Eine Liebe von Bern (eBook)

Roman | Ein Roman über das Berner Tanzmilieu der 1960er Jahre, über alte Liebe und neue Chancen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-164-5 (ISBN)

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Eine Liebe von Bern -  Marie Brunntaler
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Bern, 1967. Léon Seematter traut seinen Augen nicht: Nachdem er jahrelang erfolgreich die einzige Tanzschule in Bern geleitet hat, erscheint ein zweiter Tanzlehrer auf der Bildfläche, der Léon mit seinen modernen Tänzen zu Beatmusik Konkurrenz macht. Es ist Georges Szell, ein alter Bekannter. Doch nicht nur er, auch das Auftauchen einer frechen neuen Schülerin nimmt Léon mit auf eine Reise in seine Vergangenheit - eine Vergangenheit, in der er schon einmal hinter Georges Szell zurückstecken musste. In ihrem vierten Roman erzählt Marie Brunntaler von der Rivalität zwischen zwei Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, von verpassten und von neuen Chancen - und von Geheimnissen, die das ganze Leben verändern können.  

MARIE BRUNNTALER wurde im Südschwarzwald geboren, studierte Biologie und arbeitete als Landschaftsplanerin in Heidelberg und Bonn, bevor sie ihrem Mann in die Schweiz folgte. Marie Brunntaler arbeitet als Landschaftstopografin im Berner Oberland. Eine Liebe von Bern ist ihr vierter Roman.

MARIE BRUNNTALER wurde im Südschwarzwald geboren, studierte Biologie und arbeitete als Landschaftsplanerin in Heidelberg und Bonn, bevor sie ihrem Mann in die Schweiz folgte. Marie Brunntaler arbeitet als Landschaftstopografin im Berner Oberland. Eine Liebe von Bern ist ihr vierter Roman.

2

Bam bam bam, klar und edel, schlicht und getragen klang es auf dem Waldhauser-Flügel, solides Instrument des einzigen Schweizer Klavierbauers. Mit milden Augen schaute Herr Ungefahr in den matt erleuchteten Saal, während er zum ungezählten Mal die Quadrille spielte. Ungefahr brauchte dafür längst nicht mehr in die Noten zu schauen.

»Balancé«, sagte eine schneidende Stimme, auf die alle hörten. Bewegung entstand im Saal, Gleichmaß, und die Schönheit einstudierter Ordnung.

»Compliment«, ertönte die Stimme.

Junge Schweizer beugten ihre Köpfe, junge Schweizerinnen das Knie. Fünfzig Paare schritten vom Kopfende des Saales auf Léon Seematter zu. Der Tanzmeister stand erhöht da und hatte jede Nuance im Blick.

»Abfallen!«, befahl er.

Die Gruppen fielen auseinander.

»Traverser«, ordnete er an.

Paarweise durschnitten und durchkreuzten sie den Saal.

»In Linie bleiben!« Die Stimme des Meisters wurde schärfer. Er war oberster Richter und wurde zum Scharfrichter, wenn das Gesetz der Quadrille missachtet wurde. »Spyri, glauben Sie, ich sehe das nicht?«

André Spyri, der seit Jahr und Tag Tanzkurse bei Seematter belegte, aber immer noch zu den Anfängern zählte, war Berner Oberländer. Groß, blond, mit schweren Händen, noch schwereren Füßen, dazwischen das Fass seines kerngesunden Körpers. Spyri hatte eine verzweifelte Sehnsucht nach dem Zarten, Musischen, dem Tänzerischen, das jedem Menschen innewohnte, aber nicht bei jedem zum Ausdruck kam. Verbissen kämpfte er gegen das Handicap seines stämmigen Körpers. Rückschläge akzeptierte er nicht. Die Schelte und Demütigungen Seematters nahm er als Ansporn, es stets von Neuem zu versuchen.

»Großes Compliment«, rief Seematter in die Klasse.

Herr Ungefahr beendete die Quadrille mit einer Verzierung in Es-Dur und schlug das Notenheft zu.

»Ich hatte gehofft, dass Sie ein besonders graziöser Tanzkurs werden«, sagte Seematter in die Runde. »Leider habe ich mich getäuscht. Es gibt noch viel zu tun.« Er klatschte in die Hände. »Alles aufstellen zum Anstandsunterricht!«

Die Herde folgte ihm in den Vortragsraum. Seematter wartete, bis es mucksmäuschenstill wurde. »Der Tanzboden ist der Ort, an dem sich die Geschlechter auf korrekte Weise miteinander vermischen.«

Ein verstohlenes Kichern wies ihn darauf hin, dass seine Wortwahl missverständlich war. Einige Eltern wohnten dem Kurs am Rande des Saales bei, Eheleute, die ihrer schüchternen Tochter Zuversicht gaben, Mütter, denen der Stolz auf den tanzenden Sohn ins Gesicht gemalt war. Seematter korrigierte sich vor allem der Eltern wegen.

»Ich meine natürlich den Ort, wo Beziehungen seriös geknüpft werden können. Der junge Mensch muss lernen, die richtige Form und die rechten Worte zu finden. Was spricht man also während des Tanzens?«

Schultern strafften sich, junge Männerköpfe gingen hoch. Das war ein interessanter Punkt. Meistens, während sie auf ihre Schritte achteten, fiel ihnen keine geistreiche Konversation ein.

»Spricht ein Tänzer seine Partnerin mit den Worten an: Schwitzen Sie auch so stark?, so ist das ungehörig«, fuhr Seematter fort. »Schwitzen tut ein Pferd. Ein Mensch transpiriert. Sollte ein Herr tatsächlich ungewöhnlich stark transpirieren –« Seematters Blick wanderte tadelnd zu Spyri. »Dann darf ich auf meinen Parfum-Automaten aufmerksam machen. Er hängt im Übungszimmer. Nach Einwurf von zwanzig Rappen wird Ihnen ein Parfum auf das Taschentuch gespritzt, und Sie erfreuen sich eines erfrischenden Fluidums.«

Seematter nahm die zwei Stufen nach unten und trat unter die Schüler. Sobald er das Podium verließ, wurde sichtbar, was sein lebenslanges Handicap darstellte: Seematter war ein kleiner Mann. Den Makel, dass die meisten seiner Tanzpartnerinnen größer gewesen waren, hatte er durch napoleonisches Selbstbewusstsein überwunden. Er stand kerzengerade da, das Kinn erhoben, um wenigstens ein paar Zentimeter an Augenhöhe zu gewinnen. Mit den Jahren war er kräftiger geworden, zu seinem Vorteil, wie er fand. Der Springinsfeld, den er während seiner Ballettjahre am Stadttheater abgegeben hatte, war Vergangenheit. Wegen seiner mangelnden Größe hatte er es nie zum Ersten Solotänzer gebracht und sich mit kleinen Partien wie der Hexe im Weihnachtsmärchen oder dem Derwisch zufriedengeben müssen. Heute war Seematter untersetzt, sein aschblondes Haar bändigte er mit Brillantine, vergaß aber nie, sich die Napoleonlocke in die Stirn zu frisieren. Ihm wohnte die Grazie eines Schmetterlings und die Kraft eines Panthers inne. Seine Augen sprühten Feuer, seine Schultern und Beinmuskeln erzählten von jahrelangem Training. Léon Seematter strotzte vor Kraft und bewerkstelligte das Paradoxon, diese Kraft in Eleganz zu verwandeln.

»Wir üben das Promenieren zu zwei und zwei im Saal«, rief er mit heller Stimme. »Es ist das Ziel der jungen Damen und Herren, ein angeregtes Gespräch zu führen. Aufstellung!«

Wie an einer Schnur gezogen, begaben sich alle in die vorgegebene Formation.

»Herr Ungefahr, Untermalungsmusik!«

Untermalung bedeutete für den Pianisten die Serenade von Enrico Toselli. Ungefahr spielte sie mit viel Gefühl.

Während sich die Paare in Konversation übten, trat Seematter auf eine Dame der besten Berner Gesellschaft zu.

»Ich habe mich gefragt, wieso es plötzlich so hell wurde im Saal«, scherzte er. »Ich glaube, das hatte mit Ihrem Erscheinen zu tun, verehrte Frau Burckhardt.« Er machte eine untadelige Verbeugung.

Seematter war Schweizer. Er verfügte über alle bekannten Schweizer Tugenden, schmeichelte sich aber, eine unschweizerische hinzuzählen zu dürfen, seinen Witz. Er war überzeugt, dass ihn bei den Damen vor allem seine Wortgewandtheit auszeichnete.

Ursula Burckhardt lachte gutmütig. Ihre Tochter Regula trat neugierig zur Mutter.

»Bitte einreihen, Fräulein Regula«, sagte Seematter. »Der Anstandsunterricht ist genauso wichtig wie das Tanzen.«

Während die Tochter zu ihrem Partner zurückkehrte, überreichte Frau Burckhardt Seematter ein hübsch verschnürtes Paket. »Ich habe Ihnen eine Kleinigkeit mitgebracht.«

Er zögerte. »Aber doch nicht hier, liebe Frau Burckhardt. Wenn ich Sie in mein Büro bitten darf?« Mit einer Geste forderte er seine Assistentin Lore auf, die Kursleitung zu übernehmen.

Erst im Kontor nahm Seematter das Geschenk entgegen. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«

Die Burckhardts besaßen eine Privatbank in der Rathausgasse, außerdem eine Kette von Delikatessengeschäften. Mostbröckli Burckhardt war ihr Verkaufsschlager, die Räucherspezialität aus Pferdefleisch.

Seematter schnupperte. Die Mostbröckli verströmten ihren strengen Duft. »Sie verwöhnen mich.«

»Lieber Herr Seematter, Sie stellen nicht nur ein Bollwerk an Anstand und Lebensart in unserer Stadt dar, sondern gewissermaßen auch die einzige Eheanbahnungsagentur.«

Für einen Moment zuckte er zurück. »Obwohl in meinem Institut schon viele Herzen zueinander gefunden haben, möchte ich mich doch nicht als Agentur bezeichnen.«

»Alles in Ehren natürlich.« Mit einem tiefen Atemzug öffnete Frau Burckhardt die Jacke ihres moosgrünen Kostüms. »Es wird allmählich Zeit, dass meine Regula unter die Haube kommt.«

»Aber sie ist ja noch so jung!« Seematter lächelte, weil er den Sinn ihres Besuchs endlich verstand. »Allerdings, in letzter Zeit wirkt sie doch recht aufgeblüht.«

»Das meine ich auch«, nickte Frau Burckhardt. »Ich möchte in diesem Punkt bei Regula nichts dem Zufall überlassen. Mir schwebt ein besonderer Typ von Schwiegersohn vor.«

Seematter stellte das Päckchen auf den Aktenschrank. »An welche der Berner Familien haben Sie gedacht? Zurzeit habe ich einige interessante junge Herren in meinem Kurs.«

»Ihre aktuellen Schüler habe ich mir gerade angeschaut. Die Stettlers, die Graffenrieds, die Tschiffelis haben ihre Söhne in den Kurs geschickt. Aber von denen kommt keiner infrage.«

»Wieso nicht?«

»Ich denke in diesem Punkt anders als mein seliger Walter. Das Finanzielle soll bei der Wahl keine Rolle spielen.«

»Natürlich, die Burckhardts haben ja selbst …« Vergebens suchte Seematter nach einer Umschreibung für das schnöde Wort Mammon.

»Mein Schwiegersohn soll zwar aus einer anständigen Familie kommen und über Manieren verfügen, in erster Linie benötigt er aber Ausstrahlung.«

»An welche Art Ausstrahlung denken Sie?«

»Sie sprachen vorhin von Fluidum, Herr Seematter. Ich meine damit nicht das Fluidum, das Ihr Parfumautomat versprüht.«

»Ich ahne, worauf Sie abzielen.«

»Bedauerlicherweise kommt Regula ganz nach ihrem verstorbenen Vater. Für einen Unternehmer wie Walter mochte das angehen, aber nicht für ein siebzehnjähriges Mädchen. Regula ist zu ernst, zu gewissenhaft. Würde ich meine Tochter mit einem typischen Berner verheiraten, wäre ich in größter Sorge um den Charakter meiner Enkelkinder.«

»Was suchen Sie genau, Frau Burckhardt?«, entgegnete Seematter, von der Fülle der Anforderungen verwirrt.

»Einen lebensfrohen jungen Menschen, der ein wenig Leichtigkeit in unsere Familie bringt.«

Léon nickte problematisch. »Ausgerechnet Leichtigkeit

»Sie haben recht, ich verlange das Schwerste, das Seltenste, Herr Seematter. In den Mauern unserer Stadt bedeutet Leichtigkeit eine enorme Anstrengung.«

»Ich würde eher sagen, es bedarf einer...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1940er Jahre • 1960er Jahre • Ballett • ballett buch erwachsene • BALLETTSCHULE • Bern • Historischer Roman • historischer roman alpen • historischer roman kindle • Krankheit • Liebesgeschichte • Musik • nachkriegszeit 2 weltkrieg • roman schweizer berge • Schicksalsschlag • schicksalsschlag bücher • Schweiz • Tanz • Tanzschule
ISBN-10 3-96161-164-5 / 3961611645
ISBN-13 978-3-96161-164-5 / 9783961611645
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