Der Schimmelreiter -  Theodor Storm

Der Schimmelreiter (eBook)

Neu bearbeitete Ausgabe

(Autor)

ofd edition (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
151 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-0688-1 (ISBN)
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Die Geschichte vom "Schimmelreiter", dem genialen Deichkonstrukteur Hauke Haien, dessen Leben in einer Katastrophe endet, stellt ein Meisterwerk der deutschen Literaturgeschichte dar - nicht ohne Grund wurde Storms Erzählung mehrere Male erfolgreich verfilmt. Auch wenn das Werk bei vielen Menschen zunächst Erinnerungen an quälende Schulstunden und lästige Hausaufgaben weckt - es lohnt sich auf jeden Fall, das Buch später noch einmal zur Hand zu nehmen. Die vorliegende Ausgabe erleichtert dies zusätzlich. Wie bei allen Werken der ofd edition wurde die ursprüngliche Textfassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst.- die bessere Lesbarkeit verhilft so zu einem ungetrübten Lesegenuss. Eine Einführung erläutert den historischen Hintergrund und Interpretationsansätze.

Theodor Storm wurde am 14. September 1817 im nordfriesischen Husum geboren. Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Realismus. Neben Märchen verfasste er eine ganze Reihe von Gedichten und Novellen. Storm starb am 4. Juli 1888 in Hanerau-Hademarschen bei Rendsburg.

Kapitel 1



Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem Oktobernachmittag – so begann der damalige Erzähler – als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlangritt. Zur Linken hatte ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelb-grauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen und mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten; dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen.


Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möwen, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und schon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufe meines Pferdes erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geschrei der Vögel, wenn sie mich oder meine treue Stute fast mit den langen Flügeln streiften, und das Toben von Wind und Wasser. Ich leugne nicht, ich wünschte mich mitunter in sicheres Quartier.


Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich schon über Gebühr von einem mir besonders lieben Verwandten auf seinem Hofe halten lassen, den er in einer der nördlicheren Harden besaß. Heute aber ging es nicht länger; ich hatte Geschäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Überredungskünste des Vetters und seiner lieben Frau war ich, trotz der schönen selbstgezogenen Perinette- und Grand-Richard-Äpfel, die noch zu probieren waren, am Nachmittag davongeritten. „Wart’ nur, bis Du ans Meer kommst“, hatte er noch aus seiner Haustür mir nachgerufen, „Du kehrst noch wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!“


Und wirklich, einen Augenblick, als eine schwarze Wolkenschicht es pechfinster um mich machte, und gleichzeitig die heulenden Böen mich samt meiner Stute vom Deich herabzudrängen suchten, fuhr es mir wohl durch den Kopf: „Sei kein Narr! Kehr’ um und setz’ Dich zu Deinen Freunden ins warme Nest.“ Dann aber fiel’s mir ein, der Weg zurück war wohl noch länger als der nach meinem Reiseziel; und so trabte ich weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend.


Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und bald, da sie näher kam, sah ich es, sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an.


Wer war das? Was wollte der? – Und jetzt fiel mir auf, ich hatte keinen Hufschlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Ross und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren!


In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber ich hatte nicht lange Zeit zum Denken; schon fuhr es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir war, als streifte mich der fliegende Mantel, und die Erscheinung war, wie das erste Mal, lautlos an mir vorübergestoben. Dann sah ich sie fern und ferner vor mir; dann war’s, als säh’ ich plötzlich ihren Schatten an der Binnenseite des Deiches hinuntergehen.


Etwas zögernd ritt ich hinterdrein. Als ich jene Stelle erreicht hatte, sah ich hart am Deich im Kooge unten das Wasser einer großen Wehle blinken – so nennen sie dort die Brüche, welche von den Sturmfluten in das Land gerissen werden, und die dann meist als kleine, aber tiefgründige Teiche stehen bleiben.


Das Wasser war, trotz des schützenden Deiches, auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht getrübt haben; ich sah nichts weiter von ihm. Aber etwas Anderes sah ich, das ich mit Freuden jetzt begrüßte: Vor mir, von unten aus dem Kooge, schimmerten eine Menge zerstreuter Lichtscheine zu mir herauf; sie schienen aus jenen langgestreckten friesischen Häusern zu kommen, die vereinzelt auf mehr oder minder hohen Warften lagen; dicht vor mir aber auf halber Höhe des Binnendeiches lag ein großes Haus derselben Art; an der Südseite, rechts von der Haustür, sah ich alle Fenster erleuchtet; dahinter gewahrte ich Menschen und glaubte, trotz des Sturmes sie zu hören.


Mein Pferd war schon von selbst auf den Weg am Deich hinabgeschritten, der mich vor die Tür des Hauses führte. Ich sah wohl, dass es ein Wirtshaus war; denn vor den Fenstern gewahrte ich die sogenannten „Ricks“, das heißt auf zwei Ständern ruhende Balken mit großen eisernen Ringen, zum Anbinden des Viehes und der Pferde, die hier haltmachten.


Ich band das meine an einen derselben und überwies es dann dem Knecht, der mir beim Eintritt in den Flur entgegenkam. „Ist hier Versammlung?“, fragte ich ihn, da mir jetzt deutlich ein Geräusch von Menschenstimmen und Gläserklirren aus der Stubentür entgegendrang.


„Is wull so wat“, entgegnete der Knecht auf Plattdeutsch – und ich erfuhr nachher, dass dieses neben dem Friesischen hier schon seit über hundert Jahren weit verbreitet gewesen sei – „Diekgraf un Gevollmächtigten un wecke von de annern Intressenten! Dat is um’t hoge Water!“


Als ich eintrat, sah ich etwa ein Dutzend Männer an einem Tische sitzen, der unter den Fenstern entlang lief; eine Punschbowle stand darauf, und ein besonders stattlicher Mann schien die Herrschaft über sie zu führen.


Ich grüßte und bat, mich zu ihnen setzen zu dürfen, was bereitwillig gestattet wurde. „Sie halten hier die Wacht!“, sagte ich, mich zu jenem Manne wendend. „Es ist bös Wetter draußen; die Deiche werden ihre Not haben!“


„Gewiss“, erwiderte er, „wir hier an der Ostseite glauben aber, jetzt außer Gefahr zu sein; nur drüben an der anderen Seite ist’s nicht sicher; die Deiche sind dort meist noch mehr nach altem Muster; unser Hauptdeich ist schon im vorigen Jahrhundert umgelegt. – Uns ist vorhin da draußen kalt geworden, und Ihnen“, setzte er hinzu, „wird es ebenso gegangen sein; aber wir müssen hier noch ein paar Stunden aushalten; wir haben sichere Leute draußen, die uns Bericht erstatten.“ Und ehe ich meine Bestellung bei dem Wirte machen konnte, war schon ein dampfendes Glas mir hingeschoben.


Ich erfuhr bald, dass mein freundlicher Nachbar der Deichgraf sei; wir waren ins Gespräch gekommen, und ich hatte begonnen, ihm meine seltsame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er wurde aufmerksam, und ich bemerkte plötzlich, dass alles Gespräch umher verstummt war.


„Der Schimmelreiter!“, rief einer aus der Gesellschaft, und eine Bewegung des Erschreckens ging durch die Übrigen.


Der Deichgraf war aufgestanden. „Ihr braucht nicht zu erschrecken“, sprach er über den Tisch hin; „das ist nicht bloß für uns; anno 17 hat es auch denen drüben gegolten; mögen sie auf alles gefasst sein!“


Mich wollte nachträglich ein Grauen überlaufen. „Verzeiht!“, sprach ich, „was ist das mit dem Schimmelreiter?“


Abseits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt, saß ein kleiner hagerer Mann in einem abgeschabten schwarzen Röcklein; die eine Schulter schien ein wenig ausgewachsen. Er hatte mit keinem Worte an der Unterhaltung der anderen teilgenommen; aber seine bei den spärlichen grauen Haupthaar noch immer mit dunklen Wimpern besäumten Augen zeigten deutlich, dass er nicht zum Schlaf hier sitze.


Gegen diesen streckte der Deichgraf seine Hand: „Unser Schulmeister“, sagte er mit erhobener Stimme, „wird von uns hier Ihnen das am besten erzählen können; freilich nur in seiner Weise und nicht so richtig, wie zuhause meine alte Wirtschafterin Antje Vollmers es beschaffen würde.“


„Ihr scherzt, Deichgraf!“, kam die etwas kränkliche Stimme des Schulmeisters hinter dem Ofen hervor, „dass Ihr mir Euren dummen Drachen wollt zur Seite stellen!“


„Ja, ja, Schulmeister!“, erwiderte der andere; „aber bei den Drachen sollen derlei Geschichten am besten in Verwahrung sein!“


„Freilich!“, sagte der kleine Herr; „wir sind hierin nicht ganz derselben Meinung;“ und ein überlegenes Lächeln glitt über das feine Gesicht.


„Sie sehen wohl“, raunte der Deichgraf mir ins Ohr; „er ist immer noch ein wenig hochmütig; er hat in seiner Jugend einmal Theologie studiert und ist nur einer verfehlten Brautschaft wegen hier in seiner Heimat als Schulmeister behangen geblieben.“


Dieser war inzwischen aus seiner Ofenecke hervorgekommen und hatte sich neben mir an den langen Tisch gesetzt. „Erzählt, erzählt nur, Schulmeister“, riefen ein paar der Jüngeren aus der Gesellschaft.


„Nun freilich“, sagte der Alte, sich zu mir wendend, „will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen, und eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen.“


„Ich muss Euch bitten, den nicht auszulassen“, erwiderte ich; „traut mir nur zu, dass ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!“


Der Alte sah mich mit verständnisvollem Lächeln an. „Nun also!“, sagte er. „In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber
Schulbuch / Wörterbuch Wörterbuch / Fremdsprachen
ISBN-10 3-7386-0688-2 / 3738606882
ISBN-13 978-3-7386-0688-1 / 9783738606881
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