Empowerment für Menschen mit affektiven Erkrankungen und Migrationserfahrungen (eBook)
178 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-19170-7 (ISBN)
Maren Wiechers, M.Sc. Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Mental Health in Refugees and Asylum Seekers«, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München.
Maren Wiechers, M.Sc. Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Mental Health in Refugees and Asylum Seekers«, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Aline Übleis, Dr. Dipl.-Psych. Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin. Leitende Psychologin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Frank Padberg, Prof. Dr. med. Leiter der Sektion für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München.
2 Grundlagen des Empowerment-Manuals
2.1 Einsatzmöglichkeiten
Das Empowerment-Manual kann im Rahmen von ambulanten oder stationären Behandlungsangeboten Anwendung finden sowie in Gruppen- und Einzelsettings eingesetzt werden. Insbesondere psychiatrische und psychosomatische Kliniken, Beratungsstellen, psychotherapeutisch orientierte Praxen und Gemeinschaftsunterkünfte könnten von einer Anwendung profitieren. Das Manual richtet sich vorwiegend an Psychologen, Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte.
Wir empfehlen darüber hinaus, die Gruppe durch einen Co-Therapeuten begleiten zu lassen, damit Letzterer im Falle von akuten Krisen oder dissoziativen Zuständen unterstützend eingreifen kann. Die Rolle des Co-Therapeuten kann beispielsweise durch psychiatrische Fachpflegekräfte oder Sozialarbeiter übernommen werden.
Das Manual ist für die Anwendung durch einen deutschsprachigen Therapeuten und einen Sprach- und Kulturmittler konzipiert. Ziel ist es, dass die Patienten so von einer sprach- und kultursensiblen Übersetzung profitieren können und gleichzeitig die Möglichkeit haben, die deutsche Sprache besser zu erlernen. In der zeitlichen Planung der Stunden ist die Dauer der konsekutiven Übersetzungen durch den Sprach- und Kulturmittler bereits berücksichtigt. In Abhängigkeit von den Sprachfähigkeiten der Gruppenteilnehmer ist die Anwendung des Manuals jedoch auch ohne Sprach- und Kulturmittler und lediglich in deutscher Sprache möglich. Die zeitliche Dauer für die Durchführung eines Moduls beträgt dann ca. 60 Minuten.
Kommt das Manual mit Unterstützung eines Sprach- und Kulturmittlers zur Anwendung, so ist es notwendig, dass zwei Flipcharts verwendet werden, auf denen die Informationen in beiden Sprachen dargestellt werden. Flipcharts, auf denen lediglich Inhalte vorgestellt oder in der Stunde nur noch wenige Informationen ergänzt werden, können der Einfachheit halber schon vor der Sitzung in beiden Sprachen vorbereitet werden.
2.1.1 Gruppensetting
Das Empowerment-Manual wurde ursprünglich zum Einsatz in Gruppensettings konzipiert. Aus unserer klinischen Erfahrung profitieren insbesondere Menschen mit Migrationserfahrungen von der Therapie in einem Gruppensetting, da sie Gefühlen von Isolation entgegenwirken kann und die Erfahrungsberichte durch andere Gruppenmitglieder häufig glaubwürdiger und motivierender sind als einzig die psychoedukative Vermittlung durch den Gruppenleiter. Nicht selten berichten Gruppenteilnehmer wiederholt, dass sie sich durch interpersonelle Lernerfahrungen an Modellen aus ihrem eigenen kulturellen Hintergrund oder mit ähnlichen Migrationserfahrungen motiviert fühlen, ihr Leben in Deutschland aktiver zu gestalten.
Erfahrungsgemäß sollten die Gruppen hinsichtlich des Geschlechts homogen sein. Dies fördert in nicht-westlichen Kulturen einen offenen Austausch über Symptome depressiver Störungen und Bewältigungsstrategien sowie den Umgang mit Gefühlen, die je nach Kultur und Geschlecht schambesetzt sein können. Wir empfehlen eine Gruppengröße von mindestens vier und maximal zwölf Teilnehmern.
Die Frage, ob die Gruppenteilnehmer bezüglich ihres kulturellen Hintergrundes und der Sprache homogen sein sollten, ist differenziert zu betrachten. In unserer klinischen Erfahrung haben sich sowohl kulturhomogene als auch -heterogene Gruppen bewährt.
Während es in kulturhomogenen Gruppen manchmal größere Vorbehalte gibt, vor den anderen Gruppenmitgliedern über persönliche Stressoren zu sprechen, haben diese den Vorteil, dass sich die Teilnehmer über Prä- und Postmigrationsstressoren im Heimat- und Exilland austauschen können. Das folgende Zitat einer afghanischen Gruppenteilnehmerin in einer kulturhomogenen Gruppe zeigt, dass die Gruppenteilnahme gleichzeitig Herausforderung und Chance für korrigierende Erfahrungen sein kann:
»Am Anfang wollte ich gar nicht richtig in die Gruppe kommen. Ich bin es nicht gewohnt, vor anderen Frauen über meine Probleme zu sprechen. Ich habe Angst, dass dann schlecht über mich geredet wird. Inzwischen habe ich durch die Gruppe Schwestern gefunden. Ich weiß, ich darf über alles sprechen und es wird nichts weitererzählt. Ich merke, dass ich mit meiner Situation nicht alleine bin.«
Im Sinne einer integrationsfördernden Maßnahme und aus Sicht der Praktikabilität der Durchführung der Gruppe ist es auch möglich, kulturheterogene Gruppen anzubieten. Einige Patienten berichten, dass sie sich in kulturheterogenen Gruppen freier fühlen, eigene Belastungen mitzuteilen, und dass sie das Gefühl haben, weniger auf ihre Herkunft reduziert zu werden als in einer Gruppe mit Menschen, die unmittelbar ihrer eigenen Kultur entstammen.
2.1.2 Einzelsetting
Kommt das Manual in einem einzeltherapeutischen Setting zum Einsatz, verkürzen sich die verschiedenen Module von 90 auf ca. 50 Minuten. In einem einzeltherapeutischen Setting kann individueller auf das Störungsmodell des Patienten und dessen Symptomatik eingegangen werden als in der Gruppe. So kann im Themenbereich Psychoedukation (▶ Module 1–5) beispielsweise ein individualisiertes Vulnerabilitäts-Stress-Modell für die Entstehung der Depression erarbeitet werden, im Themenbereich Bewältigungskompetenzen (▶ Module 6–10) lassen sich persönliche Auslöser für Stress und stressverschärfende Gedanken ermitteln und der Themenbereich Umgang mit Gefühlen (▶ Module 11–16) lässt es zu, dass individuelle emotionale Netzwerke für spezifische Gefühle erarbeitet werden.
2.2 Indikationen
Das Empowerment-Manual richtet sich an Menschen mit Migrationserfahrungen und affektiven Störungen. Komorbide Störungen wie Posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen oder Abhängigkeitserkrankungen stellen keine Kontraindikation für eine Gruppenteilnahme dar. Da die Teilnehmer im Rahmen des Manuals auch Stressbewältigungsstrategien und emotionsregulatorische Fähigkeiten erlernen, kann eine Gruppenteilnahme sogar einen positiven Einfluss auf die Verläufe komorbider Erkrankungen nehmen. Eine Teilnahme an der Empowerment-Gruppe ist auch im Vorfeld zu einer traumaspezifischen Behandlung möglich und kann eine stabilisierende Wirkung haben.
Prägt jedoch die komorbide Störung vorherrschend das klinische Bild und resultiert in einer hohen Belastung durch Intrusionen, Flashbacks, Panikattacken oder Abhängigkeitssymptomen, so ist von vornherein eine spezifische psychotherapeutische Behandlung für die komorbide Störung indiziert.
2.3 Zusammenarbeit mit Dolmetschern
Im Rahmen des Empowerment-Manuals fungieren Sprach- und Kulturmittler als Sprachrohr und stellen sicher, dass im Einzel- oder Gruppensetting alle Teilnehmenden die Therapieinhalte gut verstehen können. Bei der Anwendung des Manuals haben sich die in ▶ Kapitel 1.3.1 beschriebenen Handlungsempfehlungen für die Zusammenarbeit mit Dolmetschern bewährt. Dolmetscher, die im Rahmen des Empowerment-Manuals zum Einsatz kommen, sollten demzufolge konsekutiv, in der Ich-Form und inhaltsgetreu dolmetschen. Unseren Erfahrungen nach ist es von Vorteil, in einer Frauengruppe eine weibliche Dolmetscherin einzusetzen. In Gruppen mit männlichen Patienten haben sich in der Praxis männliche und weibliche Sprachmittler bewährt. In einem Einzelsetting sollte der Dolmetscher zwischen Behandler und Patient Platz nehmen. In einem Gruppensetting sitzt der Dolmetscher neben dem Therapeuten. Unseren Erfahrungen nach ist es auch möglich, Gruppen mit Teilnehmern durchzuführen, die zwei Sprachen sprechen. In einem solchen Fall kommen zwei Dolmetscher zum Einsatz, die jeweils neben den Gruppenteilnehmern Platz nehmen sollten, die ihre Sprache sprechen.
In der praktischen Anwendung des Manuals mit Sprach- und Kulturmittlern ist es notwendig, in einfachen, kurzen Sätzen zu sprechen. Auf Nebensätze sollte dabei nach Möglichkeit ebenso verzichtet werden wie auf abstrakte Begriffe und Fachwörter. Es hat sich bewährt, nach zwei bis drei Sätzen Pausen einzulegen, die dem Dolmetscher in regelmäßigen Abständen das Übersetzen ermöglichen (Abdallah-Steinkopff, 1999).
2.4 Zugrunde liegende...
Erscheint lt. Verlag | 9.11.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | affektive Störungen Flüchtlinge • affektive Störungen Geflüchtete • affektive Störungen Migranten • Aggression • Angst in der Fremde • Buch • Depression • Depression Geflüchtete • Depression Migranten • Fachbuch • Flucht • Fremde • Heimatgefühl • Migration • Posttraumatische Belastungsstörung • psychische Probleme Flucht • psychische Probleme Migration • Psychoedukation Flüchtlinge • Psychoedukation Geflüchtete • Psychologie • PTBS • Stress in der Fremde • Therapie mit Flüchtlingen • Therapie mit Geflüchteten • Therapie mit Migranten • Vertreibung |
ISBN-10 | 3-608-19170-4 / 3608191704 |
ISBN-13 | 978-3-608-19170-7 / 9783608191707 |
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