Mein Rom (eBook)

Die Geheimnisse der Ewigen Stadt
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
480 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-23474-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Rom -  Andreas Englisch
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Unbekannte und überraschende Geschichten über die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Roms
Sie wissen schon alles über Rom? Wenn Sie Andreas Englisch kennen, ahnen Sie, dass Sie sich täuschen. Wie kaum ein anderer versteht es der ausgewiesene Vatikan-Experte, der seit drei Jahrzehnten in Rom lebt, dessen mehr als zweitausendjährige Stadtgeschichte zum Leben zu erwecken. Mit dem jungen Römer Leo folgt er Gladiatoren in ihre Trainingsarena, den Spuren genialer Künstler in den Vatikanischen Museen, erzählt von raffgierigen und weisen Päpsten, von verborgenen etruskischen Fresken, Gewinnern und Verlierern der Stadtgeschichte und vom seltsamen Humor eines vielleicht gar nicht existierenden Gottes, der doch das Schicksal Roms bis heute prägt.

Dieses Buch ist kenntnisreich, spannend und amüsant, frech, verblüffend und unwiderstehlich.

Andreas Englisch lebt seit fast vierzig Jahren in Rom und gilt als einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan. Seit der Amtszeit von Johannes Paul II. trifft er alle amtierenden Päpste regelmäßig und begleitet sie auf ihren Reisen. Als Vatikanexperte und Italienkenner ist er ein gefragter Talkshowgast und Interviewpartner, seine Bücher sind Bestseller und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter »Franziskus - Zeichen der Hoffnung« (2013), »Der Kämpfer im Vatikan. Papst Franziskus und sein mutiger Weg« (2015), »Der Pakt gegen den Papst. Franziskus und seine Feinde im Vatikan« (2020) sowie zuletzt »Das Vermächtnis von Papst Franziskus» (2023). Zudem begeistert Andreas Englisch als kenntnisreicher Reiseführer durch Rom. Die Geschichte und Geschichten der Ewigen Stadt hat er in seinen Bestsellern »Mein Rom. Die Geheimnisse der Ewigen Stadt« (2018) sowie »Mein geheimes Rom. Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt« (2021) aufgeschrieben.

Petersplatz

Schicksalsort Europas

Am Sonntagmorgen stand ich etwas früher auf und rief Giuseppe an, der zu den Edelleuten des Papstes zählte, den Gentiluomini di Sua Santità. Sie fungieren in der Peterskirche während der Gottesdienste des Heiligen Vaters als Platzanweiser für VIPs, geleiten also Minister, Kardinäle oder Botschafter zu den für sie vorgesehenen Plätzen.

»Bist du wahnsinnig?«, blaffte er mich an, nachdem ich ihm am Telefon mein Problem erklärt hatte. Ich hörte, dass er sich anzog, während wir telefonierten, die Krawatte umband, in die Jacke schlüpfte. Er musste schon vor der Öffnung für Besucher in der Peterskirche sein.

»Du weißt genau, dass es absolut verboten ist, während der Gottesdienste des Papstes durch die Kirche zu laufen und die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen.«

»Aber es ist eine Ausnahmesituation.«

»Zeig ihm die Kirche morgen oder am Nachmittag oder wann immer du willst, aber du kannst unmöglich heute Morgen durch den Petersdom spazieren und deinen Sohn Handy-Fotos machen lassen. Das muss ich dir doch nicht erklären.«

»Du bist ja da! Kannst du nicht die Wachmänner bitten, ein Auge zuzudrücken?«

»Das werde ich ganz sicher nicht tun, und ich warne dich: Beruf dich bloß nicht hinter meinem Rücken auf irgendeine Ausnahmegenehmigung von mir. Der Papst ist der Papst, und wenn er in der Kirche ist, dann ist das seine Kirche. Du kannst mit deinem Sohn gern kommen und in Stille beten. Aber eine Sightseeingtour kannst du vergessen.«

»Es geht nicht anders. Es muss heute Morgen sein!«

Er schnaufte: »Ich werde keinerlei Ausnahme zulassen. Ich beschwöre dich, versuch es erst gar nicht, die Folgen wären fürchterlich, das weißt du. Lass den Mist!« Er legte auf.

Mein Sohn kam mit frisch gewaschenen strubbeligen schwarzen Haaren, mit einem akzeptablen Hemd und einer fast sauberen Hose aus dem Badezimmer, das voll geladene Handy schussbereit in der Hand.

»Und? Geht es los zum Petersdom?«

»Ja«, sagte ich, »es geht los.«

Ich schaffte es einfach nicht, den kurzen Satz über die Lippen zu bringen: Es tut mir leid, es geht heute nicht.

Ich würde mich um Kopf und Kragen bringen.

Trotzdem warf ich meinem Sohn seine Jacke zu, zog meine an, und wir liefen zum Fahrstuhl – ins Verderben.

Wir bretterten mit den Fahrrädern die Via delle Fornaci hinunter, wobei das Umfahren der mitten in der Straße versenkten Kanaldeckel eine ziemliche Herausforderung war. Wir ketteten die Fahrräder in der Nähe der Glaubenskongregation an und gingen auf die südliche Kolonnade zu.

Alle Pilger der Welt

Von dieser Seite, von der Piazza del Sant’Uffizio auf den Platz vor dem Petersdom zu kommen, erscheint mir als die mindeste Geste, um dem überragenden Baumeister Gian Lorenzo Bernini, der den Petersplatz entwarf, Ehre zu erweisen. Er entwickelte die geniale Idee, die Pilger durch die engen Gassen des Borgo-Viertels laufen zu lassen, um sie aus dem Gewirr der schmalen Gänge auf den riesigen Platz zu leiten, der sich urplötzlich vor ihnen öffnete und dessen Kolonnaden wie zwei Arme alle Pilger der Welt umfassen sollten. Der architektonische Vollidiot Benito Mussolini ließ diese wundervolle Idee zerstören und sorgte für eine der dümmsten Bausünden Europas: Er ließ die breite Aufmarschstraße Via della Conciliazione anlegen, die auf den Petersplatz zuführt. Wenigstens ein bisschen Rache an Mussolini kann man üben, indem man die von ihm angelegte Straße ignoriert und nicht von der Engelsburg, sondern von der Seite auf den Petersplatz geht. Den Effekt, den Bernini erzielen wollte, kann man auf diesem Weg immerhin erahnen.

Nach der Ära Mussolini war es der internationale Terrorismus, der ein weiteres Mal die Umgebung des Petersdoms und die Via della Conciliazione drastisch veränderte. Die Straße gehörte jahrzehntelang zu den befahrensten Roms. Ich selbst habe sie mehr als zwanzig Jahre auf dem Weg zu meinem Büro im Vatikan genutzt. Doch nach den Terroranschlägen in Paris und London kam der Polizei in Rom der Gedanke, dass ein mit Sprengstoff gefüllter Lkw, der im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit 2016 mitten in die Abertausende von Menschen auf den Petersplatz rast, eine katastrophale Wirkung erzielen könnte. Die Polizei ließ also für das Heilige Jahr die Via della Conciliazione komplett sperren und hob nach dem Heiligen Jahr die Sperre einfach nicht wieder auf, zum Entsetzen der Taxifahrer und Pilger mit Gehbehinderungen. Der Taxistand am Petersplatz existiert nicht mehr; man kommt bis heute weder mit dem Auto noch mit dem Bus bis an den Platz heran.

Ich ging also mit Leo über den Platz und gab ihm sein Ticket für die Papstmesse.

»Woher bekommst du die eigentlich, kann man die kaufen?«

»Nein. Die Tickets für die Papstmesse sind kostenlos; man muss ein Fax schicken, um sie zu bekommen.«

Leo blieb wie vom Blitz getroffen stehen und sah mich mit einem Ausdruck der Fassungslosigkeit an. »Du bestellst sie also mit einem Fax? Du meinst tatsächlich ein Fax, nicht etwa eine E-Mail?«

»Nein«, antwortete ich, »ist doch egal; aber man muss ein Fax schicken.«

»Ein Fax! Oh Gott, ich hätte wissen müssen, dass eine Messe mit dem Papst eine Sache für Hinterwäldler ist.«

»Wie bitte? Hinterwäldler? Ein Gottesdienst mit dem Papst im Petersdom dürfte eine der exklusivsten Veranstaltungen auf dem Planeten sein. Wie kommst du darauf, das sei eine Sache für Hinterwäldler?«, fragte ich irritiert.

»Weil du ein Fax geschickt hast.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Ich will eigentlich nicht in eine Veranstaltung gehen, die man mit einem Fax buchen muss.«

»Wieso?«

»Mann, bist du rückständig. Stell dir mal vor, du willst ein Flugticket buchen, und die Airline bittet dich, ein Fax zu schicken, um einen Platz zu reservieren. Weißt du, womit ich dann rechnen würde? Dass eine solche Airline ein Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg einsetzt, das einen Motorschaden haben und mich in den Tod reißen wird. Solch eine rückständige Airline würde ein Fax als Buchung wollen. Und wenn ich daran denke, dass von diesen Massen an Pilgern, die hier in die Kirche wollen, jeder Einzelne ein Blatt Papier ausdruckte und an ein Faxgerät im Vatikan schickte, dann ist diese gottverdammte Kirche wahrscheinlich schuld daran, dass das halbe Amazonas-Gebiet abgeholzt wurde. Weißt du was: Mein Fitness-Studio lässt mich alle meine Termine über das Internet buchen. Das heißt, dass deine weltumspannende Kirche, von der du ständig faselst, rückständiger ist als ein beschissenes Fitness-Zentrum.«

Jetzt reichte es mir.

»Diese Kirche, die du so lächerlich findest, weil sie sich noch Faxe schicken lässt, hat diesen Planeten verändert und bis heute geprägt, über zwei Jahrtausende.«

»Dass sie was verändert hat, ist Jahrhunderte her und hat mit dem modernen Europa nichts mehr zu tun. Heute gibt’s ohne die Kirche Party in Paris, Prag und Warschau, in Budapest und Bratislava«, erwiderte mein Sohn scharf.

Keine Party in Warschau

»Dein Europa?«, fuhr ich ihn jetzt an, »dein Europa, in dem du dich so wohlfühlst, das gäbe es heute gar nicht, wenn auf diesem Platz die Dinge ein klein wenig, nur ein ganz klein wenig anders gelaufen wären.«

Ich zerrte ihn regelrecht zu dem kleinen weißen Stein, der in der Nähe des Portone di Bronzo auf der linken Seite des Petersplatzes im Boden eingelassen war.

»Hier stand am 13. Mai 1981 Mehmet Ali Ağca und schoss mit einer Pistole vom Typ Browning auf einen Mann, den du gekannt hast. Der mit dir gespielt, dich auf den Arm genommen hat.«

Leo nickte unwillig. »Ich weiß, Papst Johannes Paul II

»Genau, Papst Johannes Paul II. Ali Ağca schoss auf den Kopf des Papstes, der Schuss ging daneben; da wurde er nervös, zielte diesmal auf den Bauch des Papstes. Karol Wojtyła brach blutend zusammen – und danach entschied sich hier auf dem Platz das Schicksal Europas, und zwar um Haaresbreite.«

Eine Steinplatte erinnert an das Attentat vom 13. Mai 1981, als Mehmet Ali Ağca auf Papst Johannes Paul II. schoss.

© picture-alliance/epa-Bildfunk/Danilo Schiavella

»Wieso das denn?«

»Wenn du die Via della Conciliazione in Richtung Engelsburg hinunterschaust, siehst du eine Kreuzung.«

»Klar«, sagte Leo. »Da liegt das Santo-Spirito-Krankenhaus.«

»Genau. Das heißt, der Papst, dessen Bauchschusswunde stark blutete und der in einem Toyota-Jeep auf dem Boden lag, war aber Gott sei Dank nur knapp 950 Meter von einem rettenden Krankenhaus entfernt.«

»Und?«

»Es galt damals noch die Regel, dass ein Papst nur auf vatikanischem Boden behandelt werden darf; also begingen die Beteiligten einen katastrophalen Fehler: Statt den blutenden Papst sofort in das Santo-Spirito-Krankenhaus zu bringen, transportierten sie ihn in den Vatikan und luden ihn in einen Krankenwagen des Vatikans um, dessen Blaulicht kaputt war. Dann fuhren sie ihn ohne Polizei-Eskorte durch das Chaos des römischen Stadtverkehrs die lange, genau 10,4 Kilometer lange Strecke bis ins Vatikan-Krankenhaus, die Gemelli-Klinik. Dort angekommen, begingen sie einen weiteren fatalen Fehler. Sie schafften den Papst in das für Päpste reservierte Appartement im zehnten Stock. Erst dort realisierte eine Krankenschwester, dass der Mann, der seit über einer halben Stunde mit einer stark blutenden Bauchwunde durch die Gegend gezerrt wurde, sofort in den...

Erscheint lt. Verlag 8.10.2018
Zusatzinfo 16-seitiger farbiger Bildteil
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Andreas Englisch und die Päpste • Andreas Englisch und die Römer(in) • Andreas Englisch und Goethe • eBooks • Geschichte • Petersdom • Rom • Vademecum • Vatikan
ISBN-10 3-641-23474-3 / 3641234743
ISBN-13 978-3-641-23474-4 / 9783641234744
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