Fleisch ist mein Gemüse (eBook)

Eine Landjugend mit Musik

(Autor)

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2009 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40031-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fleisch ist mein Gemüse -  Heinz Strunk
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«Der Mensch ist kein Beilagenesser.» Wie es ist, in Harburg aufzuwachsen, das weiß Heinz Strunk genau. Harburg, nicht Hamburg. Mitte der 80er ist Heinz volljährig und hat immer noch Akne, immer noch keinen Job, immer noch keinen Sex. Doch dann wird er Bläser bei Tiffanys, einer Showband, die auf den Schützenfesten zwischen Elbe und Lüneburger Heide bald zu den größten gehört. Aber auch das Musikerleben hat seine Schattenseiten: traurige Gaststars, heillose Frauengeschichten, sehr fettes Essen und Hochzeitsgesellschaften, die immer nur eins hören wollen: «An der Nordseeküste» von Klaus und Klaus. «Das Buch zählt zum Interessantesten und Lustigsten, das die deutsche Gegenwartsliteratur im Moment zu bieten hat.» (Süddeutsche Zeitung) «Es tut einem ja jeder leid, der das Buch von Heinz Strunk nicht gelesen hat.» (Sven Regener)

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

1985


Im Zwergenhaus


Ich hatte Mutter versprochen, endlich unseren winzigen Rasen zu mähen, und nun mühte ich mich an diesem brüllend heißen Augustnachmittag 1985 mit den Kanten ab. Bevor ich mir die gesamte Fläche vornahm, trimmte ich immer zuerst penibel die Rasenkanten. So richtig toll wurde es nicht, aber das war nicht meine Schuld, sondern die meines verstorbenen Großvaters, der zu Lebzeiten jede handwerkliche Eigeninitiative seines Enkels mit der Bemerkung Zwei linke Hände und lauter Daumen zu ersticken pflegte. Der alte Despot hatte lieber alles selber gemacht, weil es ihm bei mir zu langsam ging. Die Spätfolgen seiner pädagogischen Konzeptlosigkeit konnte er jetzt posthum besichtigen. Es war ein Trauerspiel.

Das Blut schoss mir über der harten körperlichen Arbeit in den Kopf und weiter in jeden einzelnen meiner Pickel. Ich war dreiundzwanzig und litt seit nunmehr elf Jahren an Acne Conglobata, der schlimmsten Form dieser elenden Hauterkrankung, die unbehandelt auch NIEMALS besser wird. Pusteln mit oder ohne Eiterhaube, Mitesser und tief in der Haut verankerte Flechten bedeckten Gesicht, Nacken, Rücken und Schulter. Die Pickel wirkten irgendwie gar nicht mehr wie Pickel, sondern wie etwas viel Schlimmeres, sie wirkten wie eine unbekannte Weltraumkrankheit. Ich sah aus wie eine Versuchsperson, bei der die Tests schief gelaufen waren. Im Sommer sah es immer besonders schlimm aus, da ich mich vor Scham schon seit Jahren nicht mehr der Sonne ausgesetzt hatte und komplett ausgeblichen war. Die roten Aknehörner setzen sich auf meiner kalkweißen Haut deutlich ab und waren schon von weitem gut zu erkennen. Nach einer erfolglosen Endlosschleife im therapeutischen Bermudadreieck Vitamin-A-Säure, Breitbandantibiotika und Eigenblutbehandlung hatte ich die Akne als Schicksal angenommen und wartete einfach mal so ab. Vielleicht würde sich alles ganz plötzlich und unerwartet ändern, denn das Leben schlägt ja die tollsten Kapriolen. Bis dahin hieß es geduldig ausharren und weiterhin fleißig Rasen mähen und Hecke stutzen. Ich war gerade fertig mit den elenden Kanten, als das Telefon klingelte. Mein entfernter Bekannter Jörg.

«Kurze Frage, kurze Antwort, ich hab ne Anfrage fürs übernächste Wochenende, hast du da Zeit?»

«Weiß ich im Moment nicht so genau, da muss ich in meinen Kalender gucken, wart mal einen Augenblick.»

Ich blätterte ein bisschen im Telefonbuch.

«Um was geht’s denn überhaupt?»

«Ne Tanzband aus Lüneburg, Tiffanys heißen die, die brauchen für übernächstes Wochenende noch nen fünften Mann.»

Jörg war ein ziemlich dröger Zeitgenosse. Sein Phlegma wirkte ansteckend, und schnell verfiel ich in denselben, monotonen Sprachrhythmus.

«Ich weiß im Moment auch nicht genau, du kannst denen ja meine Nummer geben.»

«Wart mal eben einen Augenblick, da kommt gerade ein Kunde.»

Jörg arbeitete in einem kleinen Musikgeschäft mit dem Namen Ohrenschmaus. Viele junge Männer, die in Musikaliengeschäften arbeiten, wären eigentlich lieber richtige Musiker und begreifen solche Tätigkeiten lediglich als Interimslösung. Doch meist reicht die Begabung nicht aus, und sie bleiben in diesen Jobs stecken bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, ein Schicksal, das auch Jörg drohte. Er hatte sich ausgerechnet die Bassgitarre ausgesucht, dass vermutlich unspektakulärste Instrument der Welt. Jeden Abend nach der Arbeit hockte er in seinem verschwitzten Jugendzimmer (er wohnte noch zu Hause) und versuchte, Kontrolle über den störrischen Viersaiter zu erlangen. Wenn es zum Gitarristen nicht langte, dann wurde man Bassist. Bei den Girls konnte man damit natürlich nicht punkten.

«Hallo, bist du noch dran?» Jörg hatte den Kunden offenbar erfolgreich vergrault.

«Ich hab die Nummer hier. Du sollst den selber mal anrufen, der Typ heißt Gurki.»

«Was ist denn das für ein Name? Das klingt ja so wie Goofy in doof. Der heißt doch sicher auch richtig!»

«Mann, ich weiß auch nicht, wie der richtig heißt, ich soll das nur ausrichten. Ich hab jetzt auch keine Zeit. Soll ich dir die Nummer geben oder nicht? Mir ist das doch egal.»

Seine Stimme klang kraftlos und aggressiv zugleich.

«Ja, dann sag mal.»

Kaum hatte ich aufgelegt, fing ich an, albern im Flur rumzuhüpfen. Lieber Gott, danke, danke, danke! Die Nachfrage nach meiner Arbeitskraft tendierte im Allgemeinen gegen null, und Tanzmusik war schließlich besser als nix. Vor Aufregung rauchte ich erst einmal zwei Zigaretten hintereinander und wählte dann mit feuchten Händen die Telefonnummer mit der Lüneburger Vorwahl.

«Musikhaus Da Capo, Beckmann, guten Tag.»

Statt Ohrenschmaus nun also Da Capo.

«Hallo, Heinz Strunk hier. Ich ruf an wegen der Mucke, ich würde gern Gurki sprechen.»

«Der ist am Apparat.»

«Ach so. Ich hab die Nummer von Jörg vom Ohrenschmaus

«Schön, dass du anrufst. Also, das geht um ein Schützenfest in Moorwerder, die wollen da dieses Jahr fünf Mann haben, am liebsten mit Saxophon.»

«Ich spiel auch Flöte.»

«Super. Der Mann ist gut, das hör ich schon, hehehe.»

«Ja, hoffentlich.»

«Und, Sonnabend und Sonntag, geht das bei dir?»

«Da ist gerade was ausgefallen, und jetzt kann ich wieder», log ich.

«Alles klärchen. Sonnabend sind sieben Stunden, von acht bis drei Uhr, und sonntags nochmal fünf Stunden, von acht bis eins.»

«Normal.»

«Kennst du dich aus? Hast du schon mal Tanzmusik gemacht?»

Die Frage konnte ich bejahen. Ich hatte meine ersten Erfahrungen schon mit neunzehn in der Kapelle Holunder gesammelt. Meine vier Kollegen waren sympathisch abgehalfterte Typen um die vierzig. Jens, der Organist, Weinbrandtrinker alter Schule, hatte ein Gesicht, wie es nur hochprozentiger Alkohol im Laufe vieler Jahre zu schnitzen vermag. Er war einer der letzten reinen Organisten, d.h., er spielte keine Synthesizer und Keyboards, sondern eine wunderschöne alte Hammond B3 mit dem dazugehörigen Leslie. Geprobt wurde einmal die Woche in einem ehemaligen Luftschutzbunker. Er war wie alle Bunker auf der ganzen Welt dunkel, feucht und roch nach verlorenem, altem Krieg. Der Übungsraum lag im fünften Stock. Dort schafften wir uns Deine Spuren im Sand, Hello, Mary Lou oder auch ein Walzermedley mit den schönsten Melodien von Johann Strauß drauf. Nach Feierabend aßen wir in der Kneipe gegenüber meist noch Currywurst mit Kartoffelsalat. Stumm wie ein Fisch saß ich im Kreis meiner erwachsenen Kollegen und hielt den Mund, wie es sich für junge Leute gehört. Wir hatten fast jeden Samstag einen Job und mussten dann immer unsere tonnenschwere Anlage die engen Treppen des Bunkers nach unten und morgens um fünf oder sechs wieder nach oben wuchten. Ich hatte große Angst um meine Wirbelsäule, denn ich war ja noch im Wachstum. Hans, der Schlagzeuger, fuhr das Bandauto, einen maroden Mercedes mit Anhänger. 99 Prozent aller schrottreifen Mercedesse mit Hänger, die am Wochenende die Autobahnen blockieren, sind mit Tanzbands besetzt, die gerade auf dem Weg zur Mucke sind. Auf jeder Rückfahrt war Hans besoffen; ein Wunder, dass wir nie erwischt wurden. Bei meiner allerersten Mucke im Herbst 1981 staunte ich nicht schlecht, als plötzlich Kinder zum Bühnenrand kamen und nach Autogrammen fragten. Da brat mir doch einer nen Storch, die kennen mich gar nicht, und ich muss hier schon Autogramme geben! Ich schätzte daraufhin unseren Prominentenstatus falsch ein, denn es sollten die ersten und letzten Autogramme bleiben, die ich während meiner gesamten Tanzmusiklaufbahn geben musste. Nachdem wir ein Set mit When the saints beendet hatten, gingen die Kollegen zum Tresen, während ich unschlüssig auf der Bühne stehen blieb. Ein dickes Mädchen kam zur Bühne getrottet, blieb direkt vor mir stehen und beobachtete mich, ohne ein Wort zu sagen. Mir fiel auch nichts ein. Das eine Auge ihrer bunten Kinderbrille war mit einem Pflaster verklebt. Es vergingen sicher zwei Minuten, dann sagte sie: «Holunder, Holunder, die Welt wird immer runder.» Sie drehte sich um und schob ab.

Das Mädchen sollte Recht behalten. Wegen irgendwelcher Zwistigkeiten löste sich Holunder ein Jahr später auf, und ich blieb erst mal ohne weitere Engagements.

 

Ich sagte Gurki, dass ich bereits in drei Tanzbands gespielt hätte.

«Klingt doch gut. Wir probieren das einfach mal aus. Es gibt für beide Tage sechshundert, ist das in Ordnung für dich?»

Meine Güte, sechshundert Mark, ein Geldregen!

«Ja, ist okay.» Ich bemühte mich, möglichst gleichgültig zu klingen.

«Alles klar, dann Sonnabend in einer Woche in Moorwerder auf dem Festplatz, das findest du schon. Kannst du gegen sechs Uhr da sein?»

«Äh, das ist gerade ein bisschen schwierig mit dem Hinkommen.»

...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berufsunterhalter • Hamburg • Hamburg-Harburg • Jugend • Komisch • Mucker • Musik • Musikgruppe • Norddeutschland • Phoenix - Wem gehört das Licht • Provinzexistenz • Schützenfest • Sprachwitz • Tanzmusik • tragisch
ISBN-10 3-644-40031-8 / 3644400318
ISBN-13 978-3-644-40031-3 / 9783644400313
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