Die Liebe in diesen Zeiten (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 2. Auflage
496 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43160-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Liebe in diesen Zeiten -  Chris Cleave
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Eine große Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges London bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Wie so viele andere meldet sich die junge Mary North zur Truppenunterstu?tzung, denn sie sieht darin die Chance, ihr Leben selbstbewusst in die Hand zu nehmen. Während die ersten Bomben fallen, engagiert sie sich als Hilfslehrerin und lernt Tom kennen. Als sie wenig später jedoch Toms Freund Alistair begegnet, fu?hlt sie sich augenblicklich zu ihm hingezogen - aber Alistair muss zuru?ck an die Front. Während die Welt in Schutt und Asche versinkt, geben allein ihre Briefe den beiden Liebenden Halt.

Chris Cleave hat u.a. als Kolumnist für den englischen 'Guardian' geschrieben, als Barmann und Hochseematrose gearbeitet, Meeresnavigation unterrichtet und eine Internetfirma aufgezogen. Bereits sein erster Roman 'Lieber Osama' wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, sein zweiter, 'Little Bee', zu einem Weltbestseller. Er lebt mit seiner Familie in London.

Chris Cleave hat u.a. als Kolumnist für den englischen 'Guardian' geschrieben, als Barmann und Hochseematrose gearbeitet, Meeresnavigation unterrichtet und eine Internetfirma aufgezogen. Bereits sein erster Roman 'Lieber Osama' wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, sein zweiter, 'Little Bee', zu einem Weltbestseller. Er lebt mit seiner Familie in London.

September 1939


Mary weinte fast, als sie erfuhr, dass ihre erste Aufgabe als Lehrerin darin bestehen würde, ihre Klasse aufs Land zu evakuieren. Und als sie herausfand, dass London seine Zootiere mehrere Tage vor seinen Kindern evakuiert hatte, war sie empört. Wenn man schon ins Exil musste, sollte die Hauptstadt ihre Kinder doch bitte höher schätzen als Papageien und Moschusochsen.

Sie überprüfte ihren Lippenstift im Taschenspiegel und hob die Hand.

»Ja, Miss North?«

»Ist es nicht eine Schande, dass die Tiere zuerst evakuiert wurden?«

Sie sagte es so, dass alle Kinder es hören konnten, die am Sammelpunkt vor dem leeren Londoner Zoo auf die Evakuierung warteten. Zaghafte Beifallsrufe. Der kühle Blick der Schulleiterin verunsicherte Mary etwas. Aber es war doch nicht richtig, zuerst den Tieren die Rettungsleine hinzuwerfen? War das nicht so eine Altmännerentscheidung, wie sie schon der alte Noah getroffen hatte: die Arche mit stummem Viehzeug statt mit lebenden Kindern zu füllen, die nur Widerworte gegeben hätten? So hatte man die besten Wurzeln der Menschheit ertrinken lassen. Darum waren Männer das gewalttätige Inzucht-Produkt der Nachkommen von Ham, Sem und Japhet, und fähig, in der Saison den Krieg zu erklären, in der Mary ihr Augenmerk auf feines Kammgarntuch hatte richten wollen.

Die Schulleiterin seufzte nur. Also. Der Grund für die Verzögerung war schlicht der, dass man den Namen eines Seidenäffchens nicht auf einen Gepäckanhänger schreiben, es nicht in ein Zweite-Klasse-Abteil begleiten und mit einer angemessenen Gastfamilie in den Cotswolds versehen musste. Die niederen Primaten brauchten lediglich einen Lastwagen für die Hinfahrt und am Ziel anständiges Futter, während die höheren Hominiden, die auf Namen wie Henry und Sarah hörten, eine Vielzahl von Bedürfnissen hatten, die eine pflichtbewusste Bürokratie nicht nur voraussehen, sondern auch erfüllen und darüber hinaus dokumentieren musste, und zwar auf Formularen, die erst noch von der Druckerei kommen mussten.

»Ich verstehe«, sagte Mary. »Danke.«

Natürlich war das der Grund. Sie hasste es, achtzehn zu sein. Einsicht und Empörung fraßen sich durch die Vernunft wie heiße Kohlen durch Ofenhandschuhe. Darum also wimmelte es in London immer noch von Kindern, während der Zoo verlassen war und dreihundert Portionen Affenfutter in kleinen, aus Zeitungspapier gedrehten Tüten zum Preis von einem halben Penny unverkauft und verloren im Kiosk lagen.

Sie hob noch einmal die Hand, ließ sie aber gleich wieder fallen.

»Ja?«, fragte Miss Vine. »Noch etwas?«

»Entschuldigung. Nein.«

»Gut.«

Die Schulleiterin wandte sich einen Augenblick von den Reihen der Kinder ab und fixierte Mary mit einem Blick, der von Nächstenliebe nur so troff.

»Vergessen Sie nicht, Sie sind jetzt auf unserer Seite. Bei den Erwachsenen, wissen Sie?«

Mary konnte beinahe spüren, wie sogar ihre Knochen vor Abneigung knackten. »Danke, Miss Vine.«

Diesen Augenblick nutzte das einzige farbige Kind der Schule, um sich vom Sammelpunkt wegzustehlen und am Haupttor des Zoos emporzuklettern, das mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Die Schulleiterin fuhr herum.

»Zachary Lee! Komm sofort herunter!«

»Und was, wenn nicht? Schicken Sie mich dann aufs Land?«

Die ganze Schule schnappte nach Luft. Der Negerjunge, zehn Jahre alt und unbesiegbar, salutierte. Er schwang die mageren braunen Beine über das Tor, wobei er sich am vorletzten und letzten schmiedeeisernen O von LONDON ZOO festhielt, als wären es die Griffe eines Turnpferds, und ward nicht mehr gesehen.

Miss Vine wandte sich an Mary. »Sie holen den Nigger wohl besser zurück, nicht wahr?«

 

Es war ihre erste Rettungstat in diesem Krieg. Die kupferrote, lebhafte Mary North durchkämmte den verlassenen Zoo, auf Wegen, die noch gut gepflegt waren. Allein fühlte sie sich besser. Sie rauchte heimlich eine Zigarette. Mit der anderen Hand massierte sie ihre Stirn, überzeugt, dass sie den Verdruss daran hindern konnte, sich dort einzunisten. Man konnte Kümmernisse vertreiben, so wie man Asche vom Ärmel schnippte oder eine verirrte Biene durchs offene Fenster hinausbugsierte.

Sie hatte schon das Giraffengehege und die Käfige der großen Raubkatzen überprüft. Als sie jemanden husten hörte, schlich sie auf Zehenspitzen durch ein Tor, dessen Riegel geöffnet war, ins Affengehege. Sie stapfte durch das Stroh. Ein Geruch von Urin und Moschus stieg auf, der ihr Herz erschrocken schneller schlagen ließ. Aber sie hoffte, ein Zoowärter hätte es wohl gemerkt, wenn beim Durchzählen auf dem Evakuierungslastwagen ein ganzer Gorilla fehlte.

»Komm raus, Zachary Lee, ich weiß, dass du hier drinnen bist.«

Es war unheimlich, im Gorillahaus zu stehen und durch das verschmierte Glas nach draußen zu blicken. »Na komm schon, Zachary, Schätzchen. Sonst bekommen wir beide Ärger.«

Ein zweites Husten, es raschelte unter dem Stroh. Dann, mit seinem weichen amerikanischen Akzent: »Ich komme nicht raus.«

»Na schön«, sagte Mary. »Dann werden wir beide hier zusammen verrotten, bis der Krieg vorbei ist. Und niemand wird je erfahren, wie talentiert wir uns dabei angestellt hätten.«

Sie setzte sich neben den Jungen, nachdem sie vorher ihre rote Jacke mit dem rosa Seidenfutter nach unten auf dem Stroh ausgebreitet hatte. Es fiel ihr schwer, missgelaunt zu bleiben. Man konnte über den Krieg sagen, was man wollte, aber er hatte sie aus Mont-Choisi befreit, und zwar pünktlich vor einem Nachmittag mit einer Doppelstunde Französisch, und hielt vielleicht weitere Wohltaten bereit. Sie zündete sich die nächste Zigarette an und blies den Rauch durch einen Streifen Sonnenlicht.

»Dürfte ich auch eine haben?«, fragte das leise Stimmchen.

»Höflich gefragt«, sagte Mary. »Und nein. Erst wenn du elf bist.«

Vom Sammelpunkt ertönte eine Trillerpfeife. Das konnte entweder bedeuten, dass schwere Bomber im Anflug waren, oder aber, dass man die Kinder in zwei etwa gleich starke Mannschaften für eine Runde Schlagball eingeteilt hatte.

Zachary schob den Kopf aus dem Stroh. Mary staunte noch immer über seine braune Haut, die kastaniendunklen Augen. Als er zum ersten Mal gelächelt hatte, war sie ganz entzückt gewesen über die aufblitzende rosa Zunge. Sie hätte erwartet, diese wäre – na ja, nicht braun, aber gewiss ein ähnlicher Gegensatz zu Rosa wie braune Haut zu weißer. Eine bläuliche Zunge vielleicht, wie bei einem Skink. Es hätte sie nicht überrascht zu erfahren, dass sein Blut schwarz und sein Stuhl elfenbeinfarben war. Er war der erste Neger, den sie aus der Nähe sah – von den Plakaten der Minstrel-Shows einmal abgesehen –, und sie musste sich immer noch beherrschen, damit sie ihn nicht anglotzte.

Er hatte Stroh in den Haaren. »Miss? Warum haben die die Tiere weggebracht?«

»Aus ganz unterschiedlichen Gründen«, sagte Mary und zählte sie an den Fingern auf. »Die Flusspferde, weil sie solche schrecklichen Feiglinge sind. Die Wölfe, weil man nie genau weiß, auf wessen Seite sie stehen. Und die Löwen, weil sie mit dem Fallschirm direkt über Berlin abgeworfen werden, um Herrn Hitlers Großkatzen zu erledigen.«

»Die Tiere sind also auch im Krieg?«

»Natürlich. Wäre es nicht absurd, wenn nur wir allein kämpften?«

Der Gesichtsausdruck des Jungen verriet, dass er es noch nie aus dieser Perspektive betrachtet hatte.

Mary nutzte die Gelegenheit. »Wie viel ist zwei mal sieben?«

Der Junge begann zu rechnen, entschlossen und pflichtschuldig wie ein Kind, das zumindest so lange nicht aufgeben wird, bis ihm die Finger ausgehen. Nicht zum ersten Mal in dieser Woche unterdrückte Mary ein Lächeln und den erfreulichen Verdacht, dass Unterrichten vielleicht nicht der schlechteste Weg war, die Mußestunden zwischen Frühstück und gesellschaftlichem Leben zu verbringen.

Am Dienstagmorgen hatte Mary das Klassenbuch überflogen und kleine Glasflaschen mit Milch verteilt, bevor sie die Namen ihrer einunddreißig Kinder auf braune Gepäckanhänger geschrieben und durch die obersten Knopflöcher ihrer Mäntel gefädelt hatte. Natürlich hatten die Kinder die Schilder getauscht, sowie sie ihnen den Rücken kehrte. Sie waren auch nur Menschen, selbst wenn sie sich noch nicht viel Mühe gegeben hatten, groß zu werden.

Und natürlich hatte sie darauf bestanden, sie mit den vertauschten Namen anzusprechen – auch wenn Jungen dann Elaine hießen und Mädchen Peter –, wobei sie völlig ernst blieb. Sie freute sich, dass die Kinder so leicht zum Lachen zu bringen waren. Wie sich herausstellte, bestand der einzige Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen darin, dass Kinder bereit waren, doppelt so viel Energie darauf zu verwenden, nicht traurig zu sein.

»Ist es zwölf?«, fragte Zachary.

»Was soll zwölf sein?«

»Zwei mal sieben«, erinnerte er sie in dem entrüsteten Ton, der Erwachsenen gebührte, die Fragen stellten und keinen Gedanken an den emotionalen Aufwand verschwendeten, den die Beantwortung erforderte.

Mary zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Zwölf ist schon ziemlich nah dran.«

Wieder ertönte die Trillerpfeife. Über den Gehegen zogen Möwen hoffnungsvolle Kreise. Die Erinnerung an die Fütterungszeiten war noch da. Mary spürte einen Stich. Alle Stundenpläne dieser Welt wehten jetzt einfach durch den blauen Himmel, flatterten im Wind.

»Dreizehn?«

Mary lächelte. »Soll ich es dir zeigen? Du bist ein gescheiter Junge, aber du bist zehn Jahre alt und hinkst im Rechnen hoffnungslos hinterher. Mir scheint, bisher hat sich...

Erscheint lt. Verlag 7.4.2017
Übersetzer Susanne Goga-Klinkenberg
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belagerung Maltas • Bombardierung • Bombardierung Londons • Dreiecksgeschichte • England • Evakuierung • Freundschaft • Hilfslehrerin • Krieg • Liebesgeschichte • London • Londoner Bombennächte • Loyalität • Luftangriffe • Malta • Mut • Rassismus • Schicksal • Seeblockade • The Blitz • Truppenunterstützung • Verlust • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-423-43160-1 / 3423431601
ISBN-13 978-3-423-43160-6 / 9783423431606
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