Ich Ich Ich (eBook)

Selbstzeugnisse und Erinnerungen von Zeitgenossen

(Autor)

Inés Koebel (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403381-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich Ich Ich -  Fernando Pessoa
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Der große portugiesische Dichter und Denker Fernando Pessoa gibt Einblick in seine schwer zu fassende komplexe Persönlichkeit. Der Autor des Jahrhundertwerks »Das Buch der Unruhe« hat tausend Gesichter: Er ist Dichter und Theosoph, Pazifist und Monarchist, Klassiker und Futurist, der an sich selbst Zweifelnde und der sich selbst Überhöhende, der Misanthrop und der Menschenfreund. Eine Vielheit, die offenbart, was den Portugiesen umtrieb: sein Suchen, Zweifeln und Werden, seine inneren Kämpfe, seine Widersprüche, seine Sehnsucht nach Selbstvergewisserung und Identität. In einer Auswahl von Selbstanalysen, Tagebucheinträgen, Briefen, ergänzt durch Aussagen von Zeitgenossen, lädt die bekannte Pessoa-Kennerin und -Übersetzerin Inés Koebel dazu ein, sich auf die Spur dieses geheimnisvollen Verwandlungskünstlers zu begeben.

Fernando Pessoa (1888-1935), der bedeutendste moderne Dichter Portugals, ist auch bei uns mit dem »Buch der Unruhe« bekannt geworden. Einen Großteil seiner Jugend vebrachte er in Durban, Südafrika, bevor er 1905 nach Lissabon zurückkehrte, wo er als Handelskorrespondent arbeitete und sich nebenher dem Schreiben widmete. 1912 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker und Essayist. Er schuf nicht nur Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art, sondern Verkörperungen der Gegenstände seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme, darunter Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos - und er schrieb eben auch als Pessoa, das im Portugiesischen so viel wie »Person, jemand« bedeutet.

Fernando Pessoa (1888-1935), der bedeutendste moderne Dichter Portugals, ist auch bei uns mit dem »Buch der Unruhe« bekannt geworden. Einen Großteil seiner Jugend vebrachte er in Durban, Südafrika, bevor er 1905 nach Lissabon zurückkehrte, wo er als Handelskorrespondent arbeitete und sich nebenher dem Schreiben widmete. 1912 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker und Essayist. Er schuf nicht nur Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art, sondern Verkörperungen der Gegenstände seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme, darunter Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos – und er schrieb eben auch als Pessoa, das im Portugiesischen so viel wie »Person, jemand« bedeutet. Inés Koebel, geboren in Bamberg, arbeitete als Buchhändlerin und freie Feature Autorin. Sie übersetzt aus dem Französischen und Portugiesischen, hat den Band ›Brasilien erzählt‹ (S.Fischer 1994) ediert und ist Mitherausgeberin der neuen Pessoa-Werkausgabe, zuletzt erschien von ihr der Band ›Er selbst‹ . Neben dem ›Buch der Unruhe‹ hat sie die Gedichte von Álvaro de Campos, Alberto Caeiro und Ricardo Reis übertragen sowie Baron von Teive und Pessoas statisches Drama ›Der Seemann‹. Inés Koebel, geboren in Bamberg, arbeitete als Buchhändlerin und freie Feature Autorin. Sie übersetzt aus dem Französischen und Portugiesischen, hat den Band ›Brasilien erzählt‹ (S.Fischer 1994) ediert und ist Mitherausgeberin der neuen Pessoa-Werkausgabe, zuletzt erschien von ihr der Band ›Er selbst‹ . Neben dem ›Buch der Unruhe‹ hat sie die Gedichte von Álvaro de Campos, Alberto Caeiro und Ricardo Reis übertragen sowie Baron von Teive und Pessoas statisches Drama ›Der Seemann‹.

Ein berührender Band

Grausig gut geschrieben und spannend bis zum Schluss.

Aufzeichnungen und Briefe 19051935 Ich sollte jetzt unbedingt sagen, was für eine Art Mensch ich bin


[1905?]

Ja, was ist der Mensch anderes als ein geistloses, blindes Insekt, das gegen ein geschlossenes Fenster anschwirrt? Instinktiv fühlt er jenseits der Glasscheibe helles Licht und Wärme. Er ist jedoch blind und kann das Licht nicht sehen; wie er auch nicht sehen kann, daß sich zwischen ihm und dem Licht etwas befindet. Daher versucht er beharrlich, sich ihm zu nähern. Er kann sich zwar vom Licht entfernen, ihm aber nicht näher kommen, als die Scheibe erlaubt. Wie kann ihm Wissen helfen? Er mag die Unebenheit des Glases erkennen, seine rauhe Beschaffenheit, mag feststellen, daß es hier dicker und dort dünner ist: Mit alledem aber, werter Philosoph, wieviel näher kommt er da dem Licht? Wieviel näher kommt er da dem Sehen? Und dennoch glaube ich, daß der geniale Mensch, der Dichter, in gewisser Weise vermag, die Glasscheibe zu durchdringen und ans äußere Licht zu gelangen; er empfindet Wärme und Freude, um so vieles weitergegangen zu sein als alle anderen, aber ist nicht selbst er noch immer blind; ist er der Erkenntnis der ewigen Wahrheit tatsächlich näher gekommen? Lassen Sie mich meine Metapher noch ein wenig weiter fassen. Manche entfernen sich von der Glasscheibe zur falschen Seite hin, rückwärts; und kaum finden sie keine Glasscheibe[1] mehr vor, verkünden sie auch schon lauthals: »Wir haben es geschafft!«

(Orig. engl.)

 

Ich war ein von der Philosophie inspirierter Dichter, kein Philosoph mit dichterischen Fähigkeiten. Ich fand großen Gefallen daran, die Schönheit der Dinge zu bewundern und die poetische Seele des Universums im kaum Wahrnehmbaren und durch das verschwindend Kleine hindurch aufzuspüren.

Die Poesie der Erde ist niemals tot. Wir können vielleicht sagen, die vergangenen Zeiten waren poetischer, können aber auch sagen □

In allem ist Poesie – an Land und im Meer, in den Seen und an den Ufern der Flüsse. Auch in der Stadt – leugnet es nicht; sie ist deutlich sichtbar für mich, hier, wo ich sitze: In diesem Tisch ist Poesie, in diesem Blatt Papier, in diesem Tintenfaß; im Rattern der Fuhrwerke auf den Straßen ist Poesie, in jeder noch so geringen, gewöhnlichen, lächerlichen Geste eines Arbeiters, der auf der anderen Straßenseite das Ladenschild einer Metzgerei malt. Mein innerer Sinn beherrscht meine fünf Sinne dergestalt, daß ich die Dinge in diesem Leben – ich bin davon überzeugt – anders sehe als die anderen. Für mich sind – und waren – ein so lächerliches Ding wie ein Türschlüssel, ein Nagel in der Wand, die Schnurrhaare einer Katze reich an Bedeutung. Für mich hat ein Huhn, das mit seinen Küken quer über die Straße stolziert, etwas überaus Spirituelles. Der Duft von Sandelholz, eine alte Konservenbüchse auf einem Müllhaufen, eine im Rinnstein liegende Streichholzschachtel oder zwei schmutzige Papierfetzen, die an einem windigen Tag einander jagend die Straße hinabwirbeln, sind für mich von tieferer Bedeutung als menschliche Ängste.

Denn Poesie ist Erstaunen, Bewunderung, wie die eines vom Himmel gefallenen Wesens, das im vollen Bewußtsein seines Falls die Dinge erstaunt wahrnimmt. Wie die eines Wesens, das die Dinge in ihrer Seele kannte und versucht, sich dieses Wissen zu vergegenwärtigen, sich erinnernd, sie nicht so gekannt zu haben, nicht in dieser Form und unter diesen Gegebenheiten, sich aber an nichts anderes mehr erinnert.

(Orig. engl.)

 

Ein Künstler ist es sich schuldig, von Geburt an schön und elegant zu sein; denn wer die Schönheit verehrt, dem darf es nicht an ihr fehlen. Und es ist gewiß überaus schmerzlich für einen Künstler, nichts von dem in sich zu finden, wonach er strebt. Wen kann es beim Betrachten der Porträts von Shelley, Keats, Byron, Milton und Poe verwundern, daß sie Dichter waren? Alle waren sie schön, alle wurden sie geliebt und bewundert, alle haben sie in der Liebe die Wärme des Lebens und die himmlische Wonne erfahren, soweit dies einem Dichter oder überhaupt einem Menschen zuteil werden kann.

(Orig. engl.)

[Drei Fragmente von C. R. Anon[2]]


Zehntausend Mal ist mir das Herz in der Brust gebrochen. Ich vermag die Schluchzer, die mich schüttelten, die Schmerzen, die in meinem Herzen wüteten, nicht zu zählen.

Und doch habe ich auch andere Dinge gesehen, die mir Tränen in die Augen trieben und mich so heftig bewegt haben wie ein Blatt im Wind. Ich habe Männer und Frauen gesehen, die ihr Leben, ihre Hoffnungen, die alles für andere hingaben. Ich habe Akte von so großer Hingabe gesehen, daß ich Tränen der Freude weinte. Diese Dinge, dachte ich, sind schön, auch wenn sie nichts ungeschehen machen können. Sie sind reine Sonnenstrahlen auf dem großen Misthaufen[3] der Welt.

(Orig. engl.)

 

Ich habe die kleinen Kinder gesehen …

Ein Haß auf Institutionen, auf Konventionen hat meine Seele mit seinem Feuer entflammt. Ein Haß auf Priester und Könige hat mich erfaßt wie ein reißender Strom. Einst war ich ein frommer, leidenschaftlicher, aufrichtiger Christ; meine leicht erregbare, empfindsame Natur verlangte nach Nahrung für ihren Hunger, nach Brennstoff für ihr Feuer. Als ich aber diese Männer und Frauen betrachtete, leidend und böse, sah ich, wie wenig sie die Verdammnis einer weiteren Hölle verdienten. Welche Hölle ist schlimmer als das Leben? »Dieser freie Wille«, schrie ich innerlich, »auch er eine Konvention, eine Lüge, von den Menschen erfunden, um im Namen der ›Gerechtigkeit‹, diesem Beinamen für ›Verbrechen‹, strafen, foltern und töten zu können. ›Richtet nicht‹, steht in der Bibel – ja, in der Bibel: ›richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet‹!«

Als ich Christ war, dachte ich, die Menschen seien verantwortlich für ihr schlechtes Tun – ich haßte die Tyrannen, verdammte Könige und Priester. Als ich den irreführenden Einfluß der Philosophie Christi von mir abgeschüttelt hatte, haßte ich die Tyrannei, das Königtum und das Priestertum – das Übel schlechthin. Mit Königen und Priestern hatte ich Mitleid, denn sie waren Menschen.

(Orig. engl.)

Exkommunikation


Ich, Charles Robert Anon, Wesen, Tier, Säugetier, Vierfüßler, Primat, plazentar, Affe, Altweltaffe, □, Mensch; achtzehn Jahre alt, unbeweibt (mit gelegentlichen Ausnahmen), megaloman, mit Anzeichen periodisch auftretender Trinksucht, dégénéré supérieur, Dichter, mit humoristischen Ambitionen, Weltbürger, idealistischer Philosoph etc. etc. (um dem Leser weitere Unbill zu ersparen),

Verhänge im Namen der WAHRHEIT, der WISSENSCHAFT und der PHILOSOPHIE, nicht mit Glocke, Buch und Kerze, sondern mit Feder, Tinte und Papier,

Das Urteil der Exkommunikation gegen alle Priester und alle Sektierer aller Religionen der Welt.

 

Excommunicabo vos.

Seid alle verdammt.

Ainsi soit-il.

Vernunft, Wahrheit, Tugend durch C.R. A.

(Orig. engl.)

[Entwurf eines Briefes an den Pfarrer seiner Kirchengemeinde]


[1907]

Werter Herr,

 

ich wende mich mit einer Frage an Sie, die vielleicht nicht sonderlich angenehm ist, um die ich dennoch nicht umhinkomme, da sie mir mein Gewissen gebietet.

Am (…) Juli 1888 wurde ich in dieser Gemeinde – in dieser Kirche[4] – getauft, geboren wurde ich am 13. Juni desselben Jahres.

Nun aber bedingt die Taufe, wie mir scheint, die Eingliederung des Opfers in die Katholische Kirche, nötigt das Individuum, während es noch ein irrationales Wesen ist, einer allzu menschlichen Gemeinschaft beizutreten, mit deren Theorien es im Juli 1888 getauft, im späteren Mannesalter gedanklich vielleicht nicht einverstanden sein möchte.

Mir ist folgendes widerfahren: Die Katholische Kirche, so mächtig wie dumm, so irrational wie hinfällig, erhält die alte Hypothese eines Schöpfergottes aufrecht, die überaus dumm und vollkommen falsch ist, wenn man bedenkt (…)

[Fragment von C.R. Anon]


Ich stellte in mir eine allmähliche und schreckliche Aufspaltung zwischen der Welt und mir fest; der Unterschied zwischen den Menschen und mir war größer denn je. Familiäre Zuneigung – die meiner Familie zu mir – erschien mir angesichts meiner innigen Liebe zur gesamten Menschheit auf schmerzliche Weise kalt. Lebensüberdruß ergriff von meiner Seele Besitz; ich reagierte zusehends feindselig auf die Meinungen der Menschen, obgleich ich sie weiter aus tiefstem Herzen liebte. Jeder Tag, der mich älter werden sah, sah die furchtbare Kluft größer und größer werden. Ich war ein Genie, ich war mir dieser Wahrheit bewußt, sah aber auch diese andere: Ich war als Genie ein Wahnsinniger.

Zum Erfolg, sagt Dr. Reich,[5] benötigt ein junger Mann drei Dinge: Geographie, Geschichte und Religion. Die »Religion« sollte ich durch »Glaube« ersetzen, womit ich »Aufrichtigkeit« meine.

Um aber in der Welt Erfolg zu haben, wenn es denn das ist, was Dr. Reich meint, möchte ich noch hinzufügen, daß für den Erfolg in der Welt drei Dinge unentbehrlich sind: Gewissens- bzw. Skrupellosigkeit; Brutalität;...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2018
Reihe/Serie Fernando Pessoa, Werkausgabe
Übersetzer Inés Koebel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autobiographisch • Autobiographische Schrifte • Automatisches Schreiben • Briefe • Buch der Unruhe • Das Buch der Unruhe • Denker • Dichter • Fernando Pessoa • Heteronyme • Ich • Inés Koebel • Lissabon • Person • Portugal • Portugiese • Selbstanalysen • Tagebuch • Zeitgenossen
ISBN-10 3-10-403381-1 / 3104033811
ISBN-13 978-3-10-403381-5 / 9783104033815
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