Hysterikon/Bandscheibenvorfall/Benefiz (eBook)

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2013 | 1. Auflage
218 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73664-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hysterikon/Bandscheibenvorfall/Benefiz - Ingrid Lausund
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Ingrid Lausund ist Theaterautorin und -regisseurin. Ihre doppelte Profession, die sie mit Theaterleuten wie Gesine Danckwart, René Pollesch oder Kater/Petras teilt, verweist auf die besondere Dringlichkeit ihrer Theaterarbeit, die sich ganz unmittelbar auch in ihren vielgespielten Stücken niederschlägt. Lausunds Texte entstehen aus einer lebendigen Theaterpraxis und in der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen. Ihre skurrilen Figuren sehen sich permanent mit der Anforderung konfrontiert, in komplett individualisierten Verhältnissen und in Zeiten verfallender Werte 'richtige' Entscheidungen treffen zu müssen. Lausunds Stücke - ob sie im Supermarkt (Hysterikon), im Büro (Bandscheibenvorfall - Ein Abend für Leute mit Haltungsschäden) oder während der Probe zu einer Wohlständigkeitsveranstaltung spielen (Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner), künden auf pointierte und sehr komische Weise von einer existenziellen Sisyphosarbeit, die in alltäglichsten Situationen zu leisten ist.

Dieser Band versammelt drei der erfolgreichsten Theaterstücke der in Ingolstadt geborenen Dramatikerin Lausund, die jeweils von ihr selbst uraufgeführt und im In- und Ausland bislang mehr als 100 Mal inszeniert wurden.



<p>Ingrid Lausund, geboren in Ingolstadt. 2000 bis 2005 Hausautorin und -regisseurin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Parallel inszenierte sie am Schauspiel Köln. Seit 2004 freie Autorin und Regisseurin. Unter dem Pseudonym Mizzi Meyer verfasst sie seit 2011 bislang 30 Drehbücher zur Fernsehserie <em>Der Tatortreiniger. </em>Ingrid Lausund lebt in der Bretagne und in Berlin.</p>

Prolog: Der aufrechte Gang


KRETZKY?Probst du manchmal vor dem Spiegel?

KRISTENSEN?Wie?

KRETZKY?Ich mein, stehst du manchmal vor dem Spiegel und probst, Gesten zum Beispiel oder Blicke, Bewegungen, die gut aussehen, probierst du das manchmal vor dem Spiegel?

KRISTENSEN?Nein.

KRETZKY?Gar nicht?

KRISTENSEN?Ja, gut, doch, Kleinigkeiten, nichts Wichtiges.

KRETZKY?Ja, Kleinigkeiten.

KRISTENSEN?Wie ich die Haare hinters Ohr … oder wie das aussieht, wenn ich esse.

KRETZKY?Du schaust dir beim Essen zu?

KRISTENSEN?Na ja, man sieht sich ja nicht beim Essen, kann ja sein, man hat ne unschöne Angewohnheit, irgendeine Kieferentgleisung, von der man nichts weiß … sieht man ja nicht, so was kontrollier ich schon, vor dem Spiegel. Oder dieses Kopfwackeln, ich hab ganz schnell so ein Kopfwackeln, eigentlich immer, Tag, wie gehts dir? Kopfwackeln. Danke, gut … Da gehts noch, da ist es noch sympathisch und feminin, Kopfwackeln ist feminin, an und für sich ist es ein archaischer Unterwerfungsreflex, bei Hunden löst es den Beißhemmreflex aus … Auf jeden Fall wirkt es feminin, und dann kann mans ja auch benutzen, warum nicht, in bestimmten Situationen, aber ich wackel eben immer mit dem Kopf, auch wenn er ruhig sein sollte, wenn er, wenn er …

KRETZKY?Wenn er nicht wackeln sollte?

KRISTENSEN?Genau. Das üb ich schon oft, grade stehn und reden ohne Kopfwackeln. Sie zeigt es. Ich kanns auch, aber ich muss mich wahnsinnig konzentrieren, vor allen Dingen, wenn ich das mit dem Kopf hab, ziehn die Schultern nach, und das ist das Signal, dass sich mein Becken feige nach hinten verdrückt. Sie bemerkt, dass ihre Haltung wieder unsouverän ist. Also wieder Kopf runter …

KRETZKY?Ne, Schultern runter.

KRISTENSEN?Genau. Hier ganz offen. Dehnt den Brustkorb. Und klare, gesetzte Gesten, hier ist mein Ego, hier ist mein Ausstrahlungspunkt. Sie steht mit aufrechter Haltung, souverän.

KRETZKY?Klappt doch ganz gut.

KRISTENSEN?Was du nicht sehen kannst, ist, wie ich mich mit eingerollten Zehen an meinen Pumps festhalte.

KRETZKY?Muss ja nicht alles auf einmal, aber so, was man so sieht, schön, so ne klare Ausstrahlung, konzentriert und auch sehr feminin.

KRISTENSEN?strahlt und hat einen großen Kopfwackler. Wirklich? Ich mein ohne Wackler wirklich?

KRETZKY?Hm. Ja.

KRISTENSEN?Ehrlich gesagt, verbringe ich ziemlich viel Zeit damit, vor dem Spiegel Sachen zu üben. Umdrehn zum Beispiel, oder wie man einigermaßen raffiniert aus den Strumpfhosen kommt, also wenn man eben, du weißt schon …

KRETZKY?Nein, zeig mal.

KRISTENSEN?Ach, die meiste Zeit verbringe ich damit, Aggression zu üben.

KRETZKY?Aha.

KRISTENSEN?Vor allen Dingen spontane Aggression, das prob ich ziemlich viel.

KRETZKY?Wie denn?

KRISTENSEN?Na ja mit Anschreien und Schimpfwörtern und so. Das Problem ist, ich steh mir vor dem Spiegel ja selber gegenüber und, und ääh …

KRETZKY?Das heißt, du beschimpfst dich selber.

KRISTENSEN?Sozusagen … Pause. … und du?

KRETZKY?Ja, Kleinigkeiten prob ich auch, zum Beispiel, wenn ich den Kopf so halte, gibts hier diese Falten.

KRISTENSEN?Is mir noch gar nicht aufgefallen.

KRETZKY?Doch, doch, guck mal, wie ein Basset.

KRISTENSEN?Ach, komm.

KRETZKY?Manchmal gefällt mir bei jemand anders was, ne Geste oder ne Bewegung, dann guck ich vor dem Spiegel, wies bei mir aussieht, oft find ich dann sogar, dass es bei mir besser aussieht als bei dem, von dem ichs hab, zum Beispiel das Kopfwackeln.

KRISTENSEN?Welches Kopfwackeln?

KRETZKY?Deins.

KRISTENSEN?Du benutzt mein Kopfwackeln?

KRETZKY?Nur manchmal. Wenn ich auch feminin sein will …

KRISTENSEN?Aha.

Pause.

KRETZKY?Als Olympia war, bin ich während der Siegerehrung manchmal vor den Spiegel gegangen und hab so ausprobiert, was wohl mein Gesicht wär, mein Siegergesicht, wenn ich auf dem Treppchen stünde und ne Goldmedaille – Ich glaube nicht, dass ich das jetzt grad erzählen wollte.

KRISTENSEN?Macht nichts.

Pause.

KRETZKY?Hast du die Ansage geprobt, du bist gleich dran, du fängst an.

KRISTENSEN?Ja. Ja Ja. Ich dachte mir, es wär vielleicht schön … Ich dachte mir, dass ich gerne einen richtig großen Auftritt haben würde, und dachte mir, ich hab ein tolles geschlitztes Kleid an, nämlich das hier. Sie holt aus ihrer Handtasche ein raffiniertes, geschlitztes Abendkleid. Das hab ich mir gekauft als … egal … auf jeden Fall, das sieht schon gewagt aus … ich käme also in diesem Kleid so von ganz hinten, ohne Kopfwackeln mit Mikro nimmt ein Mikro aus der Tasche und würde sagen ins Publikum Welcome, Ladies and Gentlemen. Let's take a walk on the wild side.

KRETZKY?Auf Englisch?

KRISTENSEN?Ja. Unbedingt. Ich dachte, wenn schon, denn schon. Es wäre ein wirklich großer Auftritt. International und für den vierten Rang.

KRETZKY?Aha.

KRISTENSEN?Dann hätte ich gesagt: mit souveräner Haltung This evening is dedicated to all those fucking assholes out there who get high by putting others down and tonight we gonna stop them! Zu Kretzky, mit verdruckster Haltung und Kopfwackeln Also eben, dass es um Arschlöcher geht und dass man die stoppen soll …

KRETZKY?Ja, hab ich verstanden.

KRISTENSEN?wieder souverän Listen carefully! I'll only say this once. I will not be nice tonight! And I will not behave. And I'm in a very bad mood tonight. Yes, you're right! I do have my menstruation! And watch out, if I pull out my tampax, there's gonna be a mighty flood and streams of blood will drown every fucking asshole in the world!! Zu Kretzky Und so hätte ich das erst mal stehen lassen und nicht überlegt, ob sich da jemand vielleicht angegriffen fühlt.

KRETZKY?Ja, wär ein großer Anfang gewesen.

KRISTENSEN?Ja, geht noch weiter. Zum Publikum This evening is about power. Dignity. Beauty. Zu Kretzky Je nachdem hätt ich noch was richtig Lautes gesungen. Dann hätte ich noch gesagt: Don't let them fuck around with you. Beat! Burn! Bite! And don't read beauty magazines. They will only make you feel ugly. Zu Kretzky So in etwa hatte ich mir das überlegt.

KRETZKY?Warum hast Dus nicht gemacht?

KRISTENSEN?Ich hatte das Kleid schon an, dann hab ich gesehn, wie die Leute reinkamen, und auf einmal dachte ich, das wird so peinlich. Das glaubt mir keiner, und ich steh in dem Kleid da und sag »power, dignity, beauty«, und mir kiekst die Stimme weg, alle sehn mich konsterniert, mitleidig an, und oua … da hab ichs ausgezogen.

KRETZKY?Schade.

KRISTENSEN?Ja. Das wär nämlich auch das Kleid gewesen, in dem ich dich spontan … Wo vielleicht zwischen uns auch … was möglich gewesen wäre.

KRETZKY?Tatsächlich?

KRISTENSEN?Na, vielleicht …

Pause.

KRETZKY?Ja … wirklich schade.

KRISTENSEN?Ja.

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1??Mit gesträubtem Nackenfell


Auftritt Kretzky. Er guckt auf die Uhr, er guckt auf die TÜRZUMCHEF. Er ist der Erste, er sichert sich den strategisch günstigsten Platz, er blättert in den Unterlagen. Hufschmidt tritt auf.

HUFSCHMIDT?Morgen!

KRETZKY?Morgen.

Punkt für Kretzky. Hufschmidt ärgert sich, dass er schon wieder als Erster »Morgen« gesagt hat. Hufschmidt blättert lässig in seinen Unterlagen. Kretzky blättert noch lässiger in seinen Unterlagen. Hufschmidt blättert lässig dynamisch. Kretzky blättert siegesbewusst. Hufschmidt blättert und reißt aus Versehen eine Seite ein. Punkt für Kretzky. Auftritt Schmitt.

SCHMITT?Morgen!

Das »Morgen!« steht wie ein Peitschenknall im Raum. Schmitt geht zur Kaffeemaschine, wohlwissend, dass sie dem Feind den Rücken zudreht. Punkt für Schmitt. Sie verheddert sich mit der Kaffeemaschine.

KRETZKY/HUFSCHMIDT?sehr freundlich Morgen!

Punkt Kretzky/Hufschmidt. Schmitt setzt sich. Alle drei blättern in ihren Unterlagen. Punkt Schmitt. Auftritt...

Erscheint lt. Verlag 9.12.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Deutschland • DramatikerIn • spectaculum • Theateraufführung • Theaterstück
ISBN-10 3-518-73664-7 / 3518736647
ISBN-13 978-3-518-73664-7 / 9783518736647
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