Das Buch der seltsamen neuen Dinge (eBook)

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
688 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9386-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Buch der seltsamen neuen Dinge -  Michel Faber
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Der junge Pastor Peter Leigh wird auf die Reise seines Lebens geschickt: Er soll den Einwohnern eines fernen Planeten seinen Glauben näherbringen. Die Mission verlangt von Peter ein enormes Opfer, denn seine Frau Bea muss auf der Erde zurückbleiben und durchlebt dort eine schwierige Zeit. Noch nie in der Geschichte der Menschheit musste eine Liebe eine derart große Distanz überbrücken. Wird es gelingen? »Das Buch der seltsamen neuen Dinge« ist eine unvergessliche Liebesgeschichte mit einem einzigartigen Setting und einer emotionalen Präzision, die direkt ins Herz fährt. Dieser Roman ist ein monumentales Meisterwerk, das sich über alle Genregrenzen hinwegsetzt. »Der bewegendste Abschiedsroman, den ich je gelesen habe.« Clemens J. Setz »Furios. Lesend bei sich sein und doch nicht von dieser Welt - das ging lang nicht so gut wie mit diesem Roman.« Die Zeit »Ein berührendes Buch über große Liebe, Sehnsucht und Verlust.« Brigitte

MICHEL FABER ist in den Niederlanden geboren, wuchs in Australien auf und lebt heute in England. Er ist Autor von neun Romanen, darunter Die Weltenwanderin (verfilmt als Under the Skin) sowie Das karmesinrote Blütenblatt, für die er mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet wurde. Sein neuester Roman Das Buch der seltsamen neuen Dinge wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurde in vielen Ländern zum Bestseller.

1Vierzig Minuten später war er in den Wolken


»Ich wollte noch was sagen«, sagte er.

»Dann sag es«, erwiderte sie.

Er schwieg und behielt die Straße im Blick. In der Dunkelheit am Stadtrand war nichts zu sehen außer den Rücklichtern anderer Wagen in der Ferne, dem endlos abrollenden Asphaltstreifen, dem riesigen, zweckbestimmten Zubehör einer Autobahn.

»Gott ist vielleicht enttäuscht, dass ich das überhaupt denke«, sagte er.

»Er weiß es so oder so schon«, seufzte sie. »Da kannst du es mir ruhig sagen.«

Er schaute ihr ins Gesicht, um zu sehen, aus welcher Stimmung heraus sie das gesagt hatte, doch die obere Hälfte ihres Kopfs einschließlich der Augen lag im Schatten des getönten Rands der Windschutzscheibe. Die untere Hälfte ihres Gesichts war mondhell. Der Anblick ihrer Wange, ihrer Lippen, ihres Kinns – so vertraut, so sehr Teil des Lebens, wie er es kannte – versetzte ihm bei dem Gedanken, sie entbehren zu müssen, einen scharfen Stich.

»Mit künstlicher Beleuchtung sieht die Welt netter aus«, sagte er.

Sie fuhren schweigend weiter. Radiogeschnatter oder Berieselung durch Musik vom Band ertrugen sie beide nicht. Auch darin passten sie zueinander.

»Wars das?«, fragte sie.

»Ja. Was ich damit sagen will … die unberührte Natur gilt doch als das Nonplusultra und alles vom Menschen Geschaffene als Schande, weil er alles nur zumüllt. Aber wir hätten nicht halb so viel Spaß an der Welt, wenn wir – wenn der Mensch … die Menschheit, meine ich …«

(Mach schon, besagte ihr Brummen.)

»… wenn wir nicht alles mit künstlichem Licht versehen hätten. Elektrisches Licht ist wirklich ein Gewinn. Es macht Nachtfahrten wie diese erträglich. Schön sogar. Stell dir doch mal vor, wir müssten hier im Stockdunkeln fahren. Denn das ist ja der natürliche Zustand der Welt bei Nacht, oder? Völlige Dunkelheit. Stell es dir nur mal vor. Du hättest keine Ahnung, wo es langgeht, könntest höchstens ein paar Meter weit sehen. Ganz schön stressig. Und wolltest du zu einer Stadt – na, in einer nichttechnisierten Welt gäbe es wohl keine Städte –, aber wolltest du irgendwohin, wo andere Menschen leben, naturnah leben, vielleicht um ein paar Lagerfeuer herum … die würdest du erst sehen, wenn du wirklich da bist. Nichts wärs mit dem zauberhaften Anblick, den dir eine Stadt aus ein paar Kilometern Entfernung bietet mit ihrem Lichtergefunkel, wie Sterne über den Bergen.«

»Mhm.«

»Und im Auto selbst … oder in der Pferdekutsche, falls es in dieser natürlichen Welt keine Autos gäbe, wäre es auch stockdunkel. Und in einer Winternacht sehr kalt. Was aber haben wir hier?« Er nahm eine Hand vom Steuer (beim Fahren hielt er beide Hände immer symmetrisch am Lenkrad) und wies auf das Armaturenbrett. Die üblichen Lämpchen strahlten sie an. Temperatur. Uhrzeit. Kühlwasser. Öl. Tempo. Tankanzeige.

»Peter …«

»Schau mal da!« Mehrere Hundert Meter voraus stand eine kleine überladene Gestalt im Schein einer Laterne. »Ein Anhalter. Den nehmen wir mit, ja?«

»Nein.«

Ihr Tonfall hielt ihn davon ab, ihr zu widersprechen, so selten sie auch eine Gelegenheit ausließen, sich Fremden gegenüber freundlich zu zeigen.

Der Anhalter hob hoffnungsvoll den Kopf. Als ihn die Scheinwerfer erfassten, wurde aus der schemenhaften menschlichen Erscheinung sekundenlang eine erkennbare Person. Er hielt ein Schild mit der Aufschrift hethrow hoch.

»Seltsam«, meinte Peter im Vorbeirauschen. »Er könnte doch einfach die U-Bahn nehmen.«

»Letzter Tag auf der Insel«, sagte Beatrice. »Letzte Gelegenheit, was zu erleben. Wahrscheinlich hat er sein britisches Geld in einer Kneipe aufgebraucht und gedacht, ich brauch ja bloß noch genug für die Bahn. Sechs Gläser später steht er im Freien und stellt ernüchtert fest, dass er nur noch sein Flugticket und ein Pfund siebzig hat.«

Es klang plausibel. Warum dann aber so ein verlorenes Schaf in der Patsche sitzen lassen? Das sah Bea nicht ähnlich.

Er wandte sich wieder ihrem halb im Dunkeln liegenden Gesicht zu und sah zu seiner Bestürzung, dass an ihrem Kinn und ihren Mundwinkeln Tränen glitzerten.

»Peter …«, sagte sie.

Wieder nahm er eine Hand vom Steuer, diesmal, um ihr die Schulter zu drücken. Weiter vorn hing ein Schild mit einem Flugzeugsymbol über der Fahrbahn.

»Das ist unsere letzte Gelegenheit, Peter.«

»Die letzte Gelegenheit?«

»Uns zu lieben.«

Die Kontrolllichter blinkten sanft und machten tick-tick-tick, als Peter auf die Fahrspur Richtung Flughafen lenkte. Die Worte »uns lieben« schmissen sich an sein Gehirn und wollten hinein, obwohl da kein Platz war. »Das ist nicht dein Ernst«, hätte er beinahe gesagt. Aber auch wenn sie einen feinen Humor hatte und gern lachte, in wichtigen Dingen scherzte sie nie.

Im Weiterfahren machte sich das Gefühl, dass sie nicht auf einer Wellenlänge waren, dass sie in diesem kritischen Augenblick unterschiedliche Bedürfnisse hatten, wie ein unangenehmer Gast im Wagen breit. Seiner Meinung, seinem Gefühl nach hatten sie sich gestern Morgen richtig verabschiedet, und die Fahrt zum Flughafen war jetzt nur … eine Art Nachtrag. Gestern Morgen hatte alles so gestimmt. Sie waren endlich durch mit ihrer To-do-Liste. Seine Tasche war schon gepackt. Bea hatte den Tag frei, sie hatten tief und fest geschlafen, waren bei strahlendem Sonnenschein unter der warmen gelben Bettdecke aufgewacht. Sie hatten Joshua, den Kater, der sich auf fast komische Weise zu ihren Füßen zusammengerollt hatte, weggeschubst und sich wortlos, langsam und mit großer Zärtlichkeit geliebt. Hinterher war Joshua wieder aufs Bett gesprungen und hatte Peter vorsichtig eine Pfote aufs Schienbein gelegt, als wollte er sagen: Geh nicht weg, ich behalt dich hier. Es war ein ergreifender Augenblick gewesen, der die Lage besser zum Ausdruck gebracht hatte, als Sprache es gekonnt hätte; vielleicht hatte die Katze mit ihrer fremdartigen Niedlichkeit auch nur einen Schutzpelz um den blanken menschlichen Schmerz gelegt. Wie auch immer. Es war perfekt gewesen. Sie hatten einander in den Armen gelegen und Joshuas kehligem Schnurren gelauscht, während ihr Schweiß in der Sonne verdunstete und ihr Puls sich langsam wieder beruhigte.

»Einmal noch«, sagte sie jetzt zu ihm durch den Lärm des Motors auf der dunklen Autobahn, unterwegs zu dem Flugzeug, das ihn nach Amerika und noch weiter weg bringen würde.

Er sah auf die Funkuhr am Armaturenbrett. In zwei Stunden sollte er am Check-in-Schalter sein; zum Flughafen waren es noch rund fünfzehn Minuten.

»Du bist wunderbar«, sagte er. Wenn er den Wörtern genau die richtige Betonung gab, würde sie vielleicht einsehen, dass sie das von gestern nicht übertreffen könnten.

»Ich will nicht wunderbar sein«, sagte sie. »Ich will dich in mir.«

Er schwieg für ein paar Sekunden. Auch die Kunst, sich veränderten Gegebenheiten schnell anzupassen, hatten sie gemein.

»Direkt am Flughafen gibt es diese grässlichen Tagungshotels«, sagte er. »Wir könnten uns für eine Stunde ein Zimmer nehmen.« Das »grässlich« bedauerte er, es hörte sich an, als wollte er sie davon abbringen, ohne es zuzugeben. Dabei sollte es nur heißen, dass es Hotels waren, die sie nach Möglichkeit sonst mieden.

»Such uns eine ruhige Parkbucht«, sagte sie. »Wir können es im Auto machen.«

»Verdampft!«, rief er, und beide lachten.

»Verdampft!« statt »Verdammt!« zu sagen hatte er sich antrainiert, als er Christ geworden war. So konnte er den Fluch noch abfangen, wenn er schon halb heraus war.

»Ich meine es ernst«, sagte sie. »Halte irgendwo – vielleicht nur nicht da, wo uns jemand hinten drauffahren kann.«

Im Weiterfahren wirkte die Straße plötzlich anders auf Peter. Theoretisch war es noch derselbe Asphaltstreifen, begrenzt vom selben Zubehör und denselben dünnen Metallzäunchen, doch ihr neuer Plan hatte die Straße verändert. Es war jetzt keine gerade Linie zu einem Flughafen mehr, sondern ein geheimnisvolles Hinterland der dunklen Umwege und Schlupflöcher. Wieder ein Beweis dafür, dass die Wirklichkeit nichts Objektives war, sondern ständig von uns umgeformt wurde.

Natürlich war jeder imstande, die Wirklichkeit umzugestalten. Darüber unterhielten sich Peter und Beatrice oft. Über die Schwierigkeit, den Leuten klarzumachen, dass das Leben nur so trostlos und einengend war, wie man es wahrnahm. Die Schwierigkeit, den Leuten zu vermitteln, dass die Unabänderlichkeiten des Daseins gar nicht so unabänderlich waren. Die Schwierigkeit, ein einfacheres Wort für »unabänderlich« zu finden.

»Hier vielleicht?«

Statt zu antworten legte Beatrice ihm nur die Hand auf den Oberschenkel. Er lenkte den Wagen elegant auf einen Lkw-Parkplatz. Sie würden darauf vertrauen müssen, dass es nicht zu Gottes Plan gehörte, sie von einem Vierzigtonner plattfahren zu lassen.

»Ich habe das noch nie gemacht«, sagte er, als er die Zündung ausgeschaltet hatte.

»Meinst du, ich?«, sagte sie. »Wir kriegen das schon hin. Komm mit nach hinten.«

Sie stiegen auf beiden Seiten aus und waren Sekunden später auf der Rückbank wieder vereint. Wie Fahrgäste saßen sie da, Schulter an Schulter. Die Sitzpolster rochen nach anderen Leuten – Freunden, Nachbarn, Mitgliedern ihrer Kirchengemeinde, Anhaltern. Umso mehr zweifelte Peter daran, ob er hier und jetzt lieben...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2018
Übersetzer Malte Krutzsch
Sprache deutsch
Original-Titel The Book of Strange New Things
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abschied • Ausserirdische • Bestseller • Beziehungsgeschichte • Bibel • Briefe • Distanz • Ehe • Entfernung • Fremde • Galaxien • Glaube • Gott • Gottesfurcht • Kolonialisierung • Krise • Lichtjahre • Liebe • Liebesgeschichte • Missionar • Pastor • Planeten • Reise • Roman • Tod • Welten • Weltraumkolonie • Weltraumreise • Wolkenatlas • Zukunft
ISBN-10 3-0369-9386-X / 303699386X
ISBN-13 978-3-0369-9386-7 / 9783036993867
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