Wahrnehmung ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manchmal geringfügig, manchmal stark. Unter anderem deshalb nehmen nicht alle Kinder gleich gut wahr und erscheinen manche Kinder Erwachsenen eher als herausfordernd. Wie nimmt dein Kind wahr? Hast du im vorherigen Kapitel angekreuzt, es könne über- oder unterempfindlich, regulationsschwach oder im Handeln auffällig sein? Oder hast du keine Kreuze gesetzt?

Glaubst du, seine Wahrnehmung ist eher nicht andersartig? Ist es eher durchschnittlich empfindlich, empfänglich, stressresistent und handlungsfähig? Bemerkst du keine spezielle Wesensart an ihm? Dann wirst du in den folgenden Fragebögen vermutlich auch nichts Auffälliges ankreuzen. Du hast es wahrscheinlich etwas leichter in der Begleitung, musst dir nicht ganz so viele Gedanken machen. Aber jede spielerische Beschäftigung mit der Wahrnehmung wird auch deinem Kind zugutekommen, denn reifen über die Zeit müssen alle.

Glaubst du, es braucht mehr Unterstützung in Sachen Wahrnehmung? Dann ist der Blick auf dein Kind und auf wahrnehmungsstärkende Aufgaben und Spiele, die dieses Buch im zweiten Abschnitt bereithält, natürlich besonders wichtig. Denn diese Fähigkeiten bilden sich ja nur aus, wenn dein Kind sie übt. Immer und immer wieder. Auch wenn es Fehler und Frust erlebt. Bleib dran. Das ist wie mit Vokabeln: Die Wiederholung macht’s. Und zwar ohne Stress und Druck.

Wenn ein Kind für mich herausfordernd ist, weil es z. B. eher pessimistisch und/oder eher eng an Routinen gebunden ist, hilft es nicht, das zu kritisieren. Der erste Schritt ist erkennen. Anerkennen. Ich seh dich wie du bist. Und von da an geht es weiter.

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Wie dein Kind tatsächlich wahrnimmt, wie wahrnehmungssicher es ist und was ihm vielleicht den Alltag erschwert, kannst du nun noch genauer entdecken und deine erste Einschätzung absichern. Mithilfe der folgenden Fragebögen wird es dir möglich sein, nach der Auswertung gezielt auszuwählen, aus welchen Bereichen du Wahrnehmungsspiele nutzen solltest.

Die Fragebögen: In welchen Bereichen kannst du mit deinem Kind üben?

Die folgenden zwei Fragebögen befassen sich einmal mit dem Wesen und einmal mit der Empfindlichkeit deines Kindes bezogen auf seine Wahrnehmung. In ihnen sind verschiedene Wahrnehmungsbereiche und mögliche Besonderheiten aufgelistet. Denke bei deinen Antworten nicht an extreme, vereinzelte Momente, sondern schaue darauf, wie dein Kind sich in den meisten Fällen zeigt. Könnte es beispielsweise sein, dass dein Kind eine Unter- oder Überempfindlichkeit in Bezug auf einen Sinnesbereich zeigt? Und dass sich das auf sein Empfinden und sein Verhalten auswirkt? Solltest du diesen Schwerpunkt gezielt spielerisch anregen?

Bitte bedenke, dass sich alle Bereiche von Geburt an noch enorm entwickeln und die Fähigkeiten verschiedener Kinder mit 2, 4 oder 6 Jahren allein deshalb unterschiedlich sind. Daher frage dich: Nimmst du die Andersartigkeit vor allem im Vergleich mit Gleichaltrigen als sehr auffällig wahr? Behindert sie dein Kind ständig und schon eine ganze Weile?

Solltest du beim Antworten sehr unsicher sein, sprich gern noch mit anderen Bezugspersonen. Oft ist die Betrachtung von Wahrnehmungsarten so verflochten wie das Lösen eines Kriminalfalls. Du kannst etwas übersehen oder überinterpretieren. Der Fragebogen und deine Antworten sind ein erstes, gutes Indiz, damit du dein Kind besser sehen und verstehen sowie schließlich auch passend begleiten und fördern kannst. Erinnere dich an die Einleitung: Das Buch richtet sich insbesondere an Eltern mit gesunden, nur manchmal herausfordernden Kindern. Es ersetzt keine Diagnostik für beeinträchtigte Kinder.

Es geht darum, wie du dein Kind siehst. Und dank deines neuen Wissens rund um Wahrnehmung kannst du es jetzt viel differenzierter sehen als vorher. Nimm dir einfach Zeit, dein Kind gut kennenzulernen, um dann gezielt auszuwählen, welche Spielideen zur Wahrnehmungsstärkung du nutzen möchtest.

So nimmt dein Kind die Welt wahr – Sein Wesen

Der erste Fragebogen hilft dir dabei, das Wesen deines Kindes bezüglich seiner Wahrnehmung besser zu verstehen und zu beschreiben. Wie nimmt es die Welt mit seinen Sinnen auf, wie verarbeitet es diese Reize, wie kommt es ins Handeln? Er hilft dir einzuschätzen, wie wahrnehmungsstark es schon ist und in welchen Bereichen eine Stärkung besonders hilfreich sein kann.

Halte deine Einschätzung zu jedem Bereich fest, indem du dort ein Kreuz auf der Skala machst, wo du dein Kind verortest. Das Kreuz muss keinesfalls ganz links oder ganz rechts klar einem der beiden Begriffe zugeordnet werden. Nutze stattdessen die ganze Skalenbreite: Auf welcher Seite siehst du dein Kind, wie dicht am jeweiligen Pol? Oder eher mittig ausgeglichen? Manche Skalen haben auch einen eindeutigen Begriff, der der Mitte zugeordnet ist.

Auswertung: Sein Wesen

Blickst du nun auf den bearbeiteten Fragebogen, kannst du daraus verschiedenes mitnehmen. Das Wichtigste vorweg: Kein Ende einer Skala bedeutet „besser“ oder „schlechter“. Was du über das Wesen deines Kindes herausgefunden hast, hilft dir dabei, dein Kind von jetzt an noch besser, noch fairer zu sehen.

Jedes Kreuz weit rechts im ersten Fragebogenabschnitt zum Wesen deines Kindes ist eher eine Herausforderung. Vielleicht hat dein Kind ein eher empfindliches Wesen, eine eher komplizierte Verarbeitungsart oder zeigt ein eher forderndes Handeln und unterscheidet sich damit von Gleichaltrigen. Wahrscheinlich unterscheidet es sich darin auch von dir und die angekreuzte Ausprägung ist wohl mit dafür verantwortlich, dass ihr oft aneinandergeratet.

„Seine Art stresst mich so, aber ich weiß ja, dass er schnell überreizt ist und dass das heute mal wieder der Grund war“ oder „Immer muss sie sich mit ihrer Schwester zanken. Aber ich weiß ja, dass sie innerlich dauernd Wettkampf sucht“ und „Mein Kind schafft es momentan noch nicht anders.“ Diese Perspektive wird dich vielleicht nach und nach etwas erleichtern und eurer Beziehung guttun. Du kannst nämlich besser ausmachen, warum dein Kind meist so handelt, wie es handelt.

Alle Bereiche, die weit rechts ein Kreuz erhalten haben, …

• kannst du dir plakativ notieren, damit du im Alltag im Kopf hast, was dein Kind ausmacht. Hänge die Notiz an deinen Kleiderschrank, in den Flur oder an den Badezimmerspiegel. So erinnerst du dich leichter daran, dass du dein Kind nicht dafür verurteilen solltest.

• kannst du dir immer wieder auch auf dem Fragebogen anschauen, wenn du mit deinem Kind im Alltag aneinandergerätst. So kannst du dich daran erinnern, dass bestimmte Verhaltensweisen stark in seiner Wesens- und Wahrnehmungsart begründet sein können, nicht in einer bösen Absicht.

• sind keine Ausrede, auf der du dich mit deinem Kind ausruhen solltest und die alles entschuldigen können. „Es ist halt so“ sollte immer nur der erste Schritt sein, nicht der einzige. Stattdessen ist der richtige Blick der folgende: „Es ist halt so und deshalb benötigt es hier besondere Nachsicht und dort besondere Unterstützung.“ Verstehen und helfen. Aktives Annehmen nenne ich das.

• sind Motivation für dich, dein Kind wahrnehmungsstärkend zu begleiten, indem du querbeet die Anregungen aus den nächsten Kapiteln nutzt. Denn wenn es (sich) gut wahrnimmt, kann es auch mit eher herausfordernden Ausprägungen nach und nach besser umgehen.

• bedeuten in der Regel nicht, dass bei deinem Kind wirklich etwas beeinträchtigt und therapiebedürftig ist. Aber wenn dich die Ausprägungen sehr belasten, kannst du sie mit Fachpersonen (zum Beispiel Kita- oder Schulpersonal), die dein Kind gut kennen, durchsprechen: Wie ist ihr Eindruck?

Wenn du offen mit Fachkräften darüber sprichst, können sie dir wahrscheinlich auch helfen, mögliche weitere Gründe zu entdecken, die zu dem Verhalten führen, das dein Kind zeigt....