Kleopatra im Aquarium (eBook)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Parlez Verlag
978-3-939990-23-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kleopatra im Aquarium -  Anne Mairo
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Die 29-jährige Mona hat scheinbar alles, was man zum Leben braucht: einen gutbezahlten Job in einer Werbeagentur, ihren liebevollen Freund Dennis, der auch noch backen kann, eine etwas anstrengende, aber sehr fürsorgliche Familie und nicht zuletzt ihre besten Freundinnen Sophia und Clara, mit denen sie Freud und Leid teilt. Dann kommt der Tag, der alles verändert: Mona erhält die Diagnose Unfruchtbarkeit. Sie beginnt, ihr gesamtes Leben in Frage zu stellen, und begibt sich auf die Suche nach ihrem eigenen Weg. Mit lakonischer Knappheit und pointiertem Witz erzählt Anne Mairo in ihrem Debütroman von der Neuorientierung und Sinnsuche einer jungen Frau. Dabei liefert sie eine treffende Analyse der 30er-Generation und ihrer Lebenswelt.

Anne Mairo hat Germanistik und Geschichte in Berlin studiert und promoviert derzeit in Cambridge, Massachusetts über deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Sie hat etwa zwei Jahre lang bei einer Berliner Marketingagentur gearbeitet und war längere Zeit freiberuflich als Übersetzerin und Pressetexterin tätig. Gemeinsam mit der Autorengruppe Kommando Torben B. hält sie seit einigen Jahren zum Teil interaktive Lesungen auf verschiedenen Berliner Bühnen ab.

Anne Mairo hat Germanistik und Geschichte in Berlin studiert und promoviert derzeit in Cambridge, Massachusetts über deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Sie hat etwa zwei Jahre lang bei einer Berliner Marketingagentur gearbeitet und war längere Zeit freiberuflich als Übersetzerin und Pressetexterin tätig. Gemeinsam mit der Autorengruppe Kommando Torben B. hält sie seit einigen Jahren zum Teil interaktive Lesungen auf verschiedenen Berliner Bühnen ab.

The Colour and the Shape


Ein architektonisch ausgeklügeltes Bürogebäude in Mitte mit Blick auf kleine Designerläden und weitere architektonisch ausgeklügelte Bürogebäude. Durch mein Fenster kann ich das grüne Licht der Leuchtbuchstaben sehen. Das "E" flimmert ein wenig. Colourful Image steht dort in hipper Helvetica-Schrift. Ich kritzele. Mein Handgelenk macht die schwungvollen Bewegungen wie von selbst. S. Rosenbaum schreibt es in den kleinen Zwischenraum über der gedruckten Zeile i.A. Simona Rosenbaum. In Angst heißt das, sagt mein Chef immer und lacht dann so komisch, als müsse ich mich darüber freuen, dass ich seiner Ansicht nach Angst haben sollte. Dabei heißt dieses i.A. eigentlich eher, dass man gar keine Angst zu haben braucht. Man handelt ja im Auftrag eines anderen. Keine größeren Konsequenzen für das eigene Tun sind zu befürchten. Außer vielleicht dem beruflichen Abstieg und der erscheint mir weniger und weniger furchteinflößend zu sein. Im Gegenteil, dieses i.A. heißt für mich manchmal in Ablehnung oder ihr Armen oder in Anwesenheit (körperlicher) oder im Aquarium (gedanklich). Was mir gerade so einfällt. Auf jeden Fall nicht in Angst. Es sind Serienbriefe, die ich unterschreibe und sie werden in Serien gedruckt. Es ist die gefühlte Folge 15, der Serie Jeder braucht eine Werbeagentur und wir sind genau das, was Sie suchen, die da geräuschintensiv aus meinem Drucker hervorgestoßen wird. Krzkrzkrzkrzkrz. Mein Postfach quillt über, aber ich kann es nicht öffnen. Wenn ich es öffne, werde ich vom schwarzen Loch eingesogen und muss handeln, um mich wieder herauszukämpfen. Kunden beruhigen, Anfragen bearbeiten, Daten einholen, die Welt retten. Und mit Sicherheit komme ich dann zu spät zu meiner Verabredung mit Dennis. Ich habe den Moment, in dem für nur eine Sekunde alles abgearbeitet war, gut abgepasst und einfach mein Mailprogramm geschlossen. Jede E-Mail, die danach kam, landete im Nichts. Um halb sieben im Restaurant sein, das ist wichtig. Deshalb kritzle ich. Ich wünschte nur, das kleine unbeleuchtete Briefsymbol würde aufhören, mich so anzustarren. Kritzelkritzelkritzel. Die Ansprachebriefe, in denen steht, dass Colourful Image die beste Agentur der Welt ist, und die dem Leser nahelegen, eine Werbeagentur zu brauchen, stopfe ich in Umschläge. Zwischen die vormarkierten Falten der Briefe stecke ich eine bunte Broschüre mit Bildern von zielstrebigen Menschen in schicken Anzügen, die in die Gegend starren oder an einem Bleistift kauen oder eine Tasse Kaffee umklammern. Diese Bilder sollen dann Überzeugungskraft und Kreativität symbolisieren. Alles gut geplant. Der Mann trinkt nicht zufällig Kaffee, er trinkt bewusst Kaffee. Er trinkt mit Überzeugung Kaffee, weil er ein hart arbeitendes Individuum ist. Er arbeitet so hart, dass er Kaffee braucht, um durchzuhalten. Auf den kann man sich verlassen. Der schläft nicht, der hält durch.

Kaffee schwächt die Nerven, sagt ein Kinderlied, das ich noch im Kindergarten gelernt habe, bevor es verboten wurde. Warum habe ich es mir eigentlich so lange gemerkt, frage ich mich, dieses Lied, das nach meiner Grundschulzeit niemand mehr gesungen hat? C-A-F-F-E-E trink nicht zu viel Caffee, nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann. So etwas wurde Kindern wirklich mal beigebracht. Irre. So gar nicht PC. In der Türkei ist heute schwarzer Tee das am weitesten verbreitete Heißgetränk. Die haben den Absprung vom nervenschwächenden Kaffee geschafft. Und wir? Vielleicht singen heute Kinder in der Türkei Sei doch keine Kartoffel, die das nicht lassen kann. Ich klebe die Umschläge zu. Sie sind selbstklebend. Hier muss keiner mehr was anlecken. Dann schiebe ich sie durch die Frankiermaschine. Dadengdadengdadeng.

An meiner Bürowand flimmert das grüne Licht des „E“s und wirft langgezogene Schatten, die meine Schreibtischlampe und meinen Desktop wie schrille Monster wirken lassen. Ich sehe hinüber zu Sophias Büro. Sie hackt auf ihrer Tastatur herum. Leidenschaft spricht aus ihrer Körperhaltung.

Sie tanzt Tango mit der Tastatur. Sie sieht auch aus wie eine Tangotänzerin mit ihren streng zurück gebundenen Haaren, diese Sophia. Mit Körperspannung und Eleganz passt sie sich dem Tanzpartner an und lässt sich herumwirbeln. Mit ihren geschmeidigen Bewegungen beeindrucken sie das Publikum. Strenge Perfektion. Absolute Kontrolle. Tolle Schuhe. Sophia findet Werbeagenturen wichtig. So richtig wichtig. So ohne-uns-kennt-euch-keiner-wichtig. Es scheint ja ein menschliches Bedürfnis zu sein, seine Arbeit als sinnvoll zu empfinden. Jetzt klingelt Sophias Telefon und sie geht ran. Sie ist jetzt noch angespannter und starrt etwas traurig auf ihren Bildschirm, den alleingelassenen Tanzpartner, der schreit: Leg auf und komm zurück, ich bin gerade in Fahrt gekommen! Kunden sind ein wenig wie Kinder. Wenn man gerade eine besonders produktive Phase hat, kommen sie und wollen, dass man ihnen etwas vorliest, oder fragen, wo sie ihr Malbuch hingelegt haben und ob man ihnen beim Suchen helfen kann. Die Konvention gebietet es dann, ihre Bedürfnisse über die eigenen zu stellen. An ihnen hängt ja schließlich der gesellschaftliche Erfolg. Aber Tango tanzen sie nicht.

Ich sitze auf meinem Bürostuhl, stoße mich vom Schreibtisch ab und drehe mich ein paar Mal um mich selbst. Hui! Die Uhr zeigt kurz vor sechs. Um halb sieben sind wir verabredet. Draußen scheint die Sonne. Vögel fliegen am Fenster vorbei. Sie fliegen in irgendeiner Formation, die ich nicht genau erkennen kann, weil ich mich ja drehe. Krzkrzkrzkrz macht der Drucker.

Mir ist schwindelig und ich stehe wieder auf und kritzel weiter. Es sind nur noch ein paar Briefe. Schnell in Umschläge gestopft, durch die Maschine gejagt, in den Postkorb geworfen, Jacke an. Mir ist immer noch ein bisschen übel vom Drehen, aber ich finde das schön. Das ist meine Übelkeit, die mir gehört, weil ich mir ausgesucht habe, mich bescheuert mit dem Stuhl zu drehen. Die gehört mir und keiner kann sie mir wegnehmen. Ich klopfe im Vorbeigehen kurz an Sophias Büroscheibe und winke. Sophia winkt kurz genervt zurück. Sie will beim Tanzen nicht gestört werden. Ich nehme das nicht persönlich.

* * *

Wir treffen uns auf der Sonnenterrasse im Gianna’s. Das ist unser Restaurant. Na ja, mein Restaurant, zu dem Dennis immer Klar, du magst es doch so sagt und sich dann Pizza della Casa customized mit weniger scharfer Sauce und Anchovi-Upgrade, aber ohne Oliven und Zwiebeln bestellt. Dann beklagt er sich meistens über den mangelnden Vitamingehalt der Pizza oder darüber, dass der Käse heiß ist, oder über prozentual zu viel Brot. Vier Jahre sind wir zusammen und er traut sich immer noch nicht, mir zu gestehen, dass er italienisches Essen nicht besonders mag. Ich meine, klar mag er es, jeder mag ja italienisches Essen, weil wir so daran gewöhnt sind, dass es uns beinah schon wie deutsches Essen vorkommt, aber manchen hängen Pizza und Nudeln eben schneller zum Hals raus als anderen und Dennis ist so jemand. Er erträgt meinen Mainstream-Wunsch, weil er glaubt, dass er selbst der Komische ist, weil er am liebsten asiatisch isst. So als gäbe es eine Art Lieblingsessen-Knigge, der italienisches Essen als universalkompatibel beschreibt. Ich frage mich, ob Nazis eigentlich Nudeln essen oder ob sie nur Kartoffeln und Knödel essen dürfen, weil das am deutschesten ist? Oder gibt es so eine alternativhistorische Erklärung unter den Hardcore-Nazis, die besagt, dass schon die Germanenfrauen mit Keulen auf Tierfellen Nudelteig geknetet haben? Und die Römer haben das dann nur geklaut und sich die geniale Erfindung propagandistisch einverleibt. Für die Mormonen ist Jesus schließlich auch in den USA wiedergeboren worden, also wer weiß.

Vielleicht erträgt es Dennis auch ein bisschen, weil ich ja Halb-Italienerin bin und weil er denkt, dass italienisches Essen daher einen ganz essentiellen Teil meiner Identität bildet, was natürlich Quatsch ist, weil ich es einfach mag, weil es schmeckt, und nicht, weil es italienisch ist. Jedenfalls bestrafe ich ihn dafür, dass er seine Interessen nicht ausreichend vertritt, indem ich mir immer wieder eine Verabredung im Gianna’s wünsche.

Während ich warte, zerpflücke ich den Bierdeckel unter meinem Gespritzten in einzelne Schichten. Zuerst ziehe ich die bedruckte oberste Schicht stückchenweise ab und dann ist die ebenfalls bedruckte Unterschicht dran. Die kleinen Papierfetzen ordne ich liebevoll auf einem kleinen Haufen an, den ich immer wieder mit zwei Fingern zusammenschiebe, damit die Kellnerin meine Kreation nicht schon von weitem sieht. Ich sehe auf die Uhr und rümpfe die Nase. 18.35 Uhr. Meine gerümpfte Nase nimmt den unverkennbaren Geruch von Buttersäure und Zucker wahr, mit einem Hauch von Obst. Vielleicht Zwetschgen oder Kirschen. Kuchen. Kekse. Der Geruch zieht vom Bäcker gegenüber zu mir herüber und gibt mir dieses komische pawlowsche warme Gefühl, weil Dennis auch immer nach Keksen riecht, wenn er nach Hause kommt.

Mich ereilt ein kitschiger Liebesfilm-Flashback. Wäre dies ein Film, dann würde die Kamera jetzt von meiner Nase zum Bäcker fahren und ein Close-Up von der Auslage voller Kekse zeigen. Von dort würde sie wieder weiter wegzoomen und ein vier Jahre jüngerer Dennis würde hinter der Theke stehend zum Vorschein kommen und sich einer vier Jahre jüngeren Mona widmen, die nicht genau weiß, was sie kaufen möchte.

„Empfiehlst du mir etwas?“, fragt diese jüngere Version von mir und der jüngere Dennis lacht und antwortet, es komme ganz darauf an, was ich...

Erscheint lt. Verlag 5.4.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Chicklit • Chick Literature • lustige Frauenbücher • lustiger frauenroman • Roman Selbstfindung • roman unfruchtbarkeit • Selbstfindungsroman • Unfruchtbarkeit • unfruchtbarkeit frau • Weihnachten • weihnachtsdeals
ISBN-10 3-939990-23-X / 393999023X
ISBN-13 978-3-939990-23-9 / 9783939990239
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