Dmitri / Die Übergangsgesellschaft / Nibelungen / Limes. Mark Aurel / Was wollt ihr denn (eBook)

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2014 | 1. Auflage
303 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74242-6 (ISBN)

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Dmitri / Die Übergangsgesellschaft / Nibelungen / Limes. Mark Aurel / Was wollt ihr denn - Volker Braun
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Dieser Band versammelt eine Auswahl von sechs Theaterstücken von Volker Braun, die seit Beginn der achtziger Jahre entstanden sind. Volker Braun, 1939 in Dresden geboren, Lyriker, Dramatiker und Prosaautor, Büchner-Preisträger des Jahres 2000, zeigt sich in seinen Stücken als gleichermaßen scharfsinniger wie sprachmächtiger Analytiker von gesellschaftlichen Verhältnissen. Brauns Stoffe und Szenerien sind welthistorisch, die Problemstellungen seiner Stücke sind heutig und von globaler Brisanz.

<p>Volker Braun, 1939 in Dresden geboren, arbeitete in einer Druckerei in Dresden, als Tiefbauarbeiter im Kombinat <em>Schwarze Pumpe</em> und absolvierte einen Facharbeiterlehrgang im Tagebau Burghammer. Nach seinem anschlie&szlig;enden Philosophiestudium in Leipzig wurde er Dramaturg am Berliner Ensemble. 1983 wurde Volker Braun Mitglied der Akademie der K&uuml;nste der DDR, 1993 der (gesamtdeutschen) Akademie der K&uuml;nste in Berlin. 1996 erfolgte die Aufnahme in die S&auml;chsische Akademie der K&uuml;nste und in die Deutsche Akademie f&uuml;r Sprache und Dichtung. Im Wintersemester 1999/2000 erhielt er die Br&uuml;der-Grimm-Professur an der Universit&auml;t Kassel. Von 2006 bis 2010 war Volker Braun Direktor der Sektion Literatur der Akademie der K&uuml;nste. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. den Georg-B&uuml;chner-Preis im Jahr 2000. Volker Braun lebt heute in Berlin.</p>

1


Reichstag in Polen. Die Großen laufen über die Bühne und präparieren simultan ihre Rollen, der König seine stumme.

GNESEN

SO IST DENN DIESER STÜRMEVOLLE REICHSTAG

ZUM GUTEN ENDE GLÜCKLICH EINGELEITET

KÖNIG UND STÄNDE SCHEIDEN WOHLGESINNT

DER ADEL WILLIGT EIN SICH ZU ENTWAFFNEN

DER WIDERSPENSTIGE ROKOSZ SICH ZU LÖSEN

Rokosz sich zu lösen

DER KÖNIG ABER GIBT SEIN HEILIG WORT

ABHÜLF ZU LEISTEN DEN GERECHTEN KLAGEN

und nicht seinen Sohn auf den Thron zu hieven, nicht wahr, weil wir eine Republik sind

MNISCHEK?auswendig:

HIER IST NICHT MOSKAU NICHT DESPOTENFURCHT

SCHNÜRT HIER DIE FREIE SEELE ZU HIER DARF

DIE WAHRHEIT WANDELN MIT ERHABNEM HAUPT

ICH WILLS NICHT HOFFEN EDLE HERRN DASS HIER

ZU KRAKAU AUF DEM REICHSTAG SELBST DER POLEN

DER CZAR VON MOSKAU FEILE SKLAVEN HABE

LEMBERG

WER ABER SOLL GERECHT SEIN AUF DER ERDE

WENN ES EIN GROSSES TAPFRES VOLK NICHT IST

DAS FREI IN HÖCHSTER MACHTVOLLKOMMENHEIT

NUR SICH ALLEIN BRAUCHT RECHENSCHAFT ZU GEBEN

UND UNBESCHRÄNKT VON hier gehts nicht weiter VON den blöden Rücksichten auf Sitten und die Anmaßung der Spitze und der verrotteten Völker, mit denen wir Frieden halten, wenn sich kein Vorwand findet, sie rechtens anzugreifen,

DER SCHÖNEN MENSCHLICHKEIT GEHORCHEN KANN

KRAKAU

ES IST DIE GROSSE SACHE ALLER STAATEN

UND THRONEN DASS GESCHEH WAS RECHTENS IST

DA FREUT SICH JEDER SICHER SEINES ERBS

UND ÜBER JEDEM HAUSE JEDEM THRON

SCHWEBT DER VERTRAG WIE EINE CHERUBSWACHE

DOCH WO

SICH STRAFLOS FEST SETZT IN DEM FREMDEN ERBE

DA WANKT DER STAATEN FESTER FELSENGRUND

SAPIEHA

DIE MEHRHEIT

WAS IST DIE MEHRHEIT MEHRHEIT IST DER UNSINN

VERSTAND IST STETS BEI WENGEN NUR GEWESEN

BEKÜMMERT SICH UMS GANZE WER NICHTS HAT

HAT DER BETTLER EINE FREIHEIT EINE WAHL

ER MUSS DEM MÄCHTIGEN DER IHN BEZAHLT

UM BROD UND STIEFEL SEINE STIMM VERKAUFEN

MAN SOLL DIE STIMMEN WÄGEN UND NICHT ZÄHLEN

DER STAAT MUSS UNTERGEHN FRÜH ODER SPÄT

WO MEHRHEIT SIEGT UND UNVERSTAND ENTSCHEIDET

GNESEN?unterbricht den Lärm:

UND NUN IM INNERN FRIED IST KÖNNEN WIR

aber wohin mit den Truppen, die noch im Feld stehn?

DIE AUGEN AUF DAS AUSLAND RICHTEN –

Kronbeamte, Woiwoden, Landboten stürzen auf die Bühne.

DER REICHSTAG?Während man hört, daß gewisse Herren schon den Angriff auf Rußland machinieren. / Gewisse Herren schon den Angriff machinieren. / Es gibt keinen?Anlaß?für einen Krieg./ SAPIEHA Ich hab mit Moskau Frieden abgeschlossen. / Rußland ist schwach. / Am Boden. / Noch nie war die Gelegenheit so günstig. / Die Beute der Tataren. / Rußland bricht den Frieden. / Rußland ist reich. / SAPIEHA Frieden abgeschlossen, und ich bin Mann dafür, daß man ihn halte. / Es gibt keinen?Anlaß?für einen Krieg.

Man verharrt in Schweigen.

Es heißt, der Zarewitsch von Moskau lebt. / Wer lebt. / Der Zarewitsch von Moskau lebt. / Wer sagt das. / Wer sagt das. Gelächter. Dmitri ist nicht ermordet? / Er wurde in Uglitsch erstochen dermalen vor vierzehn Jahren im Alter von sieben von Boris Godunow weiland dem Thronverwalter jetzt Zar in Moskau. / Er lebt. Gelächter. MNISCHEK Ein entlaufner Russe, jetzt mein Knecht, wurde erkannt bei Gelegenheit eines Tractaments, das er empfing. / Eines Tractaments? / MNISCHEK beiläufig: Weil er das Handtuch nicht in die Badstube bringt sondern auf Pferden reitet, ich erzürne mich und gebe ihm eins aufs Maul und nenne ihn einen Hurensohn, er stellt sich, als wenn ihm das zu Herzen ginge, fängt in der Badstube an zu weinen und spricht: wenn du wüßtest wer ich bin, du würdest mich nicht einen Hurensohn nennen, und vielweniger um so geringer Ursache wegen an Hals schlagen. Mein baldiger Schwiegersohn, und Palatin, faßt ihn an und sagt mir: du drischst wohl den Zar von Rußland. Der Knecht wirft ihn in Dreck. Sapieha lacht. Mnischek lacht mit. Wenn er der Zarewitsch ist / Hat er Beweise? / Wer sagt das. Stille. Alle sagens! / Der Sohn Iwans, des Großen. / Gerüchte! / Dann hat er Anspruch auf den Thron. / Dann muß ihm Polen auf seinen Thron helfen! / MNISCHEK Hier ist nicht Moskau. Nicht Despotenfurcht schnürt hier die freie Seele zu. Hier darf die Wahrheit wandeln mit erhabnem Haupt. / Tumultuarisch: Demetrius. / KRAKAU Es ist die große Sache aller Staaten und Thronen, daß gescheh was rechtens ist. / Krieg mit Rußland! / Es ist nichts bewiesen. / LEMBERG Wer aber soll gerecht sein, wenn es ein großes tapfres Volk nicht ist, das frei und unbeschränkt etc. der schönen Menschlichkeit gehorchen kann. / Krieg Krieg mit Rußland! / Die Mehrheit will es. / SAPIEHA Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. / Die Mehrheit! / SAPIEHA Verstand ist stets bei Wengen nur gewesen. / Sammelt die Stimmen. Truppen für Dmitri! / SAPIEHA Man soll die Stimmen wägen und nicht / Hier ist nicht Moskau / Was rechtens ist / Der schönen Menschlichkeit / Krieg Krieg!
Großes Getöse. Alles rennt hinaus.

KÖNIG?Viel Worte liebch ni. Das Ganze sieht mir noch zu roh aus. Ich werd ni wegen eines ungewissen Glicks einen gewissen Krieg anfang. Den Fehler mach ich ni und zieh mir vom schwedschen Kenig gefährliche Würkungen aufs Haupt. Aber derwegen werd ichs ni hindern, wenn die Woiwoden Lust haben, auf ihre Unkosten Demetrium beizuspring und ihm in Moskau zu führen, was sei Recht is.

2


Dmitri blass und starr auf einem Stuhl. Um ihn im Halbkreis sitzen Mnischek, Gnesen, Lemberg, Krakau, ein Priester, sehn ihn erwartungsvoll / streng / grinsend an. Hinter Mnischek stehnd der Palatin, im Arm die füllige Marina. Langes Schweigen.

MNISCHEK?Es geht ein wenig schnell. Er kannte sich nicht.

Die Großen hüsteln geduldig.

Du bist in Rußland geboren. Zum Palatin: Es stimmt alles. – Als welches ein finstres Land. Deine Mutter eine schöne Frau, mit Brüsten wie Schnee, vor der man sich verbeugte. – Die Zarin. – Der Mörder kam mit einem Messer in das Schloß. Das Feuer. Ihr seid gerannt. Der Himmel glutrot.

Dmitri schweigt gehetzt.

Gerettet, genau. Verwechselt mit dem Balg der Amme, das im Blut lag. Ins Kloster geflüchtet. Hat sich nicht mehr gekannt.

PRIESTER?Eine Tragödie.

Dmitri wieder versunken.

MNISCHEK?Er spricht drei Sprachen. Zu Pferd eine gesengte Sau. Er hat bei meinen Reitern allen Krieg gelernt.

Die Großen raunzen erfreut.

Ließ sich nicht an Hals schlagen. Manieren, wie ein Fürst.

PALATIN?Angeboren.

MNISCHEK?Seht ihn an!

Dmitri hebt aufgeregt den Kopf.

Wenn mans nicht wüßte, seine Fähigkeiten würden ihn entdecken. Wo ist einer so qualifiziert? Er hat alle Eigenschaften eines Zaren.

Dmitri vor Hoffnung von stummem Lachen geschüttelt.

PRIESTER?Er glaubt sich nicht.

MNISCHEK?Er schläft bei mir im Stall! Springt auf: Verzeiht mir, Herr. – Holt die Bojaren. – Bojarenkinder, Flüchtlinge aus Moskau. Sag ihnen, wer du bist.

Palatin bringt drei junge Russen. Sehn Dmitri erstaunt an.

Was gibts?

RUSSEN?Die Ähnlichkeit. Herr, wie Ihr sagt.

MNISCHEK?Was sag ich.

RUSSEN?Die Warze unterm Auge.

Dmitri faßt sich ans Auge.

Der Arm. Sein Arm ist kurz. Er zeigt seinen Arm.

MNISCHEK?Hatte der Zarewitsch einen kurzen Arm?

Russen treten erregt zurück, rudern mit den Armen.

Dann ist ers.

RUSSEN?Die helle Haut. Sein zarter Körper. Sein Alter. Er ist da!

Fallen auf den Boden. Die Großen stehn überrascht auf. Mnischeks Gesinde in den Türen. Dmitri erhebt sich halb.

MNISCHEK?Du hasts geahnt. Gefühlt. Du bist kein Knecht.

Dmitri reißt mechanisch seinen Knechtsrock entzwei.

PALATIN?betreten: Ich hatte einen Scherz gemacht: feixt er sei der Zar –

MNISCHEK?Wie, so einen Gast hast du nicht erwartet bei deiner Hochzeit...

Erscheint lt. Verlag 14.4.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Dresdner Kunstpreis 2012 • Nibelungen • Ordre des Arts et des Lettres (Chevalier) 2012 • Prix international Argana de la Poésie 2015 • specatculum • Theaterstück
ISBN-10 3-518-74242-6 / 3518742426
ISBN-13 978-3-518-74242-6 / 9783518742426
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