Libellenschwestern (eBook)

Roman - Der New-York-Times-Bestseller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
528 Seiten
Limes (Verlag)
978-3-641-19616-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Libellenschwestern -  Lisa Wingate
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Eine Familie, vier Schwestern. Ein Unglück, das sie für immer trennt. Eine Liebe, die sie auf ewig eint.
Der bewegende SPIEGEL-Bestseller, inspiriert von einer wahren Geschichte.

Für Avery hat das Leben keine Geheimnisse. Bis sie auf May trifft. Die 90-Jährige erkennt ihr Libellenarmband, ein Erbstück, und besitzt auch ein Foto von Averys Großmutter. Was hat diese Frau mit ihrer Familie zu tun? Bald stößt Avery auf ein Geheimnis, das sie zurück in ein dunkles Kapitel der Geschichte führt ... Memphis, 1939: Die junge Rill lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Hausboot auf dem Mississippi. Als die Kinder eines Tages allein sind, werden sie in ein Waisenhaus verschleppt. Rill hat ihren Eltern versprochen, auf ihre Geschwister aufzupassen. Ein Versprechen, das sie nicht brechen will, ihr aber mehr abverlangt, als sie geben kann ...

Die Amerikanerin Lisa Wingate, geboren im rheinischen Landstuhl, ist Journalistin und Autorin mehrerer preisgekrönter Romane. Ihren großen Durchbruch feierte sie mit »Libellenschwestern«. Der Roman führte nicht nur die »New York Times«-Bestsellerliste über ein Jahr hinweg an, er eroberte auch die SPIEGEL-Bestsellerliste sowie Tausende Leserherzen im Sturm. Die Autorin lebt in den Ouachita Mountains in Arkansas, USA.

KAPITEL 1


Avery Stafford

AIKEN, SOUTH CAROLINA, HEUTE

Ich hole tief Luft, rutsche vor an die Kante und streiche meine Jacke glatt, als die Limousine auf dem brüllend heißen Asphalt zum Stehen kommt. Übertragungswagen verschiedener Nachrichtensender säumen den Straßenrand, was zeigt, wie wichtig dieser scheinbar harmlose Termin in Wahrheit ist.

Keine einzige Sekunde an diesem Tag ist dem Zufall überlassen. Während der letzten beiden Monate ging es in South Carolina ausschließlich darum, an den Nuancen zu feilen – dafür zu sorgen, dass sich alles ausschließlich im Bereich von Andeutungen und Hinweisen bewegt.

Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für klare Ansagen.

Noch nicht.

Und wenn es nach mir geht, wird sich daran so schnell nichts ändern.

Ich wünschte, ich könnte einfach vergessen, weshalb ich nach Hause zurückgekehrt bin, doch allein die Tatsache, dass mein Vater weder seine eigenen Notizen noch das Briefing seiner überkorrekten PR-Beraterin Leslie durchgeht, lässt keine Zweifel aufkommen: Der Feind, der uns begleitet, lässt sich nicht ignorieren. Er ist da, auf dem Rücksitz, in dem dunkelgrauen Maßanzug, der eine Spur zu locker um die breiten Schultern meines Vaters sitzt.

Daddy hat den Kopf zur Seite geneigt und blickt aus dem Fenster. Seine Helfer und Leslie hat er in den zweiten Wagen verbannt.

»Geht’s dir gut?«, frage ich und zupfe ein langes blondes Haar – meins – vom Sitz, damit es beim Aussteigen nicht an seiner Hose kleben bleibt. Meine Mutter würde jetzt eine Mini-Fusselbürste zücken, aber sie ist zu Hause, um das zweite große Ereignis dieses Tages vorzubereiten – ein Familienweihnachtsfoto, das sicherheitshalber schon jetzt, Monate vor dem Fest, aufgenommen werden muss … falls Daddys Zustand sich verschlechtern sollte.

Er setzt sich ein wenig auf und hebt den Kopf. Sein graues Haar ist statisch aufgeladen und steht ab. Ich unterdrücke den Impuls, die Hand auszustrecken und es glatt zu streichen. Es wäre ein grober Verstoß gegen das Protokoll.

Im Gegensatz zu meiner Mutter – der Herrin über die kleinen, aber unerlässlichen Details unseres Lebens, wie ein Weihnachtsfoto im Juli oder eine Fusselbürste in der Handtasche – ist mein Vater distanziert, eine einsame Insel aufrechter Männlichkeit in einem Haushalt voller Frauen. Ich weiß, dass ihm meine Mutter, meine beiden Schwestern und ich sehr am Herzen liegen, doch er verleiht seiner Zuneigung nur sehr selten Ausdruck. Ich weiß auch, dass ich zwar sein heimliches Lieblingskind bin, ihn gleichzeitig jedoch am meisten durcheinanderbringe. Mein Vater stammt aus einer Ära, in der Frauen sich lediglich für einen höheren Bildungsabschluss entschieden haben, um auf dem College möglichst schnell einen Ehemann zu finden und eine Familie zu gründen, deshalb weiß er nie so recht, was er von einer dreißigjährigen Tochter halten soll, die ihr Jurastudium an der Columbia Law als Jahrgangsbeste abgeschlossen hat und die sichtlich Spaß daran hat, im U.S. Attorney’s Office zu arbeiten, wo es bekanntermaßen nicht gerade zimperlich zugeht.

Vielleicht weil der Platz der perfektionistischen Tochter und der süßen Tochter in unserer Familie bereits vergeben waren, bin ich immer die Schlauberger-Tochter gewesen. Ich bin gern zur Schule gegangen, und es war, wenngleich unausgesprochen, immer klar, dass ich gewissermaßen der Ersatzsohn bin, der in die Fußstapfen meines Vaters treten wird. Allerdings bin ich stets davon ausgegangen, dass ich älter sein würde, wenn es so weit wäre, und bereit dafür.

Ich sehe meinen Vater an. Wie kannst du all das nicht wollen, Avery? Genau darauf hat er doch sein ganzes Leben hingearbeitet. Und nicht nur er, sondern Generationen von Staffords, seit dem Unabhängigkeitskrieg, verdammt noch mal. Unsere Familie hat sich schon immer in den Dienst des Landes gestellt, und Daddy bildet da keine Ausnahme: Seit seinem Abschluss in West Point und seiner Tätigkeit als Pilot bei der Army hält er den Namen unser Familie mit Würde und Entschlossenheit hoch.

Natürlich willst du das, denke ich. Schon immer. Du hast nur nicht damit gerechnet, dass es jetzt schon und auf diese Weise passiert. Das ist alles.

Insgeheim klammere ich mich verzweifelt an den bestmöglichen Ausgang: dass die Feinde an beiden Fronten – sowohl an der politischen als auch an der medizinischen – geschlagen werden. Mein Vater wird die Krankheit besiegen, mit Hilfe einer Kombi-Behandlung aus Operation und einem Chemo-Cocktail, der ihm über eine alle drei Wochen an sein Bein angeschlossene Pumpe verabreicht wird. Und mein Aufenthalt in Aiken wird nur ein kurzes Gastspiel.

Der Krebs wird schon bald kein Teil unseres Lebens mehr sein.

Er kann besiegt werden. Anderen Menschen ist das bereits gelungen, und wenn sie es geschafft haben, wird Senator Wells Stafford es schon zweimal schaffen.

Es gibt keinen stärkeren oder besseren Mann als meinen Vater, so viel steht fest.

»Bereit?«, fragt er. Erleichtert sehe ich zu, wie er die abstehende Haarsträhne glatt streicht. Noch bin ich nicht bereit, die Grenze von der Tochter zur Krankenpflegerin zu überschreiten.

»Ich bin direkt hinter dir.« Natürlich würde ich alles für ihn tun, trotzdem wäre ich heilfroh, wenn es noch viele, viele Jahre dauern würde, bis wir die Rollen von Elternteil und Kind tauschen müssen. Und wie heikel das ist, weiß ich nur zu genau, weil ich gerade aus nächster Nähe miterlebe, wie schwer es meinem Vater fällt, Entscheidungen für seine eigene Mutter zu treffen.

Grandma Judy, meine einst so geistreiche und humorvolle Großmutter, ist inzwischen bloß noch ein Schatten ihrer selbst. So schmerzlich es sein mag, aber Daddy kann mit niemandem darüber reden. Sollten die Medien dahinterkommen, dass wir sie in ein Heim gebracht haben – zumal in eine nicht einmal zehn Meilen entfernte Luxus-Seniorenresidenz –, wäre das politisch gesehen eine Katastrophe: Im Zuge des Skandals um eine Reihe ominöser Todes- und Missbrauchsfälle in diversen staatlichen Pflegeheimen South Carolinas, der die Öffentlichkeit derzeit umtreibt, würden Daddys politische Feinde entweder ins Feld führen, dass sich nur wohlhabende Leute eine angemessene Pflege leisten können, oder aber ihm vorwerfen, er habe seine arme alte Mom abgeschoben, weil er ein kaltherziger Mistkerl ist, dem das Schicksal der älteren Mitbürger am Arsch vorbeigeht und der bloß seinen eigenen Vorteil und den seiner Freunde und Wahlkampfunterstützer im Sinn hat.

In Wahrheit haben seine Entscheidungen im Hinblick auf Grandma Judy absolut nichts mit Politik zu tun. In unserer Familie ist es genau wie bei allen anderen: Jeder lebt in einem undurchsichtigen Geflecht aus Schuld, Schmerz und Scham. Grandma Judys Aussetzer sind mittlerweile einfach problematisch, wir haben Angst um sie und machen uns große Sorgen, wo dieser grausame Abstieg in die Demenz enden könnte. Bevor wir sie endgültig ins Heim gebracht haben, ist sie sowohl ihrer Pflegekraft als auch ihren Hausangestellten mehrfach entwischt. Einmal hat sie ein Taxi gerufen und war den ganzen Tag spurlos verschwunden, bis sie in ihrem einstigen Lieblingseinkaufszentrum, das längst zu einem riesigen Geschäftskomplex angewachsen ist, aufgegriffen wurde. Wie sie es geschafft hat, dorthin zu gelangen, ist uns allen ein Rätsel, zumal sie sich mittlerweile nicht einmal mehr unsere Namen merken kann.

Ich trage heute Morgen eines ihrer Lieblingsschmuckstücke, spüre das Gewicht um mein Handgelenk, als ich aus der Limousine steige. Ich tue so, als hätte ich das Libellenarmband ihr zu Ehren ausgewählt, aber in Wahrheit soll es mich daran erinnern, dass die Frauen der Stafford-Familie nun einmal tun, was sie tun müssen, selbst wenn es ihnen noch so sehr gegen den Strich geht. Der Ort des Geschehens trägt auch nicht gerade zu meinem Wohlbehagen bei. Ich konnte Pflegeheime noch nie leiden.

Es ist nur ein Meet-and-Greet, denke ich. Die Presse ist hier, weil sie darüber berichten will, und nicht, um lästige Fragen zu stellen. Wir sollen Hände schütteln, einen Rundgang durch die Einrichtung machen und uns für eine Weile zur Geburtstagsgesellschaft einer Frau gesellen, die heute hundert Jahre alt wird. Ihr Ehemann ist neunundneunzig. Das ist wirklich beachtlich.

Drinnen riecht es, als hätte jemand den Drillingen meiner Schwester Desinfektionsmittel zum Herumspritzen in die Hand gedrückt. Darüber hängt ein künstlicher Jasminduft. Leslie schnuppert und nickt dann knapp, aber wohlwollend, ehe sie sich gemeinsam mit einem Fotografen sowie einer Handvoll Praktikanten und Helfer zu uns gesellt. Heute sind wir ohne Leibwächter unterwegs; ich gehe davon aus, dass sie bereits das Rathaus für den Termin am Nachmittag sichern. Im Lauf der Jahre hat mein Vater jede Menge Morddrohungen erhalten. Er selbst misst diesem Schwachsinn normalerweise keine Bedeutung bei, seine Sicherheitsleute hingegen sehr wohl.

Minuten später nehmen uns die Leiterin des Pflegeheims sowie zwei Nachrichtenteams in Empfang, und gemeinsam machen wir uns zu unserem Rundgang auf. Wir spazieren durch die Gänge. Sie filmen uns dabei. Mein Vater spult das volle Programm ab, schüttelt Hände, posiert für Fotos, nimmt sich die Zeit, um mit den Leuten zu reden, beugt sich zu Senioren in Rollstühlen hinunter, dankt den Schwestern dafür, dass sie sich tagtäglich aufs Neue dieser anspruchsvollen und kräftezehrenden Aufgabe stellen.

Ich folge ihm und tue es ihm...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2018
Übersetzer Andrea Brandl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Before We Were Yours
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adoption & Waisenkinder • bookclub • Buchclub • Buch für den Urlaub • Das Licht zwischen den Meeren • Der Zug der Waisen • Die Bienenhüterin • Die Geschichte des Wassers • eBooks • Familiengeheimnis • Familiensaga • Geheimnisse • Geschwister • Goodreads: bester historischer Roman 2017 • Lesegruppe • Lesekreis • Leserkreis • Leserunde • Lesezirkel • New-York-Times-Bestseller • Ostergeschenk • Platz 1 Amerika • Platz 1 USA • Roman • Romane • South Carolina • Südstaaten / USA • Urlaubslektüre • Waisenhaus • Zusatzmaterial
ISBN-10 3-641-19616-7 / 3641196167
ISBN-13 978-3-641-19616-5 / 9783641196165
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