Die Bücherjägerin (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
432 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-6072-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Bücherjägerin -  Elisabeth Beer
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Sarah ist Bücherjägerin, Kartensammlerin und Restauratorin, sie liebt Manuskripte und alte Landkarten und kann generell besser mit Büchern als mit Menschen umgehen. Seit dem Tod ihrer Tante Amalia, die sie und ihre Schwester aufgezogen hat, lebt Sarah zurückgezogen in deren Marienburger Villa mit dem wild sprießenden Garten. Ihre einzige Gesellschaft: die Schildkröten Bonnie und Clyde. Das ändert sich, als Benjamin, ein junger Bibliothekar aus London, vor der Tür steht. Er bittet Sarah, ihm beim Finden einer alten römischen Straßenkarte zu helfen, ein Auftrag, den Amalia kurz vor ihrem Tod angenommen hatte. Sarah zögert, und dann tut sie es doch, fährt mit Ben in seinem alten Auto einfach los, im Gepäck zwei Schildkröten, ein paar Atlanten und viele Fragen. So machen sie sich auf eine Reise, die sie nach Frankreich und England führt, in die Welt der Bücher und Karten, in Amalias Vergangenheit - und in ein unglaubliches Abenteuer. Eine warmherzige und feinhumorige Geschichte über Liebe und Familie und darüber, dass eine Karte aus längst vergangenen Zeiten im Hier und Jetzt den Weg zurück ins Leben weisen kann.

ELISABETH BEER, geboren 1989 in Westfalen, wuchs auf dem Land in der Nähe von Köln auf. Sie studierte Komparatistik in Berlin, wo sie inzwischen lebt und arbeitet. Wenn sie nicht in der ein oder anderen Form mit Büchern beschäftigt ist, befindet sie sich am liebsten auf Reisen. >Die Bücherjägerin< ist ihr erster Roman, der beide Leidenschaften verbindet.

1

Prinzessin im Papierpalast

Es klingelte an der Tür. Meine behandschuhten Finger fuhren gerade über den Rücken eines alten Ritterromans. Sein Ledereinband musste ersetzt werden, bevor ich ihn an den Sammler weiterverkaufen konnte, der ihn bei mir bestellt hatte. Das unbarmherzige Klingeln der Glocke schallte durchs Haus bis hier in die Bibliothek und Werkstatt und unterbrach meinen Gedankenfluss, der um den unangenehmen Mann kreiste, der bald dieses schöne Buch in Händen halten würde. Mir ist nie so richtig klar geworden, warum Tante Amalia eine Türglocke mit dem Läuten von Big Ben installiert hatte, ein unseliges Gebimmel, wenn man es mehrmals die Woche hören muss. Ich hielt in meiner Bewegung inne und wartete darauf, dass der Eindringling wieder verschwand. Wenn es der Paketbote war, dann würde er sicher gleich gehen. Er kannte mich schon und hatte wohl ein bisschen Angst vor mir, seinem hektischen Rückzug nach zu schließen, wenn er mich zur Tür kommen hörte. Aber es läutete erneut.

Ich seufzte und legte das alte Buch vorsichtig auf meine Arbeitsfläche, zog die Handschuhe aus und machte mich auf den Weg zur Haustür. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Die ganze Bibliothek sowie das Wohnzimmer, der Salon, der Flur und die angrenzenden Räume sind mit Bücherstapeln und aufgerollten Karten gefüllt, die kleine und mittlere Türme auf dem Boden bilden, Möbel und Regale bedecken und manchmal auch umfallen. Das sind natürlich nicht die alten und wertvollen Manuskripte, sondern die Bibliothek von Amalias Großmutter, Romane und Erstdrucke oder einfach das, was ich oder Amalia zuletzt gelesen hatten oder woran wir nicht vorbeigehen konnten, ohne es zu kaufen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Stapel und dachte wieder einmal daran, dass ich Amalias Sammlung ordnen, vielleicht ein paar Bücher weggeben, vielleicht einige verkaufen und spenden sollte. Aber allein bei dem Gedanken daran verkrampfte sich mein Magen.

Die Villa ist ein Labyrinth, aber keines von der Sorte, die Spaß macht. Das Haus meiner Tante steht in Marienburg, es ist eine jener alten Kölner Villen, die ein bisschen außerhalb des Zentrums liegen und einen eigenen Garten haben, weil sie früher einer wichtigen Person gehörten, die sich beim Promenieren nicht die Füße in der Stadt schmutzig machen wollte. Das zumindest erzählte mir meine Tante, als ich mit zehn Jahren zusammen mit meiner Schwester bei ihr einzog, eine Woche nachdem unsere Eltern tödlich verunglückt waren.

Das Haus besteht aus mehreren Teilen, die alle miteinander verbunden, aber ungleich groß sind und verschiedene Formen haben. Es gibt diesen Hauptteil im Fachwerkstil, dann eine Art Türmchen aus rosaroten Steinen, einen Anbau, der wahrscheinlich früher mal der Stall war und der jetzt als Garage genutzt wird. Das Haus hat unten eine Steinfassade mit einem Erker, auf dem der Balkon im ersten Stock liegt. Der Rest der Fassade ist weiß verputzt. Die langen, schlanken Fenster erinnern an die von Fachwerkhäusern, sind aber größer. Außen am Haus sind mehrere Balken zu sehen, die aber eher der Dekoration als der Statik dienen. Die Dachgiebel sind verziert, und das Dach selbst ist schwarz wie Schiefer. Keine Ahnung, welcher architektonische Banause sich das hier ausgedacht hat. Der Großteil der Fassade ist inzwischen von Efeu und Brombeeren bewachsen, deshalb ist es nicht so schlimm anzusehen.

Am besten ist eigentlich der Garten, fast so groß wie ein Park, von einer hohen Steinmauer umgeben. Hier stehen ein Kirschbaum, Apfel-, Mandel- und Zwetschgenbäume, eine Himalaja-Kiefer, eine Hängebuche und eine weiße Magnolie, auf die Amalia immer sehr stolz war, obwohl der Baum geradezu entgegen ihren Bemühungen überleben musste; Amalia hatte das Gegenteil eines grünen Daumens. Es gibt einen Schilfteich, in dem ihre zwei Schildkröten leben, und einen verwilderten Kräutergarten, Blumen nur wenige, dafür Brombeerranken und Blaubeersträucher, sodass man eigentlich rund ums Jahr aus irgendetwas Marmelade kochen muss. Zwetschgenmus mit Zimt, Apfel-Brombeer-Marmelade oder Kirsch-Schokoladen-Gelee. Auf dem Kompost wuchern riesige Kürbisse, die aus unerklärlichen Gründen die Krähen anziehen. Früher sind Milena und ich auf die Mauer geklettert, haben die Beine baumeln lassen und die Straße beobachtet. Oder wir haben unter den Ästen des Apfelbaums geschaukelt und wei springen auf den Rasen geübt. Die Blaubeeren musste man sofort vom Strauch in den Mund stecken, bevor die Armada an Amseln und anderen Vögeln sie entdecken konnte und sie morgens vor unserem Aufstehen bereits vertilgt hatte.

Die Villa selbst hat viele verschieden große Zimmer, von denen die, die Amalia und ich am meisten genutzt haben, im Zentrum des Hauses liegen und fensterlos sind. Denn alte Bücher und Landkarten sollten besser nicht von Sonnenlicht beschädigt werden, und heutzutage braucht man die Sonne nicht mehr zum Lesen. Im ersten Stock hatten Milena und ich unsere Zimmer, Amalia bewohnte einen ganzen Flügel.

Jetzt war nur noch ich übrig, die ich mich im Innersten des Hauses verkroch. Dort restaurierte ich die alten Handschriften, Manuskripte und Karten, die ich im Internet oder auf meinen Jagden durch Altbestände, Haushaltsauflösungen, Antiquariate und Nachlässe ausfindig machte. Ich bin Bücherjägerin und Kartensammlerin, so wie meine Tante es war, und mein Reich ist aus staubigem Papier.

Wenn ich restauriere, versenke ich mich ganz in meine Arbeit, den Rhythmus der Finger, den leicht modrigen Geruch alten Papiers, das Rascheln der Seiten. Es braucht Konzentration, eine Bindung zu lösen, die Papieranfaserung aufzusetzen, ein handumstochenes Kapitalband zu erneuern oder die Initialen einer Inkunabel behutsam nachzukolorieren. Konzentration und Ruhe und keine Unterbrechungen durch hartnäckige Postboten.

Meine Füße führten mich nun zielstrebig zum Hauseingang, ohne dass ich über einen einzigen Bücherstapel stolperte. Unwillig öffnete ich die Tür.

Auf der Schwelle stand ein mir unbekannter Mann in einem beige gestreiften Anzug, der einen schönen Kontrast zu seiner dunklen Haut bildete. Ich sah in sein kantiges Gesicht, meine Augen wanderten über seinen Kopf mit kurz geschorenem, schwarzem Haar, seine runde Brille mit Metallrahmen bis zu seinem markanten Kinn und fixierten schließlich seine Augen. Braune Augen, stellte ich fest, groß und von dunklen Wimpern gerahmt, Augen, die mich ansahen, während er mit dem Zeigefinger seine Brille zurechtschob.

Der Anzug ließ mich darauf schließen, dass dies nicht der Paketbote war.

»Ja?«, fragte ich unwirsch. Dann schob ich mit einer Hand meine Haare aus der Stirn, die ich aus Gewohnheit beim Arbeiten durcheinanderbrachte, wenn ich in Gedanken mit meinen behandschuhten Fingern hindurchfuhr und sie sich aus dem Zopf lösten. Ich mochte keine Unterbrechungen, die meine Konzentration störten, und vor allem mochte ich keine Überraschungen. Dieser Mann roch nach Überraschungen, und das allein irritierte mich. Vielleicht lag es auch daran, dass er so schön war, dass er mich durcheinanderbrachte. Das mochte ich am allerwenigsten.

Er blinzelte.

»Sind Sie Amalia von Richtershofen?«, fragte er mich, die Worte elegant und ungewohnt aus seinem Mund. Das war ein britischer Akzent, dachte ich, und dass es noch schöner klang als im Fernsehen.

»Nein«, sagte ich.

Er starrte mich an. Dann schien er sich zu sammeln. »Aber das hier ist ihre Adresse, wo kann ich sie denn dann finden?«

»Auf dem Friedhof«, sagte ich, und wollte gerade die Tür schließen, als er eine Hand auf den Türrahmen legte.

»Wie bitte? Amalia ist verstorben? Das tut mir schrecklich leid«, sagte er, als ich die Tür wieder ein Stück öffnete.

Ich versuchte, den Ausdruck auf seinem Gesicht zu lesen. Es schien offen und ernst, passend zu seiner Beileidsbekundung. Ich bin nicht besonders gut mit Menschen, besonders nicht darin, ihre Gefühle zu lesen. Milena hat immer gespottet, dass ich die ältesten Karten und Handschriften lesen könne, Gesichter aber ein Buch mit sieben Siegeln für mich seien. Amalia meinte, ich solle mir einfach Zeit nehmen und mich nicht verunsichern lassen, wenn ich mit Leuten rede, irgendwann würden sie schon sagen, was sie wollen. Ich meine, dass Menschen zu kompliziert sind, und wenn alle einfach sagen würden, was sie meinen, anstatt alles immer so kompliziert wie möglich zu machen, hätte ich gar keine Probleme damit.

Jedenfalls schien der Mann vor mir seine Worte aufrichtig zu meinen, auch wenn sie natürlich nicht stimmen konnten.

»Danke«, sagte ich, »aber Sie sind ja nicht schuld daran.«

Ich wollte die Tür wieder schließen, aber seine Hand lag noch dazwischen. Also warf ich einen vielsagenden Blick auf seine Finger, die ich gleich im Türrahmen einquetschen würde. Er zog sie schnell weg.

»Bitte warten Sie einen Moment«, sagte er. »Ich hatte mit Amalia beruflich zu tun. Vor etwa neun Monaten. Das erklärt natürlich, warum ich seitdem nichts von ihr gehört habe … Ach, entschuldigen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Ballantyne. Ich komme von der Britischen Bibliothek, hier haben Sie meine Karte.«

Er zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Anzugs und reichte sie mir. Ich ließ die Tür los, um die Karte zu nehmen, und las:

Benjamin Ballantyne, Ph. D., Research & Acquisition

»Hören Sie, Dr. Ballantyne, meine Tante ist vor sechs Monaten verstorben. Ich arbeite mich immer noch durch ihre letzten Aufträge. Wenn es um eine Restaurierung geht, dann kommen Sie in ein paar Monaten wieder. Wenn sie Ihnen Geld schuldet, dann kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen, denn...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antiquariat • Autismus • Autorin • Bibliothek • Bonnie und Clyde • Bücher • Calais • Champagne • Dover • Einsamkeit • Elster • England • Essex • Familie • Frankreich • Freundschaft • Garten • Haschisch • Hypersensibilität • Karten • Köln • Krebs • Lesen • Liebesgeschichte • Literatur • London • Provence • Rassismus • Reise • Roadtrip • Schildkröten • Schwestern • Sommer • Trauer • Unfall • Villa
ISBN-10 3-8321-6072-8 / 3832160728
ISBN-13 978-3-8321-6072-2 / 9783832160722
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