Die Gestirne (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
1040 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-15896-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Gestirne -  Eleanor Catton
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In einer Hafenstadt an der wilden Westküste Neuseelands gibt es ein Geheimnis. Und zwei Liebende, die einander umkreisen wie Sonne und Mond.

Als der Schotte Walter Moody im Jahr 1866 nach schwerer Überfahrt nachts in der Hafenstadt Hokitika anlandet, trifft er im Rauchzimmer des örtlichen Hotels auf eine Versammlung von zwölf Männern, die eine Serie ungelöster Verbrechen verhandeln. Und schon bald wird Moody hineingezogen in die rätselhaften Verstrickungen der kleinen Goldgräbergemeinde, in das schicksalhafte Netz, das so mysteriös ist wie der Nachthimmel selbst.

Eleanor Catton erhielt 2013 für ihren Roman »Die Gestirne« den renommierten Booker-Preis. Zuvor erschien ihr Roman »Anatomie des Erwachens«. Als Drehbuchautorin adaptierte sie »Die Gestirne« als TV-Serie und Jane Austens »Emma« als Kinofilm. Geboren in Kanada und aufgewachsen in Neuseeland, lebt sie nun in Cambridge, England.

Merkur im Schützen

In welchem Kapitel ein Fremder nach Hokitika kommt, eine geheime Versammlung gestört wird, Walter Moody seine neuesten Erinnerungen verbirgt und Thomas Balfour eine Geschichte zu erzählen beginnt.

Die im Rauchzimmer des Crown Hotel versammelten zwölf Männer wirkten, als hätten sie sich dort zufällig eingefunden. Aus ihrem Betragen und ihrer Kleidung zu folgern – Gehrock, Frack, Seemannsjacken mit Gürtel und Beinknöpfen, gelber Moleskin, Kammertuch und Serge –, hätten sie zwölf Fremde in einem Eisenbahnwaggon sein können, jeder von ihnen auf dem Weg zu einem anderen Viertel einer Stadt mit genug Nebel und Wasserläufen, um sie voneinander zu trennen; und wahrhaftig bewirkte die absichtsvolle Absonderung jedes Einzelnen, wie er über seiner Zeitung brütete, sich vorbeugte, um seine Tabakasche in den Kamin zu schnipsen, oder die gespreizte Hand auf den grünen Flanell legte, um den nächsten Billardstoß abzuwägen, ebenjene Art geradezu greifbarer Stille, wie sie spätabends in der Eisenbahn eintritt – doch hier nicht vom Schnaufen und Rattern der Wagen übertönt, sondern vom lauten Prasseln des Regens.

Diesen Eindruck gewann Mr Walter Moody, als er in der Tür stand, die Hand am Türrahmen. Er hatte keinerlei private Besprechung gestört, denn die Anwesenden waren verstummt, sobald sie seine Schritte im Flur gehört hatten, und als er die Tür öffnete, widmete sich jeder der zwölf Männer wieder seiner Beschäftigung (seitens der Billardspieler nicht allzu überzeugend, denn sie hatten ihre Positionen vergessen) mit so bemühter Konzentration, dass keiner von ihnen den Blick hob, als er das Zimmer betrat.

Die ungeteilte Unmissverständlichkeit, mit der die Männer ihn ignorierten, hätte vielleicht Mr Moodys Interesse geweckt, wenn er körperlich und seelisch er selbst gewesen wäre. Doch in seiner gegenwärtigen Lage war ihm unwohl und unsicher zumute. Er hatte gewusst, dass die Fahrt nach West Canterbury schlimmstenfalls tödlich enden konnte in dem grenzenlosen Wellental aus weißschäumenden Wassern und Gischt, das am sturmverwüsteten Friedhof auf der Landzunge von Hokitika endete, aber mit den besonderen Schrecknissen dieser Reise hatte er nicht gerechnet, und auch nun konnte er nicht darüber sprechen, nicht einmal im Selbstgespräch. Moody bezeigte von Natur aus wenig Nachsicht mit eigenen Schwächen – bei Ängsten und Krankheiten kehrte er sich nach innen –, und deshalb unterlief ihm das höchst untypische Versäumnis, die Stimmung in dem Raum, den er soeben betreten hatte, zu beurteilen.

Von Natur aus machte Moody den Eindruck eines offenen und aufmerksamen Menschen. Seine grauen Augen waren groß und stetig im Ausdruck, und sein beweglicher knabenhafter Mund trug für gewöhnlich den Ausdruck höflichen Interesses. Seine Haare neigten zu dichtem Lockenwuchs; in früheren Tagen waren sie ihm bis auf die Schultern gefallen, doch nun war sein Haar dicht am Schädel geschnitten, seitlich gescheitelt und mit einer süßlich duftenden Pomade glatt gekämmt, die die goldene Tönung der Haare zu einem öligen Braun herabstimmte. Stirn und Wangen waren ebenmäßig geformt, die Nase war gerade, der Teint makellos. Er war noch keine achtundzwanzig Jahre alt, bewegte sich schnell und gewandt und besaß die lebhafte, unschuldige Energie, die weder von Gutgläubigkeit noch von Bosheit gefärbt ist. Er trat auf wie ein diskreter und intelligenter Butler, und deshalb zogen ihn oft gerade die Verschlossensten in ihr Vertrauen oder man bat ihn, zwischen Leuten zu verhandeln, die er erst seit Kurzem kannte. Sein Äußeres verriet wie gesagt sehr wenig über sein Wesen, und es war dazu angetan, anderen sofort Vertrauen einzuflößen.

Moody war sich der Vorteile seines unergründlichen Zaubers sehr wohl bewusst. Wie die meisten ausnehmend schönen Menschen hatte er das eigene Spiegelbild eingehend studiert und kannte sich in gewisser Weise am besten von außen; er sah sich immer in einer Kammer seines Geistes von außen. Er hatte viele Stunden in seinem Ankleidezimmer verbracht, wo der Spiegel sein Bild in die Ansicht aus Profil, Halbprofil und Gegenüber zerteilte: van Dycks Porträt von Charles I., allerdings wesentlich beeindruckender. Dies war eine heimliche Übung, die er vermutlich nicht gern zugegeben hätte – denn wie unumschränkt verdammen die Moralapostel unserer Tage die Selbstbeobachtung! Als gäbe es keine Beziehung zwischen dem Ich und dem Ich, als sähe man nur in den Spiegel, um die eigene Arroganz zu bestätigen, als wäre der Vorgang der Selbstbetrachtung nicht ebenso subtil, gefahrvoll und unbeständig wie jede Verbindung zwischen gleichgestimmten Seelen. Moodys Faszination hielt ihn weniger dazu an, die eigene Schönheit zu bewundern, als sie zu beherrschen. Zweifellos verspürte er einen angenehmen Kitzel der Befriedigung, wenn er das eigene Spiegelbild in einem Schaufenster erblickte oder des Nachts in einer Fensterscheibe, doch es war eine Empfindung, wie ein Ingenieur sie haben könnte, der zufällig eine Maschine erblickt, die er selbst konstruiert hat, und sieht, dass sie alle Erwartungen erfüllt, blinkt und blitzt, gut geölt ist und so funktioniert, wie er es vorgesehen hatte.

Moody sah sich nun vor seinem inneren Auge, im Türrahmen zu dem Rauchzimmer, und er wusste, dass er einen völlig gelassenen Eindruck machte. Er zitterte fast vor Erschöpfung; in seinem Inneren lastete ein Bleigewicht des Grauens; er fühlte sich geschmälert, ja eingeschüchtert; und er fürchtete sich. Mit höflichem Desinteresse und entsprechender Freundlichkeit ließ er seinen Blick durch das Zimmer wandern. Es sah aus wie ein Ort, den man nach langer Zeit aus dem Gedächtnis wiedererrichtet hatte, nachdem vieles vergessen worden war (Kaminböcke, Draperien, eine vernünftige Kamineinfassung), in dem aber kleine Details erhalten geblieben waren: zum Beispiel ein Bild des verstorbenen Prinzgemahls, aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und mit Schuhnägeln an die Wand geheftet, die dem Innenhof gegenüberlag, die Naht im Tuch des Billardtischs, der auf den Docks von Sydney zersägt worden war, um die Überfahrt besser zu überstehen, der Stapel alter Flugschriften auf dem Sekretär, deren Blätter vom Befingern durch viele Hände dünn und verschmiert waren. Die Aussicht aus den zwei kleinen Fenstern links und rechts des Kamins ging auf den Hinterhof des Hotels, ein schlammiges Stück Land voller Kisten und verrostender Fässer, von den Nachbargrundstücken nur durch Gestrüpp und Farnbüschel getrennt und im Norden durch eine Reihe niedriger Hütten, deren Türen gegen Diebe gesichert waren. Hinter diesem verschwommenen Horizont sah man durchhängende Wäscheleinen, die hinter den Häusern einen Block weiter östlich im Zickzack verliefen, längs auf quer geschichtete Holzstapel, Schweinekoben, Abfallhaufen, Ansammlungen von Eisenblech und Kerzenresten sowie Kloaken, und alles war verlottert oder einigermaßen vernachlässigt. Die Uhr hatte die späte Stunde der Dämmerung geschlagen, wenn alle Farben auf einmal zu verblassen scheinen, und es regnete unaufhörlich; durch das geriffelte Glas nahm der Hof sich ausgebleicht und farblos aus. Im Haus hatten die Spirituslampen noch nicht das meerfarbene Licht des ersterbenden Tages abgelöst, und mit ihrem blassen Schimmer schienen sie die allgemeine Trostlosigkeit der Ausstattung des Zimmers zu unterstreichen.

Für jemanden, der seinen Club in Edinburgh gewohnt war, wo alles rot und golden glänzte und die gepolsterten Sofas eine fette Behaglichkeit ausstrahlten, die dem Leibesumfang der Gentlemen entsprach, die auf ihnen saßen, wo einem beim Eintreten eine weiche Jacke gereicht wurde, die angenehm nach Anis oder Pfefferminz duftete, und wo danach die kleinste Regung des Fingers zur Klingelschnur hin genügte, um eine Flasche Bordeaux auf silbernem Tablett herzubeordern, war dieser Anblick bedrückend. Aber Moody gehörte nicht zu denen, die sich über abstoßende Umstände grämen; die ungeschliffene Schlichtheit seiner Umgebung ließ ihn nur innerlich zurückweichen, so wie ein reicher Mann schnell beiseitetritt und zu Stein wird, wenn er auf der Straße einem Bettler begegnet. Sein freundlicher Gesichtsausdruck wich nicht, als sein Blick durch den Raum glitt, doch geistig ließ ihn jede Einzelheit – der Haufen schmutzigen Wachses am Fuß einer Kerze oder der Staubrand an einem Glas – sich noch weiter in sich selbst zurückziehen und seinen Körper noch mehr gegen seine Umgebung stählen.

Diese Abwehr, wenn auch unwillkürlich, hing weniger mit den üblichen Vorurteilen von Menschen höheren Standes zusammen – und tatsächlich war Moody nur bescheiden vermögend und gab oft den Armen Geld, wenn auch (das müssen wir eingestehen) nie ohne ein leises Vergnügen an der eigenen Großzügigkeit – als mit dem persönlichen Desequilibrium, das zu bewältigen er sich im Augenblick und unmerklich bemühte. Schließlich war das hier eine Stadt des Goldrauschs, neu erbaut zwischen Wildnis und Meer am südlichsten Ende der zivilisierten Welt, und er hatte keinen Luxus erwartet.

Tatsächlich verhielt es sich so, dass Moody auf der Bark, die ihn von Port Chalmers an diesen wilden Küstenabschnitt gebracht hatte, etwas miterlebt hatte, was so außergewöhnlich und aufwühlend war, dass es alle anderen Gewissheiten infrage stellte. Die Szene stand ihm noch immer vor Augen – als wäre im Hintergrund seines Geistes eine Tür aufgeklinkt worden, die ihm einen grauen Lichtschein zeigte, und als könnte er sich die Dunkelheit nicht zurückwünschen. Es kostete ihn nicht wenig Mühe, zu verhindern, dass die Tür sich noch weiter öffnete. In dieser prekären Befindlichkeit nahm sich alles Ungewohnte und alles Unerquickliche wie eine persönliche Kränkung aus. Ihm war, als...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2015
Übersetzer Melanie Walz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Luminaries
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Booker Preis • Booker Prize • Buchgeschenk des Jahres • eBooks • Goldrausch • Historische Kriminalromane • Historischer Kriminalroman • Historische Romane • Hokitika • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuseeland • Roman • Romane
ISBN-10 3-641-15896-6 / 3641158966
ISBN-13 978-3-641-15896-5 / 9783641158965
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