Äquatoria (eBook)

Auf den Spuren von Pierre Savorgnan de Brazza. Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
352 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30992-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Äquatoria -  Patrick Deville
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Schon als Kind packte ihn das Entdeckungsfieber. In Frankreichs Auftrag reist Pierre Savorgnan de Brazza durch Gabun, Angola, Algerien, in den Kongo, an die Ufer des Tanganjikasees und nach Sansibar. Brazza wird zum Nationalhelden. Als er später der brutalen Gewaltherrschaft der kolonialen Regimes begegnet, wird sein Bericht im Tresor des Ministeriums weggesperrt. Brazza war der einzige der großen »Entdecker«, der nicht die Augen vor dem Unrecht verschloss. Patrick Deville reist auf seinen Spuren durchs Kongo-Becken, berichtet von den Zeitgenossen Livingston und Stanley, aber auch von Albert Schweitzer und seinem Klavier, von Patrice Lumumba, Joseph Conrad, Mobutu und besucht Humphrey Bogart am Set von »African Queen«.

Patrick Deville, geboren 1957, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie in Nantes und arbeitete dort anfänglich als Dozent. Er lebte in den 1980er Jahren im Nahen Osten, in Nigeria und Algerien. In den 1990er Jahren besuchte er Kuba, Uruguay, Mittelamerikanische Staaten und Staaten des ehemaligen Ostblocks. Er gründete und leitet die »Maison des écrivains étrangers et des traducteurs« und deren Zeitschrift Meet. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als »bester Roman des Jahres« der Zeitschrift Lire, mit dem Fnac-Preis und dem Prix Femina.

Patrick Deville, geboren 1957, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Philosophie in Nantes und arbeitete dort anfänglich als Dozent. Er lebte in den 1980er Jahren im Nahen Osten, in Nigeria und Algerien. In den 1990er Jahren besuchte er Kuba, Uruguay, Mittelamerikanische Staaten und Staaten des ehemaligen Ostblocks. Er gründete und leitet die »Maison des écrivains étrangers et des traducteurs« und deren Zeitschrift Meet. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als »bester Roman des Jahres« der Zeitschrift Lire, mit dem Fnac-Preis und dem Prix Femina.

Pierre und John


Diese beiden werden sich mehrmals begegnen, das erste Mal im Kongo und das zweite Mal in Paris. John Rowlands hat bereits zwei Mal seinen Namen geändert. Er ist elf Jahre älter. Sogar ihre körperliche Erscheinung könnte nicht gegensätzlicher sein. John ist von mittlerer Größe, gedrungen, kräftig gebaut, ein Muskelpaket mit einem buschigen Schnauzbart quer über das runde Gesicht. Seit er der Armut entkommen ist, kleidet er sich immer sehr elegant. Er raucht eine Bruyère-Pfeife und trägt einen Dolman mit Husarenlitzen, wie sie nur noch Dompteure tragen. Brazza, schwarzer Vollbart und blaue Augen, schleppt seinen langen, mageren Körper mit der Silhouette eines arabischen Fürsten ein wenig gebeugt mit sich herum. Man weiß, dass er zwei kleine Schwächen hat, für Zigaretten und für Kaffee.

Die Zeitungen werden diese Unterschiede, die Sanftheit und Menschlichkeit des reichen Aristokraten und die entsetzliche Härte des Mannes ohne Herkunft, noch jahrelang übertreiben, sie einander wie Pfeilspitzen entgegenschleudern. Er, John Rowlands, weiß, dass er weder Jupiters Lenden noch denen des Kaisers Severus entsprungen ist, dass er sein Dasein einem zufälligen und sogleich bereuten Geschlechtsakt und dem Mangel an Verhütungsmitteln verdankt. Er ist wie Augusto César Sandino die Frucht einer Dienstmädchen-Affäre. In beiden Fällen ist es die alte Geschichte vom reichen Bauern und seiner Magd. Und wenn man an die Stärke, an die außerordentliche Kraft denkt, die diese Bastarde in den Dienst ihrer abenteuerlichen Unternehmungen stellen, könnte man sich eine Wiedereinsetzung des Ius primae noctis der reichen Bauern gegenüber ihren Leibeigenen vorstellen.

Das Hausmädchen heißt Elizabeth Parry und bringt ihn am 28. Januar 1841 im walisischen Denbigh zur Welt, dann lässt sie ihn im Stich, wie ihn auch sein Vater, sein Großvater und seine Onkel im Stich lassen werden. Einige Jahre später entkommt er den Peinigern in einem Waisenhaus, dessen Beschreibung man im zeitgenössischen Werk von Dickens nachlesen kann. Er heuert als Schiffsjunge auf der Windermere an, die Kurs auf Amerika nimmt, geht in New Orleans in dem Augenblick von Bord, als der Abenteurer und kurzzeitige Präsident von Nicaragua, William Walker, denselben Hafen zu seiner letzten katastrophalen Expedition verlässt und Richtung Honduras segelt, um sich am Strand von Trujillo erschießen zu lassen. Dem jungen Engländer fehlen noch ein paar Jährchen, sonst könnte er sich diesen Heißspornen anschließen. Noch ist er ein beschäftigungsloser Jugendlicher, der auf den Kais herumlungert. Dort trifft er Henry Stanley, einen Händler, der Zuneigung zu ihm fasst, ihn adoptiert, aus ihm einen Handelsgehilfen in einem Kaufladen in Arkansas macht, bevor er auf einer Reise nach Havanna stirbt. Er hat nicht aufgehört, einen Vater für sich zu suchen, nimmt schon dessen Namen an.

Er nennt sich jetzt Henry Stanley, und der Sezessionskrieg ist in vollem Gange. Er ist vor Ort, also kämpft er auf Seiten der Konföderierten und wird im April 1862 bei der Schlacht von Shiloh gefangen genommen. Ohne Bedenken erklärt er sich bereit, in die feindliche Armee der Unionisten einzutreten, doch aus gesundheitlichen Gründen wird er als dienstuntauglich entlassen. Er verdingt sich bei Bauern in Maryland, dann sucht er, wie Sandino und viele vaterlose Söhne, sein Glück wieder bei der Marine. 1864 fährt er zur See, von der Karibik bis nach Spanien, Italien, wo der junge zwölfjährige Brazza in Begleitung Montaignacs Rom Richtung Paris verlässt. Ebenfalls in diesem Jahr bricht Livingstone von seinem letzten Besuch in England wieder auf, um die Quellen des Nils zu suchen, nachdem er sich in das einstige Anwesen Lord Byrons in Newstead Abbey zurückgezogen und dort die Niederschrift seines Berichts Neue Missionsreisen in Südafrika: unternommen im Auftrage der englischen Regierung; Forschungen am Sambesi und seinen Nebenflüssen beendet hatte.

Einige Monate später verlässt Stanley die Marine und wird Führer eines Trecks von Einwanderern Richtung Far West. Er beginnt Reportagen an die Zeitungen der Ostküste zu senden, die er mit Henry Morton Stanley zeichnet. Er berichtet von den Indianerkriegen. Endlich hat er seinen Namen gefunden und entdeckt, was in ihm steckt.

Der Aufstieg als Journalist führt ihn schnell vom Missouri Democrat zum New York Herald. Er wird nach Smyrna entsandt, für kurze Zeit in der Türkei inhaftiert, verfolgt 1867 in Abessinien den Feldzug der Engländer gegen den Negus Theodor II. Bei einem Aufenthalt in Spanien erhält er das Telegramm, dass ein Leben von Grund auf ändern wird. Am Anfang seines Buchs Wie ich Livingstone fand schreibt er darüber: »Am 16. Oktober 1869 war ich von den Kämpfen bei Valencia soeben in Madrid angekommen. Um zehn Uhr vormittags überreicht mir Jacopo in der Calle de la Cruz ein Telegramm, welches lautet: ›Kommen Sie sofort nach Paris wegen wichtiger Geschäfte.‹« Unterzeichnet ist das Telegramm mit James Gordon Bennett Jr., Direktor des New York Herald, der ihn bittet, sich auf die Suche nach dem Forschungsreisenden zu machen, von dem seit drei Jahren niemand mehr etwas gehört hat.

Der Mann, der sich rühmt, so schnell wie ein Zug zu leben, muss zuerst die laufenden Geschäfte erledigen. Er reist zur Einweihung des Suezkanals, fährt den Nil hinauf nach Oberägypten, erreicht nach einem Abstecher nach Jerusalem die Türkei, um von dort über den Krimkrieg zu berichten. Er besucht in Tiflis den Gouverneur von Kaukasien, Großfürst Michael Nikolajewitsch Romanow, in Teheran den russischen Botschafter. Im Juli ist er in Maskat im Sultanat Oman, im August 1870 kommt er in Indien an. Stanley wird weder über die Niederlage der Franzosen bei Sedan noch über die Pariser Commune berichten. Am 12. Oktober geht er in Bombay an Bord der Polly, die nach Mauritius ausläuft. Er wirbt den Bootsmann William Lawrence Farquhar an, erreicht mit ihm gemeinsam die Seychellen, treibt in Mahé einen amerikanischen Walfänger auf, der nach Sansibar ausläuft, wo er am 6. Januar 1871 an Land geht, einen zweiten Assistenten, Shaw, anheuert, sowie Sidi Mubarak Bombay, der bereits John Hanning Speke und Richard Francis Burton, den Entdeckern des Tanganjikasees, als Führer gedient hat. Die Expedition des Journalisten versammelt hundertzweiundneunzig Männer und führt achteinhalb Tonnen Material, siebenundzwanzig Esel und zwei Pferde mit, die als Erste sterben werden. Sie brechen vor dem Aprilmonsun in Bagamoyo auf, schlagen den Weg nach Tabora ein, die Karawanserei der arabischen Sklavenhändler auf den ausgedörrten Ebenen.

Am 10. November 1871, nach Monaten der Suche und der Gewaltmärsche, nach Zusammenstößen mit der einheimischen Bevölkerung, deren Gebiete er schnurgerade und mit Karabinersalven durchquert, nachdem sich die Träger davongemacht haben und zuerst Farquhar, dann Shaw gestorben ist, spricht Stanley in dem Dorf Ujiji am Ufer des Tanganjikasees endlich den berühmtesten Satz seines ersten Buchs. Man stößt mit warmem Champagner in Silberschalen an.

Der Reporter könnte sich sofort auf den Rückweg machen, seine Aufzeichnungen veröffentlichen und die Lorbeeren einheimsen. Fünf Monate lang wird gegenseitige Faszination und Freundschaft die beiden, den Waliser und den Schotten, aneinanderfesseln. Stanley hatte bis dahin noch nie einen Mann getroffen, der es wert gewesen wäre. Fünf Monate lang bleibt er bei Livingstone, der es ablehnt, Afrika zu verlassen. Der zahnlose Greis von achtundfünfzig Jahren möchte vor seinem Tod herausfinden, ob der Fluss, den er Lualaba nennt, sein Wasser in den Nil trägt. Der verlassenste aller Waisenjungen hat sich einen Vater erwählt. Denn zweifellos ist es noch schrecklicher, niemanden mehr übertreffen zu können, so dass der Wettlauf nie zu Ende geht. Er hat seinen Horizont gefunden. Er wird Livingstones Werk zu Ende führen, von dem er sich schließlich verabschiedet. Livingstone stirbt am 1. Mai 1873 in dem Dorf Chitambo. Seine afrikanischen Freunde begraben sein Herz unter einem Baum, entfernen die Innereien aus seinem Körper und trocknen ihn in der Sonne, bevor sie ihn bis zum Indischen Ozean tragen, um ihn den Engländern zu übergeben.

Als Stanley 1904 im rollenden Korbsessel mit dem Plaid auf den Knien in seinem großen Haus in London seinem Ende entgegensieht, wird er jeden Abend den kupfernen Gegenstand auf einem Regalbrett seiner Bibliothek betrachten, den Sextanten von Livingstone, den man im Marschgepäck des Toten gefunden hatte. Nachdem man die Väter endlich getötet hat, empfindet man natürlich große Sehnsucht nach ihnen. Man weint, allein, halbseitig gelähmt, in einem rollenden Korbsessel mit einem Glas Whisky in der Hand.

Und man erinnert sich daran, Afrika zwei Mal ganz durchquert zu haben.

Im November 1874, eineinhalb Jahre nach Livingstones Tod, nutzt Stanley die Gelder, die der New York Herald und der Londoner Daily Telegraph gesammelt haben, und organisiert von Sansibar aus seine große Expedition. Dreihundertsechzig Männer setzen sich in Marsch, dreihundertsechsundfünfzig Sansibaris, von denen zweihundertvierzig unterwegs sterben werden, drei Europäer, die ebenfalls sterben werden, und schließlich Stanley. Sie brechen von Sansibar auf in das Gebiet der Seen, ziehen zusammen mit Männern des Sklavenhändlers Tippu Tip Livingstones Lualaba hinauf nach Norden, folgen dessen Kurve, bis er wieder zum tropischen Regenwald...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2018
Übersetzer Holger Fock, Sabine Müller
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte African Queen • Afrika • Biografie • Che Guevara • David Livingstone • Frankreich • Humphrey Bogart • Kolonialismus • Kongo • Morton Stanley • Pierre Savorgnan de Brazza • Sklaverei
ISBN-10 3-293-30992-5 / 3293309925
ISBN-13 978-3-293-30992-0 / 9783293309920
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