Werke in zwei Bänden (eBook)

Bd. 1: Romane und Erzählungen Bd. 2: Gedichte und Essays

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
1096 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490365-1 (ISBN)

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Werke in zwei Bänden -  Hans Keilson
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Hans Keilsons erzählerisches Werk entwirft Porträts, Psychogramme und Bilder aus der Zeit der späten Weimarer Republik, des zerstörerischen Nationalsozialismus und des Exils. Keilson führt seine Figuren durch die dunkelsten Jahre des 20. Jahrhunderts und verzichtet dabei auf eine polarisierende Schwarz-Weiß-Malerei. Die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Täter und Opfer ist hier keine präzise Linie, sondern ein diffuser Bereich, an dem sich die Figuren dieser Romane und Erzählungen entlangtasten müssen. Dass sie dabei weder ihren Humor noch ihre Menschlichkeit verlieren, ist Ausdruck eines nachhaltigen Widerstands gegen äußere Not und Barbarei. Die Werkausgabe beinhaltet die Romane ?Das Leben geht weiter? und ?Der Tod des Widersachers? sowie die Erzählungen ?Komödie in Moll? und ?Dissonanzenquartett?. Während sich der junge Hans Keilson hauptsächlich als Erzähler hervortat, stehen in seinem Spätwerk die Gedichte und Essays im Zentrum. ?Sprachwurzellos? ist nicht nur der Titel seiner bekannten Gedichtsammlung, es ist gleichsam die Bezeichnung für eine existentielle Erfahrung, um die das Spätwerk Keilsons kreist. Wie kaum ein anderer Autor hat er auch in seinen aktuellsten Texten die seelischen, politischen und kulturellen Folgen der NS-Zeit analysiert und sprachlich vergegenwärtigt; ein literarisches Engagement, das bis zuletzt anhielt. Neben der bereits erwähnten Gedichtsammlung enthält die Werkausgabe die unter dem Titel ?Wohin die Sprache nicht reicht? publizierten Essays sowie verstreute, teilweise bisher unveröffentlichte Gedichte und Schriften. Inhaltsverzeichnis Ein großer Dichter in seiner Prosa, ein hellsichtiger Analytiker in seiner Dichtung. Das bewegende Werk Hans Keilsons kann zum ersten Mal in einer Gesamtschau besichtigt werden. ?Romane und Erzählungen?: Das Leben geht weiter, Der Tod des Widersachers, Komödie in Moll, Dissonanzen-Quartett ?Gedichte und Essays?: Sprachwurzellos, Einer Träumenden, Wohin die Sprache nicht reicht, verstreute Texte.

Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman ?Das Leben geht weiter? erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle ?Komödie in Moll? wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem »Welt«-Literaturpreis.Literaturpreise:'Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay' der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005Moses-Mendelssohn-Medaille 2007

Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman ›Das Leben geht weiter‹ erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle ›Komödie in Moll‹ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem »Welt«-Literaturpreis. Literaturpreise: "Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005 Moses-Mendelssohn-Medaille 2007

Das Herbstgeschäft war ein großer Versager gewesen, man hatte sich schon anfangs keine Vorstellung und Hoffnungen gemacht, nun übertraf es sogar sie schlimmsten Befürchtungen. Das vorige Jahr – ja, da hatte man den besten Vergleich zu dem mageren Ergebnis jetzt, es war ein Jammer, die Ware lag in den Fächern, und nur selten ließ sich ein Käufer blicken. Die wenigen, die wirklich noch viel brauchten, weil sie eine große Familie waren oder sich schon im Vorjahre hinübergeholfen hatten, konnten bei weitem nicht alles bezahlen, und Herrn Seldersen blieb nichts anderes übrig, als zu borgen und den Betrag in das Buch zu schreiben. Was konnte er schließlich sonst tun, borgte er nicht, dann machte ein anderer das Geschäft. Gewiß gab es auch noch einige, die regelmäßig ihr Geld brachten, aber sie konnten den Ausfall nicht wettmachen.

Nun ist auch durchaus nicht einzusehen, warum Menschen, die an sich schon über wenig verfügen, sich gerade für den Herbst neu einkleiden sollen und nicht das weitertragen, was sie den ganzen Sommer hindurch angezogen haben, zugegeben, die Luft ist nicht mehr ganz so warm, so kalt wie im Winter ist sie aber erst recht nicht, vielmehr eine angenehme, ausgeglichene Mischung von beidem. Ging man im Sommer, wenn die Sonne brannte, in Hemd und Hose, so zieht man sich jetzt, da es kälter wird, eine Jacke darüber oder noch ein paar Unterkleider darunter, aber sich eigens dafür neue Sachen kaufen, das hat Zeit bis zum Winter selbst.

Herr Seldersen vertröstete sich also auf den Winter und hoffte dort auf eine Belebung. Nun, um es kurzweg zu sagen, auch mit dem Winter war nicht viel Staat zu machen. Herr Seldersen hatte Zeit genug, am Nachmittag, wenn also die eigentliche Geschäftszeit war, die Straßen entlangzugehen und Ausschau zu halten, ob bei der Konkurrenz etwas zu tun war. Er tat dies auf eine verstohlene und umständliche Art, er nahm einen Brief zur Hand und gab sich den Anschein, als ob er zur Post ginge. Sein Weg führte an verschiedenen Geschäften vorbei, er hatte genügend Gelegenheit nachzuspähen, sich zu überzeugen und zu beruhigen – der Konkurrenz erging es nicht besser. Oft ging er auch hinein in den Laden, dann stand er lange Zeit mit Herrn Wiesel im Gespräch, sie erzählten sich gegenseitig, wie schlecht das Geschäft jetzt ging. Immer fanden sie einen neuen Standpunkt, von dem aus sie sich an ihr eigentliches Thema heranpirschten. Dann kam meistens gerade ein Kunde oder auch mehrere auf einmal, Herr Seldersen verabschiedete sich schnell und ging nach Hause. In seinem Laden empfing ihn seine Frau, angelehnt an die Tür hielt sie Ausschau und gab offen zu, daß sie im Augenblick keine Beschäftigung hatte.

»Komm herein«, bat sie der Vater, er hatte es nicht gerne, wenn sie an der Türe stand, wie um aller Welt auszubreiten, seht, ich habe nichts zu tun. »Komm herein«, bat er nochmals.

Die Mutter wehrte ab, sie verstand nicht, was der Vater wollte: »Laß mich«, sagte sie, »ich stehe doch nur hier und passe auf, denkst du, es geht mich nichts an?«

Diese Frau, Herr Seldersen schüttelte den Kopf, er ging hinein und versteckte sich in einer dunklen Ecke. Ab und zu kam die Mutter und verkündete, eben sei Frau Zorn mit einem großen Paket von Herrn Wiesel gekommen, während sie doch bei ihnen hier hoch im Buch steht. Dann nahm sie wieder ihren Platz ein, bis sie die nächste Meldung brachte. Herr Seldersen verlor mittlerweile die Geduld, er schickte sie nach oben. Es kam in dieser Zeit häufig zu Unstimmigkeiten zwischen ihnen.

Die beiden letzten Tage vor dem Fest setzte auf einmal ein Kommen und Gehen ein, daß Seldersens kaum Zeit zum Essen fanden, zu dritt arbeiteten sie im Laden mit einem Lehrmädchen, und Albrecht stand an der Kasse, man hatte seine Hilfe nötig, es ging nicht anders. Am Abend fielen die Eltern ins Bett, aber die Freude und das Bewußtsein, noch auf dem Platz zu stehen, überwogen bei weitem die Müdigkeit.

»Glaub mir«, sagte die Mutter dann zu Vater und Sohn, »glaub mir, wenn einer hier etwas zu tun hat, dann haben eben alle zu tun, und wenn der eine unten steht und wartet, dann warten sie alle, glaub mir, Brot wird für alle gebacken.«

Herr Seldersen nickte nur mit dem Kopfe, diese beiden Tage zum Schluß gingen über seine Kräfte, er wußte sich nicht zu fassen vor Glück, schließlich sagte er:

»Ja, ja, aber was nützt es, es kommt darauf an, wer es länger aushält.«

Da war wieder sein altes Mißtrauen, seine ganze Hoffnungslosigkeit lag in den Worten. Schwieg er doch lieber, so raubte er anderen nicht die Hoffnung.

Die Wochen danach wurden still und trostlos, der Winter ließ alles viel schwerer ertragen, die Stadt war wie ausgestorben, bei der Kälte wagte sich niemand hervor.

Über Neujahr stellte sich auch Fritz wieder zu Hause ein, er hatte sich ein paar Tage Urlaub geben lassen und verbrachte ihn bei seinen Eltern. Er sah wohl aus, anscheinend bekam ihm der Hamburger Aufenthalt gut, stolz ging er durch die Straßen, seine Eltern verhehlten nicht ihre Zufriedenheit. Ja, nun war er in Hamburg, er hatte seine Arbeit, es ging ihm gut, viel wußte er Albrecht zu berichten. Die Stadt vor allem, was gab es da nicht alles zu sehen, überall steckte sie voller Geheimnisse und Schönheiten. Unten am Hafen, in dem Gängeviertel, St. Pauli und dann die Vororte rings herum, der Fluß und schließlich das Meer. Er konnte nicht genug sehen, und auch heute hatte er sicherlich noch nicht alles kennengelernt. Albrecht hörte gespannt zu, bewundernd sah er zu Fritz auf … alles das hatte er gesehen. »Und deine Arbeit, was ist mit deiner Arbeit?« fragte er. Schließlich ist er doch nur nach Hamburg gefahren, um dort in einer großen Exportfirma zu lernen, und jetzt saß er schon die ganze Zeit hier und konnte sich nicht genug tun in Erinnerungen an die Stadt und wie gut ihm alles gefallen habe – von der Arbeit bei seiner Lehrfirma kein Wort.

»Wie ist das mit den Aussichten?« fragte er noch einmal.

Da wurde Fritz ziemlich kleinlaut, er mußte erst längere Zeit nach einer Antwort suchen. »Nun, nun, so schnell geht es nicht, zuerst muß ich lernen, dann kann man weitersehen.«

Albrecht überlegte, die Worte machten ihn nachdenklich, war Fritz zufrieden, oder was für ein Grund bewog ihn, sich so vorsichtig auszudrücken? »Es ist sicherlich nicht so, wie du es dir anfangs vorgestellt hast«, sagte er vorsichtig. Fritz nickte.

»Ja, ja, es ist schwerer, als man sich es vorstellt, plötzlich tauchen Schwierigkeiten auf, an die man gar nicht gedacht hat, es gibt unerhörte Verwicklungen, man sollte es nicht glauben … nun ja, wir haben eben den Krieg verloren.«

»Den Krieg verloren«, wiederholte Albrecht, das war also die Ursache der Schwierigkeiten und Verwicklungen, von denen Fritz sichtlich niedergeschlagen sprach, das hatte er da oben in Hamburg also erfahren?

»Wie steht es denn mit dem Überseehandel?« fragte er.

Fritz kleinlaut: »Ich sagte es dir doch eben schon, was hast du denn für Vorstellungen?«

Albrecht erstaunt: »Vorstellungen?« Nun, er hatte keine, ihm schwebte nur das vor, was Fritz sich zu Beginn seiner Lehrzeit unter Überseehandel vorgestellt hatte, er ließ damals in seiner Unwissenheit und Freude so etwas verlauten, ein Gemisch von exotischen Völkern, fremden Sprachen, Schiffen und Wassern, das lockte, da gab es noch etwas zu entdecken, und nun … »Mit dem Überseehandel ist es schlecht bestellt«, sagte Fritz, »die Einfuhr, Ausfuhr, Zölle, der Absatz, die ausländische Konkurrenz, was sich da alles gegen uns verschworen hat« …

Albrecht hörte gespannt zu, wie Fritz erzählte, er sah ihm an, daß es ihm schwerfiel, diese Wahrheiten zu berichten, noch schwerer mußte es ihm geworden sein, sie untrügbar ohne Täuschung zu sehen, zu erkennen und sich einzugestehn, so ist es, nicht anders – er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Und noch mehr. Fritz berichtete von Firmen, die er in Hamburg kennengelernt hatte, sie hatten mittlerweile das Rennen aufgesteckt, waren als Opfer auf der Strecke geblieben, aber seine Firma … Gott bewahre, da bestand keine Furcht, sie würden sich sicherlich halten und durch die schwere Zeit hindurchbringen, dies war seine Hoffnung.

Also auch bei ihnen stand es nicht zum besten? Fritz verhehlte es nicht, sein Gesicht wurde ernst und nachdenklich, als hafte er persönlich.

»Und wie lange mußt du lernen?« fragte Albrecht.

»Zwei Jahre.«

Den Tag nach Neujahr fuhr Fritz wieder ab.

Glück auf, dachte Albrecht, er wünschte alles Gute.

Dieser Winter war reich an Ereignissen. Im ersten Monat des neuen Jahrs erschoß sich der Mitinhaber eines großen Geschäftshauses in Berlin, dessen geschäftliche Verbindungen nach allen Ländern reichten. Es war ein bedeutsames Ereignis, überraschend vor allem und betrübend, es offenbarte mit unnachsichtlicher Deutlichkeit, was man bei der allgemein fortschreitenden Unsicherheit und Bedrängnis für die Zukunft zu erwarten hatte. Tags darauf stand es in allen Zeitungen mit Rückblicken, genauen Erklärungen bis ins einzelne.

Herr Seldersen las den Abschnitt in seiner Zeitung immer wieder, und jedesmal schüttelte er den Kopf, hier konnte er nicht mehr mit, das überstieg seinen Verstand, maßloser Schmerz ergriff ihn.

»Was sagen Sie nur, Herr Wiesel«, fragte er, »was sagen Sie nur? Nach achtzigjährigem Bestehen! Hätten Sie es geglaubt?«

Herr Wiesel schüttelte den Kopf, er hätte es ebenfalls nicht für möglich gehalten. Gewiß, jedermann wußte, daß auch hier die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte, es war längst nicht mehr so wie früher. Neue Häuser waren auf den Plan getreten, jünger, lebendiger, unbeschwerter; eine andere Art, geschäftliche Dinge...

Erscheint lt. Verlag 6.9.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Anspruchsvolle Literatur • Das Leben geht weiter • Der Tod des Widersachers • Deutsche Geschichte • Dissonanzenquartett • Einer Träumenen • Exil • Judentum • Komödie in Moll • Literatur • Lyrik • Nationalsozialismus • Opfer • Psychoanalyse • Sprachwurzellos • Täter • Weimarer Republik • Weimarer-Republik • Wohin die Sprache nicht reicht
ISBN-10 3-10-490365-4 / 3104903654
ISBN-13 978-3-10-490365-1 / 9783104903651
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