Die Schatten von Edinburgh (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-18695-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schatten von Edinburgh -  Oscar Muriel
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Edinburgh, 1888. Der begnadete Ermittler Ian Frey wird von London nach Schottland zwangsversetzt. Für den kultivierten Engländer eine wahre Strafe. Als er seinen neuen Vorgesetzten, Inspector McGray, kennenlernt, findet er all seine Vorurteile bestätigt: Ungehobelt, abergläubisch und bärbeißig, hat der Schotte seinen ganz eigenen Ehrenkodex. Doch dann bringt ein schier unlösbarer Fall die beiden grundverschiedenen Männer zusammen: Ein Violinist wird grausam in seinem Heim ermordet. Sein aufgelöstes Dienstmädchen schwört, dass es in der Nacht drei Geiger im Musikzimmer gehört hat. Doch in dem von innen verschlossenen, fensterlosen Raum liegt nur die Leiche des Hausherren ...

Oscar de Muriel wurde in Mexico City geboren und zog nach England, um seinen Doktor zu machen. Er ist Chemiker, Übersetzer und Violinist und lebt heute in Cheshire. Mit seiner viktorianischen Krimireihe um das brillante Ermittlerduo Frey und McGray feiert er in seiner neuen Heimat und darüber hinaus große Erfolge.

Prolog

23. Juni 1883

Dr. Clouston konnte sich kaum auf dem Sitz halten. Die Räder der Kutsche holperten ständig krachend über Unebenheiten und durch Pfützen, und das Gepolter durchbrach die Stille der Nacht, während sie wie wild gen Dundee fuhren.

Während der Fahrt war er mehrfach mit dem Kopf gegen das Dach der Kutsche geprallt. Doch die körperlichen Umstände waren eine Lappalie im Vergleich zu seiner Gemütsverfassung. Die Nachricht, die er erhalten hatte, war zu furchtbar, zu ungeheuerlich, als dass er sie hätte begreifen können, und Clouston bemühte sich mit aller Macht, den winzigen Hoffnungsfunken am Glimmen zu halten.

Immerhin, so redete er sich ein, hatte er lediglich ein überstürzt verfasstes Telegramm gelesen, das der Diener ihm geschickt hatte, und der alte George hatte immer schon einen Hang zur Übertreibung gehabt. Er fingerte in seiner Brusttasche nach dem zerknüllten Stück Papier. Es waren nur einige wenige, inzwischen verschmierte Zeilen, doch sie enthielten die Worte durchgedreht, plötzlich, tot und die Namen jedes einzelnen Mitglieds der Familie McGray. Wie konnte ein so kleines Stückchen Papier eine so grauenhafte Nachricht übermitteln?

Clouston schauderte erneut. Er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, indem er aus den Fenstern schaute. Doch vergebens – am Himmel hingen dichte Wolken und tauchten die Straße in abgrundtiefe Finsternis. In den letzten Stunden seiner Reise zog er es sogar vor, sich auf das Holpern der Kutsche und seine dadurch verursachte leichte Übelkeit zu konzentrieren.

Als er das Gefühl hatte, schon seit Ewigkeiten unterwegs zu sein, tauchte endlich das große Landhaus vor ihnen auf. Die sommerliche Morgenröte warf bereits einen ersten hellen Schimmer auf die Felder, doch war es immer noch so dunkel, dass Clouston durch eines der Fenster des Hauses das rötliche Glühen eines Feuers erkennen konnte.

Kaum war die Kutsche zum Stehen gekommen, machte Clouston selbst die Tür auf und sprang auf den schlammigen Boden. Die Pferde schnaubten und wieherten. Dies und das Geklapper der Hufe waren die einzigen Geräusche, die er vernahm.

»Welch fröhlicher Anblick«, murmelte er. Thomas Clouston war ein stämmiger Mann mittleren Alters. Seit zehn Jahren war er ärztlicher Leiter der Königlichen Irrenanstalt von Edinburgh, und diese Stellung war nichts für Zartbesaitete.

Entschlossen strebte er auf das Haus zu, und im gleichen Augenblick riss jemand die Eingangstür auf. Zwei Gestalten traten heraus, um ihn zu begrüßen. Er erkannte sofort die beiden einzigen Bediensteten, die die McGrays auf ihren Sommerreisen begleiteten – George und Betsy, beide schon betagt und von der Arbeit auf dem Land verhärmt.

Ihre Gesichter wurden von einer einzelnen Kerze beleuchtet, die die bucklige Betsy mit ruhiger Hand hielt. Als er näher trat, sah Clouston, dass ihr das heiße Wachs auf die Finger tropfte.

»Um Himmels willen, benutzen Sie doch einen Kerzenleuchter!«

»Ist schon gut, Sir«, erwiderte sie mit ihrem schweren schottischen Akzent.

»Wie gut, dass Sie gekommen sind, Sir!«, sagte George. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein schütteres graues Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. »So früh hatten wir gar nicht mit Ihnen gerechnet. Gott segne Sie! Bitte kommen Sie herein …«

Tatsächlich war Clouston gar nicht erst stehen geblieben, sondern hatte die Türschwelle bereits überschritten. »Wo sind sie?«, drängte er.

Der eiskalte dunkle Flur erinnerte ihn an eine Gruft. Aus dem angrenzenden Salon, jenem einzigen beleuchteten Zimmer, das Clouston von der Straße aus gesehen hatte, drang nur schwaches Licht. Die Tür stand einen Spaltbreit auf.

»Wir haben sie dort aufgebahrt«, erklärte George im Flüsterton, so als befürchtete er, sie aufzuwecken.

Als Betsy die knarrende Tür langsam aufschob und ihn eintreten ließ, schluckte Clouston. Er sah, dass nur ein armseliges Holzscheit im Kamin brannte und flackernde Schatten in alle Richtungen warf … Und dann setzte sein Herz einen Schlag aus.

Direkt vor dem Kamin standen zwei Holzsärge. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen das schwache Glühen des Feuers ab.

»Allmächtiger …«, stieß Clouston hervor. Mit zögernden Schritten trat er näher. Der kalte Hauch der Angst machte sich in seiner Brust breit.

Erst als er in die offenen Särge spähte, glaubte er das, was George ihm bereits mitgeteilt hatte. Der Anblick war dermaßen schockierend, dass sich Clouston unwillkürlich die Hand vor den Mund hielt und gegen einen plötzlichen Würgereiz ankämpfte. Einen Moment herrschte nur gähnende Leere in seinem Kopf. Verzweifelt bemühte er sich zu begreifen, was er vor Augen hatte.

»Und … wann … ist es passiert?«, stieß er schließlich mit einem dicken Kloß im Hals hervor.

»Gestern Abend«, stöhnte George geradezu. »Der Leichenbestatter hat sie vor zwei oder drei Stunden hergerichtet.«

Clouston nickte und holte dann tief Luft. Das half ihm immer. »Waren Sie es, der nach dem Leichenbestatter geschickt hat?«

»Nein. Das hat der junge Adolphus getan«, erwiderte George und wischte sich rasch die Tränen ab, die er nicht mehr zurückhalten konnte. »Herrjeh! Der arme Bursche … Weiß nicht, wo er die Kraft hernimmt; er hat den Bestatter geholt, den ganzen Papierkram geregelt … er hat sich sogar selbst die Wunde verbunden, nachdem …«

Sichtlich schaudernd verstummte George.

»Er ruht sich gerade aus«, fügte Betsy hinzu, »falls man das überhaupt ausruhen nennen kann …«

»Ich muss ihn sprechen«, sagte Clouston sofort, worauf George und Betsy ihn in ein nahe gelegenes Arbeitszimmer führten – jenes, das dem mittlerweile verstorbenen Vater gehört hatte, James McGray.

Behutsam öffnete George die Tür, bemüht, seinen jungen Herrn nicht zu stören. Betsy trat ein, in der Hand die Kerze, die sie gerade auf eine schmutzige Untertasse gesteckt hatte. Clouston entriss ihr das Licht und ging vorsichtig vorwärts.

Als er den unglückseligen jungen Mann auf einer zerschlissenen Couch liegen sah, wurde ihm das Herz noch schwerer. Der hoch aufgeschossene, kräftig gebaute Sohn der McGrays lag dort so, als sei auch er tot. Seine Wangen waren leichenblass, und die Ringe unter seinen Augen waren fast so rot wie eine offene Wunde. Der junge Adolphus atmete in tiefen, gequält klingenden Zügen, und seine Augäpfel bewegten sich wie wild unter den Lidern hin und her. Ab und zu mahlte sein Kinn, und seine Hände zuckten. Diese Art von Schlafstörung hatte Clouston zwar schon bei zahllosen Patienten gesehen, doch er hatte sich nicht einmal im Traum vorstellen können, McGrays Sohn, der sonst so stattlich und frohgemut war, einmal derart gebrochen zu erblicken.

»Ich glaube nicht, dass er jemals wieder gut schlafen kann«, flüsterte Clouston. »Hoffentlich irre ich mich …«

Adolphus’ Hand zuckte erneut. Erst jetzt sah Clouston den dicken Verband an der Hand. Als er die Kerze näher heranhielt, erkannte er, dass der Mull feucht und fleckig war und dass sich an den Rändern dunkle Stellen halb getrockneten Bluts befanden. Es sah so aus, als habe Adolphus beim Tragen der Särge mitgeholfen.

»Sie müssen ihm den Verband wechseln«, blaffte Clouston.

»Ach, lieber nicht, Sir«, sagte Betsy rasch. »Der arme Junge hat nicht geschlafen, seit es passiert ist. Erst als die Särge ankamen, ist er hier zusammengebrochen …«

»Gute Frau, er braucht einen frischen Verband! Das Letzte, was der Bursche jetzt braucht, ist eine infizierte Hand!«

Betsy knickste ungelenk und verließ das Zimmer, wobei sie umhertastete, um nicht in der Dunkelheit zu stolpern.

Clouston wandte sich George zu und stellte ihm die Frage, deren Antwort er am meisten fürchtete: »Wo ist das Mädchen?«

Aus dem Gesicht des Butlers wich die wenige Farbe, die ihm geblieben war. »Wir … wir mussten sie einsperren, Doktor. Sie ist vollkommen durchgedreht!«

Clouston klopfte dem Mann auf die Schulter. »Sie brauchen deswegen keine Schuldgefühle zu haben. Sie haben getan, was Sie tun mussten.«

»Aber, Sir …« George fing jämmerlich an zu weinen und zitterte nun am ganzen Körper. Der Kummer zerfurchte ihm das Gesicht. »Miss McGray! Unsere Miss McGray! Unser kleines Mädchen …«

In Tränen aufgelöst kehrte Betsy mit sauberen Verbänden zurück. Bemüht, ihre Trauer zu verbergen, eilte sie auf Adolphus zu.

Clouston war klar, dass er das Schlimmste noch nicht gesehen hatte. Er folgte George hinauf, wo die aufgehende, doch immer noch trübe Sonne durch eine gesprungene Fensterscheibe fiel und einen langgezogenen Flur beleuchtete. Sämtliche Zimmertüren waren zu, doch im Schloss der letzten Tür steckte ein Schlüssel.

»Wie haben Sie es geschafft, sie hier einzuschließen?«

»Ach Sir, das haben wir gar nicht! Selbst zwei Gärtner, der Constable und ich konnten sie nicht bändigen. Nein, sie ist selbst auf ihr Zimmer gerannt, und als sie einmal drinnen war, konnten wir sie einschließen. Niemand bekam sie in den Griff; Sie haben ja gesehen, was das Mädchen angerichtet hat!«

Allein der Gedanke an den blutigen Verband, den Betsy gerade wechselte, ließ Clouston schaudern. Schlussendlich war alles tatsächlich so schlimm, wie George es in seinem Telegramm geschildert hatte.

Als Clouston Anstalten machte, die Hand auszustrecken, um den Schlüssel umzudrehen, machte George einen Satz nach vorn und ergriff seinen Arm.

»Wollen Sie da einfach hineingehen? Einfach so? Ich...

Erscheint lt. Verlag 20.2.2017
Reihe/Serie Ein Fall für Frey und McGray
Übersetzer Peter Beyer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Strings of Murder
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Detektivarbeit • eBooks • Historische Kriminalromane • Historische Romane • Jack the Ripper • kleine geschenke für frauen • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • Rätselhafter Todesfall • Schottland • Scotland Yard • Sherlock Holmes • Viktorianischer Krimi • Witziges Ermittlerduo
ISBN-10 3-641-18695-1 / 3641186951
ISBN-13 978-3-641-18695-1 / 9783641186951
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