Die Fieberkurve (eBook)

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2017 | 1. Auflage
190 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-7071-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Fieberkurve -  Friedrich Glauser
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Dieses eBook: 'Die Fieberkurve' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Wachtmeister Studer verbringt den Silvester bei seinem Freund Kommissar Madelin in Paris, da seine Frau Hedy wegen der Geburt des ersten Enkels in Frauenfeld weilt. Dabei lernt Studer Pater Matthias kennen, der in Marokko und Algerien als Missionar arbeitet. Dieser erzählt von einem Korporal Collani, welcher durch seine hellseherischen Fähigkeiten während der Beichte zwei Todesfälle prophezeit hat: In Basel und Bern sollen zwei alte Frauen sterben. Als Studer in die Schweiz zurückreist, lässt ihn die Neugier nicht los und er besucht die Wohnung in Basel. Als er dort eintrifft, ist Josepha Cleman-Hornuss bereits gestorben: Tod durch Gas. Auch in Bern stirbt eine alte Frau: Sophie Hornuss, die Schwester von Josepha, wird in ihrer Wohnung aufgefunden; ebenfalls Tod durch ausgetretenes Gas. Studer glaubt nicht an Suizid und beginnt zu ermitteln. Friedrich Glauser (1896-1938) war ein Schweizer Schriftsteller, dessen Leben geprägt war von Entmündigung, Drogenabhängigkeit und Internierungen in psychiatrischen Anstalten.

Gas




Nachdem Wachtmeister Studer seinen ramponierten Schweinslederkoffer in einem Abteil des Nachtschnellzuges Paris-Basel verstaut hatte, ließ er im Gang das Fenster herab und nahm Abschied von seinen Freunden. Kommissär Madelin zog mit Ächzen und Stöhnen eine in Zeitungspapier verpackte Flasche aus der Manteltasche, Godofrey reichte ein Päcklein zum Waggonfenster hinauf, das ohne Zweifel eine Terrine Gansleberpastete enthielt, und lispelte: »Pour madame!« Dann fuhr der Zug aus der Halle des Ostbahnhofes und Studer kehrte in sein Drittklaß-Abteil zurück.

Seinem Eckplatz gegenüber hatte ein Fräulein Platz genommen. Pelzjackett, graue Wildlederschuhe, grauseidene Strümpfe. Das Fräulein zündete eine Zigarette an – ausgesprochen männliche Raucherware, französische Régie-Zigaretten: Gauloises. Sie streckte Studer das blaue Päcklein hin und der Wachtmeister bediente sich. Das Fräulein erzählte, es sei Baslerin und wolle seine Mutter besuchen. Über Neujahr. – Wo wohne die Mutter? – Auf dem Spalenberg. – So so? Auf dem Spalenberg? – Ja...

Studer begnügte sich mit dieser Auskunft. Das junge Meitschi war zwei-, höchstens dreiundzwanzigjährig und es gefiel dem Wachtmeister ausnehmend. Es gefiel ihm – in allen Ehren. Schließlich hatte man nicht das Recht als Großvater, als solider Mann... Äbe!... Und es war angenehm, mit dem Meitschi z'brichte...

Dann wurde Studer müde, entschuldigte sein Gähnen, er sei sehr beschäftigt gewesen in Paris – das Meitschi lächelte, unverschämt ein wenig, – was tat das? Der Wachtmeister lehnte den schweren Kopf in die Ecke auf seinen grauen Regenmantel und schlummerte ein. Als er erwachte, saß ihm gegenüber immer noch das Meitschi, es schien sich kaum bewegt zu haben. Nur das blaue Päckli mit den Zigaretten, das in Paris noch voll gewesen war, lag als leeres Papier, zusammengeknäuelt, in einer Ecke. Und Studer hatte Kopfweh, weil das Kupée blau von Rauch war...

Er trug seinen Koffer und den seiner Mitreisenden bis an den Zoll, verabschiedete sich dann und stieß mit einem Manne zusammen, der auf dem Kopfe eine Kappe trug, die aussah wie ein von einem Töpfer verpfuschter Blumentopf; eine weiße Mönchskutte hüllte seinen mageren Körper ein und die Füße, die blutten, steckten in offenen Sandalen...

Wachtmeister Studer erwartete eine herzliche Begrüßung. Sie erfolgte nicht. Das Gesicht, mit dem Schneiderbärtlein am Kinn, sah ängstlich aus und traurig, der Mund –wie bleich waren die Lippen! – murmelte: »Ah, Inspektor! Wie geht's?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Pater Matthias dem jungen Mädchen zu, das mit Studer gereist war, und nahm ihm den Koffer ab. Vor dem Bahnhof stiegen die beiden in ein Taxi und fuhren davon.

Der Wachtmeister hob die mächtigen Achseln. Die Prophezeiungen des Hellseherkorporals, die ein Weißer Vater drei Kriminalisten in einer Beize bei den Pariser Markthallen aufgetischt hatte, schienen jeder Bestätigung zu entbehren. Denn hätte der Pater ihnen Glauben geschenkt, so wäre es seine Pflicht gewesen, Wache zu halten bei der... der... wie hieß sie nur? einerlei!... bei der Frau auf dem Spalenberg, um sie zu schützen gegen einen Tod, der irgend etwas mit Pfeifen zu tun hatte... Pfeifen... Was pfiff? Ein Pfeil... Der Bolzen eines Blasrohres... Was noch? Eine Schlange?... Das waren alles Erinnerungen aus den Detektivgeschichten des Herrn Conan Doyle, der unter die Spiritisten gegangen war. – Es gab da eine Geschichte... Wie hieß sie? Das getupfte... getupfte... Ja, das getupfte Band! Da wickelte sich eine Schlange um eine Klingelschnur. Nun, Herr Conan Doyle besaß Phantasie, aber Studer hatte keine Brissagos mehr. So liebenswürdig und gastfreundlich die Franzosen auch waren, Brissagos kannten sie nicht... Und darum ließ sich der Wachtmeister sein längliches Lederetui am Bahnhofkiosk frisch füllen. Aber er versagte sich den Genuß, sogleich einen dieser Stengel anzuzünden, sondern begab sich zuerst ins Buffet, allwo er z'Morgen aß, ausgiebig und friedlich. Und dann beschloß er, einen Freund aufzusuchen, der in der Missionsstraße wohnte.

Unterwegs, zuerst in der Freien Straße, denn es war noch früh am Morgen und Studer machte einen Umweg, um seinen Freund nicht zu früh aufzustören, schüttelte er den Kopf. Das schadete wenig, denn es gab keine Passanten, die sich über dies Kopfschütteln und das nachherige Selbstgespräch hätten aufhalten können. Wachtmeister Studer schüttelte also seinen Kopf und murmelte: »Er duzt die Engel nicht.« Und Pater Matthias schien ein Mann zu sein, der voller Ränke war.

Auf dem Marktplatz schüttelte er noch einmal den Kopf und murmelte dann: »Das junge Jakobli läßt den alten Jakob grüßen.« Das Hedy war doch ein merkwürdiges Frauenzimmer!... Nun war es nah an den Fünfzig, Großmutter dazu, aber es liebte eine originelle Ausdrucksweise. Früher hätte sich Studer darüber geärgert. Aber nach siebenundzwanzigjähriger Ehe wird man nicht mehr taub... s'Hedy!... Die Frau hatte es nicht immer leicht gehabt. Aber ein tapferer Kerl war sie... Und nun: eine tapfere Großmutter...

Großmutter... Studer blickte auf, blieb stehen, denn es ging bergauf. Richtig: der Spalenberg! Und eine Nummer leuchtete ihm entgegen...

Da flog das Haustor auf, ein Mädchen stürzte heraus, und da der Wachtmeister der einzige Mensch auf der Straße war, packte es natürlich ihn am Ärmel und keuchte:

»Kommen Sie mit!... Die Mutter!... Es riecht nach Gas!...«

Und Wachtmeister Studer von der Berner Fahndungspolizei folgte seinem Schicksal: diesmal hatte es die Gestalt eines jungen Meitschis angenommen das gerne starke französische Zigaretten rauchte und ein Pelzjackett, graue Wildlederschuhe und graue Seidenstrümpfe trug.

»Blyb uf dr Loube!« sagte Studer, nachdem er keuchend drei Stockwerke erstiegen hatte. Ohne Zweifel, der Gasgeruch war deutlich! Keine Klinke, kein Schlüssel an der Türe... Tannenholz – und ein schwaches Schloß...

Studer nahm sechs Schritte Anlauf, keinen einzigen mehr. Aber eine simple Tannenholztüre vermag dem Anprall eines Doppelzentners nicht standzuhalten. So gab die Türe gehorsam nach – nicht das Holz, sondern das Schloß – und eine Wolke von Gas strömte Studer entgegen. Zum Glück war sein Nastuch groß. Er knotete es im Nacken fest, so daß es Mund und Nase bedeckte.

»Blyb dusse, Meitschi!« rief Studer noch. Zwei Schritte – und die winzige Küche war durchquert; eine Türe wurde aufgestoßen. Das Wohnzimmer war quadratisch, weißgekalkt. Der Wachtmeister riß das Fenster auf und lehnte sich hinaus... Und das Nastuch ließ sich wie eine Fastnachtsmaske abstreifen...

Ein Gewirr von Dächern... Kamine stießen friedlich ihren Rauch in die kalte Winterluft. Reif glänzte auf den dunklen Ziegeln. Und über den höchsten First kroch langsam eine bleiche Wintersonne. Der eindringende Luftzug nahm das giftige Gas mit sich.

Studer wandte sich um und sah einen flachen Schreibtisch, eine Couch, drei Stühle; an der Wand das Telephon. Er durchquerte den Raum, gelangte in die korridorartige Küche. Die beiden Hähne des Réchauds waren geöffnet, das Gas pfiff aus den Brennern. Gedankenlos schloß Studer diese Hähne. Es war nicht sehr einfach, denn ein Lehnstuhl stand im Wege, mit grünem Sammet überzogen. In ihm saß eine alte Frau, sonderbar friedlich, gelöst und schien zu schlafen. Die eine Hand ruhte auf der Armlehne, der Wachtmeister ergriff sie, tastete nach dem Puls, schüttelte den Kopf und legte die kalte Hand vorsichtig auf das geschnitzte Holz zurück.

Winzig war die Küche wirklich. Anderthalb Meter auf zwei, ein Korridor eher. Über dem Gasréchaud hing an der Wand ein Holzgestell. Blechdosen – ehemals weiß emailliert, jetzt gebräunt, die Glasur abgestoßen: »Kaffee«, »Mehl«, »Salz«... Alles war ärmlich. Und durch den leichten Gasgeruch, der noch zurückblieb, stach deutlich ein anderer: Kampfer...

Es roch nach alter Frau, nach einsamer, alter Frau.

Es war ein ganz bestimmter Geruch, den Studer kannte; er kannte ihn aus den winzigen Wohnungen in der Metzgergasse, wo es hin und wieder einer alten Frau zu langweilig wurde oder zu einsam und sie dann den Gashahn aufdrehte. Manchmal aber war es weder Einsamkeit noch Langeweile; sondern Not...

Studer trat vor die Wohnungstür. Links am Türpfosten, unter dem weißen Klingelknopf, ein Schild:

Josepha Cleman-Hornuss
Witwe

Witwe!... Als ob Witwe ein Beruf wäre!...

Er rief dem Meitschi, das am Geländer der Laube lehnte – g'späßig war das Haus gebaut: die Laube ging auf ein Gärtlein, obwohl die Wohnung im dritten Stockwerk lag, und das Gärtlein war von einer Mauer umgeben, in die eine Türe eingelassen war; wohin führte die Tür?... wohl auf eine Nebengasse – er rief dem Meitschi und es kam näher.

Es war natürlich und selbstverständlich, daß der Wachtmeister das Meitschi sanft zu dem Lehnstuhl führte, in dem eine alte Frau friedlich schlummerte.

Aber während die Tochter ihr winziges Nastuch zog und sich die Tränen trocknete, fiel dem Wachtmeister etwas auf:

Die alte Frau im Lehnstuhl trug einen roten Schlafrock, der mit Kaffeeflecken übersät war. Aber an den Füßen trug sie hohe Schnürstiefel, Ausgehschuhe – nein! keinerlei Pantoffeln!

Dann suchte Studer nach dem Gaszähler: Er hockte oben an der Wand, gleich neben der Wohnungstür, auf einem Brett und sah mit seinen Zifferblättern aus wie ein grünes und feistes und grimassierendes Gesicht.

Aber der Haupthahn stand schief!...

Er stand schief. Er bildete, wollte man genau sein,...

Erscheint lt. Verlag 20.11.2017
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Der Tote im Strandkorb • Die Entscheidung • Die letzte Erkenntnis • Durst • Hinterlist • Im Wald • Neuntöter für Greetsiel • origin • Todesreigen • Verfolgung
ISBN-10 80-268-7071-9 / 8026870719
ISBN-13 978-80-268-7071-5 / 9788026870715
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