt die Autorin in München, sie hat zwei erwachsene Kinder.

Katja Maybach war bereits als Kind eine echte "Suchtleserin", was beinahe automatisch zum eigenen Schreiben führte. Schon mit zwölf Jahren schrieb sie ihren ersten Roman und einige Kurzgeschichten. Doch sie hatte immer schon eine zweite Leidenschaft: die Mode. Und so gewann sie mit fünfzehn Jahren den Designerpreis einer großen deutschen Frauenzeitschrift für den Entwurf eines Abendkleides. Mit siebzehn ging sie nach Paris und wurde zuerst Model in einem Couture Haus, später eine erfolgreiche Designerin. Nach einer schweren Krankheit begann sie, Romane zu schreiben. Bereits ihr Debüt "Eine Nacht im November" war ein großer Erfolg und wurde in Frankreich ein Bestseller. Heute lebt die Autorin in München, sie hat zwei erwachsene Kinder.

München 1957


Kapitel eins


Anna

Der Zug aus Wien fuhr mit quietschenden Bremsen im Münchner Hauptbahnhof ein. Die Türen öffneten sich, die Reisenden stiegen aus und umarmten ihre Freunde oder Verwandten, lachten oder weinten, Blumen wurden von den Wartenden überreicht. Langsam zerstreuten sie sich. Der Schaffner lief an den Waggons entlang und warf die Türen zu.

Anna stand noch auf dem Bahnsteig, der sich immer mehr leerte. Jetzt erst nahm sie ihren Koffer hoch, verließ den Bahnsteig, blieb in der Bahnhofshalle stehen und sah sich um. Weitere Züge kamen an, Leute liefen aufeinander zu, drängelten sich an ihr vorbei.

Eine Stimme im Lautsprecher kündigte die Verspätung des Zuges aus Hamburg an.

Anna ging langsam an den Gleisen entlang. Sie hatte vergessen, wo damals genau ihr Vater abgefahren war. Vor diesem Moment ihrer Ankunft hier hatte sie sich gefürchtet, hatte geglaubt, dass die Erinnerungen sie überwältigen könnten. Aber nichts passierte. Sie brach nicht in Tränen aus, denn der Bahnhof heute erinnerte nicht an die gespenstische Stille, die am 13. Juni 1942 über der Halle gelegen hatte. Damals hatte Anna mit ihrer Mutter an dem blumengeschmückten Zug gestanden, der die vielen Soldaten nach Russland brachte.

Dieser Moment hatte über die Jahre an Schärfe verloren, wirkte jetzt verschwommen. Einer der wichtigsten Augenblicke ihres Lebens war im Laufe der Zeit verblasst, so sehr, dass sie sogar jetzt, da sie hier stand, nichts mehr empfand.

Anna fröstelte. Es war ein regnerischer Sonntagnachmittag, und sie musste an die Gegenwart denken, die kompliziert genug war. Gleich würde sie ihrer Cousine Antonia gegenüberstehen und sich noch einmal dafür bedanken, während ihres Engagements am Residenztheater bei ihr wohnen zu dürfen. »Ich bin so stolz auf dich«, hatte Antonia ihr am Telefon erklärt. »Meine Cousine, eine berühmte Schauspielerin aus Wien, wohnt bei mir.«

Antonia hatte angeboten, Anna am Bahnhof abzuholen, doch die lehnte ab. Ein Wiedersehen nach so vielen Jahren auf einem kalten, zugigen Bahnsteig erschien ihr besonders schwierig, und Antonia hatte offenbar das Gleiche empfunden.

Anna spürte ihre eiskalten Füße. Im Zug war die Heizung ausgefallen, und an ihren Schuhen waren die Sohlen durchgelaufen. Sie sah sich um. Sie könnte noch schnell irgendwo einen heißen Tee trinken, den Moment der Wahrheit hinauszögern. So betrat sie kurz entschlossen einen der Wartebereiche, über dem der Name stand: Europasaal. Sie setzte sich an einen der Tische zwischen jeweils zwei hohen Sofas aus rotem Kunstleder. Hier warteten Reisende auf die Abfahrt ihres Zuges oder Angehörige, die zu früh am Bahnhof waren, um Freunde oder Familie abzuholen. Manche trafen sich auch einfach nur hier.

Als die Kellnerin an den Tisch kam, bestellte Anna keinen Tee, sondern einen Kognak.

»Einen französischen oder einen deutschen, Fräulein?«

Anna lächelte. Sie war dreißig, und die Anrede Fräulein bewies, dass sie vielleicht doch jünger wirkte. »Einen deutschen, bitte.«

Er war nicht so teuer wie der französische, doch er würde sie wärmen und ihr ein wenig Mut machen, bevor sie gleich Antonia gegenüberstand. Vor elf Jahren hatten sie sich tränenreich in den Armen gelegen und ewige Freundschaft geschworen.

Sie hatten sich gegenseitig besuchen wollen, einander schreiben, die Verbindung halten. In den schwierigen Kriegsjahren waren sie miteinander aufgewachsen, hatten sich ein Zimmer geteilt: zwei junge Mädchen zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Was war davon geblieben? Ein Briefwechsel, zuerst ellenlange Erzählungen, Austausch ihrer Erlebnisse, ihrer Wünsche und Träume. Doch die Briefe wurden seltener, Besuche fanden nicht statt, die Zeit fehlte. Vielleicht auch der Antrieb, die durchlebten Enttäuschungen, die Anna davon abhielten, ihre Cousine einzuladen. Wohin auch? Es hätte bedeutet, ihre Situation preiszugeben: dass sie in einer schäbigen Künstlerpension lebte.

Aber auch Antonia blieb in ihren Einladungen nach München vage und halbherzig. Bis vor zwei Wochen, als Anna sie angerufen hatte. Anna hatte all ihren Mut zusammennehmen müssen, weil sie wusste, dass in dem noch teilweise zerstörten München große Wohnungsnot herrschte. Aber Antonia hatte sofort zugesagt. Sie schien sich zu freuen, dass Anna kam.

Gleich würde sie also in der Wohnung in der Widenmayerstraße ankommen, in der sie als Kind bereits mit ihrer Mutter zu Besuch gewesen war. Unwillkürlich blickte Anna an sich hinunter. Sie trug einen grauen, taillierten Mantel mit einem großen Persianerkragen, den sie in einem Laden gekauft hatte, in den auch bekannte Schauspielerinnen ihre Garderobe brachten. Der Mantel habe einmal Paula Wessely gehört, hatte der Inhaber mit großem Respekt erklärt. Er kostete kaum etwas, also nahm Anna ihn. Vielleicht verlieh der Mantel des Wiener Theaterstars auch ihr ein wenig Glanz.

Anna sah auf die Uhr. Antonia wusste, wann der Zug ankam, sie konnte sie nicht länger warten lassen. So erhob sie sich, zahlte, nahm den Koffer und ihre große Tasche und verließ den Europasaal, der sich jetzt immer mehr füllte. Sie durchquerte die zugige Halle und ging an den Gleisen entlang und in den Flügelbahnhof, den Starnberger Bahnhof, hinüber, vor dem die Straßenbahnen abfuhren.

*

Antonia stand vor dem Spiegel und beugte sich ihm entgegen. Sie hatte sich das Gesicht gepudert, um die Narbe zu verdecken, die sich von der Oberlippe bis zur Nase zog. Seufzend sah sie sich an. Dann aber schüttelte sie den Kopf. Letztendlich kannte Anna doch die Narbe, das Zeichen einer durchgestandenen Qual, eines Ereignisses, das sie verändert hatte. Manchmal kehrte der Albtraum zurück. Dann sah sie das Messer aufblitzen, spürte den furchtbaren Schmerz, der vom Gesicht durch den ganzen Körper jagte. Eine dreckige Engländerin war sie genannt worden, die im Land des geliebten Führers nichts zu suchen habe.

Es war Anna, die sie gerettet hatte, und das schweißte die beiden Cousinen zusammen, hatte sie Freundinnen fürs Leben werden lassen, wie sie sich damals schworen. Aber erst heute, nach elf Jahren, sahen sie einander wieder. Zum Begräbnis des Großvaters in Speyer war Anna nicht gekommen, und bei der von ihnen so geliebten Großmutter Elsa hatten sie sich nur kurz gesehen; Anna hatte es eilig gehabt, nach Wien zurückzukommen. Sicher wegen einer großen Rolle am Wiener Burgtheater. Langsam strich sich Antonia durch die blonden Haare, die ihr glatt auf die Schultern fielen. Sie trug einen weiten grauen Rock, einen hellblauen Angorapulli mit einem schmeichelnden Rollkragen und kurzen angeschnittenen Ärmeln. So war sie chic, aber nicht zu aufgeputzt. Konnte sie gegen eine berühmte, sicher sehr elegante Schauspielerin bestehen?

Als Annas Anruf kam, war sie so überrascht gewesen, dass sie ihr sofort anbot, bei ihr zu wohnen. Aber dadurch kam jetzt auch die Wahrheit ans Licht. Die Realität, beschönigt in den wenigen Briefen, die sie im Laufe der Zeit an Anna geschrieben hatte. Wie viele waren es in elf Jahren gewesen? Drei? Mehr sicher nicht.

Und gleich war es so weit: Anna, die berühmte Schauspielerin vom Wiener Burgtheater, kam her, um die nächste Zeit bei ihr zu wohnen.

*

»Endlich, ich dachte schon, du hast den Zug verpasst, oder er hatte Verspätung.«

Antonia öffnete und bat Anna herein. »Ich hätte dich abholen können, schließlich hast du Gepäck.«

»Es sind doch nur ein Koffer und eine Tasche, alles ist gut gegangen«, lächelte Anna. Sie stellte ihr Gepäck ab, sah Antonia nur an.

Antonia ging auf Anna zu, umarmte sie hastig, doch bevor Anna die Umarmung erwidern konnte, war ihre Cousine bereits zurückgetreten. Annas Arme fielen herab.

Antonias Blick glitt rasch über ihre Cousine, von den kurz geschnittenen braunen Haaren zu dem ausdrucksvollen Mund und weiter über den tellergroßen grauen Persianerkragen bis zu ihrer überschlanken Taille, um die der Mantel schlotterte. Der Saum war an einer Seite heruntergerissen, hatte Anna es nicht bemerkt? Antonia lächelte unwillkürlich – es war wie damals.

Vor siebzehn Jahren war Anna mit ihrer Mutter Vivien zu ihnen aufs Land gekommen. Anna stand neben dem russischen Dienstmädchen Nadja Pimarova vor der Gartentür, aufgelöste Zöpfe, eine Schleife fehlte, und der Saum ihres Kleides war lose.

Antonias Unsicherheit verflog. Dieses kleine Detail zeigte ihr, dass Anna sich vielleicht nicht so sehr verändert hatte, dass in der berühmten Burgschauspielerin noch immer das kleine achtlose Mädchen steckte. »Ich freue mich so, dass du da bist. Du hast mir schrecklich gefehlt.«

Der nächste Umarmungsversuch gelang den beiden Frauen und trieb ihnen die Tränen in die Augen. Plötzlich wollten sie sich gar nicht mehr loslassen.

Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, zeigte Antonia ihrer Cousine das Zimmer, in dem sie wohnen würde, das ehemalige Gästezimmer mit dem großen Barockschrank, hinter dem sich eine fast unsichtbare Tapetentür verbarg. Hier hatten während des Kriegs jüdische Ehepaare gelebt, sogar Familien, die Philip Kroll, Antonias Vater, versteckte, bis sie mit falschen Papieren aus Deutschland fliehen konnten.

»Daddy hat ein Haus am Staffelsee, dort wohnt er mit Jette. Er ist nur selten hier. Ich habe uns eine Gemüsesuppe gekocht, sicher bist du noch Vegetarierin, oder?«

Anna nickte, und Antonia redete nervös weiter: »Mach dich frisch, und lass dir Zeit. Komm dann einfach in die Küche.«

Anna stellte den Koffer ab und strich mit der Hand über die altrosa Seidensteppdecke, dann wanderte ihr Blick weiter zum Tisch mit der Jugendstillampe, die ihr als...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2019
Reihe/Serie Mütter und Töchter
Mütter und Töchter
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1950er • 50er Jahre • Außenseiter • bayerische Kleinstadt • Bayern • Besatzungskinder • Die Stunde unserer Mütter • Familiengeschichten • Familiensaga • Flüchtlinge • Frauen • Frauengeschichte • Generationen-Roman • Jüdin • Katja Maybach • Kleinstadt • München • Nachkriegsromane • Nachkriegszeit • Nachkriegszeit Deutschland • Roman Nachkriegszeit • Theater
ISBN-10 3-426-45361-4 / 3426453614
ISBN-13 978-3-426-45361-2 / 9783426453612
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