Lola Bensky (eBook)

Jagger, Hendrix, Morrison - eine junge Journalistin trifft sie alle

(Autor)

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2012 | 2. Auflage
302 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-79410-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lola Bensky -  Lily Brett
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Lola Bensky ist neunzehn, als Keith Moon von The Who vor ihren Augen die Hosen runterlässt und Cher sich ihre falschen Wimpern borgt. Es sind die Sixties, und Lola ist als Reporterin in London und New York unterwegs, um Interviews mit Musikern zu führen. Sie unterhält sich mit Mick Jagger über Sex und Diäten, mit Jimi Hendrix über Mütter, Gott - und Lockenwickler. Ihre Leser sind vermutlich eher an Tratsch interessiert, aber Lola war schon immer unkonventionell. Zum Glück ahnen ihre Eltern nichts davon, dass sie es mit Menschen zu tun hat, die mit freier Liebe und Drogen experimentiert haben. Sie haben das Konzentrationslager überlebt, aber das würde sie ins Grab bringen.
Ein hinreißend komischer und herzzerreißend menschlicher Roman über Neurosen und die Last der Vergangenheit. Und eine fulminante Hommage an die großen, verrückten Heldinnen und Helden der Sixties.



<p>Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.<br /> Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.</p> <p></p>

 


1 Lola Bensky saß auf einem unbequem hohen Hocker. Sie spürte, wie die Nylonfäden der Netzstrumpfhose in ihre Schenkel schnitten.

An der Innenseite ihrer Schenkel hatte sie ein Papiertaschentuch unter das Netzgewebe geschoben. Es sollte verhindern, dass sie aneinanderrieben und die Haut wundgescheuert wurde, aber jetzt war es zerrissen, und in kleinen, rosig schimmernden, prallen quadratischen Päckchen quoll das Fleisch durch die Maschen.

Sie versuchte, eine bequemere Position zu finden. Sie saß nicht gerne auf Hockern. Und sie mochte keine Höhen. Auf dem Fußboden unter ihrem linken Fuß bemerkte sie ein paar Papierflöckchen. Sie beschloss, sehr still zu sitzen. Und eine Diät anzufangen.

Jimi Hendrix, der auf einem etwas niedrigeren Hocker saß, sah sie an. Sein Gesicht strahlte Ruhe aus. Nirgends eine Spur von dem Jimi Hendrix, der vor gerade einmal einer halben Stunde auf der Bühne das Mikrofon gepimpert und seine Gitarre gevögelt hatte. Keine Spur von dem Jimi Hendrix, dessen Gitarre in einem verzückten, wollüstigen Stakkato mit seinem Körper gejault, gestöhnt und gebebt hatte.

Jimi Hendrix nahm den leuchtend bunt gemusterten Seidenschal ab, den er um den Hals trug. »Sitzen Sie bequem?«, fragte er Lola Bensky mit leiser, unglaublich höflicher Stimme. »O ja«, sagte sie und sah ihn an und versuchte, ihre Schenkel voneinander zu lösen.

Sie dachte, dass Jimi Hendrix wahrscheinlich noch nie eine Diät machen musste. Sie dachte, dass er wahrscheinlich von Natur aus schlank war. Sie war nie schlank gewesen. Sie hatte ein Foto von sich, aufgenommen im Lager für Displaced Persons in Deutschland, wo sie zur Welt gekommen war. Auf dem Foto war sie drei Monate alt. Und sie war pummelig. Wie konnte ein Baby, das in einem Lager für Displaced Persons zur Welt kam, pummelig sein? Lola war sich sicher, dass nicht viele andere Bewohner des Lagers, hauptsächlich Juden, die die Vernichtungslager der Nazis überlebt hatten, pummelig waren.

Lola war heiß. Der Raum, in dem sie saßen, Jimi Hendrix' Garderobe, war klein. Und überheizt. Lola war zu warm angezogen. Es war Winter in London. Lola war kalte Winter nicht gewohnt. Sie war in Melbourne, Australien, aufgewachsen, wo der Winter kaum vom Frühling und vom Herbst zu unterscheiden war.

Sie blickte auf die Fragen, die sie vorbereitet hatte. »Wollen Sie mich nicht fragen, was meine Masche ist?«, sagte Jimi Hendrix zu ihr. »Nein«, sagte Lola. Die Frage brachte sie ein wenig aus dem Konzept. Sie wusste nicht, dass er eine Masche hatte. Vielleicht hatte jemand ihm nahegelegt, dass mit den Zähnen Gitarre zu spielen eine Masche sei? Oder mit der Zunge zu schnalzen? Oder den Hals seiner Gitarre zu liebkosen? Sie wusste es nicht.

Sie wusste, dass er 1942 zur Welt gekommen war, als seine Mutter gerade erst siebzehn und sein Vater beim Militär war. Sie wusste, dass er als Baby bei verschiedenen Menschen herumgereicht wurde, bis sein Vater vom Militär zurückkam. Da war Jimi drei. Sie wusste, dass seine Eltern, die sich getrennt hatten, wieder zusammenfanden und noch vier weitere Kinder bekamen. Jimis Brüder Leon und Joseph und seine Schwestern Kathy und Pamela. Joseph kam mit einer Reihe von Behinderungen zur Welt, darunter ein Klumpfuß, eine Hasenscharte und ein verkürztes Bein. Kathy war eine Frühgeburt und blind, und Pamela hatte ein paar geringfügigere körperliche Behinderungen. Joseph wurde bald unter staatliche Vormundschaft gestellt. Kathy und Pamela ebenso. Als Jimi neun war, waren seine Eltern geschieden, seine Mutter Alkoholikerin, und sein verbliebener Bruder lebte bei immer wieder neuen Pflegefamilien. Lola wusste, dass die Familie so arm war, dass Jimi häufig Lumpen trug.

Von den Turbulenzen seiner Kindheit war Jimi Hendrix nichts anzumerken. Er hatte einen ruhigen Blick und lächelte entspannt. Seine Lippen machten träge, spielerische Bewegungen, wenn er sprach.

Lola sammelte gern Informationen über Menschen und trug sie in Listen zusammen. Sie fand das eigenartig tröstlich. Für ihre Familie hatte sie auch Listen. Listen der toten Verwandten ihrer Mutter und ihres Vaters. Renia Bensky, Lolas Mutter, hatte vier Brüder gehabt, drei Schwestern, eine Mutter und einen Vater, Tanten, Onkel, Cousins, Neffen und Nichten. Am Ende des Krieges waren alle, mit denen Renia Bensky verwandt war, tot. Alle ermordet.

Die Mutter, der Vater, die drei Brüder und die Schwester des Vaters von Renia wurden ebenfalls ermordet. Diese Listen bedrückten Lola. Lieber fertigte Lola Listen der Diäten an, die sie gerade in Erwägung zog. Soeben hatte sie eine Diät mit Marsriegeln aufgegeben, die sie mehrere Tage lang ausprobiert hatte. So viele Marsriegel, wie man essen konnte, und sonst nichts. Die Langeweile-Diät, wie sie sie auf ihrer Liste nannte. Die Idee, dass die Marsriegel ihre Anziehungskraft verlieren und sie immer weniger davon essen und so tatsächlich bald sehr wenig zu sich nehmen würde, hatte nicht funktioniert. Auf ihrer neuen Diätliste stand die Eier-Gurken-Diät ganz oben.

Lola hatte keine Zeit, traurig zu sein. Sie war zu sehr damit beschäftigt, fröhlich zu sein oder ihre Interviews zu planen oder über Essen nachzudenken. Jahrzehnte später würde Lola Bensky nicht mehr ganz so unempfänglich sein für die Listen der Toten. Die Toten würden sich an ihre Fersen heften. Doch davon wusste sie noch nichts. Sie war neunzehn.

Sie setzte sich auf ihrem Hocker zurecht. Jimi Hendrix betrachtete sie aufmerksam. Die Zierperlen am Ausschnitt ihres blauen Kleides begannen auf der Haut zu jucken. Alle ihre Kleider waren hochgeschlossen und über der Brust gerafft, so dass sie lose herabfielen und ihre Hüften und Oberschenkel kaschierten. Eine ihrer falschen Wimpern fühlte sich an, als wollte sie sich lösen. Sie versuchte, sie wieder festzudrücken. Wahrscheinlich war es wegen der Hitze, dachte sie. Die Wimpern waren neu. Cher hatte sich die Wimpern geliehen, die Lola letzte Woche getragen hatte. Die waren mit Diamanten besetzt und Lolas Lieblingswimpern. Cher hatte sie mitten in dem Interview, das Lola mit ihr führte, gefragt, wo sie die diamantbesetzten Wimpern gekauft habe. »Bei Jose of Melbourne, in Australien«, hatte Lola geantwortet. Cher hatte verständnislos dreingeschaut und sie dann gefragt, ob sie sich die Wimpern ausleihen könne. Lola hatte das Gefühl gehabt, zu Cher nicht nein sagen zu können.

Die Leute sagten manchmal, Lola sähe aus wie Cher. Lola glaubte, das lag an ihren dunklen Augen mit den schweren Lidern, den hohen Wangenknochen und der semitischen Nase. »Ich bin doppelt so dick wie sie«, lautete Lolas Antwort auf diese Bemerkungen. Lola war sich sicher, dass Cher niemals eine Diät machen musste. Sonny wahrscheinlich auch nicht.

Lola war seit zwei Monaten in London. Sie hatte bereits The Small Faces, The Kinks, The Hollies, Cliff Richard, Gene Pitney, The Spencer Davis Group, Olivia Newton-John und The Bee Gees interviewt. Interviews mit Olivia Newton-John und den Bee Gees waren leicht zu kriegen, da sie beide zuvor schon einmal für Rock-Out interviewt hatte, die australische Zeitschrift, für die sie arbeitete.

Lola hatte das Aufnahmegerät auf ihrem Schoß. Sie schaute nach, ob es lief. Jimi Hendrix leckte sich die Lippen. Sein Mund sah überhaupt nicht wie der bewegliche, beängstigend laszive Mund aus, von dem sie während seines Auftritts den Blick hatte abwenden müssen.

»Sind Sie religiös?«, fragte Lola Jimi Hendrix. Lola beneidete Menschen, die religiös waren. Sie stellte sich vor, religiös zu sein sei wie die Mitgliedschaft in einem sehr großen Club, und man hätte immer jemanden zum Reden. Nicht Gott, einfach ein anderes Clubmitglied.

Lolas Mutter, die in einer sehr religiösen Familie aufgewachsen war, duldete nicht die leiseste Andeutung von Religion. Wenn Lola hin und wieder fragte, ob sie in die Synagoge gehen dürfe, meist an hohen Feiertagen, sagte Renia: »Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe, würdest du das Wort Religion nicht einmal in den Mund nehmen.«

»Du willst nur in die Synagoge, um dich dort mit Jungs zu treffen«, fügte Renia dann in einem Ton hinzu, der nahelegte, sich mit Jungs zu treffen sei ungefähr dasselbe, wie bei seinem Drogendealer vorbeizuschauen oder mit einem Serienmörder herumzuhängen.

Religion war im Hause Bensky ein Thema, über das nicht diskutiert werden durfte. »Es gibt keinen Gott«, sagte Renia Bensky immer wieder. »Es gibt keinen Gott.« Sie sagte das beim Geschirrspülen, wenn sie hinten im Garten die Wäsche aufhängte oder einfach nur allein am Küchentisch saß.

»Ob ich religiös bin?«, sagte Jimi Hendrix. »Ich glaube nicht an Religion. Als Kind bin ich ein paarmal in der Kirche gewesen, wurde aber hinausgeworfen, weil ich zu armselig angezogen war.«

»Das war nicht gerade sehr wohltätig oder fromm von der Kirche oder den Gläubigen, oder?«, sagte Lola.

»Wohltätig oder fromm«, sagte Jimi Hendrix. »Das sind interessante Wörter. Nein, es war nicht wohltätig oder fromm. Dem Chor habe ich gerne zugehört. Aber ich bin nie wieder hingegangen.«

»Woran glauben Sie?«, fragte Lola.

»Ich glaube nicht an Himmel oder Hölle«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt.«

Renia Bensky hätte es ihm sagen können, dachte Lola.

»Wir glauben alle an irgendetwas«, sagte Jimi Hendrix langsam, als läse er Lolas Gedanken. »Ich versuche, an mich selbst zu glauben. Falls es einen Gott gibt und Gott uns geschaffen hat, dann bedeutet an mich selbst zu glauben, dass ich an Gott glaube.«

»Ich glaube nicht an Gott«, sagte Lola. »Ich wünschte, ich täte es.«

»Ich weiß, was Sie...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2012
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Lola Bensky
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 60er Jahre • Erzählungen • Romane • ST 4470 • ST4470 • suhrkamp taschenbuch 4470
ISBN-10 3-518-79410-8 / 3518794108
ISBN-13 978-3-518-79410-4 / 9783518794104
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