Gier (eBook)

Ein Unterhaltungsroman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01527-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gier -  Elfriede Jelinek
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Der Landgendarm Kurt Janisch hat ein Auge auf den Grund und Boden allein stehender Frauen geworfen, und als Polizist weiß er, wo er sich seine Opfer holt: Auf den Landstraßen, wo er sich die Autonummern und Adressen der Frauen notiert, die er später aufsucht. Das erste Opfer ist eine Frau mittleren Alters. Um in den Besitz ihres Hauses zu gelangen, macht er sie sexuell hörig. Als das zweite Opfer, noch keine sechzehn Jahre alt, seine Pläne jedoch plötzlich gefährden könnte, schwimmt sie als Leiche in einem Plastiksack im See. Und ihr ehemaliger Geliebter schöpft Verdacht...

Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.

2.


Da liegt der Baggersee, ein Standgewässer, das, wie jedes Wasser, dauernd unter von Gott ausgeübtem Oberflächendruck platt daliegt, dunkel und doch offen, vor uns, wie ein unüberblickbarer Wert. Ach, wäre das Wasser darin nur nicht biologisch umgekippt! So ist der See leider nicht ein dunkler Edelstein, in Berge eingefaßt, die manchmal ihre Nerven, die Wasserkrampfadern des Gebirgs, wegschmeißen und ihre eignen vollgesoffenen Hänge hinunterwerfen, der Mensch und seine Untaten sind schuld, jaja, die Muren – es rutscht den Hängen über ihren Hüften alles hinunter, die Berghose, die Erdsohle, dieses übersaugte, eingetränkte Grün, das sich dort nicht mehr halten kann. Leider hat es in diesem Frühjahr so viel geregnet. Wege wurden verschüttet, auf denen Autos geparkt waren o je. Menschen können aus ihren Urlaubsorten nicht mehr abreisen und sitzen in der Falle der Einwohner, die den Gipfel ihrer besten Manieren erklimmen müssen, um die Fremden so lange zu ertragen. Im Winter hatten sie bereits geübt, mit Lawinen zu töten, die Einheimischen und ihr eingeborener Schnee, der dreieinige Sohn des Wassers. (Inzwischen hat das Wasser schon wieder eine andre Form.) Dieses lebendige Naturschauspiel erledigt alles im Handumdrehn. Da kommt gleich eine ganze Betonmauer aus Schnee daher, diesem beliebten, aber unauffälligen (er liegt einfach überall herum, wenn er einmal da ist) Sportgerät, das rund um die Uhr runterfällt und keiner, außer den Sportlern, nimmt es recht zur Kenntnis, außer er hat noch die Sommerreifen montiert. Und dieser Schnee wird plötzlich wie Stein, wie Beton, den ein Bauchweh plagt und der sich daher entleeren muß, über alles. Wir müssen das im Fernsehn mit ansehen, obwohl wir uns mehr für den kleinen Fußball interessieren. Der See also. Es fehlt ihm das entscheidende Detail, daß Leben in ihm ist. Die Forellen gehn in der Mürz spazieren, den Stausee meiden sie, sie sterben schon vorher an der Angel oder am Schlamm aus dem E-Werk, wenn dieses die Schleuse zu rasch öffnet, ich sagte es schon einmal anderswo. Den Mechanismus verstehe ich immer noch nicht bis ins letzte, aber was es auch ist, die Fische sterben zu Hunderten davon. Es geht ruckzuck. In jedem Gestein und in jeder Bodenart gibt es geeignete Wannen oder Hohlformen, in die Wasser hineinpaßt, aber seine Zusammensetzung paßt dann wieder den Fischen nicht. Von Problemen hätten sie vorher etwas gesagt, hätten sie sprechen können.

 

Warum hat sich ausgerechnet dieses Wasser so vollgesoffen und womit, daß es dermaßen umgefallen ist? Man muß dem Wasser schon sehr viel ungesunde Nahrung zuführen, wenn es so fett wird. Beginnen wir mit einer Nährstoffzufuhr von 10 mg pro Jahr, steigern wir den Wert aber jährlich um zwei Prozent, und der See bekommt einen Nervenzusammenbruch, weil er glaubt, er wird noch mehr verkraften müssen, und er hat doch längst keinen Hunger mehr. Aber ich kann derzeit nicht sehen, welche Nahrung er überhaupt bekommen hat, ja, wovon ernährt er sich eigentlich? Wer hat den Kreislauf in Gang gesetzt, bis sich etwas erhob, reckte und streckte und dann aufstand und ging, ohne sein Bett zu machen? Ich sehe nirgends Essen für den See, dies ist überhaupt keine Gegend von extensiver Landwirtschaft, es ist eine Gegend von extensiver Freizeitnutzung. Wenn überhaupt etwas, dann müßte die Freizeit umkippen, nicht aber dieser See.

 

Da fällt schon früh der Nachmittagsschatten über das Gewässer, das sich in seine Wanne kauert. Es ist nicht durch Tektonik, Vulkanismus, Erosion oder Akkumulation gebildet worden, sondern jemand hat einfach eine sehr große Wanne in den Boden gesprengt, damit er den Schutt vom Straßenbau hineinwerfen konnte, und dann hat ein anderer es sich wieder überlegt und die Wanne lieber mit Wasser gefüllt. Schauen Sie, andre Gewässer erzeugt sogar der Wind, dieses Nichts in der Luft, auch Eis kann schmelzen und Wasser dabei herstellen. Dieses Wasser jedoch ist hingeschüttet worden, aber ohne eine Nahrungskette, nein, die hat man nicht dazugelegt (das heißt, die Konsumenten und Produzenten innerhalb dieser Biozönose kommen nicht und gehen nicht, es bleiben nur, doch sehen Sie selbst:) da liegen zwei, drei Ruderboote, zahlen können Sie im Gasthaus jenseits der Bundesstraße, wo man Ihnen auch die dazugehörigen Paddel ausfolgen wird. Und dann schauen Sie einmal ins Wasser hinein, keiner wird Sie dabei zurückhalten, aber die Artengarnituren unter Wasser, die liegen nicht neben saftigen Fischkörpern, Schnecken, Mikroorganismen, sondern diese Beilage ist immer nur Kraut, Kraut, Kraut, Grünes halt, das sehen Sie mit freiem Auge, Makrophyten, pflanzliche Organismen; Ihre Stimme wird wie durch einen Park lebender Pflanzenwesen hindurch gedämpft klingen, wenn Sie sich hineinbegeben, liebkosen werden die Blattzungen Sie wie die Äste von Bäumen, aber ich würde es mir an Ihrer Stelle noch einmal überlegen, da hineinzugehn. Wenn Sie nicht schwimmen können, lassen Sie vorher noch ein letztes Foto von sich machen! Also dieses Wasser schaut überhaupt nicht wie Wasser aus. Schon die Art, wie es sich um Ihren Hals klammert, wenn Sie letztlich doch noch Wassersport betreiben wollen! Dieses Wasser ist einfach nicht so naturnah wie Sie. Selbst wenn Sie es meiden und sich über den Bootsrand beugen, haben Sie den Eindruck von Gelee, Galerte, Tonnen über Tonnen von Wasserpflanzen, Nodien, Rhizome, ich frage mich, wie können die eine Photosynthese auch nur anstreben, wenn das Wasser für das Licht doch vollkommen undurchdringlich ist? Schauen Sie: Dort schwimmt ein abgebrochener Zweig. Er ist schon halb untergegangen, als wäre er versteinert und zu schwer fürs Wasser, das ihn streng behandelt und rasch hinunterzieht. Diese Pflanzen, die sollten eigentlich gar nicht da sein, und in einem gesünderen Gewässer wären sies auch nicht, zumindest nicht in solch gigantischer Menge. Hat das böse Klima das gemacht? Ist etwas emporgestiegen, das, seltsam bei der Jugend dieses Gewässer, an die Oberfläche geklettert ist, und dessen chemische Eigenschaften eigentlich auf ein viel älteres Wasser verweisen würden? Überdeckung sehr gering durchlässig, wie? Durch lange Verweilzeit im Untergrund für die Dynamik des Tiefengrundwassers von besondrer Bedeutung? Was, überhaupt kein Tiefengrundwasser? Der geschmacklose Saft einfach nur von oben hineingegossen und dann den Schlauch weggeschmissen?

 

Auf dem Wasser schwimmt derzeit ein Boot, wie die Liebe im Menschen herumschwimmt und nicht von der Stelle und nicht über sich hinauskommt. Sogar aus Ortschaften kann man ja beliebig wieder fort. Das Boot hat sich seine Menschen gesucht und gleitet jetzt ohne Geplatsche oder Gespritze hinaus, es wundert sich über nichts mehr, denn es ist dieses Gewässer gewohnt, das eben diese besondre Dichte zu haben scheint, ein andres spezifisches Gewicht als normales Wasser. Es scheint fast, als wäre es fest, was ja das Gegenteil von Wasserwäre, ein Abzug von einem OriginalWasserblock, doch das Original wird man nie wieder so hinkriegen, was wollte ich damit eigentlich sagen? Egal, ich sage es lieber nicht, denn ich würde Seiten dafür brauchen, die mir dann im Leben gewiß fehlen werden, und zwar die schöneren Seiten. Also es ist halt Wasser, aber es schaut nicht so aus und fühlt sich nicht so an. Will man schwimmen, fährt man besser nach Kapellen, dort ist ein Schwimmteich, ich sage Ihnen, der ist die Freundlichkeit selber, mitsamt seinen Wohnwagen daneben, den kreischenden Kindern, welche mit ihren Schwimmflügeln in die Bläue des Himmels abheben, der entdeckungsfreudigen Buntheit überall. Gut, zum Baden ist es jetzt noch zu früh im Jahr, das Wasser ist viel zu kalt. Während ich zum See z.B. sagen würde, er sei das Kaumentdeckbare, weil man so schwer dorthin kommt, um ihn zu entdecken. Sie drängt sich einem nicht auf, diese beinahe schwarze Schüttung, die einen Wasserkreislauf in Gang setzen sollte, doch sogar die Niederschläge scheinen nicht sichtbar in ihn einzuschlagen. Als fielen sie gebremst, wie auf einen Schwamm. Einfach eine dunkle Fläche neben der Bundesstraße ist das, knapp vor der Ortsumfahrung, wo man endlich, seit ein paar Jahren, nicht mehr bremsen muß. Ich bremse auch für Tiere, sagt dieses Auto, das von alleine gar nichts kann. Das Material für die Straße haben sie dem Boden vorher weggenommen und ihm billiges Wasser dafür zurückgegeben. Das würden nicht einmal Sie sich gefallen lassen. Stellen Sie sich vor, Sie haben da einen Korridor, wo Sie Schränke aufstellen könnten, und auf einmal kommt Ihnen stattdessen die volle Badewanne entgegen und begräbt Sie unter ihrer nassen Hohlheit. Der Bus fährt ein Stück in den Ort hinein, aber die alte Gemeindestraße geht dann gemächlich zu Fuß weiter, der Bus macht wieder kehrt, er hat sich um die Bundesstraße zu kümmern. Man kann inzwischen fünfjährige Kinder im Ort zum Greißler schicken, sie würden höchstens von einem Kinderwagen überfahren werden können. Da ist ja schon das Haltestellenhäuschen, grob rustikal wie aus Lebkuchen gezimmert, ähnlich einer Wildfütterungskrippe, damit es in der Landschaft nicht so auffällt, ein Möbel, jedoch im Freien, allerdings auch wieder kein Gartenmöbel; so weit würde ich nicht gehen, um mich, unter neugierigen Blicken der Anrainer, dort gemütlich hineinzusetzen und mein Gesicht in die Sonne zu halten. Macht nichts, davon würde es nicht besser, das Gesicht. Das Häuschen samt Bänkchen ist eher ein berufstätiges Möbel, das Leute für eine kurze Frist aufnimmt, hauptsächlich Fahrschüler, Lehrlinge und alte Leute, die kein Auto haben und in die umliegenden Ortschaften müssen, auf der einen Seite bis nach Mariazell, auf der andren nach Mürzzuschlag, ich komme von...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Gesellschaftskritik • Gewalt • Landgendarm • Landstraße • Mord • Nobelpreis • Sex • Steiermark
ISBN-10 3-644-01527-9 / 3644015279
ISBN-13 978-3-644-01527-2 / 9783644015272
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99