Gefährten (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-30018-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gefährten -  Ali Smith
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»?Gefährten? ist, wie das Leben selbst, chaotisch, lustig, traurig, wunderschön und geheimnisvoll.« The Guardian
Wie keine andere fängt Ali Smith den Geist der Zeit ein und macht Hoffnung auf die Zukunft. Ihr neuer Roman ist eine überbordende Feier der Gemeinschaft in all ihren Facetten, zeitlos und gegenwärtig, legendär und rätselhaft, fordernd und tröstlich.

Sandy, eine Künstlerin, hütet Haus und Hund ihres Vaters, der während des Lockdowns im Krankenhaus liegt. Völlig unerwartet erhält sie den Anruf einer ehemaligen Studienkollegin, die sie ewig nicht gesehen hat und die ihr von einem merkwürdigen Traum erzählt. Nicht nur das, sie dringt samt ihrer Familie ungebeten in Sandys Leben ein. Und es entspinnt sich eine Geschichte über Freiheit und Unterdrückung, in der sich ein kunstvolles eisernes Schloss aus dem sechzehnten Jahrhundert und seine Schmiedin in die zunehmend chaotische Gegenwart drängen ...

Ali Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman »Beides sein« wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und 2015 mit dem Baileys Women's Prize for Fiction. Mit »Herbst« kam die Autorin 2017 zum vierten Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize sowie auf Platz 6 der SWR-Bestenliste, für »Sommer« erhielt sie den George Orwell Prize. 2022 wurde Ali Smith mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet.

’Allo ’allo ’allo. Wo soll’s denn hingehen?

Das ist die Stimme von Zerberus, dem Höllenhund mit den drei Köpfen (ein ’allo pro Kopf). Im antiken Mythos bewacht er das Tor zur Unterwelt und passt auf, dass kein Toter herauskommen kann. Seine Zähne sind messerscharf, seine Köpfe gleichen denen von Schlangen und erheben sich über seinem Rücken wie Federbüsche, er spricht aufgesetzt freundlich mit einem, scheint’s, guten alten britischen Bobby, was ein altmodisches Wort für einen Polizisten ist.

Dieser britische Polizist ist allerdings von heute, die neueste käufliche Version, und er hat den Styx überquert, steht am Eingang zur Unterwelt und zeigt den Zerberus-Köpfen Fun-Fotos von sich und anderen Uniformierten, auf denen sie herumalbern, das V-Zeichen über Bildern von Leichen echter Ermordeter machen und scherzhafte rassistische / sexistische Kommentare hinzufügen, Fotos, die er auf der lustigen Polizei-App herumgeschickt hat, die er und seine Kumpels zurzeit verwenden hier im Land der Union-Jack-Jüngelchen im Jahr des Herrn zweitausendeinundzwanzig, in dem diese Geschichte spielt, in der ich zu Beginn eines Abends in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa ins Nichts starre, und Fantasie und Wirklichkeit sich auf beklemmende Weise miteinander vermischen.

Zerberus hebt nicht einmal eine Braue (dabei könnte er, wenn er wollte, sechs heben). Ist doch nichts Neues. Sollen sich die Leichen halt stapeln, je mehr, desto besser in einem Land in Trauer, das, permanent dazu angehalten, so tut, als wäre es kein Land in Trauer.

Tragödie versus Farce.

Hatten Hunde überhaupt Augenbrauen?

Ja, Sand. Plausibilität ist wichtig im Mythos.

Ich hätte, wenn ich es genau hätte wissen wollen, vom Sofa aufstehen, den Raum durchqueren und am Kopf des Hunds meines Vaters nachsehen können.

Aber mich kümmerte nicht mehr, ob Hunde Augenbrauen hatten.

Mich kümmerte nicht, welche Jahreszeit es war.

Oder welcher Wochentag.

Zu der Zeit war für mich alles Mist einer einzigen Mistigkeit. Ich verachtete mich sogar für dieses kleine Wortspiel, auch wenn das nicht meine Art war, denn ich liebte Sprache schon mein Leben lang, sie war bei mir die Hauptperson und ich ihre ewig treue Gefährtin. Doch zu der Zeit konnten sogar Wörter und alles, was sie konnten und nicht konnten, mich mal kreuzweise, und damit hatte es sich.

Dann leuchtete mein Handy auf dem Tisch auf. Das Licht leuchtete in dem dunklen Zimmer.

Ich hob das Handy hoch und starrte darauf.

Nicht das Krankenhaus.

Okay.

Eine mir unbekannte Nummer.

Jetzt überrascht es mich, dass ich überhaupt ranging. Ich werd wohl gedacht haben, vielleicht jemand, für den mein Vater gearbeitet hatte oder ein ehemaliger Kollege, und der hatte erfahren, was passiert war, und rief an und wollte wissen, wie es ihm ging usw. Eine Spur verantwortlich fühlte ich mich schon noch bei so was. Die Auskunft hatte ich ja parat. Noch nicht über den Berg. Unter Beobachtung.

Hallo?, sagte ich.

Sandy?

Ja.

Ich bin’s, sagte eine Frau.

Aha, sagte ich, nicht klüger als zuvor.

Sie nannte mir ihren Namen.

Heute heiße ich Pelf, mein Mädchenname ist Martina Inglis.

Es dauerte einen Moment. Dann erinnerte ich mich.

Martina Inglis.

Sie war zur selben Zeit am College wie ich, im selben Jahr, im selben Kurs. Freundinnen waren wir nicht gewesen, eher Bekannte. Nein, nicht einmal Bekannte. Weniger als das. Ich dachte, vielleicht hat sie das von meinem Vater gehört (obwohl Gott weiß wie das hätte sein sollen) und rief, auch wenn wir uns kaum kannten, jetzt bei mir an (obwohl Gott weiß woher sie meine Nummer haben sollte), um mir, keine Ahnung, beizustehen.

Doch sie erwähnte meinen Vater gar nicht.

Sie fragte nicht, wie es mir ging oder was ich machte oder das Zeug, das Leute meistens sagen oder fragen.

Ich glaube, deshalb legte ich nicht auf. Sie spielte mir nichts vor.

Sie sagte, sie hätte schon eine ganze Weile mit mir sprechen wollen. Sie sei jetzt, erzählte sie, Assistentin des Kurators an einem Nationalmuseum (hättest du dir jemals vorstellen können, dass ich mal so etwas mache?) und gerade von einer Tagesreise aus dem Ausland zurückgekommen, wo das Museum sie zwischen zwei Lockdowns hingeschickt hatte, um ein aus England stammendes Truhenschloss aus einer Wanderausstellung von Objekten des Spätmittelalters und der Frührenaissance persönlich nach Hause zu begleiten, eine Schließvorrichtung, erklärte sie, ihrer Zeit weit voraus, noch dazu eine ganz ungewöhnlich gute und schöne Ausführung, historisch nicht ganz unbedeutend.

Abends also wieder hier eingetroffen, habe sie lange anstehen müssen, bis sie das vordere Ende der Schlange vor der Grenzkontrolle erreicht habe, wo die Pässe per Hand kontrolliert wurden (die meisten digitalen Lesegeräte seien außer Betrieb gewesen). Als sie schließlich ganz vorn stand, habe der Mann hinter der Scheibe gesagt, sie habe ihm den falschen Pass gegeben.

Sie konnte sich nicht denken, was er meinte. Ein falscher Pass, was sollte das sein?

Ah, Augenblick, habe sie gesagt. Verstehe. Entschuldigung, ich habe Ihnen bestimmt den gegeben, mit dem ich nicht ausgereist bin, einen Augenblick bitte.

Ein Pass, mit dem Sie nicht ausgereist sind, sagte der Mann hinter der Scheibe.

Ich habe zwei, sagte sie.

Sie holte ihren anderen Pass aus der Innentasche ihrer Jacke.

Doppelte Staatsbürgerschaft, sagte sie.

Genügt ein Land Ihnen nicht?, sagte der Mann hinter der Scheibe.

Bitte?

Ich sagte, genügt ein Land Ihnen nicht?, sagte der Mann noch einmal.

Sie sah zu seinen Augen über der Maske. Die lächelten nicht.

Das ist doch wohl meine Sache, nicht Ihre, sagte sie.

Er nahm ihr den zweiten Pass ab, klappte ihn auf, sah ihn sich an, schaute sich die beiden Pässe zusammen an, schaute auf seinen Bildschirm, tippte etwas, und nun spürte sie, dass zwei maskierte Beamte in Uniform dicht neben ihr standen, direkt hinter ihr, einer auf jeder Seite.

Wenn ich mal kurz das Ticket sehen könnte, mit dem Sie heute hier eingereist sind, sagte der Mann hinter der Scheibe.

Sie zog ihr Handy hervor, scrollte, bis sie das Ticket fand, drehte das Handy um und hielt es zu ihm hoch. Einer der Beamten nahm ihr das Handy aus der Hand und schob es dem Mann hinter der Scheibe durch. Der legte es auf ihre Pässe. Dann desinfizierte er sich die Hände aus einer Flasche auf seinem Tisch.

Wenn Sie bitte hier entlangkommen würden, sagte der zweite Beamte.

Warum?, sagte sie.

Routinekontrolle, sagte der zweite Beamte.

Sie begannen sie wegzuführen.

Ihr Kollege hat noch mein Handy. Er hat noch meine beiden Reisepässe, sagte sie.

Erhalten Sie zu gegebener Zeit zurück, sagte der hinter ihr.

Sie führten sie durch eine Tür und durch eine zweite Tür in einen nichtssagenden Gang, in dem außer einem Scanner nichts war. Sie ließen die Tasche, in der die kleine Packkiste mit dem alten Schloss darin war, ihr einziges Handgepäck, durch den Scanner laufen.

Fragten, was für eine Waffe sich in der Kiste befinde.

Seien Sie nicht albern. Das ist selbstverständlich keine Waffe, sagte sie. Der breitere Gegenstand ist ein Schloss, es war im sechzehnten Jahrhundert einmal das Schloss an der Geldtruhe eines Barons. Der längliche Gegenstand daneben ist kein Messer, sondern der Originalschlüssel zu diesem Schloss. Es ist das Boothby-Schloss. Wenn Sie etwas über englische Metallverarbeitung im Spätmittelalter und in der Frührenaissance wüssten, wüssten Sie, dass es sich hier um ein bedeutendes historisches Artefakt und ein fantastisches Beispiel für die Güte des Schmiedehandwerks handelt.

Der Beamte brach die Packkiste grob mit einem Messer auf.

Sie dürfen das nicht rausnehmen!, sagte sie.

Er hob das eingewickelte Schloss heraus und wiegte es in den Händen.

Legen Sie das zurück!, sagte sie. Legen Sie das sofort zurück!

Sie sagte es mit solcher Schärfe, dass der Uniformierte aufhörte, das Schloss von einer Hand in die andere gleiten zu lassen, und es fast linkisch in die Packkiste zurücklegte.

Dann verlangte der andere, dass sie bewies, die zu sein, für die sie sich ausgab.

Wie denn?, sagte sie. Sie haben meine beiden Reisepässe doch schon. Und mein Handy.

Sie haben also keinen schriftlichen Nachweis für einen behördlichen Auftrag zum Transport eines nationalen Kulturguts?, sagte der Beamte, der die Packkiste in den Händen hielt.

Sie wollten sie in das Zimmer bringen, das sie Befragungsraum nannten. Sie klammerte sich mit beiden Händen an die Seite des Scannerbands, machte sich so schwer sie konnte, wie die Demonstranten in den Nachrichten, und weigerte sich, freiwillig irgendwohin zu gehen, ehe sie ihr nicht die aufgebrochene Packkiste zurückgaben und sie nachprüfen ließen, dass beides, Boothby-Schloss und zugehöriger Schlüssel, noch darin waren.

Sie sperrten sie und die Tasche mit der Kiste in einen kleinen Raum ein, in dem sich nichts befand außer einem Tisch und zwei Stühlen. Der Tisch war aus grauem Plastik und Aluminium, genau wie die Stühle. Es stand kein Telefon auf dem Tisch, gab keine Fenster. Es gab auch keine sichtbare Kamera an einer der Wände, in die sie hätte winken können, auch wenn da sehr wohl...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2023
Übersetzer Silvia Morawetz
Sprache deutsch
Original-Titel Companion Piece
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Aufdringlichkeit • Bestseller • eBooks • Einsamkeit • Gemeinschaft • Großbritannien • Hymne an das Leben • Jahreszeitenzyklus • Literaturpreise • lockdown • London • Mythos • Neuerscheinung • Roman • Romane • Schloss • Schmiedin • Sprachkunst
ISBN-10 3-641-30018-5 / 3641300185
ISBN-13 978-3-641-30018-0 / 9783641300180
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