Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger -  Peter Butschkow

Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger (eBook)

Die Geschichte eines Betruges
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
380 Seiten
konkursbuch (Verlag)
978-3-88769-589-7 (ISBN)
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Ein beschwingter Roman über große Gefühle in einer durchgeknallten Zeit. Mit Witz, Ironie und tieferer Bedeutung entwirft der preisgekrönte Cartoonist Peter Butschkow in seinem ersten Roman einen kuriosen Mikrokosmos schräger Typen auf der Suche nach Freiheit, Lust und Liebe. Vor dem Hintergrund eines irrwitzigen Täuschungsmanövers entfaltet sich dabei ein so farbenfrohes wie kurzweiliges Zeitporträt. Dies ist der Debütroman des Autors, der als Cartoonist schon viele Bücher publiziert hat. 'Hier hat er ihn in Worte übertragen, diesen besonderen Butschkow-Strich.' (Tobias Schmidt, Mein Passau) '... das liest sich ja wie Butter! Ich habe angefangen und wollte nicht aufhören ...' (Til Mette) Zwei Freunde, Archie und Speck, haben sich aus West-Berlin zurückgezogen und im Bergischen Land, im Dörfchen Rehwinkel, ein Fachwerkhaus gemietet. Das Haus ist zugleich Adresse des DAMOUR-Verlages, den Archie, ehemaliger Student, aufgebaut hat. Er verlegt kitschige Liebesromane. Aus Marketinggründen veröffentlicht er seine eigenen Romane unter dem klangvollen Pseudonym 'Rebecca C. Creek', angeblich kanadische Mustangzüchterin mit indianischen Wurzeln. Otter, ein Freund aus Berlin, will ihn besuchen und nimmt unterwegs zwei Tramperinnen mit. Als er zufällig sieht, dass eine von ihnen während der Fahrt ausgerechnet ein Buch von Rebecca C. Creek liest, wittert er seine Chance: Einem kühnen Geistesblitz folgend, schlägt er vor, gemeinsam nach Rehwinkel zu fahren, um die gerade zufällig dort weilende große Autorin persönlich zu treffen. Nun beginnt ein turbulentes Schauspiel ...'In die Rahmenhandlung eingewoben sind Porträts und Anekdoten über frühere Freunde, Supermarkthändler, Familienerinnerungen. Sie entfalten eine sprachliche Dynamik, die den Lesefluss heiter vorantreibt, man merkt gar nicht, wie die Seiten dahinfliegen, weiß nie, was einen auf den nächsten Seiten erwartet und freut sich von einer Seite auf die nächste.' (Florian Rogge)

Geboren 1944 in Cottbus. Aufgewachsen in Berlin (West). Studiert auf privater Kunstschule. Ein Lehrjahr als Bleisetzer. Abgeschlossenes Studium an der Akademie für Grafik, Druck und Werbung in Berlin. Drei Jahre angestellter Grafik-Designer in einer Werbeagentur. Danach acht Jahre als grafischer Freiberufler. 1979 Umzug ins Bergische Land in eine kleine Landkommune. Beginn einer Karriere als Cartoonist, Comiczeichner, Illustrator und Textautor. Veröffentlichungen in Magazinen, Zeitungen, Büchern und Kalendern. 1983 nach Hamburg. Lebt seit 1988 an der nordfriesischen Küste. Dieses Buch ist sein Romandebüt.

2. Kapitel: Die Mädchen mit den roten Ohren. Himmel voller Därme. Ein Wollepulli ist mit dem Fahrrad los. Am Glasrand klebt der Tod. Muttermund-TV. Peniskurse für Frauen.

Um sich noch ein bisschen Kohle zu verdienen, legte Speck Freitag und Samstag im DOWNTOWN Platten auf. Am Wochenende war der Laden rammelvoll. Wegen der schlechten Entlüftung dampfte der Schweiß der Tanzenden im Laufe der Nacht bis an die Decke und tropfte wie in einer Tropfsteinhöhle wieder runter. Als Bassgitarrist hatte Speck ein gutes Gefühl für Rhythmus und eine gute Nase für Tempo – außerdem verfügte er über einen großen, inneren Speicher mit Musikstücken, aus dem er intuitiv die passenden Titel abrufen konnte, sodass sie geschmeidig ineinander übergingen. Und das, obwohl er selber nicht tanzte. Musiker tanzen komischerweise seltener, paradoxerweise am wenigsten die Schlagzeuger. Wenn Speck sich aber mal vom Alkohol enthemmt auf die Tanzfläche bewegte, dann sah es aus, als hätte er eine Wespe in der Hose. Am liebsten tanzte er Blues, bei diesem brauchte man nur von einem Bein zum anderen zu schaukeln und konnte sich dabei wunderbar bei der Partnerin anlehnen.

An seinen ersten Blues konnte er sich noch gut erinnern, das war an dem Tag, als seine Eltern ihn zum ersten Mal alleine ließen, um zur Kur nach Bad Lauterberg in den Harz zu fahren und er ihnen zum Abschied ausgelassen vom Balkon hinterherwinkte. Anlass dieser inniglichen Verabschiedung, die seine Mutter zu Tränen rührte, war jedoch weniger das Mitgefühl, dass sich seine Eltern eine wohlverdiente Kur gönnten, sondern dass sie ihm verdammt noch mal endlich für drei Wochen die Bude überließen. Kaum waren die kleinen Heckflossen ihres Ford 17M um die Ecke verschwunden, rief er sofort seinen besten Freund und Klassenkameraden Jockel an. Eine halbe Stunde später stand der mit Babs und Nancy, zwei Mädchen aus ihrer Schule, vor Specks Tür. Solche Paarbildung von zwei jungen Mädchen in inzüchtiger Unzertrennlichkeit ist typisch für Mädchen in einer speziellen Altersstufe und dient als letzte Phase vor dem großen Schritt ins Leben, in dem die süßesten, aber auch bittersten Erfahrungen auf sie warten. Eine der beiden war in der Regel immer die etwas Hübschere, die sich keine Sorgen zu machen brauchte, dass ihre Freundin sie bei den Boys ausstach. Die wiederum bekam in der Strahlkraft der Hübscheren auch etwas von ihrem Glanz ab. So hatten scheinbar beide etwas voneinander und zelebrierten in der Öffentlichkeit ihre Innigkeit gerne mit Händchenhalten. In Wirklichkeit lauerte jede auf ihre Chance. Diese Symbiose zerplatzte dann auch in dem Moment, wo eine der anderen auf der Pirsch ernsthaft in die Quere kam. Dann bekamen ihre weichen Pfötchen plötzlich Krallen.

Speck stellte Cola, Salzstangen und eine goldfarbene Kugel auf den Tisch, ein Tischrequisit seiner Eltern, aus der sich die Zigaretten wie Igelborsten dem Raucher entgegenspießten. Die Zigaretten hatte er vorher heimlich gekauft und vor seinen Eltern unter seinem Bett versteckt, das Geld dafür beschaffte er sich durch die Einlösung von zwei vollen Rabattsparheften seiner Mutter, die er ihr aus ihrem Geheimfach im Küchenschrank entwendet hatte. Wohl hatte ihn der Seifenhändler, bei dem er die Hefte einlöste, danach bei seiner Mutter denunziert (»Wissen Sie eigentlich, dass letzte Woche ihr Sohn bei mir zwei Rabattsparhefte eingelöst hat? Ich frag ja nur.«), aber Speck leugnete alles und stellte seiner Mutter die Vertrauensfrage: »Wem glaubst du mehr, einem schmierigen, verleumderischen Seifenhändler – oder deinem eigenen Fleisch und Blut?« Ihre Entscheidung fiel selbstverständlich zu seinen Gunsten aus.

Für die nötige Musik stand im Wohnzimmer eine wuchtige Musiktruhe mit integriertem Rundfunkgerät und einem Zehnplattenwechsler aus dekorativ gemasertem und lackiertem Holz zur Verfügung. Um an dieses mechanische Wunderwerk heranzukommen, musste man mit aller Kraft den schweren Deckel der Truhe hochstemmen und ihn zur Arretierung seitlich einrasten lassen – und beten, dass die Halterung hielt und der Deckel nicht versehentlich wieder zufiel. Er wäre glatt in der Lage gewesen, mit seiner massiven Wucht einem Menschen die Hand zu zerschmettern. Dieser musikalische Sarkophag beherbergte auch die komplette Plattensammlung seines Vaters, bestehend aus drei Langspielplatten, eine von Fred Bertelmann mit dem Super-Hit Der lachende Vagabund, bei dem sein Vater immer lippensynchron mitlachte, einem Potpourri bunter Rhythmen mit dem Untertitel Wir machen Musik, da geht uns der Hut hoch und My fair Lady, einem populären Musical, von dem sein Vater alle Texte komplett beherrschte und teils schaurig falsch mitsang. Weiterhin diverse kleine 45er Scheiben mit Gute-Laune-Musik, Vaters kleine »Stimmungsbomben«, die er gerne bei Familienfesten explodieren ließ. Im Zehnerpack gestapelt warteten sie darauf, dass der strenge Haltebügel sie der Reihe nach zum Abspielen frei gab und auf den rotierenden Plattenteller klatschen ließ. Dort setzte sich in zackiger Mechanik der Tonabnehmer über sie, senkte erstaunlich zärtlich seine Nadel in die rotierenden, lackschwarzen Rillen und ließ die Musik erschallen.

Speck besaß fünf 45er-Platten, eine von Eddy Cochran, eine von Duan Eddy, eine von den Platters und zwei von den Drifters. Auf die setzte er seine ganze Hoffnung. Speziell Save the Last Dance for Me und Smoke Gets in Your Eyes waren ausgemachte Schmusetitel und für einen Abend wie diesen wie geschaffen. Zur weiteren Förderung einer stimulierenden Stimmung hatte sich Speck aus der Hausbar seines Vaters eine Flasche Schwarzer Kater genommen. Dieser dunkelrote Likör war wohl zwar schmerzhaft süß, machte aber zügig locker. Babs und Nancy tranken zum Leidwesen von Speck und Jockel nur Cola pur. Es war zu vermuten, dass ihnen ihre unseligen Eltern eingetrichtert hatten, in solchen Momenten stets einen kühlen Kopf zu bewahren, an ihren knallroten Ohren erkannte man jedoch, dass ihnen ganz schön heiß war. Speck nahm sich vor, darüber Erkundigungen einzuholen, warum Menschen ihre Erregung verräterischerweise über die Ohren vermittelten. Sie leuchteten wie zwei glühende Henkel an einer Amphore. Scheinbar eine neckische Laune der Natur, die für ihre Launenhaftigkeit ja allenthalben bekannt ist Als beide Mädchen kurz ins Bad gingen, nutzte Jockel die Gelegenheit, um Speck zu fragen, ob er ihn mal was fragen dürfe. Speck dachte anfänglich, dass Jockel klären wollte, wer von ihnen Babs und wer Nancy kriegen sollte, was für ihn persönlich längst geklärt war, aber Jockel hatte etwas anderes auf dem Herzen:

»Findest du, dass ich gut aussehe?«

In dieser Situation, so fand Speck, eine seltsame Frage. Es gab wahrlich bessere Momente für die Behandlung von Minderwertigkeitskomplexen, als in der Pinkelpause von zwei Mädchen. Aber Jockel ließ nicht locker und raunte, er würde doch sehr drunter leiden, dass er so glatte Haare habe, wo er doch Locken viel lieber möge – und da er gerade dabei war – auch mit seinem Kinn sei er nicht ganz zufrieden. Speck versicherte ihm, Kinn und Haare würden prima zu Jockels Gesicht passen, er könne ihn sich beim besten Willen nicht mit lockigen Haaren und einem kleinen Kinn vorstellen. Das war auch gar nicht möglich, weil er sich längst an den Anblick von Jockel gewöhnt hatte. Inwieweit Jockels Äußeres auch mit den Folgen seiner strengen Erziehung im Zusammenhang stand, mochte Speck indes nicht beurteilen. Womöglich hätte er eine andere Kopfform, wenn ihm sein Vater nicht bei jedem Widerwort sofort eine reinballern würde? Aber man wusste es nicht. Den Grund für die außerordentliche Reizbarkeit seines Alten, so hatte Jockel ihm mal erzählt, vermutete er in dessen permanentem Schlafmangel. Sein Alter war nämlich Bäcker und musste jeden Morgen um zwei Uhr früh aufstehen. Specks Frage, ob der arme Mann wenigstens am Wochenende, wo er ausschlafen konnte, besser drauf war, musste Jockel leider abschlägig bescheiden. Speck nahm sich das als Mahnung, niemals im Leben Bäcker zu werden und in seinem Leben unbedingt immer dafür zu sorgen, dass er ausreichend Schlaf bekam. Und daran hielt er sich.

Wie auch immer, Jockel sah nun mal aus wie Jockel. Basta. Genau genommen wirkte er mit seinen leicht fettigen, glatten Haaren schon etwas ungepflegt und, ehrlich gesagt, auch sein Kinn passte eher zu einem Nussknacker als in Jockels Gesicht, und – wenn er schon mal dabei war – würde er ihm raten, die Mädchen nicht immer so wie Rasputin anzustarren und dabei so lüstern zu grinsen, so, als wollte er ihnen im nächsten Moment die Kleider vom Leib reißen. Das mochten die Mädchen gar nicht. Speck vermutete, dass Jockel in dieser spannungsgeladenen Atmosphäre das ganze Ausmaß seiner Kritik nicht so schnell verdauen würde, ohne dass die Stimmung des Abends dadurch Schaden nähme und behielt sie besser für sich. Jockel faselte dann noch, dass er auch mit seiner Haut und seinen Zähnen überhaupt nicht einverstanden sei und er immer schon mal wissen wollte, wie lang – ganz ehrlich, ohne zu schummeln – denn Specks Penis sei. Er habe einfach das unbehagliche Gefühl, seiner sei zu kurz. Als Speck gerade genauer wissen wollte, wie und vor allem womit Jockel das Maß seines Dinges eigentlich ermittelt habe und warum er überhaupt einen langen Penis haben wolle, der sei doch im Alltag nur hinderlich und ob es überhaupt grundsätzlich nicht effektiver sei, wenn er ihm kurz und bündig erzähle, mit welchem Bereich seines Körpers er im Einklang stehe, da kamen die Mädchen mit frischen Duftfahnen aus dem Bad zurück und zu Specks Erleichterung war dieses eigentümliche Gespräch damit beendet.

Die drei Schwarzen Kater, die Speck zuvor getrunken hatte, zeigten langsam Wirkung. Er fühlte...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-88769-589-5 / 3887695895
ISBN-13 978-3-88769-589-7 / 9783887695897
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