Vater Mutter Geisterbahn/Hier kommen wir nicht lebendig raus/Ein Teil der Gans (eBook)

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2013 | 1. Auflage
151 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73303-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vater Mutter Geisterbahn/Hier kommen wir nicht lebendig raus/Ein Teil der Gans - Martin Heckmanns
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Martin Heckmanns, 1971 in Mönchengladbach geboren, zählt zu den meistbeachteten Theaterautoren seiner Generation. Er gilt als Spezialist für das Komische. Seine Figuren sind stets auf der Suche und kämpfen mit ihren Rollen und den gesellschaftlichen Zurichtungen. Romantische Motive werden bei ihm überprüft, an der Realität gebrochen und erzeugen in der Konfrontation komische Effekte. Seine Stücke sind formal vielgestaltig angelegte Sprachkunstwerke, in denen um gelingende Kommunikation und alternative Lebens- und Ausdrucksformen gerungen wird. Als 'Feindramatiker und Sprachmechaniker' beschreibt ihn der Theaterkritiker Peter Michalzik. 'Er ist der Sprachphilosoph unter den jüngeren Dramatikern, seine Texte schildern nicht die Wirklichkeit, sie stellen sie in Frage', so der Kritiker Dirk Pilz. Und Gerhard Stadelmaier attestiert: 'Wenn es so etwas gibt wie Figuren, ganz aus Kunst und Papier und Gedanken, aber durchpulst von Blut und Leben - dann sind es die Figuren von Heckmanns.' Dieser Band versammelt drei der in den letzten Jahren uraufgeführten Stücke von Martin Heckmanns, die einen Eindruck von der inhaltlichen und stilistischen Bandbreite dieses originären Theaterdichters vermitteln.

<p>Martin Heckmanns, geboren am 19. Oktober 1971 in Mönchengladbach, Studium der Komparatistik, Geschichte und Philosophie, lebt in Berlin. Mit <em>Schieß doch, Kaufhaus!</em> wurde er in der <em>Theater heute</em>-Kritikerumfrage zum Nachwuchsautor des Jahres 2002 gewählt und gewann bei den Mülheimer Theatertagen 2003 für <em>Schieß doch, Kaufhaus!</em> und 2004 für <em>Kränk</em> den Publikumspreis. 2012 wurde ihm der Margarete-Schrader-Literaturpreis der Universität Paderborn zugesprochen. Seine Stücke wurden aufgeführt u.a. am Schauspiel Frankfurt, Staatstheater Stuttgart, Düsseldorfer Schauspielhaus, Staatsschauspiel Dresden, Burgtheater Wien, Schauspielhaus Zürich und Deutschen Theater Berlin.</p>

 


Eins


MUTTER?Jetzt kommt gleich der Papa von der Arbeit, und dann machen wir uns alle zusammen einen wunderbaren Abend hier bei uns zu Hause. Weil wir uns freuen, dass wir uns haben. Das reicht schon für einen wunderschönen Abend. Mehr brauchen wir nicht, verstehst Du?

Es klingelt.

Und da ist er auch schon. Wie ich es Dir gesagt habe. Habe ich es nicht gesagt? Mama sagt die Wahrheit. Merk Dir das. Mutter öffnet die Tür. Guten Abend, Liebling. Wie war Dein Tag?

VATER?Es wird immer schwüler. Überall Hunde. Halbnackte. Fast nackt alle. Und durch die Königsallee demonstriert eine Minderheit.

MUTTER?Welche Minderheit?

VATER?Christen, glaub ich. Russlanddeutsche. Aussiedler, ich weiß nicht.

MUTTER?Wofür?

VATER?Was?

MUTTER?Wofür demonstrieren sie?

VATER?Jetzt reicht es, stand auf ihren Fahnen. Und immer schwüler wird es.

MUTTER?Das sagtest Du schon.

VATER?Es hört gar nicht mehr auf. Einen Hund zu halten bei uns ist teurer als einen Menschen zu ernähren in Eritrea. Ist das nicht …

MUTTER?So. Das machen wir jetzt gleich noch mal. Und jetzt das Ganze in positiv. Ich habe dem Jungen versprochen, dass es ein schöner Abend wird, auf den er sich freuen kann. Und weil ich meinen Jungen nicht anlügen will, machen wir diesen Anfang jetzt gleich noch einmal ordentlich. Kommst Du noch mal rein?

VATER?Aber ich …

MUTTER?Ruhe, bitte! Danke! Und alles auf Anfang!

Vater geht und kommt noch einmal.

Guten Abend, Liebling. Schön, dass Du da bist.

VATER?Ja, mein Schatz, ich freue mich auch sehr, Euch wiederzusehen nach einem langen und anstrengenden Tag.

MUTTER?Wie war die Arbeit?

VATER?Aufregend. Aufregend und inspirierend. Ich habe heute wieder vielen Menschen helfen können bei ihrem Versuch sich zu vervielfältigen, zu vergrößern oder heller zu stellen.

MUTTER?Wahrscheinlich ist unter Deiner Aufsicht auch das ein oder andere informative Flugblatt kopiert worden.

VATER?Es ist nicht nur das Kopieren. Es ist auch das Umgestalten, die Verschiebung, die Collage. Eine andere Welt ist möglich.

MUTTER?Das hast Du schön gesagt.

VATER?Und wie war Euer Tag hier zu Hause?

MUTTER?Ach, Otto hat ein wenig gekotzt heute Morgen, dann hat er die Suppe in der Wohnung verteilt, und schließlich hat er unser Arbeitszimmer nach seinen eigenen Ordnungskriterien umgestaltet. Otto ist ein kreativer Junge, und ich würde sagen, wir beide hatten einen wirklich abwechslungsreichen Tag zusammen. Nicht wahr, Otto?

Otto schweigt.

VATER?Das Leben ist doch wirklich eine Wundertüte.

MUTTER?So kann man das sagen. Es ist voller Überraschungen, und schon deshalb lohnt es sich, dabei zu sein und dabei zu bleiben.

VATER?Und doch soll auch nicht alles bleiben, wie es ist. Es gibt immer noch etwas zu verbessern.

MUTTER?Wie sagte doch Novalis: Wir sind auf einer Mission. Zur Bildung der Erde sind wir berufen.

VATER?Der Novalis. Pause. Blick auf Otto. Er glaubt uns nicht.

MUTTER?Was glaubt er uns nicht?

VATER?Dass wir glücklich sind.

MUTTER?Aber wir sind glücklich. Sind wir doch, oder?

VATER?Dass wir so glücklich sind, das glaubt er uns nicht.

MUTTER?Woran siehst Du das?

VATER?Schau ihn Dir an.

MUTTER?Er sieht aus wie immer.

VATER?Er sieht nicht besonders beglückt aus.

MUTTER?Warum sagt er denn nichts?

VATER?Er ist 2.

MUTTER?Aber irgendeine Reaktion könnte er doch zeigen.

OTTO?Das sind meine Eltern. Mein Vater ist ein verhinderter Theaterregisseur, der als Aushilfe zu arbeiten begonnen hat, als ich auf die Welt kam. Meine Mutter studierte Philosophie im dritten Semester, als sie mit mir schwanger wurde. Seit meiner Geburt versuchen sie mich zu erziehen.

MUTTER?Du musst auch unsere Situation verstehen. Wir hatten es auch nicht leicht die ganzen Jahre.

VATER?Mutter hat Philosophie nie zu Ende studiert.

MUTTER?Philosophie studiert man nie ganz zu Ende.

VATER?Deshalb muss sie in Deiner Erziehung diese Experimente veranstalten. Sie hat sich noch nicht ausgelebt.

MUTTER?Und Vater vermisst die große Dramenliteratur. Und formt stattdessen Dich. Er würde auch lieber auf größeren Bühnen inszenieren.

VATER?Hat sich jemand vom Theater gemeldet?

MUTTER?Bei mir nicht.

VATER?Seitdem der Intendant persönlich bei mir kopiert hat, habe ich nie wieder etwas von denen gehört. Ich bin raus.

MUTTER?Behalten Sie Ihre Sorgen vor dem Kind für sich.

VATER?Warum siezt Du mich?

MUTTER?nimmt das Buch. Richard Templar: »Die Regeln der Kindererziehung«.

Regel 1: Lächeln Sie, wenn Sie Ihr Kind sehen.

Regel 2: Seien Sie gern mit Ihrem Kind zusammen.

Regel 3: Behalten Sie Ihre Sorgen vor dem Kind für sich.

VATER?auswendig Seien Sie konsequent. Seien sie fröhlich. Sehen Sie die Dinge mit den Augen des Kindes.

MUTTER?Einmal Eltern, immer Eltern.

VATER?Das hätte ich vorher lesen sollen.

MUTTER?Wenn Sie wütend werden, haben Sie schon verloren.

VATER?Ich lüge meinen Sohn nicht an.

MUTTER?Du sollst ihn nicht anlügen.

VATER?Wenn ich von meiner Arbeit schwärme, ist das eine Lüge. Wenn das keine Lüge ist, dann weiß ich nicht, was lügen heißt.

MUTTER?Das ist ein Perspektivwechsel.

VATER?So nennt man das?

MUTTER?Du erzählst ihm doch auch vom Weihnachtsmann. Er muss doch eine Aussicht haben auf gelingendes Leben. Und wenn wir es ihm nicht zeigen, wird er so schnell keines finden in der Nachbarschaft.

VATER?Er soll sehen, wie es enden kann, damit er weiß, gegen was er sich wehren muss.

MUTTER?Psst, leise. Er ist eingeschlafen.

VATER?Immer wenn wir uns streiten, schläft er ein.

MUTTER?Das war ein Meinungsaustausch.

VATER?Das war ein Streit.

MUTTER?Ich kann auch anders.

VATER?Danke, reicht schon.

Licht aus.

OTTO?träumt. Manchmal machen mich meine Eltern müde. Ich kenne sie jetzt schon einige Jahre, und ihr Meinungsaustausch entzündet sich immer wieder an denselben Stellen. Bevor ich kam, müssen die beiden ein schönes Paar gewesen sein. Es gibt Fotos, auf denen sie unbeschwert aussehen. Anfangs dachte ich, sie seien nur für mich gemacht. Sie sind die einzigen Eltern, die ich gehabt haben werde.

MUTTER?Er redet im Schlaf.

VATER?Glaubst Du wirklich, er schläft?

OTTO?Wir sind ein Zirkus. Meine Eltern sind die Direktoren. Sie kündigen mich an als ein Wunderkind, ihre Neuentdeckung. Das Publikum hat kein Gesicht und starrt mich an. Ich bin die einzige Nummer, aber ich habe nichts vorbereitet. Ich bin ein Artist des Schweigens.

Schweigen.

Das erste Mal gehört von Ihnen habe ich, da war ich noch im Bauch.

Schwanger

VATER?Das kann doch nicht, bist Du Dir sicher, aber wir haben doch immer, ich meine …

MUTTER?Sag jetzt nichts Falsches.

VATER?Entschuldige, aber, also, toll, wirklich, darauf müssen wir, nein, Du darfst keinen, hast Du Alkohol getrunken in den letzten Wochen?

MUTTER?Ein paar Gläser.

VATER?Tabletten?

MUTTER?Ich bin informiert. Du musst mich nicht erziehen.

VATER?Ich übe schon mal.

MUTTER?Was übst Du?

VATER?Erziehen. Damit das funktioniert vom ersten Tag an.

MUTTER?Das schaffst Du schon.

VATER?Erziehungswissenschaft ist ein leerer Fleck bei mir. Rousseau hab ich immer ausgelassen. Das rächt sich jetzt. Ich habe keine Ahnung, was ich ihm erzählen soll.

MUTTER?Findest Du nicht, dass es etwas früh ist, darüber nachzudenken?

VATER?Irgendwann wird es uns fragen.

MUTTER?Das dauert noch.

VATER?Wir sollten eine Antwort haben.

MUTTER?Bis dahin haben wir eine.

VATER?Wenn wir bis jetzt keine haben, warum sollten wir sie bis dahin haben?

MUTTER?Jetzt ändert sich alles. Wir werden ein Kind erziehen. Wir wollen ihm eine Zukunft bieten.

VATER?Das meine ich. Ich weiß nicht welche?

MUTTER?Es soll...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Bühne • Deutschland • Drama • Dramatiker • Gans • Geisterbahn • Heckmanns • Komik • Martin Heckmanns • Mutter • Sammlung • Schauspiel • Sprache • Stücke • Theater • Vater
ISBN-10 3-518-73303-6 / 3518733036
ISBN-13 978-3-518-73303-5 / 9783518733035
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