Lästige Liebe (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
206 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75895-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lästige Liebe - Elena Ferrante
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Lästige Liebe ist ein psychologisches Meisterwerk von schwindelerregender Genauigkeit: eine Mutter-Tochter-Geschichte über Liebe und Hass und den unlösbaren Knoten aus Lügen, Eifersucht und Gewalt, der die beiden - schicksalhaft - aneinanderbindet.

Dreimal ruft sie an, sie klingt verstört, und eigentlich sollte sie im Zug nach Rom sitzen, unterwegs zu Delia, ihrer Tochter. Wenig später wird ihre Leiche an Land gespült. Zur Beerdigung kehrt Delia nach Neapel zurück, in die chaotische Heimatstadt, in ihre verhasste Vergangenheit. Und sie bleibt, denn sie muss die Wahrheit wissen: Warum starb ihre Mutter? Und welche Rolle spielt Caserta, ein ehemaliger Freund ihres Vaters, der plötzlich wieder auftaucht? Er jedenfalls scheint der Letzte zu sein, der die Mutter lebend gesehen hat. Zunehmend verzweifelt, läuft Delia durch die Gassen der Stadt und entwirrt Erinnerungen, die sie lange unterdrückt hatte. Noch ahnt sie nicht, wie schutzlos sie sein wird, gegen das Geheimnis ihrer eigenen Kindheit ...



<p>Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus <em>Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege</em> und <em>Die Geschichte des verlorenen Kindes</em> - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane <em>Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens</em> und <em>Frau im Dunkeln,</em> sowie der Band <em>Frantumaglia</em>, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.</p>

Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga – bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes – ist ein weltweiter Bestseller. Ab 2018 erscheinen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes jüngster Band Frantumaglia sowie ihre früheren Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln in neuer Übersetzung. Karin Krieger übersetzt vorwiegend aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Claudio Magris, Anna Banti, Armando Massarenti, Margaret Mazzantini, Ugo Riccarelli, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco und Giorgio Fontana. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und erhielt 2011 den Hieronymusring.

I


Meine Mutter ertrank in der Nacht des 23. Mai, an meinem Geburtstag, im Meer vor einem Ort namens Spaccavento, wenige Kilometer von Minturno entfernt. In dieser Gegend hatten wir Ende der fünfziger Jahre, als mein Vater noch bei uns lebte, sommers ein Zimmer in einem Bauernhaus gemietet und schliefen den Juli über zu fünft auf nur wenigen, sehr heißen Quadratmetern. Jeden Morgen tranken wir Mädchen ein rohes Ei, nahmen auf sandigen Wegen eine Abkürzung durch hohes Schilf zum Meer und gingen schwimmen. In der Nacht als meine Mutter starb, klopfte es bei der Besitzerin des Hauses, die Rosa hieß und inzwischen über siebzig war, an die Tür, doch aus Angst vor Dieben und Mördern öffnete sie nicht.

Meine Mutter hatte zwei Tage zuvor, am 21. Mai, den Zug nach Rom genommen, war dort aber nicht angekommen. In letzter Zeit hatte sie mich mindestens einmal im Monat für jeweils ein paar Tage besucht. Ich hatte sie nicht gern in der Wohnung. Sie stand, wie sie es gewohnt war, im Morgengrauen auf und putzte Küche und Wohnzimmer von oben bis unten. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, doch ohne Erfolg. Steif lag ich unter der Bettdecke und hatte das Gefühl, sie verwandelte meinen Körper mit ihrer Geschäftigkeit in den eines kleinen, runzligen Mädchens. Sobald sie mit dem Kaffee kam, rollte ich mich auf die Seite, um zu verhindern, dass sie mich berührte, wenn sie sich auf die Bettkante setzte. Ihre Geselligkeit ging mir auf die Nerven. Sie ging einkaufen und plauderte zwanglos mit den Händlern, mit denen ich in zehn Jahren höchstens ein paar Worte gewechselt hatte, schlenderte mit ihren Gelegenheitsbekanntschaften durch die Stadt, freundete sich mit meinen Freunden an und erzählte ihnen Geschichten aus ihrem Leben, immer dieselben. Ihr gegenüber konnte ich nur zurückhaltend und unsicher sein.

Beim ersten Anflug von Ungeduld meinerseits fuhr sie nach Neapel zurück. Sie packte ihre Sachen, gab der Wohnung einen letzten Schliff und versprach, bald wiederzukommen. Ich ging durch die Zimmer und ordnete alles, was sie nach ihrem Geschmack umgeräumt hatte, wieder nach meinem Geschmack. Ich stellte den Salzstreuer in das Fach, in dem ich ihn seit Jahren aufbewahrte, gab dem Waschmittel den Platz zurück, den ich seit jeher für den besten hielt, zerstörte ihre Ordnung in meinen Schubfächern, überließ mein Arbeitszimmer wieder dem Chaos. Auch der Geruch ihrer Anwesenheit — ein Duft, der Unruhe in die Wohnung gebracht hatte — verflog nach kurzer Zeit wie der Geruch eines Platzregens im Sommer.

Es geschah häufig, dass sie den Zug verpasste. Für gewöhnlich kam sie dann mit dem nächsten oder sogar erst am folgenden Tag, aber ich gewöhnte mich nie daran und machte mir trotzdem Sorgen. Ängstlich rief ich sie an. Wenn ich endlich ihre Stimme hörte, machte ich ihr Vorwürfe: Warum war sie nicht abgereist, warum hatte sie mir nicht Bescheid gesagt? Sie rechtfertigte sich halbherzig und fragte amüsiert, was ihr nach meiner Vorstellung in ihrem Alter denn wohl passieren könne. »Alles mögliche«, antwortete ich. Schon immer hatte ich mir Hinterhalte ausgemalt, die eigens dazu ausgeheckt waren, sie vom Erdboden verschwinden zu lassen. Als kleines Mädchen hatte ich am Küchenfenster auf sie gewartet, wenn sie nicht da war. Ich sehnte mich danach, dass sie am Ende der Straße auftauchte wie eine Gestalt in einer Kristallkugel. Ich behauchte die Scheibe, um die Straße ohne sie nicht sehen zu müssen. Wenn sie sich verspätete, wurde meine Angst so unbezähmbar, dass ich am ganzen Körper zu zittern begann. Dann flüchtete ich mich in einen Verschlag ohne Fenster und ohne elektrisches Licht, direkt neben dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich schloss die Tür, saß im Dunkeln und weinte still vor mich hin. Diese Abstellkammer war ein gutes Gegenmittel. Das Entsetzen, das sie in mir auslöste, hielt meine Sorgen um das Schicksal meiner Mutter im Zaum. In der undurchdringlichen, vom DDT stickigen Finsternis bedrängten mich bunte Figuren, die sekundenlang vor meinen Augen tanzten und mir den Atem nahmen. »Wenn du nach Hause kommst, bringe ich dich um«, dachte ich, als hätte sie mich dort eingesperrt. Aber sobald ich im Flur ihre Stimme hörte, schlüpfte ich eilig heraus, um dann teilnahmslos um sie herumzustreichen. Dieser Verschlag fiel mir wieder ein, als ich bemerkte, dass sie zwar wie geplant abgefahren, aber nicht angekommen war.

Am Abend erhielt ich den ersten Anruf. In einem ruhigen Ton sagte meine Mutter, sie könne mir nichts erzählen, ein Mann sei bei ihr, der sie daran hindere. Dann lachte sie los und legte auf. Zunächst überwog mein Erstaunen. Ich hielt das Ganze für einen Scherz und fand mich damit ab, auf einen zweiten Anruf warten zu müssen. Ich ließ die Stunden mit Mutmaßungen verstreichen, saß vergebens am Telefon. Erst nach Mitternacht wandte ich mich an einen befreundeten Polizisten, der sehr nett war. Er riet mir, ruhig zu bleiben, er werde sich der Sache annehmen. Doch die Nacht verging, ohne dass man etwas von meiner Mutter hörte. Sicher war nur, dass sie abgereist war. Die Witwe De Riso, eine alleinstehende Frau ihres Alters, mit der sie seit fünfzehn Jahren abwechselnd Phasen guter Nachbarschaft und Phasen der Feindschaft durchlebte, hatte mir am Telefon gesagt, dass sie sie zum Bahnhof gebracht habe. Während meine Mutter angestanden habe, um sich eine Fahrkarte zu besorgen, habe sie ihr eine Flasche Mineralwasser und eine Zeitschrift gekauft. Der Zug sei voll gewesen, doch meine Mutter habe trotzdem in einem Abteil voller Soldaten auf Urlaub einen Platz am Fenster gefunden. Sie hätten sich beim Abschied gegenseitig ermahnt, auf sich aufzupassen. Was sie getragen habe? Das Übliche, Sachen, die sie seit Jahren besaß: ein blaues Kostüm, eine schwarze Lederhandtasche, alte Schuhe mit halbhohem Absatz, dazu einen abgewetzten, kleinen Koffer.

Morgens um sieben rief meine Mutter erneut an. Obwohl ich sie mit Fragen bestürmte (»Wo bist du? Von wo aus rufst du an? Wer ist bei dir?«), überschüttete sie mich nur lautstark mit unflätigen Ausdrücken im Dialekt, die sie genüsslich artikulierte. Dann legte sie auf. Diese Obszönitäten lösten einen wüsten Rückfall in alte Gewohnheiten bei mir aus. Ich rief erneut meinen Freund an, den ich mit einer wirren Mischung aus Italienisch und dialektalen Wendungen verblüffte. Er erkundigte sich, ob meine Mutter in letzter Zeit besonders niedergeschlagen gewesen sei. Das wusste ich nicht. Ich räumte ein, dass sie anders geworden sei, sorglos und gelassen vergnügt. Sie lache grundlos und rede zu viel, aber alte Menschen seien ja oft so. Mein Freund sah das genauso. Mit Beginn der heißen Jahreszeit täten alte Leute ständig merkwürdige Dinge, kein Grund zur Besorgnis. Doch ich machte mir weiterhin Sorgen, lief kreuz und quer durch die Stadt und suchte Amalia an Orten, von denen ich wusste, dass sie gern dort hinging.

Der dritte Anruf kam abends um zehn. Meine Mutter erzählte eine verworrene Geschichte von einem Mann, der sie verfolge, um sie in einen Teppich gerollt wegzuschaffen. Sie bat mich, ihr schnell zu Hilfe zu kommen. Ich flehte sie an, mir zu sagen, wo sie sei. Da änderte sich ihr Ton, sie antwortete: Lieber nicht. »Schließ dich ein, und mach niemandem auf«, riet sie mir. Dieser Mann wolle auch mir etwas antun. Sie fügte hinzu: »Geh schlafen. Ich nehme jetzt ein Bad.« Dann war nichts mehr zu hören.

Tags darauf entdeckten zwei Jungen wenige Meter vom Ufer entfernt ihren Leichnam im Wasser. Sie trug nur einen BH. Ihren Koffer fand man nicht. Auch ihr blaues Kostüm nicht. Und ebenso wenig ihren Slip, ihre Strümpfe, ihre Schuhe, ihre Handtasche mit den Papieren. Doch an ihrem Ringfinger steckten ihr Verlobungsring und der Ehering. Und sie trug die Ohrringe, die mein Vater ihr ein halbes Jahrhundert zuvor geschenkt hatte.

Ich sah den Leichnam, und angesichts dieses fahlen Körpers war mir, als müsste ich mich an ihm festklammern, um nicht sonst wo zu landen. Er war nicht vergewaltigt worden. Hatte nur ein paar blaue Flecken von den Klippen, gegen die er die ganze Nacht lang von sanften Wellen gespült worden war. Rings um die Augen glaubte ich die Reste eines sehr starken Make-ups zu erkennen. Lange und mit Unbehagen betrachtete ich die olivbraunen, für eine dreiundsechzigjährige Frau ungewöhnlich jugendlichen Beine. Mit demselben Unbehagen stellte ich fest, dass der BH sich sehr von den verschlissenen unterschied, die sie normalerweise trug. Die Körbchen waren...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2018
Übersetzer Karin Krieger
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel L'amore molesto
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bücher bestseller 2018 • Elena Ferrante • Erinnerung • Familiengeschichte • Ferrante • geschenke für mama • Italien • L'amore molesto deutsch • Mutter-Tochter-Beziehung • Mutter und Tochter • mysteriöser Tod • Mystery • Neapel • Psycho • Psychothriller • Rom • Schuld • spiegel bestsellerliste • Spiegel Bestseller Liste • Spiegel Bestseller-Liste • Spiegel Bestsellerliste aktuell • ST 5074 • ST5074 • suhrkamp taschenbuch 5074 • Suspense • Thriller • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-518-75895-0 / 3518758950
ISBN-13 978-3-518-75895-3 / 9783518758953
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