Aus dem Berliner Journal (eBook)

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2014 | 2. Auflage
235 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73409-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aus dem Berliner Journal -  Max Frisch
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Es gilt als einer der großen Schätze in Max Frischs Nachlass, das legendäre Berliner Journal, das er begann, als er 1973 in West-Berlin in der Sarrazinstraße eine Wohnung bezog. Danach hat der Autor es selbst mit einer Sperrfrist von zwanzig Jahren nach seinem Tod versehen, der 'privaten Sachen' wegen, die er dort festhielt. 2014 ist das Journal, in Auszügen, erstmals erschienen, ein Fest für das Feuilleton, eine Fundgrube für die Leser. Jetzt erscheint es als Taschenbuch. 'Ich konnte das Buch ... nicht mehr weglegen.' Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 'Ich las diesen Max Frisch jetzt und war total beeindruckt. Nicht nur von dem psychologischen Reichtum, den Max Frisch zu entfalten vermag, sondern auch von der delikaten Stilartistik ... das ist wirklich ein toller Autor.' Ijoma Mangold 'Hier ist der ganze Max Frisch in all seiner thematischen Vielfalt, in seinem psychologischen Scharfsinn und seiner gesellschaftlichen Neugier wiederzuentdecken.' Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung 'Wenige konnten die Träume unserer in sich selbst verliebten, vorwärtsdrängenden Epoche besser beschwören als Max Frisch.' Iris Radisch, Die Zeit

Max Frisch, geboren am 15. Mai 1911 in Z&uuml;rich, arbeitete zun&auml;chst als Journalist, sp&auml;ter als Architekt, bis ihm mit seinem Roman <em>Stiller</em> (1954) der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Es folgten die Romane <em>Homo faber</em> (1957) und <em>Mein Name sei Gantenbein</em> (1964) sowie Erz&auml;hlungen, Tageb&uuml;cher, Theaterst&uuml;cke, H&ouml;rspiele und Essays. Frisch starb am 4. April 1991 in Z&uuml;rich.

2816.2.


 

Er fordert mich – das stimmte in einem gewissen Sinn auch für Alfred Andersch. Seine Erwartung, dass sich in Berzona eine literarische Nachbarschaft ergebe, wurde bald enttäuscht. Trotz aller Freundlichkeit gegenseitig. Sein Begriff vom Schriftsteller, sein Gestus im Alltag: »qua Schriftsteller«, was zu einer empfindlichen Würde führt, zu einem Ernst, der nicht immer ohne Komik ist; seine Rechtschaffenheit als menschliche Person lag mir näher. Ich schätzte ihn, ich schätze ihn nachwievor. Schon bald, spätestens seit wir im gleichen Dorf wohnten, war ich nicht frei von Angst, ihn zu verletzen, natürlich ohne es zu wollen. Vor einem Jahr ist es denn auch dazu gekommen; nicht wegen eines literarischen Urteils. Als ich EFRAIM im Manuskript gelesen hatte, schrieb ich ihm (um jedes mündliche Ungeschick zu vermeiden) einen langen Lektorats-Bericht, der ihm keineswegs missfiel, aber dem Buch auch nichts nützte. Man redete immer spärlicher über Literatur, dann höflich, d. h. nur wenn dem einen die Produktion des andern gefiel. Seine heftige Geringschätzung etwa von Günter Grass oder Peter Handke konnte ich nicht teilen, auch durch Widerrede nicht abbauen. Dann und wann ging man sich auf die Nerven, was natürlich ist; der simple Fehler: zwei Freunde (so empfanden wir uns, meine ich, zu Recht) sollten nicht Nachbarn in einem Dorf werden. Nachbarschaft täglich nötigt zur Vorsicht, schliesst den Krach aus, der die Freundschaft prüft und weiterbringt; den offenen Krach. In einer grösseren Stadt wären wir wahrscheinlich Freunde geblieben, die sich manchmal für einige Monate nicht treffen; in einem kleinen Dorf, wo man sich nach einer Auseinander29setzung vielleicht übermorgen schon wieder bei der gemeinsamen Garage treffen wird, meidet man, was zur Freundschaft gehören würde, zwecks Erhaltung guter Nachbarschaftlichkeit. Dadurch wird Lüge unumgänglich; schliesslich verargt man es dem andern, dass man selber nicht offen ist; über die eigene Scheissfreundlichkeit gerät man in Zorn, wenn der andere nicht zugegen ist, und es braucht nur noch Alkohol, dass man selber die miesen Witze macht, die man andern, wenn sie solche anbieten, strikt verbietet. Also schlechtes Gewissen. Ob Alfred Andersch dazu Anlass hatte, weiss ich nicht; es geht mich auch nichts an. Unsere Beziehung wurde jedenfalls krampfhaft; nicht durch einen Vorfall, der sie in Frage stellte, aber durch eine zunehmende Aussparung. Er ein Gentleman (ohne Ironie gesagt: qua Schriftsteller) und ich etwas wurschtig oder nervös, dabei banal, jedenfalls völlig unergiebig; auch befangen, da ich Namen, denen seine unversöhnliche Geringschätzung galt, gar nicht mehr erwähnte, also manches nicht berichten konnte. Einmal sagte er von seinem Verleger, was andere immer von ihm sagen: Leider habe er keinen Humor, überhaupt keinen Humor. Dazu meine ausführliche These, warum diese Behauptung immer ein Ausdruck fundamentaler Antipathie sei, weniger Kennzeichnung eines andern als Signal für eine Beziehung, indem die Antipathie des einen, der diese Behauptung ausspricht, eben den Humor des andern gar nicht zulässt. Wie oft ich höre, dass er, Alfred Andersch, ein rechtschaffener Mann sei, aber leider keinen Humor habe, überhaupt keinen Humor, sagte ich nicht. Tatsächlich wusste ich immer weniger und weniger zu sagen; Literaturbetrieb als Verlegenheits-Thema für beide, auch das nicht ohne Minen. Man hätte wissen müssen, dass er die 30ZEIT nicht liest, grundsätzlich nicht, nachdem dieses Blatt ihn vernachlässigt und verunglimpft hat; nicht so die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Schwierig auch der Besuch von Kollegen, die uns beide kannten; in den ersten Jahren legte ich es ihnen nahe, Alfred Andersch zu begrüssen, wenn sie schon in Berzona waren; später dachte ich, jedermann könne besuchen, wen er grad besuchen will, den einen oder den andern. Wer Alfred Andersch besucht, muss er denn auch mich in Kauf nehmen? Das meinte ja keiner von uns; trotzdem ergab sich ein Verlust an Selbstverständlichkeit. Gab es einen Grund dafür, dass Otto F. Walter, sein früherer Verleger, mit dem er sich zerstritten hatte, nicht in unserm Haus nächtigt? Im übrigen achteten wir gegenseitig unsere tägliche Arbeitszeit; kein launischer Überfall zu diesen Stunden, wenn möglich auch kein Anruf. Gisela Andersch kam hin und wieder zum Schwimmen, wie vereinbart; keine Störung, ich versicherte es. Alfred Andersch, so meinte ich, sei kein Spieler; Boccia zum Beispiel. Als ich ihn später, um mich nicht auf mein Vorurteil zu versteifen, wieder einmal zu einer Boccia-Partie aufforderte, sagte er: Ja, aber nicht heute, nein, auch morgen Abend geht es nicht, überhaupt in dieser Woche nicht. Es musste ja nicht sein, es war auch nur eine Laune, kein Vorhaben; mit der Zeit verliert sich allerdings die Laune auch. Dazu die Angst von Marianne, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben; kein Zweifel meinerseits, dass ich etwas falsch gemacht habe. Und dann bei der nächsten Begegnung: ein Fred, wohlgesonnen, als hätten wir überhaupt nichts falsch gemacht. Auch stimmt es nicht, dass dieser Mann nicht lachen könne. Ein andermal meldete er sich mit einem Auftrag an; unser gemeinsamer Steuerberater, Dott. Waldo Riva in Lugano, hatte zu sondieren, ob 31mir ein deutsches Bundesverdienstkreuz genehm sein würde. Eine seltsame Vorstellung für einen Eidgenossen. Auf meine Frage, ob er, Alfred Andersch als deutscher Staatsbürger, so ein Kreuz annehmen würde, schüttelte er energisch den Kopf: Von dieser Regierung keinesfalls! als hätte ich’s wissen müssen; es war die Regierung Brandt-Scheel in ihrer ersten Runde. Man kennt die politische Biographie von Alfred Andersch; seit einiger Zeit konnte ich nicht mehr erraten, wo er heute steht oder sich bewegt. Einmal (daran erinnere ich mich) schrieb er an Gustav Heinemann, bevor dieser schon Bundespräsident geworden war, einen persönlichen Brief mit der Mahnung: Der Feind steht rechts. Dass Alfred Andersch sich um das schweizerische Bürgerrecht bewarb, wusste ich nicht; die Erwägungen, die ihn dazu führten, hätten mich wohl interessiert, vielleicht belehrt; vielleicht hätte ich mir eine Warnung erlaubt. Wollte er das Recht auf politische Aktivität im Land, Aktivität in welchem Sinn, und wenn nicht, warum heute eine Hermann-Hesse-Position? Sommer 1972 erfuhr ich von Nachbarn, dass Alfred und Gisela Andersch kürzlich Bürger von Berzona geworden sind; meine Landsleute also. Vorher unser Zerwürfnis. Im Oktober 1971 schickte ich ihm einen Text für mein Tagebuch, der unser Verhältnis darzustellen versuchte, etwa das Problem von Freundschaft-Nachbarschaft, das traurige Eingeständnis meiner Befangenheit; sicher auch ein befangener Text, eben darum meine Frage an Alfred Andersch, ob er mir von einer Veröffentlichung abrät. Eine naive Frage, zugegeben, naiv in der Hoffnung, dass dieser Text, gerade wenn ich ihn nicht in Druck gebe, unser Verhältnis klärt und die Freundschaft nochmals mobilisiert. Sein Brief, nach New York, bestürzte mich sehr und nachhaltig: be32rechtigt sein Hohn, dass ein Schriftsteller fragt, was er veröffentlichen soll oder nicht; ferner: »Jeder deiner Sätze ist eine Falschmeldung.« Ich habe die Kopie der Korrespondenz nicht hier, weiss aber, dass ich seine politische Biographie ausschliesslich aus seinem literarischen Werk bezogen habe. Auf meine Mitteilung, dass ich den Text, den meine Lektoren noch nicht kennen, zurückziehe und nicht in den Druck gebe, schrieb ich ein zweites Mal, Januar 1972, nach letzter Fahnen-Korrektur: dass unsere Beziehung, wie ich sie erlebte, in meinem Tagebuch nicht dargestellt ist, empfinde ich als ein Versagen, Bitte um Nachsicht für dieses Versagen. Von der PARTISAN REVIEW eingeladen, eine Anthologie deutschsprachiger Literatur heute zusammenzustellen, schrieb ich Ende Februar (oder Anfang März?) an Alfred Andersch, mit welchem Text er vertreten sein möchte, und als die Antwort ausblieb, ein zweites Mal: Kopie des ersten Briefes mit handschriftlicher Bitte um baldige Antwort. Mitte Juni, wieder in Berzona, rief ich am zweiten Tag an; Gisela sehr freundlich wie immer, Fred sei aber in der Arbeit, nicht zu sprechen, nein, leider auch nicht abends. Eine halbe Stunde später rief er an, nicht unfreundlich, nur erstaunt, was denn so dringlich wäre. Er kam (Zeit nach seiner Wahl) nachmittags um vier Uhr. Nach kurzem Wechsel von Frage und Bericht, wie es in New York ist, meine Frage, ob er Briefe von mir grundsätzlich nicht mehr beantworte. Alfred Andersch bejaht; nicht eigentlich grimmig, nur selbstverständlich: Nach diesem deinem Text. Wir hatten ihn beide in der Tasche, brauchten ihn aber nicht; beide kannten ihn so ziemlich auswendig, und überhaupt gab es, so fand Alfred Andersch, nichts mehr dazu zu sagen. Wie halten wir es nun weiter? Seine Antwort: So 33wie jetzt. Wie schon im ersten Brief widersetzte ich mich immerhin der Behauptung, jeder meiner Sätze enthalte eine Falschmeldung. »Politisch der Erfahrenere, literarisch der Belesenere«, so heisst es in dem Text über Alfred Andersch; auch das empfand er als Falschmeldung, nämlich als Ironie oder was weiss ich. Später kam Marianne dazu, unglücklich wie über jedes Zerwürfnis; sie kannte den Text nicht, zu dem es auch nichts mehr zu sagen gab. Man war sehr ruhig, nicht gemütlich, aber besonnen; Fred nahm sogar einen kleinen Whisky, wie immer einen kleinen, während ich über mein Tagebuch, das inzwischen erschienen war und somit auch an Alfred Andersch geschickt, trotzdem noch etwas sagen wollte: wievieles ich habe eliminieren müssen, weil es nicht genügte, so wenig wie der Text zu unsrer Beziehung, und wie das Ganze dadurch schief geworden ist. Meine...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Frisch • Frisch, Max • Literatur • Max • Motive in der bildenden Kunst • Motiv in der bildenden Kunst • ST 4589 • ST4589 • suhrkamp taschenbuch 4589 • Tagebuch • Tagebuch 1973-1974
ISBN-10 3-518-73409-1 / 3518734091
ISBN-13 978-3-518-73409-4 / 9783518734094
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