Die Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort (eBook)

Hauptmann, Gerhart - 19364

(Autor)

Martin Neubauer (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
152 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961272-0 (ISBN)

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Die Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort -  Gerhart Hauptmann
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Ein Funke genügt: Als ein hungerleidender Junge zusammenbricht, kommt es zu Protesten der ausgebeuteten Weber vor der Villa des Fabrikanten Dreißiger. Die Situation eskaliert. Hauptmanns Drama über den schlesischen Weberaufstand von 1844 war ein Politikum - der ersten öffentlichen Aufführung in Berlin 1894 ging ein langwieriger Zensurprozess voraus, Kaiser Wilhelm II. kündigte seine Loge im 'Deutschen Theater'? Sozialdemokraten jubelten. Es betrat aber auch ästhetisches Neuland: Nicht mehr ein Individuum ist 'Held' des Dramas, sondern eine Gruppe gleichförmiger Elendsgestalten - die Weber.  

Gerhart Hauptmann (15.11.1862 Ober-Salzbrunn [Schlesien] - 6.6.1946 Agnetendorf [Schlesien]) gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Naturalismus. Nach einer abgebrochenen Lehre als Landwirt und dem zweijährigen Studium der Bildhauerei in Dresden reifte während einer Italienreise und dem Umzug nach Erkner in der Nähe von Berlin der Entschluss, freier Schriftsteller zu werden. Seine Mitgliedschaft im naturalistisch geprägten Dichterverein 'Durch' prägte ihn stark. So befassen sich seine Werke überwiegend mit der Idee der Weichenstellung des Menschen durch seine Herkunft. Handelt beispielsweise 'Vor Sonnenaufgang' - sein erster Erfolg als Dramatiker - vom Niedergang einer Bauernfamilie, schildert Hauptmann in der novellistischen Studie 'Bahnwärter Thiel' die Ohnmacht der Arbeitergesellschaft gegenüber der aufkommenden Industrialisierung. Zu seinen bekanntesten Werken gehört das Familiendrama 'Die Weber', das den Weberaufstand im Jahre 1844 thematisiert. Für sein dramatisches Werk wird Hauptmann 1912 mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Gerhart Hauptmann (15.11.1862 Ober-Salzbrunn [Schlesien] – 6.6.1946 Agnetendorf [Schlesien]) gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Naturalismus. Nach einer abgebrochenen Lehre als Landwirt und dem zweijährigen Studium der Bildhauerei in Dresden reifte während einer Italienreise und dem Umzug nach Erkner in der Nähe von Berlin der Entschluss, freier Schriftsteller zu werden. Seine Mitgliedschaft im naturalistisch geprägten Dichterverein "Durch" prägte ihn stark. So befassen sich seine Werke überwiegend mit der Idee der Weichenstellung des Menschen durch seine Herkunft. Handelt beispielsweise "Vor Sonnenaufgang" – sein erster Erfolg als Dramatiker – vom Niedergang einer Bauernfamilie, schildert Hauptmann in der novellistischen Studie "Bahnwärter Thiel" die Ohnmacht der Arbeitergesellschaft gegenüber der aufkommenden Industrialisierung. Zu seinen bekanntesten Werken gehört das Familiendrama "Die Weber", das den Weberaufstand im Jahre 1844 thematisiert. Für sein dramatisches Werk wird Hauptmann 1912 mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Die Weber

Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort

[9]Erster Akt


Ein geräumiges, graugetünchtes Zimmer in Dreißigers Haus zu Peterswaldau. Der Raum, wo die Weber das fertige Gewebe abzuliefern haben. Linker Hand sind Fenster ohne Gardinen, in der Hinterwand eine Glastür, rechts eine ebensolche Glastür, durch welche fortwährend Weber, Weberfrauen und Kinder ab- und zugehen. Längs der rechten Wand, die wie die übrigen größtenteils von Holzgestellen für Parchent verdeckt wird, zieht sich eine Bank, auf der die angekommenen Weber ihre Ware ausgebreitet haben. In der Reihenfolge der Ankunft treten sie vor und bieten ihre Ware zur Musterung. Expedient Pfeifer steht hinter einem großen Tisch, auf welchen die zu musternde Ware vom Weber gelegt wird. Er bedient sich bei der Schau eines Zirkels und einer Lupe. Ist er zu Ende mit der Untersuchung, so legt der Weber den Parchent auf die Waage, wo ein Kontorlehrling sein Gewicht prüft. Die abgenommene Ware schiebt derselbe Lehrling ins Repositorium. Den zu zahlenden Lohnbetrag ruft Expedient Pfeifer dem an einem kleinen Tischchen sitzenden Kassierer Neumann jedesmal laut zu.

Es ist ein schwüler Tag gegen Ende Mai. Die Uhr zeigt zwölf. Die meisten der harrenden Webersleute gleichen Menschen, die vor die Schranken des Gerichts gestellt sind, wo sie in peinigender Gespanntheit eine Entscheidung über Tod und Leben zu erwarten haben. Hinwiederum haftet allen etwas Gedrücktes, dem Almosenempfänger Eigentümliches an, der, von Demütigung zu Demütigung schreitend, im Bewußtsein, nur geduldet zu sein, sich so klein als möglich zu machen gewohnt ist. Dazu kommt ein starrer Zug resultatlosen, bohrenden Grübelns in aller Mienen. Die Männer, einander [10]ähnelnd, halb zwerghaft, halb schulmeisterlich, sind in der Mehrzahl flachbrüstige, hüstelnde, ärmliche Menschen mit schmutzigblasser Gesichtsfarbe: Geschöpfe des Webstuhls, deren Knie infolge vielen Sitzens gekrümmt sind. Ihre Weiber zeigen weniger Typisches auf den ersten Blick; sie sind aufgelöst, gehetzt, abgetrieben – während die Männer eine gewisse klägliche Gravität noch zur Schau tragen – und zerlumpt, wo die Männer geflickt sind. Die jungen Mädchen sind mitunter nicht ohne Reiz; wächserne Blässe, zarte Formen, große, hervorstehende, melancholische Augen sind ihnen dann eigen.

KASSIERER NEUMANN,

Geld aufzählend. Bleibt sechzehn Silbergroschen, zwei Pfennig.

ERSTE WEBERFRAU,

dreißigjährig, sehr abgezehrt, streicht das Geld ein mit zitternden Fingern. Sind Se bedankt.

NEUMANN,

als die Frau stehenbleibt. Nu? stimmt’s etwa wieder nich?

ERSTE WEBERFRAU,

bewegt, flehentlich. A paar Fenniche uf Vorschuß hätt’ ich doch halt aso neetig.

NEUMANN.

Ich hab’ a paar hundert Taler neetig. Wenn’s ufs Neetighaben ankäm’ –! Schon mit Auszahlen an einen andern Weber beschäftigt, kurz. Ieber den Vorschuß hat Herr Dreißiger selbst zu bestimmen.

ERSTE WEBERFRAU.

Kennt’ ich da vielleicht amal mit’n Herrn Dreißiger selber red’n?

EXPEDIENT PFEIFER,

ehemaliger Weber. Das Typische an ihm ist unverkennbar; nur ist er wohlgenährt, gepflegt gekleidet, glatt rasiert, auch ein starker Schnupfer. Er ruft barsch herüber. Da hätte Herr Dreißiger weeß Gott viel zu tun, wenn er sich um jede Kleenigkeit selber [11]bekimmern sollte. Dazu sind wir da. Er zirkelt und untersucht mit der Lupe. Schwerenot! Das zieht. Er packt sich einen dicken Schal um den Hals. Macht de Tiere zu, wer reinkommt.

DER LEHRLING,

laut zu Pfeifer. Das is, wie wenn man mit Kletzen red’te.

PFEIFER.

Abgemacht sela! – Waage! Der Weber legt das Webe auf die Waage. Wenn Ihr ock Eure Sache besser verstehn tät’t. Trepp’n hat’s wieder drinne … ich seh’ gar nich hin. A guter Weber verschiebt’s Aufbäumen nich wer weeß wie lange.

BÄCKER

ist gekommen. Ein junger, ausnahmsweise starker Weber, dessen Gebaren ungezwungen, fast frech ist. Pfeifer, Neumann und der Lehrling werfen sich bei seinem Eintritt Blicke des Einvernehmens zu. Schwerenot ja! Da soll eener wieder schwitz’n wie a Laugensack.

ERSTER WEBER,

halblaut. ’s sticht gar sehr nach Regen.

DER ALTE BAUMERT

drängt sich durch die Glastür rechts. Hinter der Tür gewahrt man die Schulter an Schulter gedrängt zusammengepfercht wartenden Webersleute. Der Alte ist nach vorn gehumpelt und hat sein Pack in der Nähe des Bäcker auf die Bank gelegt. Er setzt sich daneben und wischt sich den Schweiß. Hier is ’ne Ruh’ verdient.

BÄCKER.

Ruhe is besser wie a Beehmen Geld.

DER ALTE BAUMERT.

A Beehmen Geld mechte ooch sein. Gu’n Tag ooch, Bäcker!

BÄCKER.

Tag ooch, Vater Baumert! Ma muß wieder lauern wer weeß wie lange!

ERSTER WEBER.

Das kommt nich druf an. A Weber wart’t an Stunde oder an’n Tag. A Weber is ock ’ne Sache.

[12]PFEIFER.

Gebt Ruhe dahinten! Man versteht ja sei eegenes Wort nich.

BÄCKER,

leise. A hat heute wieder sein’n tälsch’n Tag.

PFEIFER,

zu dem vor ihm stehenden Weber. Wie oft hab’ ich’s Euch schonn gesagt! besser putzen sollt er. Was ist denn das für ’ne Schlauderei? Hier sind Klunkern drinne, so lang wie mei Finger, und Stroh und allerhand Dreck.

WEBER REIMANN.

’s mecht’ halt a neu Noppzängl sein.

LEHRLING

hat das Webe gewogen. ’s fehlt auch am Gewicht.

PFEIFER.

Eine Sorte Weber is hier so – schade fier jede Kette, die man ausgibt. O Jes’s, zu meiner Zeit! Mir hätt’s woll mei Meister angestrichen. Dazumal da war das noch a ander Ding um das Spinnwesen. Da mußte man noch sei Geschäfte verstehn. Heute da is das nich mehr neetig. – Reimann zehn Silbergroschen.

WEBER REIMANN.

E Fund wird doch gerech’nt uf Abgang.

PFEIFER.

Ich hab’ keine Zeit. Abgemacht sela. Was bringt Ihr?

WEBER HEIBER

legt sein Webe auf. Während Pfeifer untersucht, tritt er an ihn und redet halblaut und eifrig in ihn hinein. Se werden verzeihen, Herr Feifer, ich mechte Sie gittichst gebet’n hab’n, ob Se vielleicht und Se wollt’n so gnädig sein und wollt’n mir den Gefalln tun und ließen mir a Vorschuß dasmal nich abrech’n.

PFEIFER,

zirkelnd und guckend, höhnt. Nu da! Das macht sich ja etwan. Hier is woll d’r halbe Einschuß wieder auf a Feifeln geblieb’n?

WEBER HEIBER,

in seiner Weise fortfahrend. Ich wollt’s ja gerne uf de neue Woche gleichemach’n. Vergangne [13]Woche hatt’ ich bloß zwee Howetage uf’n Dominium zu leist’n. Dabei liegt Meine krank derheeme …

PFEIFER,

das Stück an die Waage gebend. Das is eben wieder ’ne richt’ge Schlauderarbeit. Schon wieder ein neues Webe in Augenschein nehmend. So ein Salband, bald breit, bald schmal. Emal hat’s den Einschuß zusammengeriss’n wer weeß wie sehr, dann hat’s wieder mal ’s Sperrittl auseinandergezog’n. Und auf a Zoll kaum siebzig Faden Eintrag. Wo is denn der iebriche? Wo bleibt da die Reelletät? Das wär’ so was!

WEBER HEIBER

unterdrückt Tränen, steht gedemütigt und hilflos.

BÄCKER,

halblaut zu Baumert. Der Pakasche mecht’ ma noch Garn d’rzunekoofen.

ERSTE WEBERFRAU,

welche nur wenig vom Kassentisch zurückgetreten war und sich von Zeit zu Zeit mit starren Augen hilfesuchend umgesehen hat, ohne von der Stelle zu gehen, faßt sich ein Herz und wendet sich von neuem flehentlich an den Kassierer. Ich kann halt balde … ich weeß gar nich, wenn Se mir dasmal und geb’n mir keen’n Vorschuß … o Jesis, Jesis.

PFEIFER

ruft herüber. Das is a Gejesere. Laßt bloß a Herr Jesus in Frieden. Ihr habt’s ja sonst nich so ängstlich um a Herr Jesus. Paßt lieber auf Euern Mann uf, daß und man sieht’n nich aller Augenblicke hinterm Kretschamfenster sitz’n. Wir kenn kein’n Vorschuß geb’n. Wir miss’n Rechenschaft ablegen dahier. ’s is auch nich unser Geld. Von uns wird’s nachher verlangt. Wer fleißig is und seine Sache versteht und in der Furcht Gottes seine Arbeit verricht’t, der braucht ieberhaupt nie keen’n Vorschuß nich. Abgemacht Seefe.

[14]NEUMANN.

Und wenn a Bielauer Weber ’s vierfache Lohn kriegt, da verfumfeit er’s vierfache und macht noch Schulden.

ERSTE WEBERFRAU,

laut, gleichsam an das Gerechtigkeitsgefühl aller appellierend. Ich bin gewiß ni faul, aber ich kann ni mehr aso fort. Ich hab’ halt doch zweemal an Iebergang gehabt. Und was de mei Mann is, der is ooch bloßich halb; a war beim Zerlauer Schäfer, aber der hat’n doch au nich kenn’n von sein’n Schad’n helf’n, und da … Zwing’n kann ma’s doch nich … Mir arbeit’n gewiß, was wir ufbringen. Ich hab’ schonn viele Woch’n keen’n Schlaf in a Aug’n gehabt, und’s wird auch schonn wieder gehn, wenn ock ich und ich wer de Schwäche wieder a bissel...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2017
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Deutsch • Deutsche Literatur • Deutsch-Unterricht • Die Weber • Drama • gelb • gelbe bücher • Gerhart Hauptmann • Klassenlektüre • Lektüre • Literatur Klassiker • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Schlesischer Weberaufstand • Schullektüre • soziales Drama • Weltliteratur
ISBN-10 3-15-961272-4 / 3159612724
ISBN-13 978-3-15-961272-0 / 9783159612720
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