Tagebücher und Briefe 1938-1949 (eBook)

Mit einem Vorwort von Robert Schindel
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2013 | 1. Auflage
256 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-7642-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tagebücher und Briefe 1938-1949 -  Mignon Langnas
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Die ergreifenden Aufzeichnungen einer jüdischen Krankenschwester im Wien der NS-Zeit: Während Ehemann und Kinder 1939 rechtzeitig in die USA flüchten können, bleibt Mignon Langnas mit ihren gebrechlichen Eltern in Wien zurück. In ihren Briefen und Tagebüchern schildert sie auf eindringliche Weise den Alltag der jüdischen Bevölkerung unter dem Nazi-Regime und während des Krieges. Mit außergewöhnlichen Fotografien versehen, öffnet dieses Buch einen einmaligen Zugang zu einem der schrecklichsten Kapitel unserer Geschichte.

Mignon/Mamcze Langnas geb. Rottenberg, 1903 in Boryslaw geboren, übersiedelte 1914 mit ihrer Familie nach Wien. 1928 heiratete sie Leo Langnas. 1941 begann sie, als Krankenschwester für die Israelitische Kultusgemeinde Wien zu arbeiten und betreute alte Menschen und Kinder. Sie überlebte den Krieg und konnte 1946 schließlich zu ihrer Familie nach New York ausreisen. Sie starb 1949 nach langer Krankheit.

Mignon/Mamcze Langnas geb. Rottenberg, 1903 in Boryslaw geboren, übersiedelte 1914 mit ihrer Familie nach Wien. 1928 heiratete sie Leo Langnas. 1941 begann sie, als Krankenschwester für die Israelitische Kultusgemeinde Wien zu arbeiten und betreute alte Menschen und Kinder. Sie überlebte den Krieg und konnte 1946 schließlich zu ihrer Familie nach New York ausreisen. Sie starb 1949 nach langer Krankheit.

Von Galizien nach Wien: Mignons Familiengeschichte


Mignon wurde am 1. Oktober 1903 in Boryslaw (polnisch: Borysław), einer Kleinstadt in Ostgalizien, geboren. Sie entstammt einer frommen jüdischen Familie und wuchs im Spannungsfeld zwischen lokaler jüdischer Tradition und säkularer, moderner Lebensweise auf. Mignons Vater Moses Rottenberg war als Kaufmann in Boryslaw zu Ansehen und bescheidenem Wohlstand gekommen. Von tiefer Religiosität geprägt, hielt er die jüdischen Gebote und studierte Thora und Talmud. Wie der Großteil der Juden Galiziens sprach er Jiddisch, aber auch Polnisch und Deutsch. Aus erster Ehe mit Mina Schiff entstammten die drei Kinder Jakob Salomon (geb. 1890), Sender (geb. 1892) und Hinda (geb. 1896). Rottenbergs Frau starb jedoch früh, und so heiratete der junge Witwer bald danach Scheindel Schleifer. Scheindel, die neben ihrem rituellen jüdischen Namen den bürgerlichen Namen Charlotte hatte1, galt als so genannte „moderne“ Frau. Aus dieser Ehe gingen drei Töchter hervor, die alle in Boryslaw geboren wurden: Golda/Gusti (geb. 1898), Mamcze/Mignon (geb. 1903) und Nechume/Nelly (geb. 1908).

Im Oktober 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, übersiedelte die Familie nach Wien.

Auswanderung aus Galizien


Galizien, eines der rückständigsten Kronländer der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, erlebte im 19. Jahrhundert einen Industrialisierungsschub, der auf der Erdölindustrie basierte. Doch die jüdische Bevölkerung, die einer immer stärker werdenden Ausgrenzung ausgesetzt war, konnte nicht davon profitieren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten daher Teile der jüdischen Bevölkerung aus Galizien nach Übersee und Palästina aus. Als nach der bürgerlichen Revolution von 1848 sämtliche Wohn- und Arbeitsbeschränkungen für Juden fielen2 und sie mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 die volle bürgerliche Gleichstellung erhielten, wurden die Donaumetropolen Wien und Budapest wichtige Anziehungspunkte der ostjüdischen Migration. Wien entwickelte sich nach Budapest und Warschau zur Stadt mit dem drittgrößten jüdischen Bevölkerungsanteil in Europa. Nach der Volkszählung von 1910 lebten hier 175.318 Juden.3

Ende Juli 1914 begann der Erste Weltkrieg, und im August nahm die russische Armee das galizische Lemberg ein. Eine Welle von antijüdischen Pogromen war die Folge. Ab dem Herbst 1914 flüchteten zehntausende Juden aus den umkämpften Gebieten in Galizien, viele wurden von der österreichischen Armee evakuiert und nach Wien gebracht.

Zahlreiche jüdische Zuwanderer ließen sich in der Leopoldstadt, dem 2. Wiener Gemeindebezirk, nieder. Um 1923 lebten in diesem größten jüdischen Wohnviertel Wiens knapp 60.000 Jüdinnen und Juden, das entsprach fast 40 Prozent der Leopoldstädter Bevölkerung.4 Der zwischen Donau und Donauarm gelegene 2. Bezirk hatte als jüdisches Viertel Tradition. Bereits 1625 wurde die jüdische Bevölkerung Wiens unter Kaiser Leopold I. gezwungen, sich hier, in einem Ghetto außerhalb der Stadtmauern, anzusiedeln, aber bereits 1669/70 von demselben Monarchen wieder aus Wien vertrieben und ihre Spuren vernichtet. Die Synagoge wurde zerstört und an ihrer Stelle eine dem heiligen Leopold geweihte Kirche errichtet (heute Leopoldskirche in der Großen Pfarrgasse). Das Viertel, das bis dahin als Unterer Werd bezeichnet wurde, erhielt den Namen Leopoldstadt.5

Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung und der aufkommende Liberalismus führten zur allmählichen Emanzipation der österreichischen Juden. Viele jüdische Zuwanderer siedelten sich nun wieder in der Leopoldstadt an. Auch Gustav Mahler, Sigmund Freud und Theodor Herzl lebten zeitweise dort. Industrialisierung und Wirtschaftsliberalismus verschafften manchen Juden den sozialen Aufstieg in das Besitz- und Bildungsbürgertum, obgleich damit häufig eine Aufgabe der religiösen und kulturellen Traditionen verbunden war.6 Das jüdische Bürgertum zog in die Prachtbauten und Palais der Praterstraße, rund um den Augarten und nahe dem Donaukanal.

Die Industrialisierung Wiens zeigte aber auch ihre Kehrseiten: Durch die enorme Zuwanderung aus den Kronländern war die Reichshauptstadt – nach heutigem Gebietsstand – 1910 auf zwei Millionen Einwohner angewachsen.7 In der Leopoldstadt und der angrenzenden Brigittenau, dem 20. Wiener Gemeindebezirk, wo bereits verarmte ostjüdische Flüchtlinge in Massen ankamen, entstanden in den Seitengassen, abseits der gründerzeitlichen Bürgerhäuser, düstere Wohnbaracken und Massenquartiere, die maximal aus Zimmer-Küche-Kabinett bestanden, mit Wasserstelle (Bassena) am Gang. Hier lebten die verarmten jüdischen und nichtjüdischen Arbeiter-, Händler- und Handwerkerfamilien. Die verfehlte Wohnbaupolitik der christlichsozialen Wiener Stadtverwaltung und der gänzliche Ausfall der Wohnbautätigkeit während der Kriegsjahre hatten zu einer furchtbaren Wohnungsnot geführt.8 Obdachlosigkeit bzw. überfüllte Wohnungen und miserable Wohnbedingungen, „halbverhungerte Elendshöhlenbewohner“, Lumpenproletarier, „berufslose Luftmenschen“ und „Wanderschnorrer“9 prägten das Bild der Leopoldstadt, die zu einem Bezirk der Armen geworden war. Viele dort lebende Juden waren auf Unterstützung durch die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) oder jüdische Wohltätigkeitsvereine und Hilfsorganisationen angewiesen, die in diesem Bezirk zahlreich vertreten waren.

Zunehmender Antisemitismus


Was einerseits die Emanzipation des Judentums gefördert hatte, nämlich Industrialisierung und Wirtschaftsliberalismus, das bedrohte und verunsicherte andererseits das kleine und mittlere Bürgertum. Nicht zuletzt durch die Wanderungsbewegungen gerieten traditionelle Ordnungen immer mehr ins Wanken, und soziale Ungleichheiten verschärften sich. Diese Stimmung benutzten deutschnationale oder christlichsoziale Politiker wie Georg von Schönerer oder Wiens Bürgermeister Karl Lueger gegen Ende des 19. Jahrhunderts gezielt, um die nichtjüdische Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger aufzuhetzen. Dabei wurde die aus dem Mittelalter stammende traditionelle katholische Judenfeindlichkeit gegen das „Gottesmördervolk“ und die „Hostienschänder“ mit antiliberalen und antikapitalistischen sowie rassistischen Elementen kombiniert und die weit verbreiteten Vorurteile gegenüber „Geld- und Börsenjuden“ oder intellektuelle „Tintenjuden“10 geschürt. So hatte man den Antisemitismus in Österreichs öffentlichem Leben salonfähig gemacht und ideologisch in manche politische Bewegung integriert.

Während des Weltkriegs entflammte eine beispiellose antisemitische Kampagne gegen die verarmten ostjüdischen Kriegsflüchtlinge. Für die notleidende Bevölkerung wurden die Juden zu Sündenböcken für alle Missstände gemacht: für Armut, Krieg, Wohnungsnot, Lebensmittelknappheit und soziale Ungerechtigkeit. „Brotneid“ und das als bedrohlich empfundene „Fremde“ und „Anderssein“ der ostjüdischen Flüchtlinge spielten hier eine wesentliche Rolle. Christlichsoziale und deutschnationale Politiker agitierten gegen die jüdischen „Schmarotzer“ und forderten ihre Internierung und Abschiebung. Unter diesem Druck waren sich Politiker aller Parteien, selbst aus den Reihen der Sozialdemokraten, und sogar assimilierte Juden darüber einig, dass es den jüdischen Flüchtlingen, vor allem den aus Galizien oder der Bukowina stammenden, unmöglich gemacht werden sollte, in Wien ein Heimatrecht zu erlangen. Die in den Nachfolgestaaten als habsburgtreu stigmatisierten verarmten Juden wurden damit zu Ausländern, ihre Integration in die Gesellschaft verhindert.11

Neue Heimat Leopoldstadt


In dieser Atmosphäre kam die elfjährige Mignon im Oktober 1914 mit ihrer Familie nach Wien. Sie wuchs in ärmlichen, aber geordneten mittelständischen Verhältnissen auf, inmitten des Elends der Leopoldstadt. Mignons ältester Bruder Salomon („Salo“) war in Galizien zurückgeblieben und wanderte Anfang der 1920er Jahre mit seiner neu gegründeten Familie nach Kanada aus.

Die siebenköpfige Familie lebte in einer typischen „Bassena-Wohnung“ in der Blumauergasse 20: Zimmer, Küche, Kabinett, Wasser und Toilette am Gang. Sie war gut in ihre Nachbarschaft und einen erweiterten Familienverband integriert. Gusti, Mignon und Nelly besuchten die Schule, während sich die Halbschwester Hinda, die sehr fromm war, selbstständig mit dem Studium von Thora und Talmud beschäftigte. Mignons Halbbruder Sender war als Gefreiter der k. u. k. Armee in den Krieg eingerückt.

Mignon und ihre Geschwister um 1916 in Wien (v. l. n. r.): Hinda, Gusti,...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2013
Vorwort Robert Schindel
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Briefsammlung • Dokumentation • Drittes Reich • Erinnerung • Flucht • Holocaust • Judenverfolgung • Lebensgeschichte • Nationalsozialismus • NS-Zeit • Tagebuch • Tatsachenbericht • Widerstand • Wiener Jüdin • Zeitzeugen
ISBN-10 3-7099-7642-1 / 3709976421
ISBN-13 978-3-7099-7642-5 / 9783709976425
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