Germania (eBook)

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
108 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76097-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Germania - Heiner Müller
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Die zwei Germania-Stücke, die Heiner Müller geschrieben hat, führen ins Zentrum seines Werks. Das erste, entstanden 1956/71, wurde 1978 in München uraufgeführt, das zweite, geschrieben zwischen 1990 und 1995, erlebte 1996 in Bochum und Berlin eine doppelte Uraufführung. »Heiner Müllers Germania-Stücke«, schreibt Albert Ostermaier in seinem Nachwort, »sind eine Materialkunde deutscher Geistes- und Gewaltgeschichte. Sie zeigen, woraus und worauf dieses Land gebaut ist, das wir Deutschland nennen. Sie wissen, was unter der Erde liegt, wo wir nach den Wolken greifen, wenn wir die Füße nicht auf den Boden bekommen.«

Germania Tod in Berlin

Germania 3 Gespenster am toten Mann



<p>Heiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin (Ost). Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.</p>

Germania Tod in Berlin


DIE STRASSE 1


Berlin 1918.

MANN Das war der Krieg. Den Arm hat er behalten.

FRAU Du bist heraus, Mann. Alles ist beim alten.

Kinder, s gibt Brot, der Vater ist zurück.

MANN Wenn uns das Brot gehört und die Fabrik.

Ab. Dunkel.

STIMME DAS IST DER GENERALSTREIK

KINDER Bäcker!

In seiner Ladentür erscheint überlebensgroß der Bäcker.

KINDER Brot.

BÄCKER

Mein Brot wächst nicht vom Himmel. Habt ihr Geld? Kein Geld kein Hunger. Ist es meine Welt?

Fernes Schießen.

STIMME DAS IST DIE REVOLUTION

Der Bäcker schließt sehr schnell seinen Laden.

KINDER He. Bäcker. Sie »schießen«. Tot!

Laufen in die Richtung, in der geschossen wird. Auftritt der Schilderverteiler, ebenfalls überlebensgroß, mit Schildern. Auf den Schildern steht »Nieder mit Spartakus«.

SCHILD Was da gebraut wird, ist nicht euer Bier.

Ein Mann ein Groschen. Vier mal eins macht vier

Wenn ihr mein Schild durch eure Straße tragt.

Es ist für Deutschland, wenn euch einer fragt.

KIND 1 Ich geh nicht mit, mein Vater ist dabei.

SCHILD Nummer eins ist satt. Vier weniger eins macht drei. Er steckt einen Groschen weg.

KIND 1 Mein Hunger ists der mitgeht, ich bins nicht.

SCHILD Der oder du. Hat er nur dein Gesicht.

Kinder demonstrieren mit den Schildern. Schießen aus.

ANDRE STIMME RUHE UND ORDNUNG. WIEDER

HERGESTELLT.

Licht. Der Bäcker macht seinen Laden wieder auf. Die Kinder treten zum Schilderverteiler und halten die Hände auf.

SCHILD Was wollt ihr?

KINDER Den Groschen.

SCHILD Was kriegt der Hund, wenn er bellt.

Lacht. In seiner Ladentür steht der Bäcker und stimmt in das Lachen ein. Lachen weiter nach dem Vorhang.

DIE STRASSE 2


Berlin 1949.

LAUTSPRECHER ES LEBE DIE DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK DER ERSTE ARBEITERUNDBAUERNSTAAT AUF DEUTSCHEM BODEN

Beifall aus dem Lautsprecher.

MANN Der Russenstaat.

ANDRER schlägt ihn nieder: Merk dir den Tag.

MANN steht auf, blutig: Und du.

Taumelt weg.

Es gibt noch Bäume, Äste dran, in Deutschland.

Wir sehn uns wieder, Russe, wenn du hängst.

STIMMEN Haltet den Hetzer.

Halt ihn.

Wo?

Da.

Weg.

ALTER mit Kind auf dem Rücken:

Hier haben wir Berlin, der Kaiserhure

Die Fetzen vom Kartoffelbauch gerissen

Den Preußenflitter von der leeren Brust.

Die Kaiserhure war Proletenbraut

Für eine Nacht, nackt im Novemberschnee

Von Hunger aufgeschwemmt, vom Generalstreik

Gerüttelt, mit Proletenblut gewaschen.

Wir warteten im Schnee, der weiß wie nie kam

Der Nebel stieg, die Hand fror am Gewehr

Der Schnee fiel sieben Stunden ohne Aufhörn.

Die Bonzen saßen warm im Schloß, berieten.

Wir warteten im Schnee der weiß wie nie kam

Von keinem Rauch aus keinem Schlot geschwärzt.

Wir wurden weniger. In der achten Stunde

Schmiß der und jener sein Gewehr weg, ging.

Im Schloß die Bonzen ritten auf den Stühlen

Und stimmten Karl und Rosa an die Wand.

Wir schlugen die Gewehre an den Bordstein

Krochen zurück in unsre Mauerlöcher

Und rollten unsern Himmel wieder ein.

Der Präsident. Ein Arbeiter wie wir.

STIMME 1 Ein Arbeiter wie wir. Wo ist mein Schloß.

STIMME 2 Die kennen ihre eigne Mutter nicht mehr.

EINARM Viel laßt ihr euch gefalln.

MANN 1 Und nicht von jedem.

Pause.

EINARM Seid ihr noch Deutsche?

Pause.

MANN 2 Hast du einen Arm

Zu viel?

Pause.

EINARM Smolensk, Kamerad. Das nächste mal besser.

Pause.

MANN 3 Es ist der Kopf. Der hat einen Kopf zu viel.

MANN 2 Komischer Vogel.

MANN 1 Der sucht einen Käfig.

MANN 3 Glück muß man haben. Vogel, du hast Glück.

Da geht ein Käfig, der sucht einen Vogel.

Einarm ab. Staubmantel.

STAUBMANTEL Wo ist er hin.

MANN 1 Wer.

MANN 2 War hier jemand?

MANN 3 Niemand.

Staubmantel ab. Windjacken auf Fahrrädern.

WINDJACKE 1

Das macht sich breit. Fußgänger. Gibts was ohne?

MANN Staatsfeiertag. Sohn. Hast du was dagegen?

WINDJACKE 1 Was für ein Staat.

MANN 2 Nicht deiner.

WINDJACKE 2 Merkst du was

Von einem Staat hier?

Reißt eine Fahne ab und tanzt darauf. Zwei Staubmäntel.

MANN Die sind blau.

STAUBMÄNTEL reißen den Windjacken die Windjacken auf. Flugblätter fallen heraus: Davon.

Führen die Windjacken ab. Zwei Herren mit Koffern.

HERR 1 Hören Sie das Gras wachsen? Das ist die Steppe. Die Steppe kommt. Das kitzelt die Fußsohlen. Sehn Sie meine Schuhe: grün. Schnell, eh das Gras uns einholt.

Vorbei. Drei Huren. Ein Zuhälter.

ZUHÄLTER Die Straße voll Kunden. Warum arbeitet ihr nicht.

HURE 1 Staatsfeiertag, Süßer.

ZUHÄLTER Gefickt wird unter jeder Regierung.

HURE 2 Bei mir nicht mehr lange. Vorm Frühjahr spring ich ab.

Zuhälter will sie schlagen.

HURE 1 Polente.

Zuhälter ab. Die Huren lachen.

HURE 2 Den Dicken nehm ich noch aus. Eine Strumpffabrik in Sachsen. Lange macht er nicht mehr, hat schon dreimal die Volkskontrolle gehabt. Die Gemahlin wird auch renitent. Einen Nerz will ich noch herausschlagen.

HURE 3 höhnisch: Den will ich sehn.

HURE 1 Der Blonde vom Revier hat mir gesagt, er muß mich heiraten, wenn ich nicht bald von der Straße bin, damit er mich aus dem Bericht hat.

Singt: ES WAR EINMAL EIN TREUER HUSAR

HURE 3 Heiraten. Einen Bullen.

HURE 1 Der Blonde gefällt mir.

HURE 3 Das ist das letzte. Spuckt aus.

HURE 1 Du hast es nötig, auf dem Strich seit 71.

HURE 3 Aas.

HURE 1 Nach dir.

Prügeln sich. Polizist.

POLIZIST Streit, meine Damen?

HURE 3 Keine Spur, Herr Kommissar.

HURE 1 Sie müssen uns verwechselt haben.

HURE 2 Sinds die Augen, geh zu ANSORG.

Polizist ab.

HURE 3 Die sind überall. Ich geh zum Kudamm.

HURE 1 Die warten auf dich, du Skelett.

HURE 3 Die Fresse zerkratz ich dir.

Ein Polizist geht vorbei. Hure 3 und 2 gehn.

HURE 2 Gehst du nicht mit.

HURE 1 Ich bleib. Mir gefällts hier.

Hure 3 und 2 ab. Ein Betrunkener.

BETRUNKENER singt: WALDESLUST WALDESLUST

He, Puppe!

JUNGER MANN Laß die Frau los.

BETRUNKENER torkelt weiter:

O WIE EINSAM SCHLÄGT DIE BRUST

JUNGER MANN Gehn wir zusammen?

HURE 1 Heute ist Feiertag. Heut geh ich allein.

BRANDENBURGISCHES KONZERT 1


Manege. 2 Clowns.

CLOWN 1 Ich bin der König von Preußen. Ich habe mir ein Schloß gebaut in dieser schönen Gegend, weil sie mir gefällt und damit ich meinem Volk besser dienen kann, denn ich habe Hämorrhoiden und das Rheuma von den Kriegen, die ich führen mußte in Schlesien, Böhmen und Sachsen für die Ehre Preußens und die sehr berühmt sind.

CLOWN 2 Ich will auch König von Preußen sein.

CLOWN 1 Du bist der Müller von Potsdam.

CLOWN 2 Habe ich auch Hämorrhoiden.

CLOWN 1 groß: Hast du meine Schlachten geschlagen.

Clown 2 eingeschüchtert.

CLOWN 1 Deine Mühle steht neben...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2019
Nachwort Albert Ostermaier
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Albert Ostermaier • Bibliothek Suhrkamp 1377 • BS 1377 • BS1377 • Deutschland • Gewalt • Heiner Müller • Stücke • Theater
ISBN-10 3-518-76097-1 / 3518760971
ISBN-13 978-3-518-76097-0 / 9783518760970
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