Die Nazis kannten meinen Namen (eBook)

Wie ich als Lagerälteste Auschwitz überlebte
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-2887-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Nazis kannten meinen Namen -  Magda Hellinger,  MAYA LEE
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Von den Nazis zum Dienst verpflichtet - und doch alles tun, um anderen zu helfen
1942 wurde Magda Hellinger ins KZ Auschwitz deportiert; sie gehört zu den wenigen Juden, die es überlebten. Die Nazis setzten sie als Blockälteste und Lagerälteste ein und verpflichteten sie damit, den Alltag im Lager zu organisieren. Diese Positionen verschafften ihr zwar Privilegien, doch nie ließ sich Magda davon korrumpieren. Unerschrocken nutzte sie jede Möglichkeit, um ihren Mitgefangenen zu helfen - obwohl sie unter besonderer Beobachtung stand und damit in ständiger Gefahr schwebte, für jede gute Tat mit dem Leben zu bezahlen. Ihre Geschichte zeugt von außergewöhnlichem Mut und wahrhaftiger Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten.



Magda Hellinger war 25 Jahre alt, als sie nach Auschwitz deportiert wurde, wo sie verschiedene Positionen als Funktionshäftling übernehmen musste und Hunderte Leben rettete. Maya Lee ist ihre Tochter. Die erfolgreiche Geschäftsfrau ermutigte ihre Mutter, ihre Geschichte aufzuschreiben, und forschte selbst mehrere Jahre, um sie zu vervollständigen.

Magda Hellinger war 25 Jahre alt, als sie nach Auschwitz deportiert wurde, wo sie verschiedene Positionen als Funktionshäftling übernehmen musste und Hunderte Leben rettete. Maya Lee ist ihre Tochter. Die erfolgreiche Geschäftsfrau ermutigte ihre Mutter, ihre Geschichte aufzuschreiben, und forschte selbst mehrere Jahre, um sie zu vervollständigen.

Einleitung


Nur wenige Menschen können nachvollziehen, was es bedeutete, Häftling in Auschwitz-Birkenau zu sein – eigentlich nur die, die dort waren. Und noch weniger können begreifen, was es hieß, innerhalb des KZs in die Rolle eines Funktionshäftlings gezwungen zu werden. Sich in einer Lage wiederzufinden, in der man, wenn man unerschrocken und gewitzt war, womöglich einige Leben retten konnte, dabei aber dem anhaltenden Massaker an den meisten um einen herum ohnmächtig gegenüberstand. Fortwährend in dem Bewusstsein zu leben, dass man jederzeit durch einen gelangweilten oder verärgerten Wachmann sein Leben verlieren konnte, weil der meinte, dass man zu nett zu einer Mitgefangenen gewesen war, wo man doch nur versucht hatte, menschlich zu sein.

Meine Mutter, Magda Hellinger Blau, war eine solche Häftlingsfunktionärin gewesen, wenn auch die meiste Zeit ihres Lebens nur wenige etwas über ihre Geschichte erfuhren – das galt auch für ihre Familie.

Magda war uns immer ein Rätsel. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, war sie nicht wie so viele andere Überlebende des Holocaust, die für den Rest ihres Lebens von den emotionalen Narben dieser Erfahrung gezeichnet blieben. Rührig und positiv, wie sie war, blickte sie stets nach vorn. Als meine Schwester und ich noch jünger waren, erzählte sie uns manchmal von den Konzentrationslagern und ihrer besonderen Rolle darin, und zwar auf dieselbe nüchterne Art, in der vielleicht andere Mütter von ihrer Kindheit auf dem Bauernhof berichteten. Wir hatten ja keine Ahnung! Irgendwann verdrehten wir nur die Augen und stöhnten: »Lass gut sein, Mum.«

Am Ende brachte sie ihre Geschichte einmal und dann noch ein zweites Mal handschriftlich zu Papier, ohne irgendjemandem von uns etwas davon zu sagen. Zu guter Letzt engagierte sie noch einen jungen Mann zum Abtippen des Manuskripts, und erst danach bekamen wir es überhaupt zu lesen. Doch Magda interessierte sich nicht für Feedback oder Erklärungen. 2003, mit siebenundachtzig Jahren, brachte sie ihre Datei zu einem Drucker und ließ ein dünnes Buch daraus binden. Sie organisierte eine Buchpräsentation zur Förderung irgendeines von ihr unterstützten karitativen Projekts und verkaufte etliche Exemplare. Und das war es dann auch.

In den letzten Jahren ihres Lebens jedoch ließ sich meine Mutter nichts mehr entlocken, weder zu ihrer Geschichte noch zum Thema Holocaust. Obwohl es noch einiges zu erzählen gegeben hätte, hatte sie auf einmal genug davon und wollte den Albtraum ihrer Erinnerungen hinter sich lassen. Es war, als hätte das Schreiben ihren Geist von einem in der Tiefe schwärenden Trauma befreit. Sie wurde wieder zu der Mutter, die ich von früher kannte – jener, die immer nur pragmatisch in die Zukunft geblickt hatte.

Erst nachdem meine Mutter (kurz vor ihrem neunzigsten Geburtstag) gestorben war, begann ich allmählich die Komplexität ihrer Geschichte zu verstehen. Während der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre hatte sie der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, dem Holocaust-Gedenkmuseum der Vereinigten Staaten, dem Jewish Holocaust Centre in Melbourne und, wenige Jahre später, der von Filmregisseur Steven Spielberg gegründeten Shoah Foundation Audio- und Videozeugnisse überlassen. Stundenlang hatte sie für diese Projekte Interviews gegeben, sie uns gegenüber jedoch kaum erwähnt. Während ich mir diese Aufnahmen betrachtete und anhörte, wurde mir klar, dass meine Mutter in ihrer Hast, ihre Geschichte auf Buchseiten zu bannen, viele Details unerwähnt gelassen hatte. Auch zahlreiche Primärquellen, die ihre Geschichte ergänzten und erweiterten, hatte sie verschwiegen, einschließlich der Zeugnisse einiger der vielen Frauen, denen Magda durch behutsame Manipulation des Nazi-Personals das Leben gerettet hatte. Ich sah, dass Magda in ihren eigenen Schriften nur einen Bruchteil ihrer Geschichte erzählt hatte.

In den Jahren seit ihrem Tod habe ich mich zunehmend um ein Verständnis dessen bemüht, was Magda und die Frauen um sie herum durchgemacht haben. Im Zuge dessen habe ich die bemerkenswerte und einzigartige Geschichte einer Frau entdeckt, die – was selten war – die SS, ihr Morden, ihre Lügen und ihre tückischen Tricks aus nächster Nähe beobachten konnte. Dabei hat sie irgendwie die innere Stärke gefunden, sich über die Grausamkeit und den Horror des berüchtigtsten der Nazi-Konzentrationslager zu erheben, und es in den dreieinhalb Jahren dort fertiggebracht, nicht nur sich selbst, sondern auch Hunderte andere zu retten.

Über Menschen wie Magda, die selbst Häftlinge waren und gleichzeitig im Auftrag der Nazis unter den Gefangenen Führungspositionen bekleideten, die sogenannten »Funktionshäftlinge« oder »Häftlingsfunktionäre« der Konzentrationslager, ist nur wenig geschrieben worden. Und was über sie geschrieben wurde, konzentriert sich in der Regel auf die Kapos, die vor allem für die Kommandos (Arbeitsgruppen, die für die SS Sklavenarbeit verrichteten) zuständig waren. Die meisten Kapos waren deutsche Gefangene, meist Schwerverbrecher, die den Ruf hatten, zu enormer Grausamkeit fähig zu sein. Leider hatte dieser Ruf zur Folge, dass auch alle anderen Funktionshäftlinge über denselben Kamm geschoren wurden. Magda ist von einigen Überlebenden allein wegen der Stellung, die sie gezwungenermaßen einnahm, falsch dargestellt und unfair beurteilt worden. Die meisten der gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen beruhten auf Gerüchten, die dazu dienten, zu beschuldigen und zu verurteilen. In den ersten Jahren nach dem Holocaust versuchten jüdische Überlebende jene, die solche Positionen bekleidet hatten, infrage zu stellen, einfach, weil sie Sündenböcke brauchten. Vielen, darunter auch Magda, warf man Kollaboration mit den Nazis vor. Diese Kultur der Schuldzuweisung hat viele der ehemaligen Häftlingsfunktionäre dazu veranlasst, sich auch später in Schweigen zu hüllen, um nicht weitere Anschuldigungen zu provozieren.

Wer jedoch Magda oder irgendeinen der anderen Funktionshäftlinge verurteilt, ignoriert dabei, dass sie jedes Mal, wenn sie etwas unternahmen und damit das Leben eines anderen retteten, ihr eigenes aufs Spiel setzten. Ihre Geschichten müssen erzählt werden.

Um den Dank jener, deren Leben sie gerettet hatte, ging es Magda eigentlich nie – lediglich um die Anerkennung, dass sie in einer wahrhaft schrecklichen Zeit alles ihr Mögliche getan hatte. Außerdem wollte sie – wie so viele andere Überlebende –, dass die, die den Holocaust zu leugnen wagten, dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. In ihren Worten: »Ich habe mir oft gewünscht, diese Leute fragen zu können, warum sie mein Leiden leugnen und mich und Millionen andere in Misskredit bringen. Haben wir nicht genug gelitten, dass wir uns auch jetzt noch solche Lügen anhören müssen?« Wie so viele andere wollte sie sicherstellen, dass sich der Holocaust nie wiederholen würde.

Ich wende mich an euch, Leser, Eltern, Lehrer, Professoren und Wissenschaftler, Priester und Rabbis. Unterrichtet die Kinder und die gesamte Bevölkerung über die Gräuel, die unter dem Nazi-Regime an allen Völkern verübt wurden, nicht nur an den Juden … denn ungeschehen kann ich nicht machen, was mir und unzähligen anderen angetan wurde. Jede Nacht, wenn ich die Augen schließe, wecken mich die quälenden Albträume. Ich will meine Geschichte erzählen, damit Menschen wie ihr euch dazu entschließt und dafür sorgt, dass die Saat solchen Übels nie mehr auf fruchtbaren Boden fällt.

Magda schrieb ihre Geschichte so nieder, wie sie sie in Erinnerung hatte. Die Geschehnisse standen ihr klar vor Augen; etwa, wie sie mit den Unmenschen von der SS sowie ihren Mithäftlingen umgegangen war. Bei der Wiedergabe ihrer Geschichte und bei der Beschreibung des Lebens in Auschwitz-Birkenau während der Jahre ihrer Inhaftierung habe ich versucht, mich möglichst genau an ihre Erinnerungen zu halten. Allerdings musste ich einige notwendige Details hinzufügen, um eine sowohl ehrliche als auch umfassende Darstellung bieten zu können. Abgesehen von Magdas Schriften, ihren Ton- und Videoaufnahmen, habe ich auch auf Zeugnisse anderer Überlebender zurückgegriffen – ob nun solcher, die Magda persönlich kannten, oder anderer, die ähnliche Positionen innehatten –, ebenso wie auf die Arbeit verschiedener Wissenschaftler. Wo man die Wahrheit nicht kennt, wie es in derartigen Geschichten häufig der Fall ist, gestatte ich Magda, die Ereignisse so zu erzählen, wie sie es stets aus dem Gedächtnis getan hat. Dies gilt insbesondere für persönliche Wortwechsel: Die in diesem Buch rekonstruierten Dialoge sind so, wie Magda sie aufgeschrieben oder in ihren Selbstzeugnissen geschildert hat, und wurden, wenn nötig, lediglich zur Verdeutlichung bearbeitet.

Zum Abschluss dieser Einleitung möchte ich folgenden Auszug aus einem offenen Brief der Auschwitz-Überlebenden Dr. Gisella Perl mit Ihnen teilen. Der Brief wurde am 28. Juli 1953 unter der Überschrift »Magda, die Lagerälteste von Lager C« in der ungarischsprachigen Zeitung Új Kelet in Tel Aviv veröffentlicht. Dr. Perl war eine rumänisch-jüdische Gynäkologin, deren Familienangehörige 1944 voneinander getrennt und in Konzentrationslager deportiert wurden; später veröffentlichte sie unter dem Titel Ich war eine Ärztin in Auschwitz ihren eigenen Bericht über die Lager. Der Brief wurde geschrieben, kurz nachdem sich Dr. Perl und Magda Hellinger in Israel zufällig wiederbegegnet waren.

Wir waren nur wenige Wochen in Auschwitz-Birkenau. Damals vermutete ich das alles nur, doch heute weiß ich es gewiss. Wir, entwürdigte Geschöpfe, menschliche Tiere, ob mit Häftlingsnummern versehen oder nicht – wir hatten keine Ahnung, begriffen nicht,...

Erscheint lt. Verlag 25.11.2022
Co-Autor David Brewster
Übersetzer Maria Mill
Sprache deutsch
Original-Titel The Nazis Knew My Name
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Auschwitz-Birkenau • Autobiografie • Bericht • Biografie • Funktionshäftling • Geschichte • Holocaust • KZ • Lagerälteste • NS-Zeit • Shoah • Überlebende
ISBN-10 3-7517-2887-2 / 3751728872
ISBN-13 978-3-7517-2887-4 / 9783751728874
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