Konzert ohne Dichter (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30891-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Konzert ohne Dichter -  Klaus Modick
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Ein Meisterwerk« Denis Scheck Klaus Modick erzählt die Entstehungsgeschichte des berühmtesten Worpsweder Gemäldes, von einer schwierigen Künstlerfreundschaft - und von der Liebe. Im Jahr 1905 ist Heinrich Vogeler auf der Höhe seines Erfolgs und wird für sein Meisterwerk »Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff« öffentlich gefeiert. Für Vogeler ist es das Resultat eines dreifachen Scheiterns: In seiner Ehe kriselt es, sein künstlerisches Selbstbewusstsein wankt, und seine fragile Freundschaft zu Rainer Maria Rilke, dem literarischen Stern am Himmel der Worpsweder Künstlerkolonie, zerbricht - und das Bild bringt das zum Ausdruck: Rilkes Platz zwischen den Frauen, die er liebt, bleibt demonstrativ leer. Was die beiden zueinander führte und später trennte, welchen Anteil die Frauen daran hatten, die Kunst, das Geld und die Politik, davon erzählt Klaus Modick auf kunstvolle Weise. Ein großartiger Künstlerroman, einfühlsam, kenntnisreich, atmosphärisch und klug.

Klaus Modick, geboren 1951, studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik, promovierte mit einer Arbeit über Lion Feuchtwanger. Seit 1984 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer und lebt nach diversen Auslandsaufenthalten und Dozenturen wieder in seiner Geburtsstadt Oldenburg. Für sein umfangreiches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Nicolas-Born-Preis, dem Bettina-von-Arnim-Preis, dem Rheingau Literatur Preis und zuletzt dem Hannelore-Greve-Preis. Zudem war er Stipendiat der Villa Massimo sowie der Villa Aurora. Zu seinen erfolgreichsten Romanen zählen »Der kretische Gast« (2003), »Sunset« (2011), »Konzert ohne Dichter« (2015) und »Keyserlings Geheimnis« (2018).  Zuletzt erschien »Leonard Cohen« (2020) und der Roman »Fahrtwind« (2021) sowie (mit Bernd Eilert) »Nachlese. Hundert Bücher - Ein Jahrhundert« (2024).

Klaus Modick, geboren 1951, studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik, promovierte mit einer Arbeit über Lion Feuchtwanger. Seit 1984 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer und lebt nach diversen Auslandsaufenthalten und Dozenturen wieder in seiner Geburtsstadt Oldenburg. Für sein umfangreiches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Nicolas-Born-Preis, dem Bettina-von-Arnim-Preis, dem Rheingau Literatur Preis und zuletzt dem Hannelore-Greve-Preis. Zudem war er Stipendiat der Villa Massimo sowie der Villa Aurora. Zu seinen erfolgreichsten Romanen zählen »Der kretische Gast« (2003), »Sunset« (2011), »Konzert ohne Dichter« (2015) und »Keyserlings Geheimnis« (2018).  Zuletzt erschien »Leonard Cohen« (2020) und der Roman »Fahrtwind« (2021) sowie (mit Bernd Eilert) »Nachlese. Hundert Bücher – Ein Jahrhundert« (2024).

Inhaltsverzeichnis

II Von Bremen nach Oldenburg


8. Juni 1905

 

 

 

 

 

 

 

 

udwig Roselius hat seinen Chauffeur auf den Rücksitz des nagelneuen Mercedes-Simplex verbannt, Vogeler neben sich auf den Beifahrersitz beordert und höchstpersönlich das Lenkrad ergriffen. Den Hals vorgereckt, die Halbglatze unter der schneidigen Ledermütze, die Schutzbrille vor Augen wie ein Schweißer, gibt der große Mäzen sich der Lust hin, die Welt zu durchrasen.

»32 PS!«, ruft er begeistert, wenn nicht gar berauscht von Motorkraft und Geschwindigkeit. »Stellen Sie sich das mal vor, Vogeler. Als hätte man 32 Gäule vorgespannt!«

Nun fressen sie blaue Fernen in sich hinein, karriolen, kaum dass Bremens Brücken, Häuser und Türme hinter ihnen versunken sind, über frühsommerliche Wege und Landstraßen der Wesermarsch. Wäre da nicht das Knattern des Motors, synkopiert vom gelegentlichen Knallen der Fehlzündungen, könnte man hoch in Wind und Licht wohl die Pappeln leise rascheln hören. Still glänzen Weiden an Wegrainen, und ein milder Himmel fließt blau zwischen Wolkenbergen.

»Und die Tachometernadel steht schon fast bei 35!

Da, sehen Sie doch! Das heißt, wir legen sage und schreibe 35 Kilometer zurück. Pro Stunde! Ist doch enorm, was?«

Die Vögel flüchten schimpfend aus Bäumen, Sträuchern und Büschen der Knicks. Weidende Kühe nehmen großäugig glotzend Reißaus. Hühner, Enten, Gänse und die sie hütenden barfüßigen Buben und Mädchen retten sich gackernd, schnatternd, kreischend in Straßengräben und staunen dem lärmenden Ungetüm hinterher. Alte Frauen ducken sich verängstigt hinter Hecken und Gartenzäune, wenn das Automobil, giftrot lackiert, vorn mit zwei stumpfen Augen wie ein monströses, der Hölle entkommenes Blechinsekt, drohend und besinnungslos lärmend in einem Schweif von Pestgestank und Staub vorbeidröhnt.

Einmal verursachen sie Panik unter Pferden und Soldaten der Oldenburger Dragoner, die singend ihrer Garnison entgegentraben. Die Pferde bäumen sich, wollen wiehernd durchgehen. Die schneidigen Herren müssen absitzen, sonst sind die Tiere nicht zu halten. Und das Automobil rasselt im Triumph vorbei, über den ohnmächtigen Zorn der Reiter hinweg.

»Die Kerls meinen ja immer, sie seien die Herren der Welt. Ha!« Roselius lacht grimmig. Er muss es wissen, hat er doch seine Dienstzeit selbst im Sattel abgesessen. So weiß er die Demütigung seiner ehemaligen Kameraden erst richtig zu goutieren.

Vor lauter Genugtuung über seine automobile Allmacht übersieht Roselius allerdings ein Schlagloch, an dem krachend und zischend ein Vorderreifen zugrunde geht.

»Na, Petersen«, sagt Roselius zu seinem Chauffeur, »jetzt können Sie endlich mal Ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Man hat ja nicht umsonst den Reservepneu an Bord.«

»Jawohl, Herr Generalkonsul.«

»Bis Hude sind’s nur noch ein paar Schritte. Der Herr Vogeler und ich, wir marschieren jetzt schon mal ins Dorf und machen Mittagspause. Und wenn Sie den Reifen gewechselt haben, holen Sie uns da ab. Dann spendier ich Ihnen auch ’ne Bockwurst und ’n Bier.«

»Jawohl, Herr Generalkonsul.«

Bei den Ruinen der Zisterzienser-Abtei kehren sie in der Klosterschänke ein. Man empfiehlt frischen Spargel mit Ammerländer Räucherschinken, dazu eine Flasche spritzigen Moselwein. Nach dem Essen legen sie sich im Schatten einer Eiche ins Gras.

»Das Kloster sollten Sie mal malen, mein Bester«, sagt Roselius gähnend. »Das würde Ihnen liegen, Mittelalter und so, Ritter, Mönche und Fräuleins – – –« Er gähnt noch einmal und schläft ein.

Die Brise fächelt warm durchs frische Grün, mischt sich mit dem Himmelsblau und scheint sogar die Arkaden, Mauerbögen, Gesimse und Spitzbogenfenster der verfallenen Backsteingebäude in Bewegung zu setzen. Es gibt keine festen Linien. Wenn Vogeler so malen würde, könnte er den Eindruck von der Bewegung eines sich ereignenden Geschehens darstellen. Ich könnte, denkt er, das Leben an sich festhalten, das wirkliche, echte Leben. Das würde eine weniger exakte, lockere Pinselführung erfordern, weil er dann die Unfähigkeit des Auges, genau festzustellen, wo sich in der Brise die Blätter des Eichenlaubs in jedem einzelnen Moment befinden, nachahmen müsste. Oder ist das eine optische Täuschung? Eine Willkür des Lichts? Er hat ja neuerdings auch dies Flimmern vor Augen, diese nervöse Sehstörung, wie die Ärzte ratlos diagnostizieren. Sobald er ein Blatt fixiert, löst es sich bereits wieder auf, und das gilt sogar für die blutroten Backsteine, die wie lebendige Zellen sind. All das pulsiert vor und zurück. Alles atmet. Alles lebt. Auf dem Bild jedoch, das jetzt in Oldenburg Furore macht, sind die Blätter der Bäume versteinert wie die Mienen der Menschen in freudloser, lebloser Erstarrung, in malerischer Pedanterie, und ausgerechnet die bringt ihm die Goldmedaille ein. Das ist wie ein Ritterschlag, eine Krönung: Heinrich Vogeler, König des Jugendstils. Er weiß aber, dass er nur ein Bettler am Hof der Kunst ist. Auf der Schwelle zu den wogigen Regionen des Halbschlafs blinzelt er ins Laubgewölbe, ein Irrgarten des Ornaments, in dem er sich verlaufen hat. So kann es nicht weitergehen, flüstern die Blätter im Wind, du musst heraus aus diesem Labyrinth. Gibt es einen Ausgang? Wie ist er hineingeraten? Wann? Womit hat es begonnen? Mit den Birken? Ach ja, natürlich – – –

– – – die Birken auf der verwahrlosten Wiese. Mit dem Spaten grub er Pflanzlöcher für noch mehr Birken, Birken, Birken. Von Birken konnte er gar nicht genug bekommen. Das waren mädchenhafte, tänzerische Bäume, hell und schlank im lindgrünen Laub und ihren silberweißen, im Morgenlicht manchmal wie Seidenpapier schimmernden Borken. Noch im windgebeugten Alter wirkten sie so, als blieben sie für immer jung. Und selbst wenn ihre Zeit in Feuerstellen, Öfen und Kaminen gekommen war, brannten die Flammen heller und milder, und ihre Asche war lichtgrau. Hätte es noch keine Birken gegeben auf der Welt – der Jugendstil hätte sie erfunden. Vogeler persönlich hätte sie erfunden für seinen Barkenhoff.

Auf dieser Birkenwiese also erschien plötzlich Rudolf Alexander Schröder, jüngster Spross einer sehr gut betuchten Bremer Kaufmannssippe, der soeben sein Abitur abgelegt und den Kopf voller poetischer Flausen hatte, ein glühender Bewunderer Vogelers war und ihm ein Angebot unterbreiten wollte. Mit der armen Worpsweder Lehrerwitwe Schröder war er übrigens nicht verwandt, sondern er war ein Cousin Alfred Walter Heymels. Heymel, Adoptivsohn eines schwerreichen Bremer Kaufmanns und brasilianischen Konsuls, hatte beim frühen Tod seines Adoptivvaters ein enormes Vermögen geerbt, war soeben volljährig geworden und konnte nun frei über die Millionen verfügen.

»Alfred und ich gründen in München eine moderne Zeitschrift für Kunst und Kultur auf höchstmöglichem ästhetischen Niveau«, erläuterte Schröder sein Anliegen, als sie im Barkenhoff vor dem Kamin saßen und Tee tranken. »Die Redaktion übernimmt Otto Julius Bierbaum, und wir haben schon bekannte Autoren für die Mitarbeit gewonnen, Hofmannsthal, Dehmel und so weiter. Für die grafische Gestaltung möchten wir Sie gewinnen, weil nur Sie realisieren können, was uns vorschwebt. Ihr Werk steht beispielhaft für das, was die Zeitschrift vertreten wird. Sie sollen da eigene Arbeiten platzieren, aber auch andere Künstler auswählen und der Zeitschrift zuführen. Das soll nicht auf ewig sein, nur für den ersten Jahrgang. Wenn Sie die Sache erst einmal in die richtige Bahn gelenkt haben, können Sie uns von Worpswede aus beliefern. Reisespesen übernehmen wir, und selbstverständlich stellen wir Ihnen in München kostenlos Wohnung und Atelier. Geld spielt überhaupt keine Rolle bei Alfred. Was sagen Sie dazu?«

»Mh, mh, mh«, machte Vogeler. Das klang alles schön und gut, war auch schmeichelhaft für ihn, und das Honorar würde bei Heymels Möglichkeiten üppig genug ausfallen. Aber München? Jetzt, wo der Barkenhoff Form annahm? Und Martha? Sie allein in Worpswede zurücklassen?

»Was gibt es da groß zu überlegen, Vogeler?«, hakte Schröder nach. »Die Zeitschrift wird Insel heißen – ein Rettungs- und Rückzugseiland für unsere besten jungen Kräfte aus Literatur und Kunst, eine Manifestation gegen Unkultur und Vulgarität, ein Sammelpunkt der Begabtesten der Neuromantik und des Jugendstils. Wir werden nur Texte von erlesener Qualität drucken, und wir werden sie auf erstklassiges Papier drucken. Wenn Sie die Ausstattung übernehmen, den Buchschmuck und die Illustrationen und den Druck überwachen, dann wird unser Journal das Beste sein, was deutsche Buchkunst je hervorgebracht hat. Außerdem ist München eine schöne Stadt. Schlagen Sie ein, Vogeler. Nennen Sie uns Ihren Preis. Alfred zahlt alles. Mein Cousin ist allerdings ein ziemlich wilder Charakter, in keine Fessel zu bringen. Nun ja, er schreibt ja auch selbst. Gedichte hauptsächlich – – –« Hier machte Schröder eine Pause und hüstelte affektiert, vielleicht spöttisch, bevor er fortfuhr. »Das viele Geld macht Alfred manchmal unerträglich. Übermütig, verschwenderisch, laut. Er kann sogar gewalttätig werden, und gegenüber Frauen zeigt er eine, wie soll ich sagen, eine gewisse Unersättlichkeit. München bietet da allerlei Reize, Sie werden schon sehen. Am Ende gefällt es Ihnen da besser als in...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autor • Bestseller • Beziehung • Biografisch • Chronique scandaleuse • Das Konzert • Der kretische Gast • Die Schatten der Ideen • Erinnerungen • Frauen • Freundschaft • Gemälde • Geschichten • Heinrich Vogeler • Klack • Klatsch • Klaus Modick • Künstler • Künstlerroman • Künstler-Roman • Liebe • Rainer Maria Rilke • Scheitern • Schriftsteller • Skandal • Sommerabend • Sunset • Übersetzer • Vierundzwanzig Türen • Worpswede
ISBN-10 3-462-30891-2 / 3462308912
ISBN-13 978-3-462-30891-4 / 9783462308914
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 5,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99