Mutter Kramers Fahrt zur Gnade/Eisenstein/Die Kunst des Fallens (eBook)

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2013 | 1. Auflage
253 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73304-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mutter Kramers Fahrt zur Gnade/Eisenstein/Die Kunst des Fallens - Christoph Nußbaumeder
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Christoph Nußbaumeders Stücke sind moderne Volkstheaterstücke, in ihnen klingen die Dramentexte von Horváth, Marieluise Fleißer, Kroetz oder Martin Sperr nach. Der 1978 im bayerischen Eggenfelden geborene Nußbaumeder wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Als Erzähler ist er ein Solitär unter den jungen Dramatikern, der seine Figuren psychologisch ergründet, realitätsnahe Dialoge entwirft und dessen Schreiben durch den Anspruch geprägt ist, Gesellschaftskritik zu üben. Seit Thomas Ostermeiers Inszenierung von 'Liebe ist nur eine Möglichkeit' 2006 an der Berliner Schaubühne, ist Nußbaumeder einer der erfolgreichsten Dramatiker im deutschsprachigen Raum. Zahlreiche Nachspiele erfuhr vor allem sein Erfolgsstück Eisenstein, über das die 'Süddeutsche Zeitung' 2012 schrieb: 'Ein pralles, wundervolles Gespinst, knarzend und schroff, wild und ungestüm. Nußbaumeder braucht meist nur wenige Sätze, um eine Situation und die Menschen darin lebendig werden zu lassen. Schreiben kann er, Phantasie hat er.'

<p>Christoph Nußbaumeder, 1978 im niederbayerischen Eggenfelden geboren, ist Dramatiker und Autor. Nach Abitur und Zivildienst arbeitete er in einer Automobilfabrik in Pretoria/ Südafrika und studierte Rechtswissenschaften, Germanistik und Geschichte in Berlin. Seine Stücke wurden u.a. bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, an der Berliner Schaubühne, am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Köln uraufgeführt. <em>Die Unverhofften</em> ist sein erster Roman. Christoph Nußbaumeder lebt in Berlin.</p>

 


1. Hallo, ich bins


In Anita Kramers Wohnzimmer. Ein großer Esstisch, der mit Stühlen bestückt ist, zwei Bücherregale und eine Kommode sind auszumachen. An der Wand steht ein Sofa. Das gesamte Ambiente spiegelt das bürgerliche Wohninventar einer älteren Frau. Ein schmaler Flur trennt den Raum von der Haustüre.

Eine Treppe führt in den ersten Stock. Das Zimmer gibt den Blick auf die an den Garten angrenzende Terrasse frei. Auf dem Tisch ist ein eingerahmtes Porträtfoto ihres verstorbenen Mannes aufgestellt, daneben steht eine brennende Kerze.

Anita setzt sich mit einer Tasse Kaffee an den Tisch, dann nimmt sie das Telefon zur Hand, sie atmet tief durch und tippt eine Nummer. Sie lauscht in den Hörer.

ANITA?Hallo, ich bins. Deine Mutter. Ich wollte fragen, wie es dir geht? Mittlerweile akzeptiere ich ja deine Entscheidung, auch wenn ich immer noch nicht genau weiß, was dich umtreibt. Papa ist heute ein Jahr tot … Schau, es gibt so viel Dinge im Leben, die einem nicht gefallen. Man muss hinwegsehen können. Lass uns wieder reden. Unser Verhältnis war doch immer gut. Papa war zwar immer der Fixpunkt für dich. Aber jetzt, wo er nicht mehr da ist … Mich hat das auch schwer getroffen, das weißt du ganz genau. Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich das überstanden habe. Man muss Gott dankbar sein. Ich möchte gern … der Anrufbeantworter beendet die Aufnahme. Sie legt das Telefon beiseite … dass wir uns wieder sehen.

Es klingelt an der Tür. Anita steht auf und öffnet sie. Elena, ihre Putzfrau, steht vor ihr. Sie hat einen Jutebeutel in der Hand.

ANITA?Ach Sie. Ist es schon wieder so weit?

ELENA?Hallo, Frau Kramer. Es ist Dienstag, 10 Uhr …

ANITA?Ich habe Sie glatt vergessen.

Elena tritt in die Wohnung.

ELENA?Ich kenn das, ich bin auch schrecklich vergesslich. Die Zeit vergeht so schnell, und man selber kommt kaum hinterher. Man wird nur alt dabei.

ANITA?Wahrscheinlich, letztens hab ich sogar mein Portemonnaie im Laden liegen lassen. Mir ist das vorher noch nie passiert. Wäre nicht jemand so freundlich gewesen und hätte es mir vorbeigebracht …

ELENA?Da haben Sie aber Glück gehabt.

Anita holt eine Kaffeekanne und eine weitere Tasse aus der Küche. Elena betrachtet die Fotografie. Beide setzen sich an den Tisch.

ANITA?Heute ist es ein Jahr her.

ELENA?Heute ein Jahr … Es ging schnell.

ANITA?Ja.

ELENA?Ohne die Kinder wüsste ich auch nicht, ob sich alles noch lohnen würde. Ich seh sie zwar selten, außer Louis, aber dass es sie gibt, das ist schon viel wert.

ANITA?Ja, sicher. Das ist goldwert. – Wie alt ist Louis jetzt?

ELENA?Fünf.

ANITA?Ich hab ihn zuletzt als Baby gesehen.

ELENA?Wenn ich hier bin, ist er ja immer im Kindergarten …

ANITA?Und den Großen beiden gehts auch gut?

ELENA?Die sind bei meiner Mutter, sonst ginge das alles gar nicht. Mit fünfzehn und sechzehn, die machen ihr Leben schon fast allein. – Und wie gehts Ihrer Tochter, der Carmen?

ANITA?Was soll ich sagen, sie schlägt sich tapfer durchs Leben. Man weiß ja bei all den neuen Berufsfeldern gar nicht mehr genau, was die Jungen heute wirklich machen.

ELENA?Aber wie geht es ihr jetzt nach der Trennung?

ANITA?Das wird schon wieder. Da hilft die Zeit.

ELENA?Solange keine Kinder im Spiel sind.

ANITA?Ja … Machen Sie oben nur den Flur und das Badezimmer, das Schlafzimmer brauchen Sie nicht putzen.

ELENA?Jedes Mal sagen Sie das, dabei habe ich das Schlafzimmer seit seinem Tod nicht mehr betreten.

Es klingelt an der Tür.

ANITA?Wer ist denn das?

Anita öffnet die Tür. Davor steht Kurt Astheimer.

KURT?Anita, hallo. Ich war gerade in der Gegend und dachte, ich klingele bei dir … Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.

ANITA?Nicht direkt. Ist heute Bibelkreis?

KURT?Nein, nein. Seit wann ist der Bibelkreis denn vormittags?

ANITA?Stimmt …

KURT?Ich sag doch, ich habe spontan die Gunst ergriffen, wenn man das so sagen kann.

ANITA?Elena, meine Haushaltshilfe, ist da …

Elena nickt ihm zu, er lächelt zurück.

KURT?Dann komme ich wohl doch ungelegen.

ELENA?Nicht wegen mir. Ich spül noch meinen Kaffee runter, dann mach ich mich oben an die Arbeit.

ANITA?So komm doch herein.

Kurt kommt ins Haus, er geht auf Elena zu.

KURT?Guten Tag, Astheimer. Sie sind also ist die berühmte Frau Elena?

ELENA?Ich und berühmt?

KURT?Anita erzählt beständig von Ihnen.

ANITA?Ab und zu, ganz normal.

ELENA?So, was denn?

KURT?Dass Sie viel lachen, dass Sie eine lustige Person sind …

ELENA?Soso. Das kann schon vorkommen. Mit mir kann man aber auch ernsthaft reden, das weiß auch Frau Kramer.

ANITA?Vor allem macht Elena ihre Arbeit sehr gut.

ELENA?Wäre ja noch schöner, wenns nicht so wäre.

Elena stürzt ihren Kaffee herunter, dann nimmt sie den Jutebeutel und geht nach oben.

KURT?Wie viel bezahlst du der denn?

ANITA?Warum willst du das wissen?

KURT?Du zahlst sie schwarz, oder?

ANITA?Das haben wir immer so gehandhabt, auch als Lutz noch da war.

KURT?Das ist aber heikel, das weißt du. Nicht, dass du am Ende die Gelackmeierte bist.

ANITA?Das bisschen Putzen ist doch nicht der Rede wert.

KURT?Ich will dich nur warnen. Wenn dich jemand anzeigt, dann siehst du ganz schön alt aus.

ANITA?Du bist gut, ich bin alt. Außerdem, wer soll mich denn anzeigen?

KURT?Es gibt so viele Frustrierte, die suchen nur nach einer Gelegenheit, andere zu denunzieren. Was glaubst du, wie viele Neider es gibt, allein schon wegen deiner Beamtenpension.

ANITA?Unsinn. Ich habe niemandem was getan.

KURT?Wenn dich jemand anzeigt, bist du dran. Und dem Staat ist das egal, der nimmt, was er nehmen kann.

ANITA?Auch Kaffee?

KURT?Wieso Kaffee?

ANITA?Willst du eine Tasse Kaffee?

KURT?Ach so, ja, gern.

Anita holt eine weitere Tasse.

KURT?Wie gehts denn der Carmen?

ANITA?Alle fragen mich immer nach Carmen. Wie solls ihr schon gehen, gut gehts ihr.

KURT?Ich habe gehört, sie hat sich nicht nur von ihrem Mann getrennt …

ANITA?Was willst du damit sagen?

KURT?Stimmt es, sie hat den Kontakt zu dir abgebrochen?

ANITA?Wer sagt denn so etwas? Heute erst haben wir telefoniert. Es geht ihr gut.

KURT?Dann tut es mir leid, dann bin ich wohl falsch informiert. Ich dachte nur …

ANITA?Was?

KURT?Nun, wir sind nicht mehr die Jüngsten, du bist allein, ich auch … Ich wollte mit dir über diese Sache sprechen. Du weißt, es gibt da diese Einrichtungen für Senioren … Er nimmt eine Broschüre aus seiner Manteltasche und legt sie auf den Tisch.

ANITA?Was soll ich denn in einem Altersheim?

KURT?Schaus dir doch mal an, das ist nicht einfach ein Altersheim. Das ist »Betreutes Wohnen«. Man ist frei, aber rundum versorgt. Da befindet man sich auf keinem Abstellgleis. Ganz im Gegenteil, man ist eingebunden.

ANITA?Dann zieh du doch dahin.

KURT?Ich finde, man kann ruhig und besonnen darüber nachdenken. Ralf hat mich auf die Idee gebracht.

ANITA?Dein Sohn Ralf will, dass du das machst?

KURT?Wir haben ausführlich darüber gesprochen. Er will auch nicht, dass ich das mache, er sorgt sich um mich, das ist alles.

ANITA?Ich bin dir ja für Vieles dankbar, mir geht so ein Schritt aber zu schnell. Mir gehts gut, und das Haus will ja auch gepflegt werden. Lutz und ich haben unser halbes Leben darin verbracht. Das kann ich nicht einfach so aufgeben.

KURT?Vielleicht will Carmen irgendwann einziehen …

ANITA?Ja, vielleicht. Aber bis dahin ist noch Zeit.

Kurt steht auf.

KURT?Na gut. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen. Vielen Dank für den Kaffee. Dann sehen wir uns am Freitag.

ANITA?Wieso?

KURT?Da ist Bibelkreis bei mir.

ANITA?Ach so, klar.

KURT?Die Bergpredigt – soll jeder vorbereiten. Das hast du doch wohl nicht vergessen?

ANITA?Jaja, jetzt weiß ichs...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Bühne • Christoph Nußbaumeder • Deutschland • Drama • Dramatiker • Grimmelshausen-Preis 2021 • Literaturpreis des Wirtschaftsclubs im Literaturhaus Stuttgart 2021 • Nußbaumeder • Sammlung • Schauspiel • Stücke • Theater
ISBN-10 3-518-73304-4 / 3518733044
ISBN-13 978-3-518-73304-2 / 9783518733042
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