Beschütz mein Herz vor Liebe (eBook)

Roman

(Autor)

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2010 | 1. Auflage
224 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-40612-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Beschütz mein Herz vor Liebe -  Asta Scheib
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»Nachdem man alles über Hitlers System zu wissen glaubt, liest man ... dieses Buch, das die Geschichte einer jungen Münchner Jüdin schildert, und man weiß: man hat überhaupt noch nichts begriffen.« Walter Gallasch in den >Nürnberger Nachrichten< »München, das war Heimat gewesen.« Hier wächst Therese behütet auf, hier betreibt der Vater ein Warenhaus und eine Kleiderfabrik, im Haus der Familie Suttner im Herzogpark verkehren Thomas Mann und Sauerbruch. Dann kommen die Nationalsozialisten an die Macht, und bald ist nichts mehr wie vorher: Haß und Verachtung schlagen der hochangesehenen jüdischen Familie entgegen, und bald wird sie systematisch zerstört. Auch Thereses Ehe mit dem Arzt Leon Rheinfelder zerbricht, und ihr selbst gelingt es nur mit Hilfe ihres ehemaligen Kindermädchens und dessen Bruder zu überleben. Er, Parteimitglied und Polizeihauptwachtmeister eines Dorfes im Isartal, versteckt die junge Frau ...

Asta Scheib, geboren in Bergneustadt im Rheinland, arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Zeitschriften. Sie gehört heute zu den bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen und lebt mit ihrer Familie in München. 

Asta Scheib, geboren in Bergneustadt im Rheinland, arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Zeitschriften. Sie gehört heute zu den bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen und lebt mit ihrer Familie in München. 

 

Thereses Vater, den die SA bei der nächtlichen Kontrolle abgeführt hatte, saß immer noch ein, bis es schließlich Dr. Huber, dem arischen Prokuristen, gelang, seinen Chef aus dem Keller der Gestapo herauszuholen.

Als Richard Suttner heimkam, wollte seine Frau ihn umarmen, doch er ging an ihr vorbei, schloß sich im Bad ein. Im Vorbeigehen sagte er zu Therese, daß er nun wisse, daß er kein Deutscher sei, er wolle auch keiner mehr sein.

Therese wußte, daß ihr Vater sich schämte. Sie selbst schämte sich auch, vor Mutter, vor Sybille, vor Anni – und vor dem Vater. Schließlich spürte sie jeden Tag die Verachtung, den Haß. Hatte sie nicht geschwiegen, als sie um Milch angestanden war und die Verkäuferin der alten Dame die leere Kanne zurückschob mit der triumphierenden Bemerkung: »An Juden verkaufen wir nicht.« Mit zittrigen Händen hatte die Frau ihre Kanne genommen, war wortlos gegangen. Therese hatte so viel Wut gespürt, ihr Herz pochte bis in ihre Ohren, am liebsten hätte sie der Verkäuferin ihre Kanne ins Gesicht geworfen und wäre mit der Frau aus dem Laden gegangen, aber nein. Sie hatte Angst gehabt, selber als Jüdin entdeckt zu werden, keine Milch, keine Butter mehr zu bekommen.

Therese konnte nichts anrühren von der Milch, sie konnte auch niemanden ansehen. Sie fühlte sich leer und müde. War sie falsch, durchtrieben, egoistisch, wie die Juden jetzt überall geschildert wurden? Therese, die früher leicht und frei durch ihre Stadt gegangen war, voller Erwartung auf ein noch schöneres Morgen, Therese sah nun, wie andere aus Häusern geprügelt wurden, aus Kinos herausgerufen. Jedesmal schoß der Zorn wie eine Stichflamme in Therese hoch. Jedesmal wollte sie solidarisch sein, und doch blieb sie stumm, duckte sich, damit sie noch einen Tag länger unentdeckt bliebe. Mit jedem Tag lockerten sich die Verflechtungen, die Therese in ihre Stadt eingebunden hatten.

Warum waren die Suttners nicht überhaupt weggegangen aus München, als es noch Zeit war? Die ewige Frage. Mutters Bruder war in England. Die Friedmanns, engste Freunde der Eltern, lebten schon seit sechs Jahren in den Staaten von Amerika. Therese wußte, daß ihre Eltern sich im stillen Vorwürfe machten, daß sie nicht wenigstens die Töchter in Sicherheit gebracht hatten. Gesprochen wurde darüber nicht mehr. Doch Therese fragte sich, wie Vater sich wohl immer beschwichtigt haben mochte. Hatte er derart intensiv für seine Firma gelebt, für seine Geschäfte, daß er die Gefahr nicht in ihrem ganzen Ausmaß erkennen konnte? Hatte er die Nationalsozialisten, denen er politisch und wirtschaftlich nichts zutraute, hatte er sie nicht maßlos unterschätzt? Vaters Geschäftsfreund Tietz hatte Deutschland längst verlassen, die Bernheimers waren gegangen, die Wallachs. Delia lebte mit ihren Eltern in Rio de Janeiro.

Doch jetzt, nach der Zeit im Keller der Gestapo, jetzt konnte auch Vater nicht mehr glauben, daß ihm, dem im geschäftlichen Ausland Angesehenen, schon nichts passieren würde.

Wie oft hatte Therese ihren Vater in der Vergangenheit sagen hören, daß er Deutscher sei und Deutschland sein Vaterland. »Das Vaterland ist da, wo die Seele des Menschen ist. Für uns ist das in Deutschland, wo wir seit Generationen leben. Deutsch ist unsere Muttersprache, wir gehören zum deutschen Volk. Hier und nur hier ist unsere Heimat. Die lassen wir uns doch nicht wegnehmen durch ein paar Schwachsinnige, die es emporgeschwemmt hat. Es hat schon immer Judenfeinde gegeben, das kann mich nicht beirren. Schließlich gebe ich über tausend Leuten Arbeit und Lohn. Wie soll mich da die Angstpolitik einiger Antisemiten irremachen.«

Therese verstand gut, daß der Vater sich jetzt in sein Zimmer einschloß, daß er niemanden sehen mochte. Therese hätte ihn auch nicht ansehen mögen. Es schien ihr, als seien sich ihre Blicke ausgewichen. War das schon immer so gewesen, oder hatte die neue Zeit auch diese Verlegenheit gebracht? Therese hätte ihren Vater so vieles fragen mögen, aber sie fühlte sich linkisch, unfähig, einen Anfang zu finden. Sie suchte nach Worten, aber es standen ihr keine zur Verfügung.

Früher, in der Freiheit, war Vater ihr jemals näher gewesen? Oder war es nicht vielmehr so, daß Therese freier im Haus umherging, wenn Vater verreist war? Hatte seine Anwesenheit sie nicht oft genug bedrückt? Und doch – wenn sein Platz am Tisch leer war, der Geruch seiner Zigarillo nicht in der Luft hing, verspürte sie Sehnsucht. Konnte es sein, daß sie ihren Vater ersehnt und gefürchtet zugleich hatte? Es hieß allgemein von Therese, daß sie sehr viel Ähnlichkeit mit ihrem Vater habe. Er war groß, mager, ja mager. Seine Schultern waren eckig. Er hatte seltsam hohe, dünne, sehnige Beine. Bei ihm konnte man nicht gemütlich auf dem Schoß sitzen. Therese hätte viel darum gegeben, nicht so groß und eckig wie Vater zu sein. Viel lieber wäre sie, wie ihre Schwester Sybille, ihrer Mutter ähnlich gewesen, an der alles rund schien, weich, warm und feminin.

Die Haut des Vaters war dunkel, auch bei großer Hitze trug er meist hohe blütenweiße Hemdkragen, Anzüge aus feinstem Tuch. Im Sommer wie im Winter trug er Hüte teurer italienischer Hutmacher. Auch wenn Vater daheim war, schien er auf merkwürdige Weise abwesend. Er durchschritt alle Zimmer, tauchte unvermutet überall auf, schien jedoch niemanden zu sehen, sondern unter zusammengezogenen Brauen in Räume zu schauen, von denen Therese annahm, daß es dort Bilanzen gab und Zollabkommen. Dabei saugte Vaters Mund unter dem buschigen Schnauzbart nervös an dem Zigarillo. Selten, daß Vater redete. War er je zärtlich gewesen?

Doch, einmal. Da war Therese neun Jahre alt und ging in Venedig verloren. Das Wunder der Gondelfahrt, die Gondoliere, die einander riefen – Therese und den anderen war es nicht erklärlich gewesen, wieso Therese die Eltern, Sybille und das Gepäck aus den Augen verlor. Jedenfalls war sie plötzlich allein in dämmrigen Gassen. Sie lief an Kanälen vorbei, überall leckte dunkles Wasser an graue Mauern. Gierig schien es Therese, dieses Wasser, bedrohlich, denn die Kanäle waren die Straßen der Stadt, es gab keine Gehsteige. Mauern der Häuser und Paläste standen direkt im Wasser, es schien Therese gefährlich, aber auch unsagbar vornehm, märchenhaft, kühl, so als liefe Therese durch einen Traum. Doch bald machte ihr diese Entrücktheit angst. Sie lief, rannte. Die Schritte rannten hinter ihr her, Therese sehnte sich nach den Eltern, nach Sybille, nach Kindern und Hunden, und da kam sie auch an einen Platz, der laut war und fröhlich und hell in der Sonne lag. Frauen zeigten Therese den Weg nach San Marco. Ein größerer Junge begleitete sie, und dann sah Therese ihren Vater, und es schien ihr wirklich, als habe sie alles geträumt. Vor allem das Gesicht des Vaters, bleich, mit großen Augen über den hohen Backenknochen, seine Arme, die Therese fest an sich drückten. Diese Zärtlichkeit verwandelte sich bald wieder in Distanz. Doch es hatte sie gegeben. Sie gehörte Therese, die sie versiegelte.

Damals schien es noch, als sei Therese die ganze Welt versprochen. Ihre Eltern konnten sie ihr schenken. Mutter hatte Verwandte in Schweden und Frankreich, sogar in Moskau. Vaters Bruder lebte in Amerika. An der Hand der Eltern besuchte Therese schon als kleines Kind New York, Stockholm und Paris. Die Reisen im mächtigen Bauch eines Schiffes, das Vibrieren der Motoren, das Wiegen und Stampfen, der Blick durch die Bullaugen bei Nacht – für Therese Unbegreifliches, das sie mit niemandem teilen und daher nicht fassen konnte. Ein Sturm kam, der blanke Hans. Doch er holte Therese nicht. Das Meer zog Therese an, doch viel mehr noch fürchtete sie es, sein drohendes Brüllen, vor allem in der Nacht auf dem Schiff, unter Therese die unfaßbare Tiefe. Niemals verließ sie die Angst.

Sie suchte Heil und Beruhigung in den heiteren und gelösten Gesichtern der Eltern. Doch vor allem in dem ernsten, hoheitsvollen Gebaren des Kapitäns, der zuweilen an den Tisch der Eltern kam. Dann saßen die Suttners, umsorgt von weißgekleideten Kellnern, beim Sieben-Uhr-Dinner, doch Therese fürchtete schon die Nacht. Man brachte sie zu Bett, sie hörte die Bordmusik. Seltsam tröstlich spielte sie gegen Thereses Angst an. Sie konnte keinen Blick lassen von der Finsternis des Meeres, das durch die Bullaugen Therese bedrohlich nahe schien. Ewig und mächtig, wie es war. Wenn dann der Wind heulte, den Aufruhr des Wassers im Sturm ankündigte, wenn die Wellen sich hoch gegen das Schiff auftürmten, als wollten sie es niederwalzen, dann vergrub sich Therese in den Kissen, fühlte sie sich ohne Schutz. Näher mein Gott zu dir. Therese wußte alles über das Geschick der »Titanic«, des königlichen Schiffes, das auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York rauschte und an einem Eisberg versank. Therese war froh, daß die Kapelle ihres Schiffes einen Foxtrott spielte und nicht ›Näher mein Gott zu dir‹. Sie wollte nicht zu Gott, sie wollte, daß ihre Eltern endlich kämen. Es war ihr in diesen Momenten der Angst ein Rätsel, warum die Eltern und dieser herrliche Kapitän sich auf ein tobendes Meer begaben, von unendlichen brüllenden Wassermassen nur durch den dünnen eisernen Bauch eines Schiffes getrennt. Dieses verdammte Meer, dachte Therese, es leckt nach mir, schwappt gefährlich an die Bullaugen, will rein zu mir, es bricht über das ganze Schiff herein, und alle tun so, als wäre nichts.

Viel lieber fuhr Therese im Schlafwagen, da war Boden unter den Füßen. Therese liebte Bahnhöfe mehr als Häfen. Sie liebte glitzernde Gleise, denen ihr Blick ungestört folgen konnte bis zum Horizont. Der Gesang der Räder auf den Schienen war ein Schlaflied, dem sie traute. Paris. Wann war sie in der Frühe...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2010
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristik • Biografischer Roman • Drittes Reich • eBook • Isarwinkel • Judenverfolgung • jüdische Lebensgeschichte • jüdisches Leben nach 1933 • Liebe • München • Nationalsozialismus • Romanbiografie • Steinbach • Überleben • Wiesham • Zeitzeugnis
ISBN-10 3-423-40612-7 / 3423406127
ISBN-13 978-3-423-40612-3 / 9783423406123
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