Du wirst mich doch nicht vergessen? -

Du wirst mich doch nicht vergessen? (eBook)

Briefe von Fritz Kalsche (Artillerie-Regiment 187, 1940/41)

Stefan Heikens (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
380 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7460-8425-1 (ISBN)
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'Jetzt erst sieht man das große Schlachtfeld. Pferdekadaver, unheimlich aufgebläht, Kampfwagen, Lastkraftwagen, Kräder, Protzen, tote Neger, alles liegt dort umher. Ganze französische Feuerstellungen mit Haubitzen vom Jahrgang 17. Bombeneinschläge längs der Straße. Alle Orte zertrümmert. Das Vieh aufgedunsen und verreckt. Und über uns ziehen die deutschen Kampf- und Jagdflugzeuge unablässig ihre Bahn.' Was fühlt man, wenn man als 18-jähriger in die Wehrmacht eintritt und dort schon bald grausamste Verbrechen verübt? Ist es Stolz? Hass? Scham? Nachdem Fritz Kalsche 1941 in Russland fällt, macht sich sein Vater auf die Suche nach Antworten. Er sammelt die Feldpostbriefe seines Sohnes, durchforstet Schulaufsätze und liest die letzten Tagebucheinträge aus dem Felde. Doch dabei wird ihm schon bald klar, dass diese Antwort gar nicht so leicht zu finden ist. Wie vielschichtig das Denken seines Sohnes war, beweist dieses Buch, zusammengestellt aus Originaldokumenten und kommentiert vom Vater in dem Bestreben, die Erinnerung an seinen Jungen lebendig zu halten. Ein authentisches Zeitzeugnis, das uns alle angeht.

1. Vom Kriegsbeginn bis zum Frankreichfeldzug
26.8.39 - 10.5.40

Am 1.8.1939 war Fritz Unteroffizier geworden. Drei Tage darauf erkrankte er nach einer sehr kalten und nassen Nachtübung in Wildflecken an einer Nierenbeckenentzündung. Am 23.8. besuchte ich ihn noch einmal. Er lag noch fest zu Bett, und der Arzt erlaubte ihm vorläufig kein Aufstehen. Am 27.8.39 wurde ich dann selbst zum Vermessungszug 15 einberufen und erfuhr erst nach Wochen, dass er, da die ihn behandelnden Ärzte einberufen wurden, bei dem Nachfolger seine Entlassung eingereicht hatte. So war er am 31.8. abends sehr blass und schmal, aber feldmarschmäßig ausgerüstet, in Frankfurt bei der Mutter erschienen, um zu seinem Truppenteil, der 1. Battr. Art. Regt. 15, zu fahren.

+++

Fulda, 26.8.39

Liebe Eltern!

Ich sollte gestern geröntgt werden, es ist aber nichts daraus geworden. Und heute sind über Nacht mehrere Ärzte weggeholt worden, da weiß ich wieder nicht, ob es nun steigt. Es ist furchtbar, dass man diese ganze Entwicklung im Bett mitmachen muss. Könnt Ihr mir bitte einen größeren Geldbetrag in die Kaserne überweisen, damit man nicht so ohne Mittel dasteht, wenn man herauskommt, denn unsere Besoldung am 1.9. werden wir wohl kaum empfangen. Mit den besten Grüßen. Euer

Fritz

Fulda, 26.8.39 (19 Uhr)

Liebe Eltern!

Komme trotz meiner Bemühungen und obwohl der Facharzt Dr. Lieberknecht meine Entlassung für durchaus ungefährlich hält, heute noch nicht hier los. Genaue Diagnose nach der Röntgenaufnahme: Zurückgebildete Nierenentzündung und Beckenvergrößerung.

Geld braucht Ihr mir nicht zu schicken, habe heute Besoldung bekommen. Schickt mir bitte die Kartons an die 2./51, wenn noch nicht geschehen. Und eine der grauen Kleiderkisten an die 1. Abt. Art. Regt. 15, Aschaffenburg. Dorthin geht meine Mobverwendung. Ist Vater schon weg? Werde hier wohl bis Montag oder Dienstag bleiben. Euch allen alles Gute, mit herzlichen Grüßen Euer

Fritz

Fulda, 30.8.39

Liebe Eltern!

Ich bin gestern entlassen worden und habe gleich mein Zeug zusammengeholt, sogar meine Spindschlüssel am Koffer wiedergefunden.

Heute muss ich außer dem Marschanzug alles abgeben und fahre nach Aschaffenburg. Es ist möglich, dass ich in Frankfurt unterbrechen kann. Schlüssel zum Koffer habt Ihr ja da. Ich wünsche Euch alles Gute und bin mit den herzlichsten Grüßen, auch an Hans, Euer

Fritz

Aschaffenburg, 31.8.39

Liebe Eltern!

Gestern Morgen habe ich mein Zeug abgegeben, das eigene in Koffer und Karton nach Hause geschickt. Ihr könnt vielleicht die Bücher etwas ordnen, sonst aber möglichst alles beisammen lassen. Mittag nochmal im Krankenhaus. 14 Uhr Abfahrt, um 19 Uhr erst war ich hier. Mit dem einzigen Uffz. der Abteilung aß ich sehr nett zu Abend, heute früh muss ich mich bei dem Hauptmann, den ich schon von Wildflecken kenne, melden. Wahrscheinlich fahre ich alleine nach, was mir auch das Liebste ist. Jedenfalls ist der erste Schritt aus dem Krankenhaus getan. Es grüßt Euch herzlichst Euer

Fritz

2.9.39

Lieber Vater!

Am Dienstag verließ ich das Krankenhaus und konnte am Donnerstag nochmal zu Hause schlafen. Heute habe ich die Truppe erreicht - nach vielem Suchen, bei dem ich alte Bekannte und Kameraden antraf. Bei schönem Wetter ist es hier sehr ruhig. Hoffentlich schaffst Du es gut, mir geht es wieder gut. Es grüßt Dich Dein

Fritz

2.9.39

Liebe Mutter!

Bin heute Abend 16 Uhr glücklich bei meinem

Truppenteil gelandet. In Bingerbrück hatte ich drei Stunden Aufenthalt, dann eine sechsstündige, verdunkelte Eisenbahnfahrt - furchtbar heiß und trostlos öde. Auf meiner Suche habe ich fast alle Bekannten und Kameraden getroffen. Hier ist es sehr ruhig, herrliches Wetter und glänzende Stimmung. Mit den besten Grüssen, auch an Hans, Dein

Fritz

5.9.39

Liebe Mutti!

Ich bin nun schon den vierten Tag hier draußen, und wir leben noch mehr im Ungewissen als Ihr dahinten. Wir kommen uns so ungefähr vor wie: Im Osten kämpft das tapfere Heer, im Westen steht die Feuerwehr. Aber wir sind uns auch darüber klar, dass es im Ernstfall dort die Eisernen Kreuze und bei uns Eisen in Kreuz gibt. Natürlich können wir jeden Tag mit einer Feindhandlung rechnen und sind auch darauf vorbereitet.

Die Bevölkerung hier ist ein Vorbild an Disziplin, Opfer- und Gebefreudigkeit. Mit welcher Ruhe die Leute mit einem Rucksack auf dem Rücken all ihr Hab und Gut im Stich ließen, hättest Du sehen müssen. Mancher Innerdeutscher könnte sich daran ein Beispiel nehmen. All ihr Eingemachtes, Liköre, Kuchen haben sie uns überlassen. Kühe, Ziegen, Schweine, Kaninchen, die seit Freitag frei herumliefen und die Gegend unsicher machten, wurden eingefangen und sind in Heereseigentum übergegangen.

7.9.39

Schon wieder sind zwei Tage herum, und wir haben uns etwas mehr auf die Dauer eingerichtet. Heute haben wir die ersten französischen Aufklärer gesehen, von deutschen Jagdflugzeugen verfolgt. Geschossen wird aber noch nicht, nur in bestimmten Abschnitten. Wir leben bei guter Verpflegung, gestern Kartoffelplätzchen(!), heute Rinderbraten - natürlich selbst zubereitet.

8.9.39

Das Wetter ist heute so wie gestern wundervoll und schon so ganz herbstlich angehaucht. Außer kleinen Verbesserungen in der Stellung haben wir sehr wenig zu tun, verfolgen neidvoll den Verlauf im Osten und kommen uns an dieser Front des Krieges recht komisch vor. Aber schließlich müssen ja auch hier Leute sein. Wenn Ihr wieder Päckchen schicken könnt, bitte ich um ein Frottierhandtuch und einen zusammenklappbaren Stiefelknecht. Im Übrigen hoffe ich, dass es auch Euch gut geht. Mit den herzlichsten Grüßen! Euer

Fritz.

12.9.39

Liebe Mutter!

Hoffentlich ist meine bisherige Post richtig bei Euch angekommen. Ich habe heute RM 60,- weggeschickt, zahlt sie bitte auf mein Postsparbuch ein. Hier herrscht weiter Ruhe für uns, seit gestern haben allerdings die Grenzzwischenfälle, von denen Ihr ja auch gelesen habt, etwas Lärm ausgelöst. Gerade regnet es, aber wir sind im Trockenen, und in seiner Hütte heult unser Hund. Auch wenn Ihr etwas von Vater hört, teilt es mir bitte mit, bis ich von ihm auch Antwort kriege. Ich hoffe, dass es Euch gut geht und grüße Euch alle Drei herzlich. Euer

Fritz

15.9.39

Liebe Mutti!

Schon seit vierzehn Tagen bin ich ohne Nachricht von Euch; das mag seinen Grund darin haben, dass unsere Post - das Gerücht hat zwei Versionen - entweder hier im Westen verloren gegangen oder fälschlicherweise in den Osten verschickt worden ist. Deshalb will ich das Wichtigste nochmal wiederholen: Fragte nach der eigenen Uniform und den Skiern, dann habe ich RM 60,-vom letzten Wehrsold nach Hause geschickt. Hier an der Front ist es weiter ruhig. Außer nächtlichen Ruhestörungen der französischen Artillerie, die geräumte Flughäfen, leere Waldstücke, usw., beschießt und Vorpostgefechten, bei denen auch weiße Leuchtkugeln verschossen werden, sodass es die ganze Nacht hell aufblitzt, spüren wir vom Krieg gar nichts - nur, daß wir kräftig schanzen.

Gesundheitlich geht’s mir sehr gut; ich hoffe, daß Ihr auch noch gut auf dem Damm seid. Mit den herzlichsten Grüßen, Euer

Fritz

Schickt mir mal ein Foto von Euch allen, ich habe überhaupt keins.

20.9.39

Vorgestern bekam ich die erste Post, darunter Hansens Karte vom 16. Heute dann Euer Päckchen, für beides vielen Dank! Tante Eva schickte auch ein paar Zigaretten, und Frau Klausing schrieb mir Friedrich-Karls Adresse. Ein schönes Gefühl, wenn nach drei Wochen die erste Post kommt. Ich habe heute die Wochenausgabe der Frankfurter Zeitung bestellt und gebeten, die Gebühren bei Euch zu erheben.

Vielen Dank für die Nachrichten von zu Hause. Vater hat mir noch gar nicht geschrieben. Schreibt auch mal von Bekannten, Freunden, Nachbarn! Wie geht es Dir denn Mutti? Hans schrieb so lala! Heute haben wir hier wieder schönes Wetter, dann sind wir schon ganz zufrieden. Hoffentlich geht diese langweilige Kriegsform so oder so in etwas mehr Leben über. Gestern schoss sich der Franzmann einen Kilometer von uns seelenruhig ein, und wir müssen stillschweigen.

Mit den besten Grüßen und der Bitte um ein Handtuch, Euer

Fritz

Schickt mir bitte die Reclamheftchen „MacBeth“ und „Hamlet“ aus meinem Bücherbord.

21.9.39

Lieber Vater!

Gestern bekam ich Deine Anschrift auf der Karte vom 10.9. Hast Du meine beiden Briefe, die ich Dir schrieb, noch nicht bekommen? Es ist ja möglich, da auch wir drei Wochen lang gar nichts bekamen und ich gestern die erste Nachricht von zu Hause.

Sonst wird der Krieg wohl hier wie dort gleich langweilig sein. Wir leben hier vorne in Baubaracken und minieren den ganzen Tag, um für den Ernstfall Deckung zu bekommen. Mir selbst geht es...

Erscheint lt. Verlag 27.11.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7460-8425-3 / 3746084253
ISBN-13 978-3-7460-8425-1 / 9783746084251
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