Aachen - Berlin - Königsberg (eBook)

Eine Zeitreise entlang der alten Reichsstraße 1

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
224 Seiten
Pantheon Verlag
978-3-641-29424-3 (ISBN)

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Aachen - Berlin - Königsberg - Patricia Clough
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Jetzt wieder lieferbar: Patricia Cloughs spannende Reise entlang der alten Reichsstraße 1
»Königsberg 1000 km« - so der Text auf einem alten Straßenschild in der Nähe von Aachen. Als die englische Journalistin Patricia Clough es vor vielen Jahren auf einer ihrer ersten Reisen nach Deutschland sah, wollte sie wissen, was es damit auf sich hat. Das Schild verwies auf den Anfang der Reichsstraße 1, die einmal die wichtigste West-Ost-Verbindung Deutschlands war und sich quer durch die Weimarer Republik bis ins damalige Ostpreußen erstreckte. Patricia Clough hat sich auf eine ebenso unterhaltsame wie informative Zeitreise entlang dieser Straße begeben.

Patricia Clough, 1938 in England geboren, hat viele Jahre als Korrespondentin für große britische Tageszeitungen wie die Times und den Independent aus Deutschland berichtet. Bei DVA erschienen von ihr: Hannelore Kohl. Zwei Leben (2002), In langer Reihe über das Haff. Die Flucht der Trakehner aus Ostpreußen (2004) und zuletzt Aachen - Berlin - Königsberg. Eine Zeitreise entlang der alten Reichsstraße 1 (2007).

KAPITEL 1


Ein Straßenschild


Vor vielen Jahren, als ich einmal mit dem Auto bei Aachen von den Niederlanden über die Grenze nach Deutschland fuhr, sah ich am Straßenrand ein schlichtes weißes Schild. Darauf stand einfach: »KÖNIGSBERG 1000 km«.

Wie bitte? Als junge Besucherin aus Großbritannien hatte ich damals nur eine eher verschwommene Vorstellung von der Nachkriegsgeografie des Kontinents. Aber immerhin wusste ich, dass Königsberg jetzt nicht mehr Königsberg genannt wurde, dass ich bis dorthin mehrere ziemlich garstige Grenzen zu überwinden hätte und außerdem ohnehin nicht hineingelassen würde, weil die Stadt nun militärisches Sperrgebiet war. Warum also sollte ich oder überhaupt irgendjemand noch wissen wollen, wie weit es nach Königsberg war? Merkwürdiges Volk, diese Deutschen, dachte ich und fuhr weiter.

Erst mehrere Jahre später wurde mir klar, dass dieses Straßenschild etwas damit zu tun haben musste, dass die Straße, auf der ich damals nach Deutschland gekommen war, einmal die Reichsstraße Nummer 1 gewesen war. Diese war eine Zeit lang die längste Straße des Landes, berühmt für ihre enorme Reichweite – 1392 Kilometer von der holländischen Grenze im Westen bis zur damaligen Grenze zur Sowjetunion im Osten. Noch berühmter aber waren die 1000 Kilometer, die angeblich Aachen von Königsberg trennten. Obwohl dies eine plausible Erklärung für jenes Schild war, kam mir die ganze Geschichte immer noch ziemlich seltsam vor.

Denn sie ereignete sich in den frühen 1960er Jahren, und wer wollte damals schon an das Deutsche Reich geschweige denn an das Dritte Reich erinnert werden, an das Schicksal von Königsberg oder überhaupt etwas mit dieser Vergangenheit zu tun haben? Von meinen Besuchen als Austauschschülerin wusste ich bereits, dass die deutsche Geschichte scheinbar erst in den späten 1940er Jahren begonnen hatte. Alles musste neu und anders sein, die Tische nierenförmig statt quadratisch, Fotoalben und Schreibblöcke im Rautenzuschnitt und nicht rechteckig, da gab es futuristische Einrichtungsstoffe oder einfach diese unglaublich entspannte, demokratische Atmosphäre in den Klassenzimmern statt der strikten Disziplin, wie ich sie immer noch aus meiner Schule in England kannte. Von der Vergangenheit, insbesondere der jüngsten, sprach man kaum und wenn, dann nur sehr zögerlich, mit feierlichem Tonfall in der Stimme und begleitet von einem traurigen, gedankenvollen Kopfschütteln, wie wenn man von einem schrecklichen Unglück in der Familie erzählt. Es schien, als müsse man unter die jüngste Geschichte mit ihrem unermesslichen Grauen, all den Verbrechen, Leiden, Entbehrungen, Umwälzungen und Verlusten einen Strich ziehen, sie wegsperren in die Vergangenheit und so weit wie möglich vergessen.

Zu dieser Zeit war aus der Reichsstraße 1 die Bundesstraße 1 geworden. Und die endete schon nach etwa 460 Kilometern an jenem verminten Stacheldrahtstreifen, der damals die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland markierte. Dahinter – falls sie überhaupt befahrbar war, was mir ziemlich unwahrscheinlich vorkam – wurde sie zur Fernstraße 1 bis zur Oder, dann zu den polnischen Straßen Nummer 132, 22 und 504 bis Gronowo (dem ehemaligen Grünau) und schließlich zur russischen A 194 und A 229, bis sie letztendlich nahe des früheren Eydtkuhnen, jetzt Tschernyschewskoje, an der innersowjetischen Grenze zwischen dem sogenannten Kaliningrader Gebiet und der Sowjetrepublik Litauen endete.

Die Nachkriegsverträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion bestanden noch nicht, aber Kaliningrad »Königsberg« zu nennen und in irgendeiner Weise an ein einstmals größeres Deutschland zu erinnern, galt – um es vorsichtig zu formulieren – als »politisch nicht korrekt«, und man lief Gefahr, als Revanchist, Unbelehrbarer oder Schlimmeres gebrandmarkt zu werden. Welche Kommunal- oder Straßenbaubehörde hegte da heimlich großdeutsche Gefühle? Diese Frage drängte sich geradezu auf. War nicht ein solches Straßenschild mit dieser ganz und gar überflüssigen Information politischer Sprengstoff? Das war wirklich der Fall.

Schon der Name »Reichsstraße 1« lässt, zusammen mit der eindrucksvollen Länge der Straße, die einige Jahre lang die größte West-Ost-Entfernung im Deutschen Reich markierte, an Hitlerschen Größenwahn denken. Tatsächlich erfanden die Nationalsozialisten nur diesen Namen für eine Straße, die schon einige Jahre zuvor zu Zeiten der Weimarer Republik eingerichtet worden war und bis dahin »Fernstraße 1« hieß. Und die Straße selbst – genauer gesagt die Verkehrsverbindung, denn sie wurde nie als Gesamtprojekt geplant oder gebaut – existierte bereits gut und gerne zweitausend Jahre vor dem Dritten Reich. In der Weimarer Zeit wurde lediglich der deutsche Teil dessen, was schon immer eine der wichtigsten West-Ost-Landverbindungen Europas war, mit einer Nummer versehen.

Während über Jahrhunderte die großen nordwärts fließenden Ströme wie Rhein und Elbe den Hauptteil des Nord-Süd-Verkehrs aufnahmen, mussten sich Reisende zwischen Ost und West aus Mangel an entsprechenden Wasserstraßen ihren Weg über Land bahnen. Erst kamen römische Soldaten, dann die Handelsreisenden des Mittelalters, Kaiser mit ihrem Gefolge, Missionare, Ritter und Siedler auf dem Weg nach Osten, preußische Beamte, die es nach Westen zog, und über all die Jahrhunderte Reisende, Postkutschen und Armeen in die eine wie die andere Richtung. Einige kamen aus Ländern des Westens auf dem Weg in die fernen Weiten Russlands, andere waren unterwegs in die Gegenrichtung. Mit ihnen kamen Ideen, Kultur und Unterdrückung, Zerstörung und Befreiung. Sie alle reisten an den Rändern der nördlichen Mittelgebirge entlang, dort, wo diese in die Norddeutsche Tiefebene übergehen, wo der Boden fest und ohne Moore und Sümpfe war, keine bedeutenden Steigungen zu überwinden waren und Furten und später Brücken die Querung der Flüsse ohne allzu große Mühen erlaubten – und so entwickelte sich allmählich ein Handelsweg.

Die Geschichte der Nummerierung dagegen lässt sich genau datieren – auf den 10. Mai 1926, als der Reichstag einen Entschluss verabschiedete, die Regierung solle »ein einheitliches Netz wichtiger Landstraßen« ausarbeiten. Denn mittlerweile war das Zeitalter des Automobils angebrochen, und die Zahl der Personen- und Lastkraftwagen stieg in – für damalige Verhältnisse – schwindelerregende Höhen. Die Straßen mussten sicherer gemacht werden, und die Kraftfahrer, die immer schneller immer weitere Strecken zurücklegten, brauchten Orientierungshilfe, um sich im Land zurechtzufinden.

Das war keine leichte Aufgabe. Die Verantwortung für Deutschlands Straßen lag, so errechnete damals eine Zeitung, bei nicht weniger als 60 000 verschiedenen Behörden. Kleine und größere Städte kämpften darum, an die Hauptrouten angeschlossen zu werden. Es handelte sich bei diesen Verbindungen immer noch um einfache Landstraßen, die keineswegs besonders gut ausgebaut waren. Die Nummerierung ließ noch nicht auf die Qualität der Strecken schließen, die tatsächlich oft noch viel zu wünschen ließ. Die Reichsregierung musste auch erst die Länder zur Kooperation bewegen, denn diese waren letztlich verantwortlich für Bau und Unterhalt von Straßen. Schließlich wurden einheitliche Standards erlassen, darunter eine Mindest-Fahrbahnbreite von sechs Metern. Autobahnen wurden geplant, viele Pläne blieben allerdings aus Geldmangel in den Schubladen liegen. Zugleich arbeitete die Regierung auch an einer ersten Straßenverkehrsordnung und hatte dabei eine Flut von Anregungen und Einsprüchen der unterschiedlichsten Stellen zu berücksichtigen. Für das Reichsverkehrsministerium war es sicher eine arbeitsreiche Zeit.

Schließlich wurde am 17. Januar 1932 nach mehr als fünf Jahren Vorbereitung das neue Fernverkehrsstraßennetz eingeführt. 1934 wurden die Fern- zu Reichsstraßen umbenannt, und erstmals waren die kleinen gelben Schilder an den Straßen zu sehen, mit denen die deutschen Bundesstraßen bis heute gekennzeichnet werden. Die ersten Fernstraßen mit einstelliger Nummer durchzogen Deutschland von einer Grenze zur anderen und bildeten das Grundgerüst für das Wegenetz. In dieses wurden die Straßen niedrigerer Ordnung mit den zwei- und dreistelligen Nummern eingepasst. Nach Ausbruch des Krieges wurde die Straßennummerierung einfach in den von der Wehrmacht besetzten Ländern weitergeführt.

Die bürokratischen Hintergründe für die genaue Trassenplanung der R1 konnte ich nicht herausfinden, aber es scheint natürlich, dass sie jener alten Handelsstraße folgte, die Kaufleute wie Armeen schon seit Jahrhunderten nutzten. Sie begann an der niederländischen Grenze in der Nähe von Aachen, verlief nordöstlich nach Jülich und Neuss, überquerte den Rhein nach Düsseldorf und führte weiter durch Essen und Dortmund. In den ersten Jahren ging sie dann weiter nach Hannover. Aber zwischen 1936 und 1938, als die Streckenverläufe einiger Reichsstraßen korrigiert wurden, verlegte man sie von Hameln über Hildesheim nach Braunschweig. In Magdeburg überquerte sie die Elbe und führte weiter nach Brandenburg/Havel, Potsdam und Berlin. Östlich von Berlin ging es bei Küstrin über die Oder und weiter leicht nördlich nach Landsberg an der Warthe und Deutsch Krone. Zwischen 1939 und 1945 führte sie ohne Unterbrechung weiter über den früheren polnischen Korridor durch Konitz (Chojnice) und Dirschau (Tczew), überquerte die Weichsel und lief weiter über das Gebiet der Freien Stadt Danzig nach Marienburg, Elbing, Königsberg, Insterburg und Gumbinnen, um schließlich in dem Grenzstädtchen Eydtkuhnen zu enden.

Gegen die Streckenführung gab es jede Menge Proteste.»Schwerin wird wieder umgangen!«,...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2022
Übersetzer Dietmar Zimmer
Zusatzinfo Karten in Vor- und Nachsatz
Sprache deutsch
Original-Titel Aachen - Berlin - Königsberg
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte 2022 • 2. Weltkrieg • Aachen • Berlin • Deutsche Geschichte • Deutschland • eBooks • Geschichte • Königsberg • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Ostpreußen • Reichsstraße • Reisebericht • Reportage • Republik • Weimar • Weltkrieg • Zeitreise
ISBN-10 3-641-29424-X / 364129424X
ISBN-13 978-3-641-29424-3 / 9783641294243
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