Die schöne Fanny (eBook)

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
180 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9368-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die schöne Fanny -  Pedro Lenz
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Drei Künstler und Tagediebe stolpern in dieser tragikomischen Geschichte durch die Kleinstadt: Jackpot, der erfolglose Schriftsteller, der auf Hunde und Pferde wettet und verzweifelt den roten Faden für seinen Roman sucht, und die beiden Maler Louis und Grunz, die das Leben und die Schönheit lieben. Ihre Hingabe zur Kunst und zu den kleinen Freuden des Alltags scheint die drei Freunde zu erfüllen. Doch dann begegnen sie der schönen Fanny, die allein durch ihre Präsenz das scheinbar stabile Gleichgewicht der Männerfreundschaft heftig ins Wanken bringt.

PEDRO LENZ, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller, Kolumnist und Mitglied des Bühnenprojekts »Hohe Stirnen« und der Spoken-Word-Gruppe »Bern ist überall«. Er schreibt in schweizerdeutscher Umgangssprache und ist in der Schweiz auch als Performance-Künstler bekannt. Als Autor hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Sein Roman »Der Goalie bin ich« gewann den Schillerpreis für Literatur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt (Schweizer Filmpreis 2014). Pedro Lenz lebt in Olten.

1

Weshalb ich genau an diesem Tag, genau um diese Zeit, genau bei Louis klingelte, möchte ich manchmal gerne selber wissen.

Auf jeden Fall tat ich es. Hätte ich damals all das gewusst, was ich heute weiß, hätte ich es möglicherweise bleiben lassen. Nun ja, hätte, würde, könnte … Kann man sagen im Nachhinein. Hätte, hätte, Fahrradkette … Entschuldigung fürs Abschweifen. Bin wegen »hätte« draufgekommen. Hätte, hätte, hätte, nützt mir jetzt so viel wie ein alter Hut. Und Fahrrad fahre ich schon gar nicht. Ich war damals dort, wo ich meistens rumschleiche, in Olten, Jurasüdfuss, Mittelland, Unterland, Hochnebelland, Eisenbahnerland, Postindustrieland, Aggloland, Zwischenland, Heimatland. Montagabend nach sechs, hinten in der Von-Roll-Straße, klingelte ich bei Louis.

Gut. So fing das an. Ich klingelte. Wartete. Klingelte erneut. Wartete weiter. Wollte schon aufgeben. Und in dem Moment kommt diese Frau zur Tür raus. Es war, als hätte jemand irgendwo ein Licht angeknipst. Ich musste einen Schritt zurücktreten, damit es mich nicht zu sehr blendete. Ohne Quatsch. So eine Frau war mir in meinem Leben noch nie begegnet, und ganz sicher nicht in Olten. Ich glaubte zu träumen. Auch wenn es solche Träume gar nicht gibt. Sie schaute mich kurz an, sagte »Sorry« und ging an mir vorbei Richtung Bahnhof.

Wahrscheinlich steht mein Mund noch immer offen, als Louis endlich an die Tür kommt, in einer Hand ein Tuch, in der anderen ein paar Pinsel, zwischen den Zähnen eine krumme Zigarre.

Jackpot! Was machst du hier, an einem Montag?

Nichts. Wollte bloß mal fragen, was bei dir so läuft. Machst du einen Kaffee?

Klar. Natürlich. Komm hoch. Erzähl, erzähl.

Ich gehe hinter Louis ein paar Schritte die Treppe hoch. Seine Lunge rauscht und pfeift wie ein Teekocher, wenn das Wasser siedet. Aber die Zigarre nimmt er trotzdem nicht aus dem Mund. Rauchen kann ihr ungeborenes Kind töten. Sag das mal Louis. Über ungeborene Kinder hat er noch nie groß nachgedacht. Er raucht, seit er denken kann, und führt mich nun in sein Atelier, nicht zum ersten Mal. Keine großen Gesten. Keine Fanfaren. Nur ein Scharnier, das einen Tropfen Öl brauchen könnte, und ein Raum voller Papier, Leinwände, Bleistifte und Farben.

Warte, ich mach Platz. Schau, setz dich hier aufs Sofa, sagt er.

Ich strecke die Nase in die Luft.

Riech mal, Louis, riech. Riechst du es auch? In diesem Atelier riecht es nach einer schönen nackten Frau.

Louis hustet nur, während er ein paar Blätter in eine Pappmappe legt und diese an die Wand lehnt.

Weißt du was, Jackpot? Das mit der nackten Frau sagst du jedes Mal, wenn du hier reinkommst. Dabei habe ich eben erst gelüftet. Aber wer weiß, vielleicht stimmts ja. Naked women and beer. We got it all in here.

Hank Williams Junior.

Bravo, Jackpot! Der ists, ganz genau der. Hank Williams Junior himself, sagt Louis und macht Kaffee auf dem Campinggasherd, der nur zu diesem Zweck im Atelier steht. Dann scheucht er mit einer Zeitung die Katze vom Sessel.

Putz dich, blödes Viech!

Die Katze protestiert, aber das interessiert im Moment keine Sau.

Jetzt nimmt Louis, zum ersten Mal seit ich da bin, die krumme Zigarre aus dem Mund und legt sie auf einen flachen Porzellanteller. Sieht schön aus, wie das Räuchlein fadengerade hochsteigt.

Also, leg los, sagt er zu mir und stellt zwei Tassen und Zucker auf einen Salontisch neben dem Sofa.

Doch ich sage noch nichts, tue erst so, als hätte ich ewig Zeit. Schaue mir Skizzen an, die überall herumliegen, nehme eine Gipsfigur in die Hand, die auf einem Tisch steht, halte sie gegen das Licht, als hätte ich irgendwann im Leben irgendwas von Gipsfiguren verstanden. Dann gehe ich etwas auf und ab. Und als ich das Gefühl hab, ich hätte lange genug gewartet, sage ich:

Weißt du was, ich habe den roten Faden gefunden. Ich weiß jetzt haargenau, wie der Roman werden soll.

Dann mache ich eine Pause, eine rhetorische Pause, wie Fachleute sagen würden, eine schön pointierte Kunstpause, gut gesetzt. Ich will sehen, wie Louis reagiert. Hab aber das Gefühl, er reagiert gar nicht. Er steht einfach bei der Gasflamme und wartet auf den Moment, in dem der Kaffee in den oberen Teil der Kanne hinaufkocht. Er ist ganz bei der Kaffeekanne und sonst nirgends. Ich versuche, irgendetwas aus diesem verlebten Gesicht zu lesen, sehe ihn aber nur von der Seite und im Schatten. So kann ich wenig herauslesen.

Sagst du nichts, Louis?

Was soll ich sagen? Erzähl doch erst mal von diesem roten Faden.

Also, hör zu. Es geht um ein paar Freunde, genauer gesagt drei. Sie verbringen viel Zeit miteinander. Sie kennen sich gut, und wenn es sein muss, sind sie füreinander da. Meistens haben sie keine oder fast keine Kohle. Doch das stört sie nicht, sie kennen nichts anderes. Sie wetten oft, sind Teil einer Wettgesellschaft. Sportwetten. Alles einigermaßen legal. Unter anderem sind sie an einem Wettzirkel in Deutschland beteiligt, der von Kroatien aus organisiert wird. Hohe Einsätze und so. Am Anfang läuft es ganz und gar nicht. Die Freunde warten auf die ganz große Glückssträhne. Und später, als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben haben, geschiehts! Eine unverhoffte Anhäufung unwahrscheinlicher Resultate in der englischen Premier League, unglaubliche Quoten, riechst du’s? Und wer hatte die Nase dafür? Wer hat alles vorhergesehen und darauf gewettet, dass am gleichen Spieltag fast alle großen Mannschaften verlieren und fast alle kleinen gewinnen? Wer hat es vorhergesehen? Die drei Helden des Romans, die ewigen Verlierer, die, welche den Glauben ans Glück nie aufgegeben haben!

Louis unterbricht mich und sagt fast gelangweilt:

Ich seh schon, ich seh schon, es wird ziemlich autobiografisch.

Was denn sonst?

Du musst mehr Fantasie reinbringen, Jackpot! Mehr Fiktion. Musst dich lösen von dir selbst. Sonst wird das wieder nichts.

Warum sagst du das? Meine Literatur lebt von der Wirklichkeit. Ich hab was gegen Fantasie. Fantasie wird überschätzt. Fantasie ist für die, die nicht hinschauen wollen, was wirklich ist. Schau doch bei dir selbst. Du malst ja auch die Realität.

Ja, aber ich verwandle sie. Das hab ich dir doch schon oft erklärt. Die Realität an sich ist nicht genug. Kunst muss die Realität verwandeln, Jackpot, sonst braucht es sie nicht.

Ich blicke einen Moment zu Boden, als müsste ich über etwas nachdenken, doch eigentlich studier ich schon längst an was anderem herum.

Sag mal, Louis, wer war eigentlich die junge Frau, die vorhin das Haus verlassen hat?

Fanny. Warum fragst du? Hat sie dir gefallen?

Hab nicht so genau darauf geachtet.

Hättest du aber tun müssen. Hättest sie studieren müssen. Sie ist wie der Himmel im Winter. Augen wie ein Kälbchen, und dann diese Ausstrahlung, dass einem Glatzkopf die Haare zu Berge stehen. Das glaubst du mir kaum, aber ich habe noch nie eine so schöne Frau gemalt, jedenfalls nicht in den letzten zwanzig Jahren. Ehrenwort. Die hat alles, die Fanny, die hat Grazie, Tiefgang, Humor, die hat etwas Geheimnisvolles, die hat Wärme, Stil …

Style, meinst du.

Nein, Stil. Das ist nicht dasselbe!

Heutzutage sagt man zu Stil Style. Kannst du mir glauben, Louis. Stil sagt schon lange keiner mehr.

Weil eben fast niemand mehr Stil hat. Fast niemand außer Fanny! Die hat mehr als Stil. Die hat alles, was innere und äußere Schönheit ausmacht. Fanny spielt in einer Liga für sich. Verstehst du?

Darf ich mal schauen?

Was willst du schauen?

Na, wie du sie gemalt hast.

Bin noch nicht so weit, habe nur mal ein paar Skizzen gemacht. Du weißt doch, dass ich nicht gerne Bilder zeige, die noch nicht fertig sind.

Ich hätte Louis gerne noch weiter über diese Fanny ausgefragt. Doch gleichzeitig wollte ich nicht, dass er bemerkt, wie sehr sie mich beeindruckt hat. Also hab ich ein wenig um den Brei herumgequasselt und gefragt, ob es eigentlich schwierig sei, Modelle zu finden, die was hergeben.

Louis’ Zigarre brennt nicht mehr. Er zündet sie noch einmal an und sagt dann, jedes Modell gibt etwas her. Man muss nur herausfinden, was und wie man es umsetzen kann. Verstehst du, wie ich meine? Das ist die Kunst an der Kunst, glaub mir das, die Kunst ist das Herausfinden und das Umsetzen. Viele können etwas herausfinden und viele können etwas umsetzen, aber nur die wenigsten können beides.

Bei der von vorhin musst du aber nicht wahnsinnig viel rausfinden. Da siehst du auch mit geschlossenen Augen und im Dunkeln, dass sie was hat.

Du hast sie also doch studiert!, sagt Louis.

Sag, was ist sie für eine?

Sie hat diesen Zauber, den nur die wenigsten haben. Ich meine gleichzeitig Zauber und Natürlichkeit. Sie kommt aus Zofingen, studiert Kunst in Bern und ist immer ganz bei sich. Viel mehr kann ich dir auch nicht sagen.

Verdammt, Louis, hast du nicht mit ihr geredet? Könntest doch wenigstens herausgefunden haben, wo sie sich so rumtreibt. Mir ist sie jedenfalls bis eben noch nie über den Weg gelaufen.

Ich hab sie gemalt, nicht ausgefragt, sagt Louis und lächelt ein wenig, aber nur mit den Augen.

Wenn er ausnahmsweise mal nichts sagen will, dann sagt er auch nichts. Und am Tonfall, wie er gesagt hat, er habe sie nur gemalt und nicht ausgefragt, höre ich raus, dass der Alte nichts Näheres erzählen will. Deshalb wechsle ich das Thema und frage, wann genau er jetzt also diese Ausstellung habe und ob ich was helfen könne.

Ich hab dir doch eine Einladung geschickt, hast du sie nicht...

Erscheint lt. Verlag 29.11.2017
Übersetzer Raphael Urweider
Sprache deutsch
Original-Titel Di schöni Fanny
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Atmosphäre • Freiheit • Freundschaft • Goalie • Gordon • Künstler • Liebe • Maler • Männerfreundschaft • Model • Olten • Schriftsteller • Schweiz • Tagediebe
ISBN-10 3-0369-9368-1 / 3036993681
ISBN-13 978-3-0369-9368-3 / 9783036993683
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