Huch, das Leben! -  Wolfgang Kirschner

Huch, das Leben! (eBook)

Erzählungen und Glossen
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
220 Seiten
konkursbuch (Verlag)
978-3-88769-585-9 (ISBN)
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'In diesem Buch wimmelt es von Witz, Charme und Leben.' Erzählungen über die absurd komischen Alltagsdramen Heranwachsender, über erste Verliebtheiten und das Scheitern diverser großer Lieben. Ob es im Erwachsenendasein weniger absurd und komisch zugeht? Das beantworten Kurzgeschichten und Glossen über alltägliche Verrücktheiten, Älterwerden, sonderbare Zufälle und merkwürdige Erlebnisse ... Schablonski ist verliebt in Miriam und in die Lehrerin, später in Martha, in Maggie, in Molly. Und alle Freunde sind verliebt in Sigi Sauters Schwester. Deshalb halten sie Sauter - der gerne schlüpfrige Witze erzählt, die keiner hören will - auch davon ab, etwas Anzügliches über seine Schwester zu berichten. Und wer von den Freunden kann die komischste Geschichte erzählen? Tragik und Komik liegen nahe beieinander. Jahre später hindert die Begegnung mit einem seltsamen Kind in der U-Bahn Schablonski an einem ersten Date. Und natürlich geht es in den Erzählungen und Glossen auch um die vielen anderen Dinge im Leben, zum Beispiel um Kontinentalverschiebungen und Umfragen, um Politik und Frühstücken, das Lesen, den Sommer und um Tübingen.

Wolfgang Kirschner ist in Stuttgart aufgewachsen, nach Tübingen ausgewandert und einer akademischen Laufbahn erfolgreich entkommen. Er publizierte Romane sowie Kurzgeschichten in Anthologien und Journalen und war Preisträger beim Literaturwettbewerb von Little Pen und dem Klaus Herzer Museum. Jahrelang schrieb er für Tübingen im Fokus die Kolumne - und in 'Huch, das Leben!' findet sich nun, oft nachgefragt, eine Auswahl seiner Erzählungen und Glossen.

Die Feldstudie

Drei Tage vor Ostern entstand die Idee, unsere Eltern beim Sex zu beobachten. Aus rein wissenschaftlichen Gründen, versteht sich. Arthur Finkbein, genannt Einstein, brachte das Ganze ins Rollen.

»Mal unter uns, Leute«, sagte er, als wir in der großen Pause über den Schulhof schlurften und mit den Strohhalmen unseren Kakao nuckelten, »wer glaubt eigentlich noch an den Osterhasen? – Hand hoch, bei wem das noch so ist!«

Er grinste uns mehrdeutig an, und wir guckten mehr dämlich zurück. Wir waren vierzehn, wer glaubte da noch an den Osterhasen?

»Hä?«, machten wir der Reihe nach.

»Okay«, meinte Einstein, »wie ich sehe, ist das Thema durch. Aber habt ihr schon mal darüber nachgedacht, warum an Ostern ein Hase die Hauptrolle spielt? Also vom religiösen Aspekt mal abgesehen.«

Er guckte uns wieder so mehrdeutig an, und keiner kapierte, was er eigentlich meinte.

»Sag mal«, fragte Matze, »bist du vom Kakao besoffen?«

Einstein ignorierte das. »Also gut, anders gefragt: Was sagt euch die Tatsache, dass drei von uns im Januar Geburtstag haben?«

»Das sind 75 Prozent«, sagte Kevin.

»Exakt«, bestätigte Einstein. »Also, klingelt’s?«

»In fünf Minuten«, sagte Matze nach einem Blick auf seine Multifunktions-Armbanduhr.

Einstein war enttäuscht wegen unserer langen Leitung. Aber wir waren in Gedanken mehr mit der bevorstehenden Mathearbeit beschäftigt als mit der wirren Gedankenwelt unseres Klassenprimus. Vielleicht stellte ich deshalb aus Versehen den entscheidenden Zusammenhang her:

»Und was hat das alles mit dem Osterhasen zu tun?«

»Bingo!«, rief Einstein, «er hat’s kapiert!«

Überhaupt nichts hatte ich kapiert, aber ich hütete mich, das zuzugeben. Außerdem wurde es Matze zu blöd, da war Vorsicht geboten. »Alles Quatsch! Ich gehe ins Klassenzimmer zurück. Da kann ich mir wenigstens noch ’n paar Formeln aufn Unterarm kritzeln.«

Einstein seufzte. Er gab es auf, uns seine neueste Theorie induktiv erklären zu wollen, und sagte einfach, was er herausgefunden hatte: Im Januar gab es seines Erachtens überdurchschnittlich viele Geburten, was, wenn man neun Monate zurückrechnete, kausal mit den Osterfeiertagen zusammenhing. An Ostern, so seine Erklärung, hatten die Leute Zeit, sie waren entspannt, es war Frühling, und folglich war Ostern das wahre Fest der Liebe, nicht Weihnachten. Das bewies auch der signifikante Anstieg der Geburtenrate im Januar. Der Hase, auch Rammler genannt, war somit das perfekte Ostersymbol.

Wir waren platt. Nur Matze, der Plattkopf, musste noch eins draufsetzen: »Stimmt!«, rief er begeistert. »Außerdem ist Ostern das Fest der Auferstehung …«

Er grinste breit und machte mit dem gekrümmten Zeigefinger, der sich langsam aufrichtete, eine entsprechende Geste.

Wir lächelten. Matze war der Chef. Da war es besser, sich bei seinen Witzen amüsiert zu zeigen.

»He«, meinte er jetzt, »wollen wir Einsteins Theorie einem Realitätstest unterziehen?«

»Hä?«, stöhnte Kevin.

Matze plusterte sich auf. »Na, wenn Einsteins Theorie stimmt, müssen unsere Herrschaften an Ostern doch rammeln wie die Hasen, stimmt’s? Das sollten wir unbedingt veri… very ficksieren.«

»Verifizieren«, korrigierte ihn Einstein.

»Sag ich doch. Also: Wir legen uns an Ostern auf die Lauer und schauen nach, was die Oldies so treiben. Könnte doch spannend werden, oder?«

»Hört sich eher nach Spannen an«, entgegnete Einstein. »Wisst ihr was? Wahrscheinlich ist meine Theorie sowieso falsch.«

»He«, knurrte Matze, »kneifen gibt’s nicht, kapiert?«

Kevin kratzte sich die Locken. »Wir können unsere Eltern doch nicht bei – bei so was beobachten. Wenn mein Vater mich erwischt, bringt er mich um. Außerdem sind wir an Ostern in den Bergen zum Skifahren. Da läuft bei denen eh nichts.«

»Von wegen, du Schlappohr!«, höhnte Matze. »Bei so viel Skihasen geht die Möhre ab! Da wird gerammelt, dass die Berge wackeln.«

Einstein, Kevin und ich sahen uns betreten an. Matze würde darauf bestehen, so viel war klar. Und wer seinen Vorschlägen nicht folgte, dem konnte er das Leben ganz schön »verpissen«, wie er es nannte. Da kam man noch gut weg, wenn man nicht in die Fußballmannschaft berufen wurde.

»Also, Leute, das wird ’ne Feldstudie«, verkündete er großspurig. »Wir checken, ob die Alten noch wie die Feldhasen rammeln. Alles für die Wissenschaft – Feldforschung und so. Wer erwischt wird, sagt einfach, dass er sein Osterhäschen gesucht hat. Dienstag treffen wir uns im Clubhaus. Fotos zu Doku-Zwecken sind natürlich erlaubt. Noch Fragen?«

Kevin wurde bleich. Er hatte am meisten Schiss vor seinem Vater. »Wozu brauchen wir diese ›Feldstudie‹ überhaupt?«

Matzes Miene verfinsterte sich. Derartige Fragen grenzten an Meuterei. »Mann, das interessiert doch jeden! Einstein wird unsere Beobachtungen wissenschaftlich aufbereiten, und dann bieten wir’s dem Playboy an. Gibt bestimmt Kohle dafür, und wir werden berühmt. Ist das etwa nichts?«

Na ja, so recht überzeugt waren wir nicht. Vielleicht würde er das Ganze über Ostern vergessen.

Fünf Minuten später brüteten wir über der ersten Mathe-Aufgabe, bei der es um ein gleichschenkliges Dreieck ging. Ausgerechnet. Als ich zu Matze rüberschielte, grinste er dreckig, während sich sein gekrümmter Finger langsam aufrichtete. Der würde das nie vergessen.

In der Nacht auf Ostersonntag lag ich im Bett und dachte daran, dass ich jetzt langsam mal aktiv werden müsste. Aber das konnte ich mir schenken. Mein Vater hatte Nachtdienst. Die ganzen Feiertage über. Als Polizist musste er unter anderem Feiertags-Selbstmörder davon abhalten, sich von den Dächern der Stadt zu stürzen. Da gab’s nichts, was neun Monate später auf ihn zurückfallen konnte.

Natürlich hatte ich das gleich gewusst, aber wenn ich es laut gesagt hätte, hätte Matze womöglich verlangt, dass ich unsere Nachbarn beobachtete. Aber die waren schon über siebzig und kein bisschen repräsentativ. Oder attraktiv, wissenschaftlich betrachtet. Also lag ich im Bett und überlegte, was ich am Dienstag erzählen sollte. Dann überlegte ich, wie es jetzt wohl den anderen erging. Bei Einsteins Mutter, Frau Finkbein, konnte ich mir nicht mal vorstellen, dass sie überhaupt Sex hatte. Sie war so zart und zerbrechlich, dass sie sich bei der geringsten Atembeschleunigung wie eine Pusteblume aufgelöst hätte. Zumal ihr Mann ein kugelrunder Riese war, mit einem Bauch, unter dem Frau Finkbein komplett verschwunden wäre. Und Herr Finkbein hätte nicht mal gesehen, dass seine Frau unter ihm verschwand. Na, jedenfalls war Einstein nicht blöd. Der würde am Dienstag irgendwas zusammenfantasieren. Ich war gespannt, was.

Bei Kevin war ich mir nicht sicher. Seine Eltern waren die jüngsten und sie waren sportlich und so. Aber Kevin war ein Hasenfuß. Andererseits war er zu fantasielos, sich irgendwas auszudenken. Schon möglich, dass er jetzt gerade vorsichtig die Türklinke in einem Berghotel herunterdrückte und eine Kamera mit einem lichtempfindlichen Spezialfilm ins Zimmer hielt.

Matze selbst hatte dagegen überhaupt keine Skrupel, seine Eltern auszuspionieren. Nur bei was? Seine Mutter trug Leggins und Lockenwickler und sein Vater sammelte Briefmarken und trank zu viel. Der war höchstens hinter der blauen Mauritius her, wie Matze selbst mal gehöhnt hatte.

Die Feiertage verbrachte ich überwiegend mit Lesen, weil’s regnete, und mit Essen, weil man nicht immer lesen konnte. Im Fernsehen kam so ein Endlos-Bibel-Epos, aber nach zehn Stunden oder so wurde es mir zu blöd und ich las und aß wieder. Na ja, und dann kam der Dienstag. Der Tag der Feldstudien-Auswertung im Clubhaus.

Das Clubhaus war ein alter Bauwagen, den Matzes Vater irgendwo aufgetrieben hatte. Es stand im Salatbeet hinterm Haus und sollte ursprünglich zum Party-Treff ausgebaut werden. Nachdem aber sein Vater das Interesse daran verloren hatte, hatte Matze den Wagen zum Clubhaus erklärt.

Als ich kam, waren die anderen schon da. Kevin sah besorgt aus, aber das war ja nichts Neues.

»Wird Zeit«, maulte Matze. »Wer zu spät kommt, fängt auch an.«

Na bestens. Alle starrten mich an.

»Tja, also … äh«, stammelte ich, »wie soll ich’s sagen?«

»He«, sagte Matze, »es ist für die Wissenschaft, okay?« In seinen Augen war aber ein so sensationsgieriger Glanz, dass ich nicht einfach die Wahrheit sagen konnte.

»Es war … also … na ja … äh … echt schwer in Worte zu fassen …«

»Scheiße«, unterbrach Matze ungeduldig, »haben die es so irre getrieben, oder was?«

Ich zuckte halb zustimmend mit den Schultern.

»Scheiße, Mann, die haben’s doch nicht etwa die ganze Nacht und so – oder …?«

Ich zuckte wieder vor mich hin.

»Mann, das ist ja unglaublich – und wie oft...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-88769-585-2 / 3887695852
ISBN-13 978-3-88769-585-9 / 9783887695859
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